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Die Korrespondenz des Kardinalnepoten Francesco Barberini mit P. Alessandro d’Ales, seinem Agenten am Kaiserhof (1634–1635)

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Published/Copyright: November 22, 2024

Abstract

Francesco Barberini, cardinal nephew of Pope Urban VIII, decided in January 1634 to appoint the capuchin Alessandro d’Ales as his personal agent at the court of emperor Ferdinand II. Alessandro was an experienced diplomat and undertook this mission to Vienna though it was not prepared in detail. Evidently, Barberini’s most important aim was to persuade the emperor to agree to one of the conditions stipulated by France before consenting to peace negotiations: the unconditional and absolute renunciation of the fortresses of Pinerolo and Moyenvic they had recently occupied. For Ferdinand, this would mean giving up his commitment to Spain. In addition, Alessandro was to ensure the improvement of relations between pope and emperor, and obtain agreement that the prefect of Rome had ceremonial precedence over the imperial envoy. Alessandro succeeded in holding long and serious discussions in a cordial atmosphere with the emperor and the bishop of Vienna, but he was unable to achieve these objectives. Nonetheless, Barberini obviously appreciated his agent’s efforts: the capuchin was a well-informed reporter of news and seemed capable of influencing the opinions of courtiers and members of the imperial family in favour of papal decisions. Barberini’s lively correspondence with the capuchin provides insights into the cardinal nephew’s political leanings and convictions. Written in a personal and spontaneous style, the letters are also illuminating with respect to his character.

1 Die Mission des P. Alessandro d’Ales

Der Kardinalnepot Papst Urbans VIII. (1623–1644), Francesco Barberini, trat in den ersten Jahren des Pontifikats als Leiter des päpstlichen Staatssekretariats wenig in Erscheinung. Von 1631 an sind jedoch vermehrt Zeugnisse seiner Mitarbeit am Schriftwechsel der Kurie mit den Nuntiaturen vorhanden. Es ist zu erkennen, dass er diesem Teil seiner Amtspflichten nun viel Zeit und Aufmerksamkeit zuwandte.[1] Seine Bereitschaft, sich eigenverantwortlich am diplomatischen Geschehen zu beteiligen, ging aber noch weiter: Er entschloss sich zu Beginn des Jahres 1634, einen eigenen Agenten bei Kaiser Ferdinand II. zu unterhalten. Der dazu bestellte Kapuzinerpater Alessandro d’Ales traf am 1. April in Wien ein.[2] Mit ihm unterhielt Barberini wöchentlichen Briefkontakt.[3] Er führte die Korrespondenz in chiffrierter Form von seinem dem Staatssekretär nicht zugänglichen persönlichen Sekretariat aus und informierte seinen Agenten laufend vom Inhalt der Berichte aus den anderen Nuntiaturen. Die Minuten schrieb er selbst oder ließ sie von dem ihm besonders vertrauten Sekretär Feragalli verfassen.[4] Barberinis ausführliche, „entsprechend seinem impulsiven Charakter“ spontan und schnell geschriebenen Briefe[5] sind über ihren Nachrichteninhalt hinaus von Interesse, da sie Einblick vermitteln in seine Überzeugungen und in den Grad seiner Abhängigkeit von den politischen Prinzipien des Papstes.

Alessandro d’Ales verfügte über langjährige diplomatische Erfahrung. Schon um 1617 gehörte er dem Mitarbeiterstab des P. Giacinto da Casale an.[6] Mit ihm kam er 1621 ins Reich und war an den Verhandlungen beteiligt, durch die gegen heftigen Widerstand aus England und Spanien die Kurwürde des geächteten „Winterkönigs“ Friedrich V. und ein Großteil seiner Länder von der Pfalz an das Herzogtum Bayern kamen. Danach begleitete er Giacinto auf vielen Etappen seiner hektischen Reisediplomatie, die ihn mehrmals an den Kaiserhof, nach Bayern, an weitere Höfe im Reich und nach Frankreich, Flandern, England und Spanien führten. Über viele Jahre war Alessandro damit betraut, Wege des Ausgleichs zwischen Kurfürst Maximilian und dem im Exil lebenden Pfalzgrafen zu eruieren und zugleich die Annäherung Frankreichs an die Katholische Liga zu fördern. Um 1627 verlor er dabei das Wohlwollen des P. Joseph, so dass Richelieu ihn von weiteren Verhandlungen ausschloss. An den direkten Vorbereitungen zum Vertrag von Fontainebleau war er darum nicht beteiligt.[7]

Wichtig für seine Karriere waren die Aufenthalte in England sowie die persönliche Bekanntschaft mit Kardinal Guidi di Bagno und Barberini.[8] Er wurde für die Kurie wie auch für den Kaiserhof zum Fachmann für England betreffende Angelegenheiten.[9] So berief ihn Ferdinand II. 1631 nach Wien zu Verhandlungen bezüglich der Restitution der Pfalz. Danach wurde er im November erneut nach England entsandt.[10] Die Kriegsentwicklung im Reich verhinderte dort weitere Bemühungen um eine Kompromisslösung; der Kapuziner hatte jedoch Gelegenheit, sich weiter über die durch interne Konflikte belastete Lage der Katholiken zu informieren und ausführliche Berichte für Barberini zu verfassen.[11] Nach kurzem Aufenthalt in Wien kehrte er im März 1633 nach Italien zurück und verbrachte den Rest des Jahres in Rom, wohin im Herbst auch ein anderer der Kapuzinerdiplomaten kam, der ihm seit langem vertraute Valeriano Magni.[12]

In Rom kam Alessandro in Kontakt mit Robert Douglas, einem in der Garde des französischen Königs dienenden schottischen Offizier, der an die Kurie entsandt worden war.[13] Im Umkreis der englischen Königin, einer Schwester Ludwigs XIII., war der Wunsch aufgekommen, dass zur Sicherung der in letzter Zeit den Katholiken gewährten Konzessionen und zur Überwindung der Streitigkeiten im Klerus ein päpstlicher Beauftragter im Kardinalsrang an ihren Hof delegiert werden sollte. Zugleich sollte der Königin wie anderen europäischen Monarchen das Recht auf die Nominierung eines Kronkardinals zugestanden werden.[14] – Auch an der Kurie gab es Pläne, einen Emissär nach England zu entsenden;[15] im Übrigen aber befand man sich durch die genannten Vorschläge in Verlegenheit. Man wusste, dass die Initiative des Douglas von Ludwig XIII. ausging, und mutmaßte, dass ihr eigentliches Ziel darin bestand, die Zahl der frankophilen Kardinäle zu erhöhen.[16] Auch Guidi di Bagno, den Barberini zu Rate zog, äußerte Vorbehalte. Schließlich wurde P. Alessandro veranlasst, sich des Abgesandten anzunehmen. Der Schotte wurde überredet, seine Rückreise über Cervia, den Bischofssitz Guidi di Bagnos, zu nehmen, um sich mit ihm zu beraten. Da Douglas plante, danach den Kaiserhof aufzusuchen, kam der Gedanke auf, dass Alessandro sich ebenfalls wieder nach Wien begeben sollte. Der Kapuziner schloss nur aus, sich von neuem mit dem Pfalzproblem zu befassen. Am 13. Februar 1634 erhielt er eine Erlaubnis seines Ordens zu dem diplomatischen Unternehmen; am 21. Februar reiste er ab. Auch er nahm den Weg über Cervia und verblieb in Korrespondenz mit Guidi di Bagno.[17]

Welche Aufgaben Alessandro erfüllen sollte, blieb über längere Zeit unklar. Später formuliert er als seine Aufträge: „operare con questi ministri per la pace, per la intelligenza e per la prefettura.“[18] Wie die genannten Punkte zu verstehen waren, erklärt Barberini in einem Brief an Nuntius Rocci: Um die Friedensbereitschaft unter den katholischen Kronen zu fördern, war dafür zu sorgen, dass Ferdinand II. sich bereit erklärte, die von Frankreich gestellten Vorbedingungen für Verhandlungen zu erfüllen, d. h. den Anspruch auf Restitution der Festungen Pinerolo und Moyenvic aufzugeben,[19] den französischen Thronfolger auszuliefern[20] und weitere Vorleistungen – pretensioni non esorbitanti – zu erbringen.[21] Mit der genannten intelligenza ist die Verbesserung der Beziehungen zwischen Kaiser und Papst gemeint,[22] und die Erwähnung der prefettura zeigt an, dass P. Alessandro auch aufgefordert war, den Anspruch des Präfekten von Rom zur Präzedenz vor den Gesandten der Monarchien durchzusetzen.[23] Daneben ist jedoch offensichtlich, dass Alessandro auch zu einer erneuten Entsendung an den englischen Hof zur Verfügung stehen sollte. Als er bereits in Wien ist, schreibt ihm Guidi di Bagno, dass man es gern sähe, wenn er − offiziell als Abgesandter des Kaisers − wieder nach England ginge.[24] Das Vorhaben kam schließlich nicht zustande, weil weder Barberini noch der Kaiser einen entsprechenden Auftrag erteilten.[25]

Barberini legte Wert darauf, zu betonen, dass die Wiener Mission P. Alessandros in seiner Verantwortung, nicht in der des Papstes, lag. Sie sollte geheim bleiben, und die einschlägige Korrespondenz wurde nicht nur in proprio geführt;[26] man verwandte für Alessandro sogar einen Decknamen − Francesco de Franceschi − und übertrug die Postbeförderung den Jesuiten oder den Kapuzinern, die ihre eigenen Verbindungen hatten. Dass der Briefverkehr so weniger zuverlässig als der der Nuntiatur vonstattenging, bewirkte ständigen Ärger.[27] Die Zusammenarbeit mit dem inoffiziellen Diplomaten stellte zudem die Nuntien, in deren Kompetenzen seine Aktivität eingriff, vor neue Probleme. Abgesehen davon, dass nicht immer Einverständnis über die richtige Vorgehensweise bestand,[28] musste Rocci sich um Alessandros finanziellen Unterhalt und um einen geeigneten Mitarbeiter kümmern.[29] Gelegentlich musste er ihm mitteilen, dass der Kardinalnepot mit ihm unzufrieden war,[30] und hatte zu entscheiden, ob es sinnvoll war, ihn an bestimmten Verhandlungen zu beteiligen.[31]

Die Unbequemlichkeit an der Kurie war aber noch größer: Da die Korrespondenz mit Alessandro im Proprio-Sekretariat erledigt wurde, fehlte sie in der Ablage des Staatssekretariats. Sie ging im Normalfall nicht in die amtlichen Register ein.[32] In den Schreiben der Nuntien fanden sich aber nicht selten Erwähnungen, die den geheimen Agenten betrafen und die den Mitarbeitern im Staatssekretariat und den Benutzern der Register unzugänglich sein sollten. Damit war Feragalli, der mit dem Dechiffrieren der einlaufenden Berichte in beiden Sekretariaten befasst war, gezwungen, Textteile auszulassen oder umzuformulieren.[33]

Dass inoffizielle Kontakte aufgenommen wurden, die geheim bleiben sollten, war naheliegend, nachdem die Sondernuntiaturen, die Urban VIII. 1632 nach dem Borja-Protest dazu bestimmt hatte, Friedensverhandlungen unter den katholischen Monarchien in Gang zu bringen, ergebnislos verlaufen waren.[34] Guidi di Bagno hatte schon damals betont, dass Emissäre ohne amtlichen Rang – gemeint waren Ordensleute − nicht nur schneller in Aktion treten, sondern auch flexibler auf unerwartete Entwicklungen und Streitfragen eingehen konnten.[35] Ein weiterer Vorteil ihrer Verwendung lag darin, dass Demarchen, die sich als nutzlos oder als taktische Fehler erwiesen, verschwiegen oder abgestritten werden konnten.

Für Barberini hätte ein Grund für Geheimhaltung darin liegen können, dass er so in den Besitz von Nachrichten kam, die ihm einen Wissensvorsprung erbrachten.[36] Er erklärt sein Motiv jedoch anders: Für diese Mission, an deren Vorbereitung auch P. Valeriano Magni beteiligt war, übernehme er allein die Verantwortung, weil keinesfalls der Papst durch ein solches Unternehmen seine Autorität aufs Spiel setzen könne, „benché il bisogno della Christianità sia tale che mi pare vi si possino impiegare tali medici“.[37] Urban VIII. beharrte auf dem Grundsatz, dass der Umgang mit „Häretikern“ zu meiden war, und verlangte dasselbe von seinen Diplomaten.[38] Den Einsatz von Klerikern und Ordensgeistlichen bei Verhandlungen, die nur zu Ergebnissen führen konnten, wenn Nichtkatholiken einbezogen wurden, musste er also missbilligen oder wenigstens ignorieren können, und eine Dokumentation seiner Mitwisserschaft war zu verhindern. Dass er Alessandros Reisepolitik so wenig wie Valerianos Wirken in Polen offen fördern konnte, lag auf der Hand.[39] Er konnte sie nur zulassen, wenn ein Mittelsmann die Verantwortung übernahm. Es zeigte sich dann bei der Frage, wer Alessandro noch einmal nach England abordnen würde, dass auch der Kardinalnepot nicht unbegrenzt für diesen Dienst zur Verfügung stand.[40]

Wirklich geheimhalten konnte man die Mission des P. Alessandro d’Ales nicht. Gegenüber den Nuntien in Wien war es unmöglich, weil diese ihre Tätigkeit mit ihm absprechen und ihn unterstützen mussten.[41] Ferdinand II. selbst wies Alessandro den Bischof von Wien als Verhandlungspartner zu[42] und Barberini empfahl ohne Bedenken, diesem die Briefe vorzulesen, in denen er seine Sicht auf die politische Lage erläuterte.[43] Bischof Carlo Emanuele Madruzzo von Trient und Kurfürst Maximilian wurden unterrichtet, weil Alessandro unterwegs bei ihnen Aufträge erledigen musste.[44] Schon im Februar hatte Barberini aber auch an Nuntius Bichi in Paris über das bevorstehende Unternehmen geschrieben, und der spanische Gesandte Castel Rodrigo wusste ebenfalls Bescheid.[45] In Paris erregte die Sache sogar Aufsehen, weil ein Kapuziner aus Wien, dort auf der Durchreise zu den Missionaren in Schottland, davon erzählte.[46] Kardinal Richelieu veranlasste den französischen Residenten in Wien, sich mit Alessandro ins Benehmen zu setzen.[47] Dass Urban VIII. nicht uneingeweiht war, kann besonders wenig überraschen. Barberini erwähnt offen, dass er dem Papst einen Bericht Alessandros mitgeteilt habe.[48] Aber auch Staatssekretär Ceva war nicht ahnungslos: Er antwortete ohne Rückfrage auf einen P. Alessandro betreffenden Brief des Nuntius Baglioni.[49]

Als Grundlage für seine Verhandlungen erhielt Alessandro ein Memorandum, von dem Barberini angibt, es sei von P. Valeriano Magni verfasst.[50] Darin werden aus römischer Sicht die Ursachen der Kriege seit 1617 und ihr Verlauf rekapituliert: In der Anfangsphase wirkten die katholischen Mächte nicht gegeneinander. In Frankreich und im Reich wurden militärische Erfolge errungen. Den Umbruch zu Niederlagen brachte der Friede des Kaisers mit Dänemark, der geschlossen wurde, um den Krieg nach Italien zu tragen. Damit löste sich das Zusammenwirken der katholischen Mächte auf. Manche Herrscher schlossen Bündnisse mit Protestanten und boten so den Schweden die Gelegenheit einzugreifen. Der Kaiser behauptet zwar noch seine Erblande und verfügt über eine starke Armee. Er steht aber so vielen Feinden gegenüber, dass der Katholizismus insgesamt bedroht ist. Der Papst muss darum mit aller Kraft versuchen die Einigkeit wiederherzustellen. − Der Hauptteil der Ausführungen unter dem Titel „Lega et unione de principi catolici proposta a Nostro Signore per li presenti mali dell’Imperio e della Christianità“ fordert auf zum Abschluss einer großen Liga der katholischen Mächte einschließlich des Papstes zur Verteidigung der kirchlichen Herrschaften in der Germania Superiore und zur Rückeroberung der an protestantische Landesherrn verlorenen Gebiete. Erstes Ziel wären die seit 1617 besetzten Länder und Landesteile; in einem zweiten Schritt könnten auch die seit 1552 annektierten geistlichen Herrschaften zurückerobert werden.[51] Mögliche und empfehlenswerte Vertragsbedingungen werden erörtert, wobei der Autor als Vorleistung der habsburgischen Seite den Verzicht auf die Festungen Pinerolo und Moyenvic postuliert. Er setzt auch sichtlich die Restitution der links- und rechtsrheinischen Pfalz voraus, denn es ist von Ersatzansprüchen der Spanier und Bayerns die Rede. Von Frankreich erwartet er die Aufgabe der Bündnisse mit den protestantischen Reichsständen, Restitution des Herzogtums Lothringen und Rückzug aus dem Reich. Im Einvernehmen mit Frankreich und Spanien hat der Kaiser den Kurfürsten von Trier zu restituieren.[52] Als eigener Punkt ist angeführt, dass keiner der Alliierten in Italien eingreifen darf.

Das Schriftstück erwies sich in der aktuellen Kriegslage als wenig hilfreich. Es brachte Alessandro in Verlegenheit, so dass er vorzog, den Einleitungsteil in Wien nicht vorzuzeigen.[53] Barberinis entschuldigende Erklärung, er habe das Schriftstück nur gesehen, nicht im Einzelnen gebilligt,[54] könnte so verstanden werden, als habe er nur geringe Aufmerksamkeit auf das Memorandum verwandt, zumal auch Guidi di Bagno, wie wir wissen, sich von der ganzen Sache wenig versprach.[55] Die desinteressierte Haltung ist aber nicht glaubwürdig, da Barberini gegenüber Bichi andeutet, dass er den Text nur deshalb unter dem Namen Valerianos in Umlauf brachte, weil er verhindern wollte, dass der Papst oder er selbst als Autoren genannt worden wären.[56]

2 Barberinis Aufträge an P. Alessandro

Liest man die Antwortschreiben und Weisungen, die Barberini seinem Agenten zusandte, ist nicht zu bezweifeln, dass er dessen Aktivität sehr wichtig nahm. Der mit Ämtern überlastete, unter Zeitdruck leidende Nepot verwandte viel Mühe darauf, den Emissär in Wien ausführlich vom römischen Kenntnisstand bezüglich der Entwicklungen in Paris und Madrid zu informieren, ihm römische Neuigkeiten mitzuteilen und ihn in seinen Bemühungen zu ermutigen.[57] Teile der Berichte Alessandros werden zum Inhalt seiner Korrespondenz mit Guidi di Bagno, den Nuntien Bichi und Bolognetti in Paris und mit dem im Herbst als Sondernuntius nach Frankreich gehenden Mazzarini.[58] Als Grundton seiner Ausführungen erscheint in vielen Varianten die Überzeugung, dass die habsburgische Seite auf die Friedensbereitschaft der Franzosen vertrauen müsse. Ferdinand II. sollte sich der Sichtweise des Papstes anschließen, der die Ursache des europäischen Kriegs im Machtwillen der Spanier sah: Der Kaiser müsse sich von Spanien lösen und erkennen, dass Frankreich nur gerechte Ziele verfolge. Die unglückliche militärische Entwicklung im Reich sei ausschließlich darauf zurückzuführen, dass die Kaiserlichen zur Unterstützung Spaniens in den Mantuanischen Erbfolgekrieg eingegriffen haben.[59] Es sei falsch, auf militärische Angriffe der Franzosen und auf ihre Bündnisse mit Reichsfeinden und aufständischen Reichsständen zu verweisen und ihnen Rechtsbrüche vorzuwerfen, da entsprechende Vorwürfe auch gegen die spanische Seite erhoben werden könnten. In der aktuellen Lage, in der es um die Ernennung von Friedensbevollmächtigten und die Bestimmung eines Kongressorts ging − Entscheidungen, die auf allen Seiten der erwarteten Kriegsentwicklung entsprechend zögerlich behandelt wurden −, sei die Zustimmung der Franzosen so gut wie gesichert. Barberini verschweigt nicht, dass deren Zusagen sich, anders als das päpstliche Vorhaben, auf einen Kongress bezogen, der ihre protestantischen Verbündeten beteiligte, und dass sie überhaupt ganz allgemein gehalten waren, gibt aber vor, hier keine Hindernisse zu sehen. Um das Sicherheitsbedürfnis der Franzosen zu befriedigen, erwägt er dagegen, dass die Reichsstände zu Garantiemächten gegen Militäraktionen von kaiserlicher Seite bestellt werden könnten.[60] Lange Zeit vertraut er darauf, dass Mazzarini in Paris schnell zu festen Abmachungen kommen werde[61] und bleibt bei dieser zuversichtlichen Haltung, obwohl die militärischen Ereignisse – Franzosen übernehmen die schwedischen Eroberungen im Elsass und die Festung Philippsburg im Hochstift Speyer,[62] handeln einen Angriffspakt mit den Vereinigten Niederlanden aus[63] und vermitteln die Allianz von Schweden mit Polen[64] – seinen Optimismus nicht stützen. Sorgfältig führt er als Ansicht eines wohlinformierten Bekannten aus, wie günstig die Auswirkungen wären, wenn Ferdinand II., um Ruhe und Wohlstand für Deutschland zu gewinnen, bereit wäre, die Rücksicht auf Spanien aufzugeben und sich mit Frankreich zu einigen: Er könnte problemlos die Wahl Ferdinands III. zum Römischen König erreichen, die Fremden aus dem Reich vertreiben und die von Frankreich besetzten militärischen Stellungen zurückgewinnen, die er andernfalls mit großen Verlusten zurückerobern müsste. Befreit von der Kriegsgefahr im Reich könnte er zum Vermittler eines allgemeinen Friedens werden, den auch die Spanier akzeptierten.[65] Sogar noch den Vorstoß der Franzosen ins Veltlin im April 1635 schildert er Alessandro als unbedeutenden Vorfall.[66] Er ändert diese Einschätzung in den folgenden Wochen, da er nun den Frieden in Italien in Gefahr sieht, und verweist mehrfach auf das mahnende Breve, das der Papst wegen der verschärften Kriegsgefahr an den französischen König sandte. Noch nach der Kriegserklärung Frankreichs an Spanien ist er jedoch der Ansicht, dass es die habsburgische Seite sei, die diesen Schritt verursacht habe durch die Verweigerung der verlangten Konzessionen. Als Kriegsereignis stellt er den kaiserlichen Frieden mit Sachsen der französischen Kriegserklärung gleich.[67] Die laufenden Bemühungen um die Ernennung von Friedensdeputierten will Barberini aber auch nun weiterführen, obwohl ihm bewusst ist, dass er die Friedensbereitschaft Frankreichs zu günstig darstellt. Er hält dies für richtig und ermahnt sogar Alessandro und den Nuntius, sich ebenso zu verhalten, um den Kaiser, der sich bisher als am ehesten friedensbereit erwiesen hatte, möglichst wenig zu irritieren.[68] Zugleich ist ihm freilich auch wichtig, zu betonen, dass er Ferdinand II. nicht zur Vernachlässigung seiner militärischen Anstrengungen rate.[69]

Dass Spanien in jeder Weise Obstruktion gegen den Papst und seine Friedensbemühungen betreibe, gilt als gegeben, und man fürchtet, dass Ferdinand II. davon beeinflusst sei.[70] Dem Kaiser wirft Barberini im Übrigen als schweres Versagen vor, dass er das feindselige Gebaren der Spanier in Rom nicht unterbinde. Als P. Alessandro berichtet, Ferdinand frage, was er zur Verbesserung der päpstlichen Beziehungen zu Spanien tun könnte,[71] antwortet er ungehalten: „col procurare che Sua Maestà Cattolica corrisponda con vero amore a Sua Santità et stimi che le sia ben affetto“. Der Kaiser könne bezeugen, dass Urban VIII. dem spanischen König viele Wohltaten erwiesen und ihn nie parteiisch behandelt habe. Er hätte nie hinnehmen dürfen, dass Schmähungen über den Papst verbreitet wurden.[72] − Mit Eifer werden vergangene und aktuelle Geschehnisse zusammengetragen, durch die die Spanier nicht nur Ärger bereitet, sondern grundsätzliche Feindseligkeit bewiesen hätten.[73] Heftigste Abneigung hatten schon der conde de Monterrey, Vizekönig zu Neapel und ehemaliger Gesandter in Rom, und der conde de la Roca, Gesandter in Venedig und Autor antipäpstlicher Pamphlete, auf sich gezogen.[74] Dass Kardinal Borja nach seinem Auftritt im Konsistorium am 8. März 1632 nicht unverzüglich abberufen wurde, wird als besonderer Affront betrachtet.[75]

Als Beweise für ihre provokante, Konflikte schürende Einstellung werden außer ihren militärischen Vorkehrungen die seit Jahren ungelösten finanziellen und juristischen Probleme mit Mailand und Neapel ausgebreitet.[76] Für Erbitterung sorgt, dass der Vizekönig in Neapel wegen des fehlenden Exequatur seiner Regierung die Einhebung einer Sondersteuer von 2 % auf den Kirchenzehnten behindert.[77] Dass Berichte aus Frankreich besagten, Olivares bestehe auf der Rückgabe von Pinerolo und Moyenvic und Ähnliches sei auch vom Kaiserhof zu hören, wird Alessandro voll Empörung mitgeteilt. Dasselbe gilt für die Nachricht, Spanien unterstütze mit Geld die Bemühungen der Kaiserlichen um Frieden mit Sachsen, weil sie den Krieg gegen Frankreich wenden wollten.[78] Nur zeitweilig hellt sich die Stimmung ein wenig auf, als das Problem um das Exequatur gelöst ist,[79] und nach dem Einfall ins Veltlin kommt sogar ein Zweifel auf, ob Behinderungen der päpstlichen Friedenspolitik nicht auch von Frankreich ausgingen.[80] Aber auch die schließlich erreichte Abberufung Kardinal Borjas aus Rom − ohne versöhnliche Geste beider Seiten, aber doch nach formeller Verabschiedung – bewirkt nur für kurze Zeit eine etwas weniger vergiftete Atmosphäre.[81]

Ein weiteres durchgängiges Thema ist die Abwehr von Kritik an der päpstlichen Neutralität: Urban VIII. bemühe sich mit aller Kraft um den Frieden. Er sei auch ständig bestrebt, Frankreich von seinen Bündnissen mit protestantischen Mächten abzubringen.[82] Dass er die Besetzung Lothringens und das Vordringen ins Reich nicht ausdrücklich verurteile, sei keine Parteilichkeit, sondern geschehe aus guten Gründen. Er verhalte sich so, weil laute Proteste nichts bewirkten, aber die Lage verschlimmern können.[83] Auch nach der Besetzung des Veltlin 1635 warnt Barberini davor, eine Verurteilung zu erwarten. Seine Missbilligung der neuen Kriegshandlung habe der Papst in dem Breve an Ludwig XIII. hinreichend unter Beweis gestellt. Ein ausführlicher Bericht Alessandros darüber, dass es am kaiserlichen Hof Empörung über den Angriff und Befremden darüber gebe, dass die guten Beziehungen, die der Papst zu Frankreich pflege, nur bewirkten, dass von dort immer mehr feindliche Übergriffe zum Schaden der katholischen Kirche ausgingen,[84] gibt Barberini Anlass zu gereizten Erwiderungen, in denen er darlegt, Urban tue alles, was ihm in seiner Eigenschaft als padre comune möglich sei. Er habe für den Kaiser die großzügigen französischen Zusagen erwirkt, Friedensdelegierte zu ernennen, auf Eroberungen im Reich zu verzichten und die Wahl des römischen Königs zu gewährleisten. Klagen über die jeweiligen Gegner höre er von allen Seiten – man könne daraus geradezu auf seine Unparteilichkeit schließen. Was hätte der Papst noch mehr tun können? Dass die allgemeine Lage sich verändert hat, ist nicht seine Schuld.[85] „Aggiungo bene che è gravissimo il peccato di sospettare da una mente così buona come di Sua Santità et biasimare chi dovrebbero star sempre lodando.“[86] Völlig falsch sei die Behauptung, Urban VIII. bevorzuge Frankreich.[87] Der Papst und er selbst sehen sich im Gegenteil ständig heftigsten Vorwürfen von französischer Seite ausgesetzt, er sei ihnen nicht zugetan.[88] Tatsächlich habe Urban dem Kaiser viele Wohltaten erwiesen. Belege dafür seien das mahnende Breve, das er nach der Rheinüberschreitung der Franzosen bei Mannheim absandte,[89] und die Ernennung von zwei Kardinälen nach seinem Wunsch.[90] Im Übrigen sei zu beachten, wieviel Deutschland bereits an päpstlichen Subsidien erhalten habe, während Frankreich für seine Kriege gegen die Hugenotten nichts erhielt.[91]

In seinen Berichten behandelt Alessandro recht genau die ihm erteilten Aufgaben, hält diese bald für erledigt und möchte zurückgerufen werden.[92] Barberini, der den Kapuziner schon 1633 gern länger in Wien gehalten hätte,[93] geht darauf aber nicht ein. Es liegt auf der Hand, dass er ihn als Berichterstatter schätzte, da Alessandro in bestimmten Fällen besseren Zugang zu Nachrichten hatte als der Nuntius.[94] Im Klosteralltag hatte er ständigen Umgang mit den vielfach politisch involvierten Patres Quiroga, Basilio d’Aire und Valeriano Magni.[95] Quiroga war ihm schon im Vorjahr durch seine Mitarbeit an der spanischen Gesandtschaft und sein gutes Verhältnis zu Wallenstein nützlich gewesen.[96] Er hatte sich inzwischen etwas zurückgezogen, wurde aber von den aktiven Diplomaten über den Inhalt der amtlichen Korrespondenz auf dem Laufenden gehalten.[97] Neben ihm war auch P. Basilio eine ergiebige Quelle, da nach dem Tod Eggenbergs große Veränderungen im Bereich des Geheimen Rats und der weiteren Amtsträger am kaiserlichen Hof stattfanden. Hinzu kam auch noch ein anderer Dienst, den Alessandro erfüllte: Er erfuhr und übermittelte manchen Klatsch über der Kurie bekannte Kleriker wie P. Valeriano, Kardinal Dietrichstein und Bischof Wolfradt – Erzählungen, die eventuell gegen die erwähnten Personen verwendet werden konnten.[98]

Besonderen Nachrichtenwert hatte Alessandros Berichterstattung, als Ferdinand II. im Vorfeld des Friedensschlusses mit Sachsen zweimal Kommissionen mit der Beratung der theologischen Probleme beauftragte, die sich ergaben, wenn die katholische Seite den Verlust von Kirchengütern und kirchlichen Ansprüchen hinnahm. Alessandro war, anders als Quiroga, Basilio und Valeriano, nicht Mitglied dieser Beratungsgremien, über die Rom durch den Nuntius nur wenig erfuhr.[99] Er war jedoch durch die Ordensbrüder nicht nur aus erster Hand informiert; er konnte auch die zur Diskussion stehenden Vertragsentwürfe nach Rom senden.[100] Barberinis Interesse galt allerdings nicht den einzelnen Streitpunkten. Er missbilligte die laufenden Verhandlungen insgesamt, in denen er wie vormals den Frieden von Lübeck nur die Vorbereitung von Kriegshandlungen sah, die diesmal gegen Frankreich gerichtet waren.[101] Von den Zugeständnissen an die protestantischen Reichsstände bedauert er ausdrücklich nur den Verlust des 1631 von Tilly eroberten, zwischenzeitlich Erzherzog Leopold Wilhelm zugesprochenen Erzstifts Magdeburg.[102] Es war wohl eine unfreundliche Anspielung, dass er dem kaiserlichen Botschafter, der den Prager Friedensschluss mit Festbeleuchtung auf der Piazza Navona feiern wollte, die Erlaubnis versagte mit der Bemerkung, einen besseren Anlass dafür hätte es gegeben, wenn der Erzherzog in seinen Bistümern die Übernahme der eigenständigen Amtsführung feiern könnte.[103]

Dass keine Aussicht bestand, die Liga katholischer Mächte zu realisieren, wie sie in dem P. Valeriano zugeschriebenen Memorandum vorgesehen war, wird Alessandro in Wien schnell bewusst,[104] und in Barberinis Weisungen ist davon bald nicht mehr die Rede. Dagegen erwartet der Kardinalnepot, dass P. Alessandro, ähnlich wie es Mazzarini in Paris erreichen sollte, Bewegung in die Vorbereitungen des vom Papst angestrebten Friedenskongresses bringen würde.[105] Der 1632 beauftragte und inzwischen zurückgekehrte Sondernuntius Grimaldi hatte keinen Erfolg erzielt, der über unverbindliche Zusagen des Kaisers hinausging, und es kann Alessandro nicht ermutigt haben, dass man seine Aktivität sogleich mit der des unbefriedigt abgereisten Grimaldi verglich.[106] Er bemühte sich jedoch in langen Gesprächen mit Ferdinand II. und dem Bischof von Wien, das Misstrauen der Kaiserlichen in die Friedensbereitschaft Frankreichs zu zerstreuen und sie dafür zu gewinnen, Verhandlungsbereitschaft zu beweisen durch den bedingungslosen Verzicht auf die Rückgabe von Pinerolo und Moyenvic. Er berichtet befriedigt, dass der Kaiser wie auch der Bischof äußerten, an diesem Problem solle das Projekt nicht scheitern, und dass sie darüber mit den spanischen Diplomaten berieten.[107] Eine formelle Zusage erhielt er jedoch nicht. Ferdinand ließ ihn dagegen wiederholt auffordern, Barberini zu bitten, bindend zu bestätigen, dass Frankreich die genannten Zugeständnisse einhalten werde, falls das Reich auf die beiden Festungen verzichte – es ging um die Aufgabe der Bündnisse mit den protestantischen Reichsständen und um den Rückzug aus den besetzten Reichsgebieten −, oder ob doch weitere Forderungen zu erwarten seien.[108] Alessandro ist sich im Klaren, dass weder Barberini noch der Papst eine solche Garantie abgeben konnten; es bringt ihn jedoch in Verlegenheit, dass über mehrere Wochen aus Rom überhaupt keine Reaktion auf den kaiserlichen Vorstoß kommt,[109] so dass er schließlich selbst einen Text für einen dem Kaiser zu präsentierenden Antwortbrief entwirft und Barberini schickt.[110] Der Kardinal übernimmt diesen nicht, verfasst dagegen einen allgemein gehaltenen Brief über die Friedensbemühungen des Papstes und die Rolle, die er für die ihm angemessene hält, und lässt Rocci entscheiden, ob er dieses Schreiben Alessandro übergeben will.[111]

Als wenig günstig erwiesen sich daneben auch Alessandros Aussichten, die ihm ebenfalls anvertraute Präfektursache zum Erfolg zu führen. Es zeigte sich schnell, dass sich Bischof Wolfradt und Fürst Eggenberg zwar freundlich äußerten über Ferdinands Wohlwollen in der Sache und über die Wertschätzung, die Barberini genieße, aber keine baldige Zusage versprachen.[112] Es schien Alessandro, dass man Gegenleistungen erwartete – am dringlichsten wäre die Erhebung Wolfradts zum Kardinal gewesen, da seine Bestellung zum Präsidenten des Geheimen Rats davon abhängig gemacht wurde. Darauf ging der Nepot jedoch nicht ein.[113] Er versucht dagegen, Alessandro zu ermutigen, und führt langatmig aus, dass der Wunsch nach Herstellung eines guten und vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Papst und Kaiser in der Gewährung des Präzedenzanspruchs für das Haus Barberini besonders eindrucksvolle Erfüllung fände.[114] Wegen dringenderer Probleme stockte jedoch die Behandlung der Präzedenzfrage im Reichshofrat. Danach wurde die Entscheidung der Kurfürsten und die Stellungnahme Spaniens abgewartet.[115] Schließlich entstehen unter den Verhandelnden – dem entpflichteten Nuntius Rocci, seinem Auditor, dem neuen Nuntius Baglioni und P. Alessandro – auch noch Divergenzen bezüglich des richtigen Vorgehens. Hoffnungsvoll versichert Alessandro zwar, darauf zu vertrauen, dass der Kaiser sich schließlich zustimmend entscheiden werde. Am Ende seiner Mission befindet er sich jedoch in der betrüblichen Lage, mit Baglioni darüber beraten zu müssen, wie auf das unbefriedigende Dekret zu reagieren sei, das der Reichshofrat im August 1635 erließ.[116]

Konkrete Erfolge waren also nicht zu erwarten. Dass Barberini seinem Agenten nicht sogleich erlaubte zurückzukehren, lässt aber annehmen, dass er dessen Wirken in Wien aus anderen Gründen für sinnvoll hielt. Tatsächlich bedachte er ihn mit neuen Aufträgen: Besonders naheliegend war es, ihn als Vermittler zu dem ihm seit vielen Jahren bekannten P. Valeriano Magni einzusetzen, der enttäuscht und entmutigt aus Rom nach Wien gekommen war und äußerte, sich endgültig zurückziehen zu wollen, nachdem ihm abgeschlagen worden war, zum Kardinal oder Titularbischof erhoben zu werden.[117] Er wollte aus seinem Orden entlassen werden, weil er sich davon versprach, sich dann freier seinem Kampf gegen den Jesuitenorden widmen zu können.[118] Hinzu kam nun, dass, von ihm angeregt, König Ladislaus IV. sich als Friedensvermittler engagieren wollte und ihn an seiner Seite brauchte. In dieser Tätigkeit wollte er nicht durch Ordensverpflichtungen behindert sein.[119] Alessandro sollte ihm nun die Gründe für die römische Ablehnung verständlich machen, ihn von Barberinis Wohlwollen überzeugen und ihm helfen, seine alte Tatkraft wiederzufinden.[120] Wieweit Alessandro darauf einging, ist seinen Berichten nicht zu entnehmen. In einem seiner letzten Briefe aus Wien betont er sehr die Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit Valerianos.[121] Sein eigenes Verhältnis zu Valeriano konnte in Wien jedoch nicht ungetrübt geblieben sein, da die politische Orientierung der beiden Kapuziner sich verschieden entwickelt hatte: Alessandro gab sich Mühe, den Kaiserhof von der Unparteilichkeit Urbans VIII. zu überzeugen, wie von ihm erwartet wurde, und litt darunter, dass er sich damit nicht durchsetzen konnte.[122] In P. Quiroga, P. Basilio und P. Valeriano Magni zusammen mit den Kardinälen Dietrichstein und Pázmány sah er eine „lega occulta“ am Werk − antipäpstliche Akteure, die, der kaiserlichen Politik ergeben, ihn als „papalino“ nicht ernst nahmen und sabotierten.[123] In seinen Klagen über die als feindselig empfundene Stimmung im Kloster schließt er Valeriano nicht namentlich aus. Während er sich an die Weisungen aus Rom hielt, die Friedensbereitschaft gegenüber Frankreich forderten und Ausgleich innerhalb des Reiches ablehnten, war Valeriano ein überzeugter Förderer des Friedens mit Sachsen. Er bestärkte in den Theologenkommissionen, die über die Erlaubtheit der dabei unumgänglichen konfessionellen Zugeständnisse berieten, die Verfechter dieser Konzessionen. Zum Abschluss des Friedens reiste er selbst nach Prag, was Alessandro mit den Worten kommentiert: „Si gloria d’esser stato mezo potentissimo per la pace con Sassonia.“[124] Auch bezüglich der polnischen Friedensvermittlung war Alessandro mit Valeriano nicht einer Meinung. Barberini musste ihm mehrfach versichern, dass Urban VIII. das Projekt nicht ablehnte.[125]

Eine neue Aufgabe für Alessandro war es auch, dass er einen Kandidaten finden sollte, der sich dafür eignete, als Agent bei König Ferdinand, dem neuen Generalissimus, tätig zu werden.[126] Andere Weisungsbriefe betrafen dagegen Ereignisse und Entwicklungen, zu deren Bewältigung der Kapuziner nicht viel beitragen konnte. Als Motiv für diese Mitteilungen ist also anzunehmen, dass der Kurie wichtig war, sie zu verbreiten und zugleich die Art und Weise vorzugeben, wie man sie in Rom beurteilte. Barberini ging sichtlich davon aus, dass P. Alessandro durch seine Anwesenheit in Wien auf die Meinungsbildung am Hof und in seinem Umfeld Einfluss ausüben konnte.

Dies gilt sicher für die zahlreichen Auszüge aus den Meldungen der Nuntien in Paris, die französische Kriegszüge oder Bündnisverträge so interpretierten, dass sie als defensive Maßnahmen erschienen, die von spanischer Seite provoziert waren.[127] Deutlich ist die Absicht, einer ablehnenden Stimmung vorzubeugen, auch im Fall des Berichts über die neue Konstitution zur Residenzpflicht der Bischöfe.[128] Die Reaktionen werden so geschildert, als wären sie allgemein nicht ungünstig, und selbst in Spanien zeige man sich zufrieden.[129] Tatsächlich war die Verärgerung dort wie auch in Rom groß und es war aussichtslos, vorzugeben, es handle sich nicht um eine Maßnahme, durch die man Kardinal Borja zwingen würde, Rom zu verlassen.[130] Auch Nuntius Baglioni zeigte an, dass er wenig erreiche mit seinen Versuchen, dies abzustreiten.[131]

Ähnlich sollte Alessandro den Demarchen der Nuntien bei einem seit langem konfliktbelasteten Thema zu stärkerer Wirkung verhelfen: In Rom fehlte Verständnis dafür, dass Ferdinand II. nach Eroberungen nicht sofort und bedenkenlos die Wiedereinführung des Katholizismus als einzig erlaubter Konfession verfügte, und man verurteilte dieses Zögern. Lebhafte Klagen darüber hatte es nach der Rückeroberung von Regensburg gegeben und sie wiederholten sich nach dem Sieg bei Nördlingen.[132]

Ein besonderes Problem, bei dem es wichtig schien, die Reaktionen am Kaiserhof zu beeinflussen, ergab sich dann nach dem Schwächeanfall, den Urban VIII. während der Palmsonntagsliturgie erlitten hatte. Vermutungen, es habe sich dabei um einen Schlaganfall gehandelt, blieben nicht aus, und Spekulationen über ein bevorstehendes Konklave waren nicht zu verhindern. Ihnen sollte jedoch entgegengetreten werden durch eine Schilderung, die das Vorgefallene als harmlosen Moment von Übelkeit darstellte, und diese Version war möglichst allgemein zu verbreiten.[133]

Offensichtlich ist auch die Absicht, die einer anderen Weisung zugrunde lag: Falls er auf den Romaufenthalt des französischen Marschalls Toiras angesprochen würde, sollte Alessandro versichern, es handle sich um einen Besuch „per suo diporto“ ohne weitere Bedeutung.[134] Die Sorge, die sich hinter dieser Anweisung verbarg, war nicht unbegründet. Es war bekannt geworden, dass, mit Unterstützung aus Frankreich und Savoyen, in Venedig ein Angriff auf das Königreich Neapel vorbereitet wurde, an dem sich auch die Brüder des Kardinalnepoten Antonio und Taddeo mit im Kirchenstaat geworbenen Truppen beteiligen wollten. Als Befehlshaber des Feldzugs war Toiras vorgesehen.[135] Die auffällige Anwesenheit zahlreicher Franzosen in Rom wirkte wie eine Bestätigung solcher Gerüchte, die über den ehemaligen kaiserlichen Sondergesandten Federico Savelli auch bereits zu Eggenberg gedrungen waren.[136] Wieweit man in Wien an bevorstehende militärische Aktionen glaubte, wissen wir nicht. Alessandro erklärte jedenfalls entsprechende Befürchtungen für unbegründet.[137] − Bezüglich der Art, wie er selbst informiert wurde, erlaubte er sich kein Misstrauen. Er bewies diese Haltung auch, als am Hof an eine päpstliche Instruktion mit offen antihabsburgischer Tendenz erinnert wurde, die 1632 dem nach Paris entsandten Sondernuntius Ceva mitgegeben worden war.[138] Auf eine Erörterung ihres Inhalts ließ Barberini sich nicht ein, sondern erklärte einfach, es müsse sich um eine Fälschung handeln. So erklärte Alessandro den Fall auch seinen Gesprächspartnern.[139]

Nachrichten darüber, wie aufwendig man in Rom den Sieg der Kaiserlichen bei Nördlingen gefeiert habe,[140] oder auch, dass Urban VIII. dem spanischen König für den Krieg in Deutschland einen Zehnten gewährte,[141] sollten zweifellos dazu dienen, das päpstliche Ansehen zu heben. Barberini versucht aber auch, hinsichtlich seines eigenen Rufs Alessandros freundliches Verhältnis zum Kaiser zu nutzen. Er lässt den Kapuziner glauben, er habe sehr geringe Einkünfte.[142] Er sei überaus hilfsbereit, habe aber fast nichts als Schulden.[143] Alessandro zeigte daran keine Zweifel und trug dies Ferdinand II. auch so vor. Auffällig ist, dass der Kaiser während derselben Audienz eine Bemerkung darüber machte, dass manche Menschen Barberini nicht für ganz aufrichtig hielten.[144]

Trotz seiner ungebrochenen Loyalität erinnerte Alessandro Barberini immer wieder daran, dass er sich in Wien unglücklich fühle und zurückkehren wolle.[145] Ein Grund dafür war von Anfang an, dass er die vorgeschriebene Dispens seiner Ordensoberen nicht besaß oder dass er befürchtete, der Orden sehe dies so und werde ihn zur Rechenschaft ziehen.[146] Die Atmosphäre im Kloster empfand er als feindselig und erwartete auch nicht, dass empfehlende Schreiben Barberinis eine Wendung herbeiführen könnten.[147] Nuntius Baglioni, dem er sein Missbehagen anvertraute, schilderte Barberini die Lage aus seiner Sicht: Alessandro fühle sich seinen Aufgaben nicht gewachsen. Er leide unter seinem Unvermögen, die am Kaiserhof herrschende Überzeugung zu widerlegen, wonach der Papst bei allen feindlichen Aktionen der Franzosen die Hände im Spiel habe. Natürlich versuchte Baglioni, ihm dies auszureden. Sein Eindruck war jedoch, dass Alessandro das ungetrübte Vertrauen in die Richtigkeit der päpstlichen Politik verloren habe und dem Kaiser allzu nahe stehe.[148] Ob aus diesen Beobachtungen zu schließen ist, dass Alessandro nicht weiter verpflichtet sein wollte, die in vielen Punkten angreifbare römische Politik zu vertreten, muss offen bleiben. Er selbst begründet seinen Wunsch nach der Erlaubnis zur Rückkehr zunächst damit, dass die Verhandlungen zur Vorbereitung des Friedenskongresses soweit eingeleitet seien, dass sie von den offiziellen Diplomaten übernommen werden sollten.[149] Danach versucht er aber auch mit anderen Argumenten – religiösen Bedenken, geringen Erfolgschancen und Problemen im Orden −, seine Abberufung zu erreichen.[150]

Den dringenden Bitten gibt Barberini schließlich nach und erteilt am 5. Mai 1635 die Rückkehrerlaubnis, allerdings mit der Bemerkung, dass es einen ungünstigen Eindruck machen könnte, wenn Alessandro gerade vor dem Abschluss des Friedens in Prag und zu einer Zeit großer Gefahr weiterer Kriegsausbreitung den Kaiserhof verlasse.[151] Dieser harrt also weiterhin aus, wie bisher mit wöchentlich variierenden Weisungen aus Rom bedacht. Um den 11. August verlässt er Wien und trifft am 6. September, gesundheitlich sehr angegriffen, in Rom ein. Er starb, wie es heisst, in geistiger Umnachtung, wahrscheinlich Ende März 1637 in Neapel.[152]

3 Politischer Einfluss und Selbststilisierung Barberinis im Spiegel seiner Korrespondenz

Es ist anzunehmen, dass Barberini seinen Agenten gern länger in Wien belassen hätte, aber er engagierte keinen Nachfolger. Sein Vertrauen in die gegenüber der offiziellen Diplomatie besseren Erfolgschancen der frati diplomatici war wohl nicht mehr so gefestigt, dass er das Experiment hätte weiterführen wollen. Die beendete Mission war enttäuschend verlaufen und hatte nicht mehr hervorgebracht als den erhaltenen umfangreichen Briefwechsel. Aufschlussreich ist dieser vor allem insofern, als darin kein Abweichen des Kardinalnepoten von den politischen Prinzipien Urbans VIII. zu beobachten ist, obwohl wir von Verstimmungen zwischen ihnen wissen. Ein deutlicher Hinweis auf Spannungen war, dass Urban VIII. 1633 seinem ehemaligen Konklavisten und Sekretär Francesco Adriano Ceva das Amt des Staatssekretärs antrug − eine Personalentscheidung gegen den Willen des Nepoten.[153] Es liegt nahe, hier mit unterschiedlichen politischen „Konzeptionen“ zu rechnen,[154] zumal Barberini gern betont, dass sein Agent in Wien in seinem Auftrag, nicht in dem des Papstes tätig sei. Seine Weisungen an P. Alessandro sind jedoch kein Beleg für differierende Auffassungen oder eigene Zielvorstellungen. Im Gegenteil zeigt sich, dass Barberinis Versuch, sich als Verehrer des Kaisers zu empfehlen, nicht mit geringeren Vorbehalten gegen alle Argumente spanienfreundlicher Politik einhergeht. Durchgängiges Motiv seiner Weisungen ist die unbedingte Verteidigung des Papstes in seiner als neutral verstandenen Haltung zwischen den kriegführenden Mächten. Dass Spanien im Reich für die katholische Kirche kämpfe, gilt als reiner Vorwand. Der Krieg im Reich war nicht als Religionskrieg zu sehen,[155] und diese Überzeugung sollte auch Alessandro vertreten. Die aktuellen Argumente dafür sind, dass Spanien den Kaiser zum Frieden mit Sachsen drängte und dass es kein religiöses Motiv dafür gab, Pinerolo nicht den Franzosen zu überlassen.[156]

Ohne Zweifel bezeugt der beachtliche Zeit- und Arbeitsaufwand, den Barberini für seine Korrespondenz leistete, seinen politischen Ehrgeiz. Die Schreiben bieten jedoch keine Argumente für die von ihm verbreitete Behauptung, er habe den Ruf, der spanischen Seite nahezustehen,[157] und sie stellen auch – ähnlich wie die im Auftrag des Papstes schon 1628 aufgenommene Korrespondenz mit Kurfürst Maximilian[158] − nur in sehr begrenztem Umfang Belege dar für ein selbständiges Agieren des Nepoten. Einmal versucht er sich in eigenen Überlegungen zu den Prinzipien, die die Politik Kardinal Richelieus leiten.[159] Als ihm scheint, dass der Papst sich gegenüber spanischen Kardinälen missverständlich ausgedrückt habe, fühlt er sich verpflichtet, eine sachgemäße Interpretation nachzuliefern und zu verbreiten.[160] Ob er selbst oder doch Urban in Sorge war, dass die nach Wallensteins Tod an Ferdinand II. und seinen Sohn gerichteten Breven die Anhänger des Getöteten verletzten und darum geändert oder ganz unterlassen werden sollten, geht aus den Archivalien nicht hervor.[161] Klar erkennbar ist dagegen Barberinis Streben nach einem persönlichen Erfolg in der seinem Haus so wichtigen Durchsetzung des Präzedenzrechts für den Präfekten von Rom. Sein Motiv dafür mag gewesen sein, dass ein eventuelles Verfehlen des Ziels nicht als Scheitern des Papstes erscheinen dürfe.[162] Hier nimmt er sich jedoch auch nicht zurück, als Urban VIII. es sogar tadelte, dass Alessandro dafür in Anspruch genommen wurde.[163]

Eine Andeutung von Kritik am Papst erlaubt sich Barberini nur in verklausulierter Form und in Bezug auf ein zurückliegendes Ereignis: Nach seiner Überzeugung war es Urban, der durch seine konsequente Weigerung, an Abmachungen mit „Häretikern“ teilzuhaben, den Erfolg der Legationsreise des Nepoten nach Paris im Jahr 1625 zunichte machte.[164] Als der Papst sich plötzlich zurückzog, habe er bereits günstigere Bedingungen erreicht gehabt als schließlich im Frieden von Monzón vereinbart wurden.

Völlige Geringachtung der Prinzipien der päpstlichen Politik wäre zu konstatieren, wenn sich aufzeigen ließe, dass Barberini in die Konspiration zu dem im Jahr 1635 geplanten Angriff auf Neapel eingeweiht war und das Vorhaben billigte. Die kurze Erwähnung des in Rom verdächtig aufgefallenen Marschalls Toiras ist ohne Zweifel ein Hinweis darauf, dass er nicht ahnungslos war. Was er von dem noch nicht wirklich konkreten Plan hielt und wieweit er darin involviert war, geht daraus aber nicht hervor. Ähnlich unklar ist auch, welche Rolle 1633 dem Obersten San Giuliano bei Wallenstein zugedacht war.

Nur in einem Fall ist in der hier behandelten Korrespondenz ein aktueller, ernster Interessenkonflikt zwischen Papst und Kardinalnepot zu beobachten. Er hatte sich in der Frage der Protektorate für Spanien und Frankreich ergeben. Francesco Barberini war seit 1626 Kardinal-Protektor für Aragon, Sizilien und Portugal[165] und wäre 1633 gern noch Protector nationis Germanicae geworden.[166] Um das Projekt entstand Aufsehen, da im selben Jahr Barberinis jüngerer Bruder Antonio das Amt eines Komprotektors für Frankreich übernahm und damit Unmut auf spanischer Seite hervorrief, da er als Verfechter französischer Interessen bekannt war und die Rolle in seinem neuen Amt öffentlich provozierend als Akt der Parteinahme zelebrierte.[167] Francesco zeigt kein Verständnis für die spanische Empörung. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass Urban VIII. aufgrund der hitzigen Streitigkeiten beiden Neffen die Ausübung von Kardinal-Protektoraten für die führenden Mächte überhaupt verbot,[168] und verlor damit seine spanischen Protektorate. Auch auf das Amt nationis Germanicae musste er verzichten. Wie es scheint, hatte er nicht angenommen, dass die von Urban VIII. hochgehaltene päpstliche Neutralität Schaden erleide, wenn zwei Nepoten, in dem Europa entzweienden Krieg auf entgegengesetzten Seiten stehend, an der Kurie als Vertreter der kriegführenden Lager in Erscheinung träten. Der Briefwechsel geht aber weder darauf, noch auf die Haltung des Papstes ein.

Als weithin durchgehaltene Linie in den politischen Äußerungen Barberinis kann also nur festgehalten werden, dass er sich zu unbedingter Verteidigung der vom Papst festgelegten Argumente verpflichtet fühlte und durch seine ausgedehnte Korrespondenz dazu beitragen wollte, dass diese auch auf habsburgischer Seite Anerkennung fänden und übernommen würden. Die Briefe mit ausführlichen Erläuterungen zur politischen Lage, so wie diese von Rom aus beurteilt wurde, sollten nicht nur P. Alessandro das für nützlich gehaltene Diskussionsmaterial an die Hand geben; sie waren auch dazu gedacht, an Mitglieder des Hofes weitergegeben zu werden.[169] Allerdings konnten sie dort die Bereitschaft, die eigene Sichtweise der des Papstes anzupassen, nicht herbeiführen.

Klarer als Differenzen im kurialen Alltag[170] treten in den Schreiben manche persönlichen Eigenarten Barberinis hervor. So wie seinen Besuchern auffiel, dass er sich durch entgegenkommendes, liebenswürdiges Benehmen auszeichnete,[171] pflegte er auch in der Korrespondenz einen höflichen Stil, anders als Staatssekretär Ceva, der sich gelegentlich barsch tadelnd äußert.[172] Er gebraucht stets einige freundliche Worte, auch noch, wo er im Übrigen, wie im Fall des enttäuschenden Dekrets des Reichshofrats in der Präfektursache, ernsthaftes Missfallen zeigt. Er empfiehlt sich aber auch selbst als Vorbild an Höflichkeit und diplomatischem Geschick und erwartet Nachahmung.[173] Gern gibt er sich bescheiden, ja geradezu demütig, so wenn er sich die Schuld dafür zumisst, dass Frankreich sich in der Präfektursache als unnachgiebig erweist: „Non sarà altrimente la colpa di Francia la ripugnanza che lì è alla prefettura, ma mia, che non ho servito et non servo a quella Corona, come sarebbe il suo desiderio.“[174] Auch P. Alessandro schmeichelt er: „Cedo però a Vostra Reverentia che, se bene è a piede, è più coraggioso soldato di me.“[175] Zum Selbstlob gerät seine Bescheidenheit, wenn er schreibt: „Il mio fine non è né Francia né Spagna, ma sono obligato al servitio di Iddio. Però ognuno mi perdoni, se sono troppo credulo, se troppo importuno nel procurarlo. Et se vanno in collera, mi contento che tutto cada sopra di me [ché] peraltro io lo merito.“[176]

Zugleich ist er überaus empfindlich gegen Kritik. Auf den Bericht Alessandros über eine Diskussion mit dem Bischof von Wien antwortet er, indem er jedes einzelne der Argumente Bischof Wolfradts bemängelt.[177] Er nimmt es als ernste Kränkung, dass jemand mutmaßte, der Herzog von Lothringen sei nicht zufrieden gewesen mit dem Gastgeschenk, das er in Rom erhielt, und antwortet mit langen, empörten Darlegungen auf kurze Bemerkungen wie die des P. Basilio über die im Grenzstreit des Kirchenstaats mit Venedig umstrittenen „puochi palmi di terreno“, die keinen Krieg wert seien,[178] oder auf die nebensächliche Erwähnung, zwei Berater des Königs von Ungarn zeigten „poco affetto … alla Sede Apostolica“.[179] Er betrachtet es sogar als Affront gegen seine Person, wenn Kritik an seinem Bruder Antonio geübt wird, der gegen geltende Statuten eine ganze Reihe von Malteserprioraten an sich brachte.[180] Auch die zögernde Art, in der Ferdinand II. eine Entscheidung in der Präfektursache vermeidet, nimmt er als persönliche Kränkung. Er fragt sich, warum der Kaiser sich in einer Sache des Herzogs von Savoyen frei entschied, ihm aber ein rasches Entgegenkommen verweigere.[181] Eine Neigung zum Selbstmitleid ist auch zu erkennen, wo er darüber klagt, dass ihm der Papst kein bedeutendes Bistum verliehen habe, und sich als Opfer der Residenzpflichtbulle sieht.[182]

Ob ein weiterer in den Briefentwürfen hervortretender Charakterzug eine persönliche Eigenart Barberinis darstellt oder eher ein der Kurie eigenes, allgemeines Gefühl kultureller Überlegenheit bezeugt,[183] ist schwer zu beurteilen: Deutlich ist, dass der Schreiber den Bildungsgrad des kaiserlichen Hofs für gering hält. Dies gilt insbesondere, wo historische Fakten als Beweise herangezogen werden, die ohne besonderen Forschungsaufwand als unrichtig oder unzureichend belegt zurückgewiesen werden können. Gern wird z. B. behauptet, der Abfall Englands von der katholischen Kirche sei die Folge der von Pius V. erlassenen Bannbulle gegen Elisabeth I. Aus diesem Grund komme es nicht in Frage, Rechtsverletzungen Frankreichs zu verurteilen. Auch beim konfliktreichen Rombesuch Kardinal Pázmánys wurden historische Quellen genannt, die nicht wirklich bewiesen, dass es nie möglich gewesen sei, dass ein Kardinal als Gesandter seines Landesherrn auftrat.[184] Besonders viel gelehrter Aufwand sollte den Präzedenzanspruch für den Präfekten von Rom untermauern. Die historische Beweisführung wird schließlich aber fallengelassen, als sich zeigt, dass dieser Weg nicht überzeugte.[185] Auch in Bezug auf aktuelles Faktenwissen schätzt man in Rom den Kenntnisstand des kaiserlichen Hofs gering ein und verkennt seine Möglichkeiten sich zu informieren. Es scheint, dass Barberini keine Bedenken trägt, selbst unglaubwürdig zu werden, wenn er P. Alessandro zumutet, bestimmte Ereignisse grob einseitig oder überhaupt unwahr darzustellen.

Von juristischen Einwänden zeigt Barberini sich wenig beeindruckt, aber er gibt sich gern moralisch überlegen. Es ist ihm wichtig, zu betonen, dass er sich Unannehmlichkeiten aussetze, weil er sich nicht von Richelieu gewinnen lasse.[186] Tadelnd vermerkt er, wie bestechlich der Kaiserhof sei, obwohl er gerade in der Präfektursache versuchte, auf diesem Weg etwas zu erreichen.[187] Auf einen Brief, in dem Alessandro erwähnt, Ferdinand II. habe beklagt, wie nutzlos die päpstlichen Mahnungen an Frankreich seien und wie wenig Erfolg seine Friedensbemühungen versprächen, antwortet er mit großer Geste so, als handle es sich hier einfach um Beleidigungen: „Vostra Reverentia sappia, che la virtù non sarebbe virtù, se non fusse superiore così alle calunnie come alle lodi. Se da quelle si lasciasse muovere, diverrebbe servo della malitia; ma s’acreschino pure le maldicenze, ché la verità presto o tardi le dileguerà. Si sopportino, perché Cristo c’insegnò a sopportarle, et così nec spe nec metu li moviamo.“[188]

Vor allem aber scheut der Kardinalnepot sich nicht, zu beurteilen, wo sündhaftes Verhalten vorliege,[189] und versucht, religiösen Druck auf den als fromm bekannten Kaiser auszuüben. Meldungen über Eingriffe in kirchliche Jurisdiktionsrechte sind nicht nur Anlass, die Nuntien zum Einschreiten zu veranlassen; dem Kaiser soll zugleich mit der Strafe Gottes gedroht werden.[190] Ähnlich wird mit Verlust des göttlichen Wohlwollens gedroht, nachdem sich zeigte, dass die Kapitulationsbedingungen zurückeroberter Städte nicht ein Verbot aller nichtkatholischen Religionsausübung vorsahen.[191] Wieweit diese Pose des Wissens um das Eingreifen höherer Gewalt als persönliche Eigenart Barberinis anzusehen ist, ist allerdings schwer zu beurteilen. Es fällt auf, dass auch Urban VIII. im gereizten Disput mit Kardinal Pázmány die Strafe Gottes ins Spiel bringt[192] und dass in der Korrespondenz des Staatssekretariats die militärischen Niederlagen der Kaiserlichen allgemein als sichtbarer Beweis für Gottes Missbilligung des Friedens von Lübeck gelten.[193] Das Argument, dass mit erneutem Verlust göttlicher Gnade und also mit militärischen Verlusten gerechnet werden müsse, falls die kaiserliche Politik die Bemühungen um Aussöhnung mit den protestantischen Ständen nicht aufgebe, wird den Nuntien auch zur Abwendung des Friedens mit Sachsen empfohlen,[194] und sogar in der Präfektursache wird versucht, an das Gewissen Ferdinands II. zu appellieren.[195] Für Barberini selbst scheint darüber hinaus eine Neigung zu besonders dramatischem religiösen Pathos charakteristisch zu sein: Als P. Alessandro schreibt, in Wien werde über die Art gespottet, wie der Papst auf den erneuten französischen Einfall ins Veltlin reagierte, hält der Kardinalnepot dies für einen Vorfall, den er den Glaubenszweifeln des Apostels Thomas an der Auferstehung Christi gleichsetzt.[196] Als Märtyrer fühlt er sich, als ihm berichtet wird, dass Kapuziner in Wien abfällig über Rom gesprochen haben.[197]

Insgesamt ist die hier analysierte Korrespondenz ein Zeugnis dafür, wie gering der Einfluss ist, den Barberini auf die allgemeine Linie der päpstlichen Politik ausüben konnte. Die Entsendung des diplomatisch versierten Kapuziners Alessandro d’Ales war zwar eine Initiative des Kardinalnepoten. Der Briefwechsel mit ihm zeigt jedoch deutlich, dass ihr keine neuen Ideen oder Anregungen zugrunde lagen. Sie sollte in erster Linie die Zustimmung der kaiserlichen Seite zu den bekannten Prinzipien der päpstlichen Politik schaffen, d. h. konkret die Lösung der kaiserlichen Politik von der Bindung an Spanien bewirken. Es ging nicht darum, eine Besserung des gespannten Verhältnisses des Papsttums zu den habsburgischen Staaten anzubahnen oder gar Wege zur Überwindung der Konflikte unter den Kriegsparteien zu erkunden, sondern um unbedingte Verteidigung der bekannten päpstlichen Haltung, die die Verurteilung der französischen Annexionen und Bündnisse mit protestantischen Alliierten verweigerte, und um Gewinnung des Friedens durch die Erfüllung französischer Forderungen. Allerdings wollte Barberini gern in der Rolle des desinteressierten Vermittlers gesehen werden und erreichte tatsächlich, dass Politiker am spanischen Hof ihn zeitweilig für einen Freund Spaniens hielten.[198] In dem Wunsch, als ausgleichende Stimme in der von Spanien häufig angegriffenen päpstlichen Politik wahrgenommen zu werden und als Gegner der offen gezeigten Parteinahme seines Bruders Antonio zu gelten, dürfte auch der Beweggrund dafür liegen, dass Barberini eine freundlichere Atmosphäre in der Beziehung zum Kaiserhof herstellen wollte. Hierzu bewog ihn freilich als weiterer Anlass das Bestreben, in eigener Verantwortung die Präfektursache zum gewünschten Ende zu führen. Er konnte hier nur erfolgreich sein, wenn es ihm gelang, einen Akt ganz außergewöhnlichen Wohlwollens von Ferdinand II. zu erreichen. Er schreibt überaus schmeichelnde Briefe an den Kaiser und spricht von ihm gegenüber seinem Agenten mit lobenden, geradezu verehrenden Worten. Dass er wirklich darauf vertraute, Schmeicheleien und Beteuerungen höchster Achtung könnten bei Ferdinand II. so wirkungsvoll sein, dass dieser bereit sein würde, der Zurückstufung seines Gesandten im päpstlichen Zeremoniell ausdrücklich zuzustimmen, ist allerdings schwer vorstellbar. Andererseits ist offensichtlich, wie erstrebenswert in dieser Sache ein Erfolg gewesen wäre, der nicht päpstlichem Drängen, sondern dem persönlichen Eifer Barberinis hätte zugesprochen werden müssen. Er hätte nicht nur ihm selbst im Kreis der Barberini-Klientel besonderes Ansehen verschafft, sondern zugleich Urban VIII. der in dieser Sache verbreiteten Kritik entzogen.[199] Es erwies sich aber, dass der Kardinalnepot – so wie er sich darin täuschte, dass er Ferdinand II. für leicht beeinflussbar hielt − seine Überzeugungskraft und die Möglichkeiten des Kapuziners, eine Änderung der Ansichten am Kaiserhof herbeizuführen, überschätzte.

Online erschienen: 2024-11-22
Erschienen im Druck: 2024-11-18

© 2024 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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