Reviewed Publication:
Aulenbacher Brigitte / Lutz Helma / Palenga-Möllenbeck Ewa / Schwiter Karin (eds.), 2024: Home Care for Sale. The Transnational Brokering of Senior Care in Europe. London Sage. 352 pages. € 99,90
Der Sammelband »Home Care for Sale« nimmt den Wandel und die unterschiedlichen Care-Arrangements für ältere Menschen in Europa in den Blick. Mit dem Fokus auf Vermittlungsagenturen für migrantische Care-Arbeiter:innen sowie deren Zunahme und Wandel im Zuge der stetigen Vermarktlichung von Care in Europa, gelingt den Herausgeber:innen eine Verbindung vielfältiger geographischer Perspektiven – meist dargestellt in Länderstudien – mit unterschiedlichen kritisch-theoretischen Zugängen. Dabei verstehen es die Herausgeber:innen, einseitige Zuschreibungen an Nationalstaaten, Akteur:innen in Care-Arrangements und bestehende rechtlich-strukturelle Rahmenbedingungen zu vermeiden. In den Beiträgen werden weniger best-practice-Beispiele aufgeführt oder in Aussicht gestellt, vielmehr werden an Einzelbeispielen Analyse-Ebenen und -Perspektiven aufgezeigt, die notwendig sind, um sich dem Phänomen häuslicher Care-Arbeit angemessen zu widmen. Die Herausgeber:innen schließen an Themen feministischer Theoriebildung und Praxis an und führen in der Zusammenstellung der Beiträge die Vielfalt und Ambivalenz von Zugängen, Perspektiven und Entwicklungen vor Augen. So fordern sie mit dem Blick auf den Privathaushalt als Arbeitsplatz transnationaler Care-Migrant:innen eine Differenzierung und Erweiterung der europäischen Forschung heraus.
Die Einleitung bietet eine theoretische Rahmung und kritische Einbettung in die vier großen Analyse-Achsen des Sammelbandes: die Kommodifizierung und Vermarktlichung von Care, die Transnationalisierung von Care und Care-Arbeit, der Privathaushalt als Arbeitsplatz sowie die Kämpfe um gerechte Arbeit in häuslichen Care-Arrangements. Die Herausgeber:innen, Expert:innen aus der (Geschlechter-) Soziologie, Care- und Migrationsforschung und Geographie, verorten den Sammelband in bisherigen feministischen Auseinandersetzungen um Care und Care-Arbeit und benennen neue Aspekte, die sich aus der transnationalen Vermarktlichung der Care-Arbeit im privaten Haushalt ergeben. Dabei beschreiben sie die Vermittlungsagenturen als treibende Akteur:innen und Gestalter:innen dieser Veränderung, die auf die Etablierung eines »new sector of the capitalist economy« (3) abzielt.
Die Bedeutung und Komplexität des Zusammenspiels der Akteur:innen von Live-in-Care und der Rolle der Agenturen in den transnationalen Sorge-Netzwerken wird im ersten Beitrag des ersten Teils deutlich. Darin analysiert Ewa Palenga-Möllenbeck die bisherige Rolle der Entsende-Agenturen in Polen und beschreibt die Entwicklung der Vermarktlichung der Live-in-Care anhand des theoretischen Ansatzes der Wertschöpfungskette. Die Entwicklung einer verstärkten Formalisierung, wie sie sich auch in anderen Beiträgen und Länderstudien zeigt, wird in den komplexen Verbindungen und der Arbeitsteilung der unterschiedlichen Akteur:innen in Deutschland und Polen sichtbar. Anhand der Selbstdarstellung und -bewerbung der Agenturen wird die Entwicklung des Zusammenspiels der deutschen und polnischen Akteur:innen sehr eingängig aufgezeigt – mitsamt der Konsequenzen, die diese für die Arbeitsbedingungen der Care-Migrant:innen selbst haben.
Auch Dóra Gàbriel und Noémi Katona diskutieren die Dynamik zwischen verschiedenen Akteur:innen in der häuslichen Pflege und beschreiben kritisch die Auswirkungen auf die Care-Arbeiter:innen. Indem sie eine Typologie der Anbieter:innen von Care für ältere Menschen in Ungarn entwickeln, gelingt es ihnen, die unterschiedlichen Konsequenzen für die Arbeitsbedingungen von Care-Arbeiter:innen, beispielsweise in Bezug auf Sozialleistungen, deutlich zu machen. Das Narrativ einer »guten Agentur«, das auch in den Beiträgen von Ewa Palenga-Möllenbeck, Dóra Gàbriel und Noémi Katona implizit mitverhandelt wird, untersuchen schließlich Brigitte Aulenbacher und Veronika Prieler im österreichischen Kontext migrantischer Care-Arrangements. Die beiden Autorinnen arbeiten heraus, wie die Marktausrichtung der Agenturen der Live-in-Care mit ihrer rechtlichen Formalisierung zusammenhängt und dass letztere nicht zwangsläufig zu besseren Arbeitsbedingungen führt.
Im zweiten Teil des Sammelbandes setzen die Herausgeber:innen einen Schwerpunkt auf die Transnationalisierung und die vielfältigen Mobilitäten innerhalb globaler Care-Netzwerke. Auch hier zeigt sich die Stärke der Verbindung theoretischer und empirischer Ansätze. So untersuchen Majda Hrženjak und Maja Breznik die Ungleichheit reproduzierenden Merkmale der Care-Mobilität in osteuropäischen Ländern am Beispiel Sloweniens und diskutieren die Bedeutung dieses semiperipheren Landes, das gleichzeitig als Entsende-, Transit- und Empfängerland fungiert. Demgegenüber untersuchen Raquel Martínez-Buján und Paloma Maré die Rolle von Vermittlungsagenturen in Spanien. Sie verbinden die historischen und regionalen Charakteristika wie etwa die Rekrutierung von Care-Arbeiter:innen aus den Ländern Lateinamerikas und der Karibik mit einer kritischen Analyse der aktuellen auf Seiten der Agenturen vorherrschenden Beschreibungen von Care-Arbeit. Dabei wird deutlich, wie außerordentlich prekär die Situation der Beschäftigten, die häusliche Care-Arbeit verrichten, bleibt, trotz aller Bekenntnisse zu Formalisierung, Professionalisierung und Qualifizierung.
Als drittes Spannungsfeld fokussieren die Beiträge des Sammelbandes auf den Privathaushalt als Arbeitsplatz und schließen damit an vielfältige Auseinandersetzungen feministischer Forschung an. María Bruquetas-Callejo nimmt die Überlegungen zu den ambivalenten Einflüssen rechtlicher Regelungen am Beispiel der Niederlande auf. Sie untersucht die Auswirkungen dieser Regelungen auf die informelle Aushandlung von Arbeitszeiten und beschreibt die Auswirkungen von Moralprinzipien, Unklarheiten im Gesetz und Unterschieden der Verhandlungsmacht. Chiara Giordano zeigt wiederum anhand rumänischer Live-Ins auf, wie belgische Agenturen sich die abwertende Unterscheidung von »›real work‹ and ›mere presence‹« (159) in Fragen der Arbeitszeitregelungen und der Bewertung von Care-Arbeit zunutze machen. Helma Lutz und Aranka Benazha bearbeiten die Frage der Care-Arbeit im privaten Haushalt weiter anhand des für die Selbstdarstellung der Agenturen zentralen Konzepts des »Homemaking« (219). Am Beispiel Deutschlands stellen sie die Spannungsverhältnisse und Widersprüche zu den Wahrnehmungen der Care-Arbeiter:innen dar, die zwar an der gepriesenen Herstellung von »domesticity, homeliness and comfort« (220) beteiligt sind, deren Perspektive jedoch durch den Verlust zeitlicher und räumlicher Selbstbestimmung geprägt ist.
Nach der multiperspektivischen, kritischen Analyse der Akteur:innen in Care-Netzwerken der häuslichen Care-Arbeit verschiebt sich im vierten Teil der Fokus auf Gerechtigkeits- und Solidaritätsperspektiven. Neben ethischen Überlegungen zu Zeitregimen und fairen Modellen der Arbeitszeitgestaltung von Care-Arbeiter:innen liegt ein Schwerpunkt dieses Teils auf den solidarischen Praxen der Care-Arbeiter:innen selbst, die bestehende Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen in Frage stellen und bekämpfen. Theodoros Fouskas analysiert beispielsweise die Herausforderungen philippinischer Care-Arbeiter:innen in Griechenland und bespricht deren Kampf um Arbeitsrechte in der Beteiligung an Gemeinschaftsorganisation sowie die unterschiedlichen Formen der dabei gelebten Solidarität. Sarah Schilliger untersucht die Bedingungen für kollektive Rechte und Selbstorganisation polnischer Live-Ins in der Schweiz und die darin sichtbar werdende Bedeutung von Solidarität und sozialen Netzwerken.
Im Nachwort wird die durchgängig kritische Analyse der Rolle der Agenturen und anderer Akteur:innen in transnationalen Care-Arrangements zusammenfassend aufgenommen. Ito Peng unterstreicht das Potential von Untersuchungen auf der Makro-Ebene, wie sie in diesem Sammelband vorgenommen werden. Dabei geht Ito Peng über die multiperspektiven, allerdings auf Europa beschränkten, Auseinandersetzungen der ersten vier Teile hinaus, diskutiert die Einzigartigkeit der europäischen Situation und bringt globale Perspektiven ein. Durch Verknüpfung der Fragestellungen mit der globalen Ebene werden auch Wege angezeigt, die zukünftige Forschung zu beschreiten hat.
Das Nachwort macht die Stärke dieses Sammelbandes noch einmal deutlich: Die theoretisch fundierte Diskussion unterschiedlicher geographischer und disziplinärer Perspektiven, die individuell-existentielle Fragestellungen mit gesellschaftlich-strukturellen Themen kritisch verbindet. Im Hinblick auf die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Care-Arbeiter:innen im alltäglichen Umfeld so vieler von uns, wird zudem die Forderung noch drängender, in interdiszplinärer Forschung weitere theoretische Zugänge und Ungleichheitskategorien einzubinden und angesichts des Wissens um die globale Verwobenheit nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Gestaltung politischer Rahmenbedingungen über europäische Perspektiven hinaus nachzugehen.
©2025 Anna-Christina Kainradl, published by De Gruyter
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