Zusammenfassung
Die Zentralbibliothek Medizin wurde 2015 nach einer Evaluierung aus der Leibniz-Gemeinschaft ausgeschlossen. Der Leiter der Zentralbibliothek Medizin, Prof. Dr. Dietrich Rebholz-Schuhmann, spricht über die anschließende Neuausrichtung der ZB MED nach dem Scheitern, die Vorbereitungen für die erneute Evaluation 2022/2023 und den Umgang mit dem erneuten Scheitern und gibt allgemeine Empfehlungen für andere Institutionen für den Umgang mit Veränderungen.
Abstract
Following an evaluation, the Information Centre for Life Sciences (ZB MED) was excluded from the Leibniz Association in 2015. The director of the ZB MED, Prof. Dr. Dietrich Rebholz-Schuhmann, talks about the subsequent reorientation of the ZB MED after the failed evaluation, the preparations for the re-evaluation in 2022/2023, and how they dealt with failing again; and he gives general recommendations for other institutions how to deal with change.
1 Zentralbibliotheken und die Informationsinfrastrukturen der Leibniz-Gemeinschaft
Bevor das Gespräch auf das eigentliche Thema – den Umgang mit Misserfolgen – kommt, diskutieren Dr. Frank Seeliger (TH Wildau) und Dr. Oliver Renn (ETH Zürich) mit Prof. Dr. Dietrich Rebholz-Schuhmann über die regionale, überregionale und nationale Rolle von Zentralen Fachbibliotheken, insbesondere denen innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft, von denen es derzeit noch zwei in Deutschland gibt, nämlich die ZBW in Kiel und Hamburg für wirtschaftliche Fachgebiete und die Technische Informationsbibliothek (TIB) Hannover für Technik und Naturwissenschaften. Welche Rolle kommt diesen Zentralen Fachbibliotheken zu, so dass diese über das hinausgehen, was sonst Staats-, Landes- und Nationalbibliotheken anbieten?
Als Quereinsteiger in die Leitung einer großen Bibliothek und aus seiner Erfahrung über die letzten Jahre sieht Dietrich Rebholz-Schuhmann diese Bibliotheken in wichtigen zentralen Funktionen, insbesondere in der Versorgung für Bereiche, für die die Universitäts- und Landesbibliotheken entsprechende Angebote entweder nicht anbieten wollen oder nicht anbieten können. Diese speziellen Angebote richten sich insbesondere an Forschende, die außerhalb der Universitäten arbeiten. ZB MED bietet Angebote an, die dasjenige von Hochschulbibliotheken bereichern oder komplementär ergänzen. Dazu analysiert ZB MED die Angebote der anderen Bibliotheken und ermittelt, welche zusätzlichen Angebote bereitgestellt werden können, auf die sich dann die anderen Bibliotheken verlassen können.
Insofern erfüllt ZB MED eine wichtige Rolle und wird auch als verlässlicher Partner wahrgenommen, der seine Angebote stets entsprechend einer komplementären Versorgung ausrichtet. Weiterhin nutzt ZB MED die eigenen Möglichkeiten, Forschungsleistungen zu erbringen, die in anderen Bibliotheken nicht erzielt werden können. Die berufenen Professor:innen bei ZB MED sind sowohl in Lehrverpflichtungen als auch in wegweisende Forschungsinitiativen eingebettet.
Insgesamt richten sich Leibniz-Institute sowohl auf Infrastrukturaufgaben als auch auf Forschung aus und unternehmen als Zentrale Fachbibliotheken besondere Anstrengungen, um Aufgaben der Informationsversorgung mit denen des Forschungsauftrages und der Bereitstellung von Infrastruktur zu kombinieren. Dies sei eine besondere Herausforderung, da man dazu die richtigen Mitarbeitenden für die Forschung gewinnen müsse, aber auch ständig abgleichen müsse, was die Forschung in Bezug auf die Infrastrukturaufgaben leisten solle. Diese Herausforderung haben ZBW, TIB und ZB MED gemeinsam.
ZB MED ist bestrebt, diese Angebote auf hohem Niveau zu entwickeln, nimmt damit eine Vorreiterrolle für die Informationsversorgung im Bereich der Lebenswissenschaften ein und bereitet durch das Begehen neuer Wege in der Informationsversorgung flächendeckend neue Angebote für andere lebenswissenschaftliche Informationsversorger vor.
2 Der Umgang mit Misserfolgen: Der Ausschluss aus der Leibniz-Gemeinschaft als Beispiel
2015 wurde ZB MED im Auftrag der Leibniz-Gemeinschaft evaluiert mit dem Ergebnis, dass ZB MED nicht mehr länger durch die Leibniz-Gemeinschaft finanziert werden sollte und so aus der Leibniz-Gemeinschaft ausschied. Wie hat Dietrich Rebholz-Schuhmann, als Nachfolger von Dr. Nelle, diese Zeit nach der negativen Evaluierung erlebt?
„Ich war 2015 sogar Teil der Evaluierungskommission, als ZB MED negativ bewertet wurde. Das war schon sehr dramatisch. Nachfolgend hat Dr. Nelle ab Oktober 2016 als Interimsdirektor den Transformationsprozess von ZB MED und damit die Neuausrichtung eingeleitet. Ich bin ihm hierfür sehr dankbar. Er hat die Weichen gestellt, so dass bei meinem Start zwei Kolleg:innen und ich, d. h. die drei besetzten Professuren, gleich loslegen konnten, um Forschung aufzubauen. Dieser Neuanfang hat im Haus natürlich zu sehr vielen – auch kontroversen – Diskussionen und zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über die nächsten Ziele geführt. Wird es nur noch Forschung geben und in welcher Form kommen die Informationsversorgungs- und Infrastrukturaufgaben mit der Forschung zusammen?“
Die Entwicklung der Strategie von ZB MED verlangte allen viel an Gedankenleistung und Abstimmung ab, denn Ziel war es, sich möglichst bald wieder der Begutachtung zu stellen. Dafür, d. h. für einen schnellen Start der Forschung und einer maximalen Integration in die Bibliothek, waren die Weichen schon vor der Ankunft von Dietrich Rebholz-Schuhmann gestellt worden. Dietrich Rebholz-Schuhmann sagt dazu:
„Es genügt einfach nicht, nur Forschung aufzubauen. Man muss diese auch sinnvoll so ausrichten, dass sie insgesamt zum Institut passt. Aber wenn man Forschung aufbaut, versucht man natürlich erst einmal, die Kernstücke zu entwickeln und danach diese so auszurichten, dass das ganze Institut insgesamt davon profitiert. Das braucht eine gewisse Zeit.“
Nach außen hin erschien ZB MED auf einem sehr guten Weg, da die Informationsversorgung um die Gesundheit in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert genießt. Man hätte erwarten können, insbesondere nach den Erfahrungen aus der Coronapandemie mit den hohen Anforderungen zur Informationsversorgung, dass dieser Weg auch für ZB MED honoriert würde. War das auch der Eindruck des neuen Leiters von ZB MED?
„Ein vorsichtiges ‚Ja‘, auch wenn uns insgesamt klar war, dass das Tempo der Neuausrichtung mit einer sofortigen erneuten Evaluation als sehr hoch anzusehen war. Wir haben uns auf nationaler Ebene tatsächlich sehr schnell in gut funktionierende Netzwerke einbringen können und konnten sogar koordinierende Funktion übernehmen, insbesondere bei den Konsortien für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Es hat uns natürlich sehr erfreut, dass wir so gute Ergebnisse erzielen konnten, dass wir uns für Infrastrukturaufgaben und Forschung so stark machen konnten. Wir sind da sehr schnell gestartet.
Für das damals anstehende Evaluationsverfahren muss man allerdings auch berücksichtigen, dass wir schon im Jahr 2020 unsere Unterlagen einreichen und damit sofort im Jahr 2021 zwei Evaluationen bewältigen mussten. In solch einem dynamischen Prozess müssen bereits Ergebnisse geliefert werden, während sich die kritischen Kennzahlen, wie z. B. Einnahmen durch Drittmittelforschungsvorhaben, gleichzeitig noch genauso dynamisch zum Guten und Besseren verändern. Es hätte Vorteile gehabt, wenn wir unsere Unterlagen erst 2021 hätten einreichen können.
Es ist schwer zu beurteilen, wie ein Institut von außen wahrgenommen wird. Wir haben uns selbst transformiert. Wir haben die Transformation intern erreicht und hatten entsprechende Erfolgserlebnisse. Zeitgleich kann es aber durchaus sein, dass die Außenwahrnehmung noch nicht richtig dem entspricht, was man selbst als gegeben wahrnimmt. Diese Diskrepanz findet man dann in einer Evaluation heraus. Wir haben nach meiner Meinung eine hohe Dynamik erreicht, wir haben uns sehr weit und sehr schnell entwickelt und haben uns deshalb auch stark genug gefühlt für die Evaluierung. Aber es hat sich herausgestellt, dass in der Wahrnehmung des Wissenschaftsrats die Forschung noch nicht so hoch entwickelt war, wie das notwendig gewesen wäre.“
War also der Zeitfaktor entscheidend? Nach Rebholz-Schuhmanns Überzeugung spielte der Zeitfaktor sicherlich eine wichtige Rolle, war aber nicht allein ausschlaggebend:
„Im Nachhinein war klar, dass man sich bei der Forschung vielleicht auch besser hätte fokussieren können. Aber insgesamt waren die Jahre 2020 und 2021 durchaus eine schwierige Zeit.
In ruhigeren Zeiten hätte sich ZB MED sicherlich noch ein bisschen besser präsentieren können. ZB MED hatte eine Strategie formuliert, die sehr stark darauf fokussierte, Infrastruktur mit Forschungsleistungen zusammenzubringen. Wir haben viel Arbeit in diese Integration investiert und glaubten auch, dass das wahrgenommen würde.
Allerdings hat die Evaluierung dieser Forschung eher eine zu große Breite attestiert. Sicherlich waren wir noch nicht auf der Höhe der Erwartungen, wie man Forschungsinfrastruktur und Forschung einheitlich als Leistung darstellt. Eine andere Strategie in der Evaluierung hätte vielleicht mehr Pluspunkte ergeben und ein noch besseres Verständnis erzielt.“
Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft werden alle sieben Jahre evaluiert. Laufen die Evaluierungen der anderen Bibliotheken oder Informationszentren genauso ab oder sind diese komplett unterschiedlich, weil es sich um andere Fächer handelt?
„Nein, diese unterscheiden sich nicht. Nun ist es aber so, dass trotzdem jedes Leibniz-Institut seinen eigenen Charakter hat. Ich sage das auch aus der Sichtweise eines Evaluators. Wenn ich von einem anderen Leibniz-Institut zur Evaluation oder zu einem Audit eingeladen werde, prüfe ich, was ist das Selbstverständnis des Institutes? Wie versteht es die Anforderungen an die eigenen Leistungen? Wie werden diese mit der Forschung verbunden? Was sind die Ziele? Wohin geht es weiter?
Das sind die Inhalte, die für verschiedene Institute individuell unterschiedlich sind. Daneben schaut man natürlich, wie groß ist die Forschung, wie viele Drittmittel bringt diese ein, welche und wie viele Publikationen gibt es? Aber trotzdem muss man immer auch im Hinterkopf haben, dass ein Institut seinen eigenen Weg sucht. Ich kenne das aus Irland. Dort habe ich auch ein Institut geleitet und dort wurden alle Institute nach gleichen Kennzahlen verglichen, wirklich landesweit, und da konnte man sehr gut erkennen, wie unterschiedlich nach diesen Kennzahlen die Institute waren und warum sie so unterschiedlich waren. Das gleiche findet sich hier auch. Also ich denke mal, man kann ZBW, TIB und ZB MED schon sehr gut vergleichen. Sie sind unterschiedlich groß, haben eine unterschiedliche Anzahl Mitarbeitender, haben aber ähnliche Proportionen, wie viel sie in Forschung investieren, und dann gibt es auch Themen, die aus der Forschung kommen und in den Infrastrukturleistungen wieder auftauchen. Da haben wir auch leicht unterschiedliche Vorgehensweisen. Aber trotzdem, das Ziel ist das immer gleiche: Es geht immer darum, dass die Informationsquellen und die Informationsversorgung für den jeweiligen Bereich optimal ausgerichtet werden.“
3 Mit Scheitern umgehen
Zu einem bestimmten Zeitpunkt war klar, dass die Ergebnisse der Evaluierung zwar ordentlich waren, aber eben nicht so überragend, dass ein Antrag auf Neuaufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft Erfolg gehabt hätte. Wie geht man damit um, auch als Team? Denn es ist ja ein Eingestehen, dass man ein angestrebtes Ziel, ein Siegertreppchen, nicht erreicht hat.
„Man macht natürlich eine Fehleranalyse, das ist klar. Wir schauen uns die verschiedenen Unterlagen an, wir schauen sehr genau an, was uns der Wissenschaftsrat geschrieben hat. In den Jahren 2015/2016 war die Anforderung, Forschung aufzubauen. Das ist erfolgt. Allerdings waren die Anforderungen 2022/2023 wesentlich höher geworden, was den Auf- und Ausbau der Forschung anbelangte. Weiterhin sind Neuaufnahmen natürlich viel schwieriger als zum Beispiel institutionelle Erweiterungen, die in dem gleichen Verfahren geprüft wurden und zu denen wir in Konkurrenz standen.
Das Ziel war es, die Informationsinfrastruktur und die Forschung zusammenzubringen. Im Nachgang haben wir erfahren, dass das auch gut dargestellt wurde; also, das war wirklich gegeben, und das ist schon mal sehr erfreulich. Damit fühlt man sich schon mal auf der sicheren Seite.
Für die Forschung wurde uns signalisiert, diese zu fokussieren. Da sind wir dran, wir schauen, wo sind die richtigen Schwerpunkte. Das hatten wir zwar schon vorher, aber wir haben es vielleicht nicht in der richtigen Weise priorisiert. Das arbeiten wir jetzt nochmal sehr gezielt ab, auch mit unserem wissenschaftlichen Beirat.
Wenn ich mir hingegen anschaue, wie das Ergebnis der Evaluation im Haus aufgenommen wurde, dann war es schon sehr wichtig zu signalisieren, dass im Grunde in der Bewertung, in den Berichten viele Dinge wirklich sehr positiv dargestellt sind. Man kann dann die Einstellung haben: Okay, hat alles nicht geklappt, ist richtig schlimm, kriegen wir nicht hin. Aber wenn man genau hinschaut, dann kann man erkennen, dass viele Inhalte gewürdigt wurden, die vor fünf oder sechs oder sieben Jahren nicht gewürdigt worden wären oder nicht gegeben waren. Das muss man dann auch als ein Ergebnis mitnehmen und braucht sich nicht zu verstecken. Im Ergebnis stehen wir viel besser da als vor sechs, sieben Jahren. Das ist einwandfrei, und von dort muss man weitermachen.
Jetzt müssen wir mit unseren Finanzgebern reden, müssen denen klarmachen, welche Leistungen verfügbar sind, müssen neu über Budgets verhandeln und so weiter. Das ist ein Prozess, der eigentlich normal ist, aber der jetzt natürlich eine größere Bedeutung bekommen hat, da wir eben nicht in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen wurden.“
4 Die Zeit nach der Fehleranalyse
Auf die Frage, wie viel Zeit sich ZB MED für die Fehleranalyse gegeben hat, entgegnet Dietrich Rebholz-Schuhmann, dass dafür ca. ein halbes Jahr eingeplant wurde, welches längst verstrichen sei. ZB MED sei jetzt in der Phase, in der es sich neu ausrichtet, was für eine Institution absolut notwendig ist, auch um aus einem Tief herauszukommen. Jetzt sei es Zeit zu sagen: „Okay, die Aufnahme hat nicht geklappt. Und jetzt machen wir weiter“. Man müsse nun darauf achten, dass man die Richtung hält, und trotzdem schaut, wo man nachjustiert. Das gäbe dann noch einmal einen Push, wo man sich sagt, ja, da geht noch mehr, wir können noch mehr Leistungen herausholen. Außerdem hätten sie auch sehr viele Weichen gestellt. Bei den Forschungsvorhaben seien sie sehr gut unterwegs. Weiter wurden im Haus die Aufgaben neu strukturiert, auch neue Aufgaben übernommen, auch solche von nationaler Bedeutung, gerade die im Bereich der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).
Man könne sagen, dass die Evaluation, obwohl diese nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte, die Mannschaft auch zusammengeschweißt habe. Das Ergebnis habe gezeigt, was möglich ist, und viele hätten sich das vor ein paar Jahren vielleicht nicht so zugetraut. Das seien Ergebnisse, die deutlich stärker und deutlich ergebnisreicher seien, und die müsse man einfach mitnehmen. Das zeigt sich in gleicher Form im bibliothekarischen Bereich: Auch da schreitet die Weiterentwicklung voran.
5 Die Neuorientierung von ZB MED
ZB MED hat 2020 die Unterlagen eingereicht, im Jahr 2021 wurde sie bewertet. Im Jahr 2022 hat sie dann den nächsten Anlauf genommen, sich neu auszurichten und verfolgt diesen Weg im Jahr 2023 kontinuierlich weiter. Dieser Weg hat nicht unbedingt nur die Wiederaufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft als Ziel, sondern die lebenswissenschaftliche Forschung und die lebenswissenschaftliche Forschung und Praxis mit Daten und Informationen zu unterstützen, nur mit anderen Mittelgebern. Neben der Grundfinanzierung sind nun Drittelmittelprojekte wichtig. Es bedeutet also eine Ausrichtung auf einen neuen Markt hin, auf andere Finanzierungsmodelle. Hat die Fehleranalyse deshalb überhaupt eine Rolle gespielt bei der Neuausrichtung?
„Das ist eine komplizierte Frage. Die Fehleranalyse haben wir ohnehin gemacht. Durch die Evaluation haben wir verstanden, wie wir uns ausrichten müssen. Die Frage ist, wie stark das eine Rolle in Bezug auf die weitere Finanzierung, auch die Grundfinanzierung, spielt. Was für andere Leibniz-Einrichtungen wichtig ist, wie ZBW und TIB, ist auch für uns wichtig. Und jetzt kommt natürlich eine stärkere regionale Ausrichtung dazu. Also wir müssen schon genau hinhören. Unser Hauptfinanzgeber ist das Land Nordrhein-Westfalen. Das Land hat klare Anforderungen, wir müssen für das Land eine entsprechende Leistung erbringen. Darauf muss man sich konzentrieren. Das sind Aufgaben, die man mitnehmen muss, für die man Lösungen suchen muss. Die Veränderungen haben die höchste Priorität, und da bringen wir uns auch ein: mit entsprechenden Leistungen, in Trainings oder im Forschungsdatenmanagement oder in Aufgaben, in denen wir IT-Infrastrukturen aufbauen, und bei der Informationsversorgung.“
Auf die Frage, ob die strategische Neuausrichtung die Möglichkeit beinhaltet, einen neuen Antrag auf die Aufnahme in die Leibniz-Gemeinschaft zu stellen oder ob dies endgültig ad acta gelegt wurde, antwortet Dietrich Rebholz-Schuhmann:
„Nein, ad acta ist das nicht gelegt. Ich glaube weiter, dass wir vom Profil her sehr gut in die Leibniz-Gemeinschaft passen. Informationsversorgung und nationale Aufgaben, die in die Breite gehen, mit Forschung zu kombinieren und daraus innovative Dienste zu entwickeln, ist meiner Überzeugung nach etwas, was der Leibniz-Gemeinschaft gut zu Gesicht steht. Da liegen wir vom Profil her gut. Wenn ich nochmal die Chance bekäme, eine Bewerbung einzureichen, dann würde ich das machen. Ich gehe davon aus, dass das Ergebnis der Evaluierung auch von der Tatsache beeinflusst wurde, dass wir mitten in einem Transformationsprozess waren. Es ist leichter, aus einer etablierten Institution heraus die Leistung noch ein bisschen weiter nach oben zu schrauben, als wenn man in einem Transformationsprozess ist. Das ist ein Zielkonflikt. Zum einen möchte man das Beste zeigen, zum anderen ist man ja noch dabei, sich zu verändern.“
Eine Wiederbewerbung als etablierte Einrichtung, die nicht gerade dabei ist, ihre Ziele zu erreichen, sondern ihre Ziele bereits erreicht hat, ist sicher leichter. Eine Wiederbewertung in der Zukunft ist deshalb nicht ausgeschlossen, auch wenn diese Verfahren durchaus auch eine politische Komponente beinhalten – ZB MED ist nicht das einzige Institut, das in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenommen werden möchte und NRW ist nicht das einzige Bundesland, das Kandidaten zur Neuaufnahme vorschlägt. Natürlich gibt es eine gewisse Vorstellung, was ZB MED noch erreichen kann. In ein oder zwei Jahren wird ZB MED mit einem geschärften Profil auf ein höheres Niveau wachsen, auf dem die institutionellen Aufgaben mit einer fokussierten Forschung verzahnt sind:
„Und das wäre dann der Zeitpunkt, wo man sagt, okay jetzt ist es richtig gut. Jetzt können wir noch mal eine Evaluierung machen lassen.“
Auf die Frage, ob es eine solche Agenda bis beispielsweise 2030 gäbe, entgegnet Dietrich Rebholz-Schuhmann, dass momentan der Blickwinkel auf drei Jahren liegen würde. Er habe natürlich eine Vorstellung, was 2030 sein könnte, aber eine Perspektive für 2026 wäre viel klarer, deutlicher und erfolgversprechender zu zeichnen – im Gegensatz zu 2030.
6 Aus fremden Fehlern lernen
Auf die Frage, ob er Ratschläge oder Empfehlungen für andere Bibliotheken und Informationseinrichtungen hätte, die auch versuchen, forschungsnahe Dienstleistungen aufzubauen, wie z. B. im Bereich Open Access, Forschungsdatenmanagement, Langzeitarchivierung, entgegnet Dietrich Rebholz-Schuhmann:

Über Fehler sprechen: Frank Seeliger (Wildau bei Berlin), Dietrich Rebholz-Schumann (Köln), Oliver Renn (Zürich)
„Was die Einrichtungen in der Leibniz-Gemeinschaft angeht, denke ich, dass von außen recht wenig wahrgenommen wird, wie groß der Aufwand ist, eine Integration zwischen Infrastruktur und Forschungsaufgaben zu leisten und wie wichtig diese Prozesse und Vorgehensweisen sind, um langfristig erfolgreiche Infrastrukturen anzubieten. Bei den Bibliotheken kommt noch hinzu, dass die Zentralen Fachbibliotheken eine gewisse Funktion gegenüber anderen Bibliotheken, Universitätsbibliotheken, Landesbibliotheken, wissenschaftlichen Bibliotheken haben, und gerade dieser Bereich einem großen Wandel unterworfen ist. Wenn ich hier im Haus mitbekomme, was heute unsere Bibliothekar:innen tun, was wahrscheinlich ihre Stellenbeschreibung vor zehn oder vor 15 Jahren war, dann ist das ein fundamentaler Wandel. Das ist nicht harmlos, das ist anstrengend, das ist eine massive Veränderung des Berufsbildes. Den gleichen Wandel hat man in der Forschung. Heute wird viel mehr datengetrieben geforscht, aber der Unterschied ist, dass die Forschenden hier schon einen Schritt weiter sind, denn sie wissen, welche Vorteile sie daraus ziehen können. Bei Bibliothekar:innen ist das anders, für sie ist es jetzt eine neue Aufgabe und die resultierenden Vorteile erschließen sich nicht unbedingt sofort. Ich denke jedoch, dass es sich lohnt. Es braucht eine ganze Menge Fortbildung, es braucht sehr viel Kommunikation. Dem sollte man sich früh stellen, denn es ist eine Notwendigkeit. Ich denke, dass der Abstand zwischen Wissenschaftler:in und Bibliothekar:in so schnell kleiner wird. Es wird immer wichtiger, zu wissen, welche Informationsquellen es wofür gibt und wie man sie einsetzt. Das ist in den Lebenswissenschaften vielleicht aus meiner Wahrnehmung besonders hoch entwickelt, einfach weil dort sehr viele Datenquellen zur Verfügung stehen. Dieses Knowhow zu haben, ist eine Herausforderung. Ich bin davon überzeugt, dass man sich dem früh stellen sollte: durch Training, Weiterbildung, Interesse, Zusammenarbeit in Teams. Das ist meine Empfehlung und mein Rat.“
© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
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