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Es geht auch ohne Karl den Großen!

Anmerkungen zu vier Neuerscheinungen zu den (frühen) Karolingern
  • Timo Bollen EMAIL logo
Published/Copyright: November 18, 2022

Obgleich er nur eines der hier zu besprechenden Bücher mitherausgab, so stehen doch alle Werke in Zusammenhang mit Karl Ubl, Professor für Geschichte des Mittelalters mit Schwerpunkt Frühes und Hohes Mittelalter, an der Universität zu Köln. Denn die anderen drei Studien sind von ihm betreute Dissertationen, die nahezu zeitgleich erschienen. Wie es seit einigen Jahren an der Kölner Schule üblich ist, stehen die Themen der Karolingerzeit im Fokus der Forschungen. Auch diese Bde. machen da keine Ausnahme. Dennoch sind die Themenschwerpunkte unterschiedlich. Während zwei Studien, die von Patrick Breternitz und Karl Ubl sowie die Dissertation von Ersterem die Zeit Pippins des Jüngeren (Königsherrschaft 751–768) behandeln, ist der zeitliche Schwerpunkt der umfangreichen Untersuchung von Georg Friedrich Heinzle im 9. Jh. zu verorten, die Dissertation von Dominik Trump schließlich arbeitet die Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der „Epitome Aegidii“ aus. In dieser Sammelbesprechung ist selbstverständlich nicht der Raum, die Details jeder einzelnen Untersuchung, so gerechtfertigt es auch wäre, in extenso auszubreiten. Schon ein Blick auf den Titel der Qualifikationsarbeit von Patrick Breternitz macht deutlich, wie überfällig eine Arbeit zu Pippin dem Jüngeren ist. Denn in der Forschung wurde in den letzten Jahrzehnten nur sehr vereinzelt dessen Königsherrschaft thematisiert, wobei in jüngerer Zeit ein Aufschwung zu erkennen ist. Eine Ausnahme bildete die kurze, aber dennoch scharfsinnige Studie von Josef Semmler „Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung“ aus dem Jahre 2003 (fälschlicherweise im Literaturverzeichnis nach 2013 verlegt, S. 245), in der er die bis dahin angenommene Salbung Pippins im Jahre 751 negierte. Für diese These hat er zum Teil deutlichen Widerspruch geerntet, vor allem von Arnold Angenendt. Um diese Frage geht es Breternitz nicht, er möchte ebenso keine biographische Studie zu Pippin erstellen, eigentlich steht nur eine Quelle im Fokus der Studie, das sogenannte Königskapitular Pippins. Der Autor möchte, von ihm schlicht formuliert, „das Verhältnis Pippins zum Recht“ (S. 12) untersuchen. Im Königskapitular, als Abfassungsdatum ist laut Breternitz um das Jahr 754/755 herum anzunehmen (S. 13 und 43), genauer wird es wohl nie einzugrenzen sein, werden die Themen „Inzest und Ehe, Zölle[n], Münzen, Immunitäten und die Rechtspflege“ (S. 12) behandelt. Dementsprechend ist die Untersuchung in den einzelnen Kapiteln aufgebaut. Selbstverständlich konzentriert sich der Vf. nicht nur auf die Inhalte des Kapitulars, sondern kontextualisiert und vergleicht die Beschlüsse mit anderen Vorbildern. Insbesondere fallen bei den Rechtsthemen die „Bezüge zu den langobardischen Königen“ (S. 215) auf. Direkt zu Beginn weist der Autor aber auch auf das Problem hin, „in welchem Verhältnis die Beschlüsse zu früheren Rechtsregeln stehen“ (S. 19). Die Gefahr bei einer monographischen Analyse einer einzigen Quelle des Frühmittelalters besteht freilich darin, dass durch den Überlieferungszufall die eigene Darstellung das vorhandene Material überhöht und als bedeutender darstellt, als es möglicherweise war. Das geschieht in dieser Studie jedoch kaum, es ist nicht gänzlich zu vermeiden, denn was bleibt einem auch anderes übrig als sich auf die Quellen zu verlassen, die vorhanden sind. Breternitz spricht sich nach eingehender Auseinandersetzung mit der Überlieferung – beispielsweise ist der eher geistliche (Kap. 1–3) deutlich stärker überliefert als der weltliche Block (Kap. 4–7) – dafür aus, dass von Beginn an ein vollständiger Text vorhanden war und dieser nicht ‚zusammengeschustert‘ wurde. Auf Einzelergebnisse der Analyse hier einzugehen, würde der Studie nicht gerecht werden, zu facettenreich sind die Beobachtungen des Autors. Besonders hervorzuheben ist – nach einer methodischen und forschungsgeschichtlichen Einführung – aber das numismatische Kapitel (S. 99–154), in dem der Vf. herausarbeitet, dass Pippin schon kurz nach dem Dynastiewechsel eine eigenständige Münzpolitik betrieb. Die Ergebnisse sind hier nicht abschließend, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Quellengattungen des Mittelalters werden die Münzquellen noch weiter anwachsen. Dennoch dürfte feststehen, dass die „Münzprägungen weiterhin dezentral an recht vielen Münzstätten“ (S. 152) organisiert gewesen seien. Auch hier seien Vorbilder des langobardischen Königs Aistulf erkennbar. In dem Kapitel über „Inzest und Ehe“ (S. 45–63) knüpft Breternitz an die Ergebnisse seines Doktorvaters Ubl an, der schon die große Anzahl an Inzestgesetzen zwischen 754 und 757 in seiner Habilitationsschrift herausarbeitete. Dieses Resultat kann der Autor bestätigen, aber das langobardische Vorbild, König Liutprand, noch stärker in den Fokus rücken. Insgesamt hat Breternitz eine fleißige und ertragreiche Studie verfasst. Die anfängliche Skepsis, ob es tatsächlich sinnvoll ist, über eine einzige Quelle eine Qualifikationsschrift zu verfassen, wurde vollkommen zerstreut. Hervorzuheben sind die Akkuratesse des Autors und sein Mut zur klaren Position, die beispielsweise die Kritik an seinen Doktorvater mit einbezieht (S. 54, Anm. 49). Meist sorgfältig – bis auf den erwähnten Tippfehler – ist das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis, das auf der Höhe der internationalen Forschung ist. Dankbar ist der Rezipient zudem für den vollständigen Abdruck des Königskapitulars (S. 219 f.). Das Register umfasst nicht nur die Personen und Orte, sondern zusätzlich Quellen und listet in einem weiteren Verzeichnis die verwendeten Herrscherurkunden sowie die karolingischen Münzen auf.

Wie schon kurz angedeutet, nennt der von Breternitz und Ubl hg. Sammelbd. erstmals eindeutig Pippin den Jüngeren im Titel, obwohl diese Publikation natürlich in der Nachfolge der 2002 von Matthias Becher und Jörg Jarnut organisierten Tagung zum Dynastiewechsel von 751 steht. Diesmal wurde allerdings als Anlass für die Kölner Tagung im September 2018 der 1250. Todestag des ersten karolingischen Königs genommen.

In dem Vorwort von Karl Ubl (S. 7–9) werden überzeugend die Argumente für den eher vernachlässigten König herausgearbeitet, wobei es wenig überrascht, dass vor allem der Mangel an Quellenzeugnissen die primäre Ursache sei, „besonders hinsichtlich der Persönlichkeit und des Charakters Pippins des Jüngeren“ (S. 7). Etwas weniger eindeutig vermag die zweite These Ubls einleuchten, denn nach dieser würde der Name des karolingischen Königs „seine eigentliche Leistung“ (S. 7) verdecken, „nämlich den Aufstieg der Karolinger zum Königtum“. Der Name Pippin würde auf seine gleichnamigen Vorfahren verweisen und damit für den „langsamen Aufstieg der Vorfahren Karls des Großen im 7. Jahrhundert“ (S. 8) stehen. Somit impliziere der Name Pippin ein „Aufstiegsnarrativ und nicht das Erneuerungsnarrativ, für das Karl der Große und die karolingische Renaissance stehen“ (S. 8). Selbstverständlich tritt Pippin hinter Karl den Großen immer zurück, aber ob eine so deutliche Abgrenzung gesehen werden kann, ist zumindest diskutabel. Denn was kennzeichnet ein Aufstiegsnarrativ im Gegensatz zu einem Erneuerungsnarrativ? Auf diese Frage ist in der knappen Einführung kein Hinweis zu entnehmen. Ebenfalls vermisst man eine ausführlichere Einbettung in den Forschungskontext, sodass der Bd. relativ unvermittelt mit den einzelnen Aufsätzen beginnt, eine größere Einordnung erfolgt erst in der Zusammenfassung Matthias Bechers (S. 173–181), der sich nicht nur auf die Ergebnisse dieser Tagung beschränkt, sondern auch die derjenigen von 2002 berücksichtigt. Zwischen Einleitung und Fazit beinhaltet der Sammelbd. weitere neun Aufsätze in unterschiedlicher Länge, meist in deutscher, der Aufsatz von Alain J. Stoclet ist in englischer, der von Adrien Bayard in französischer Sprache abgefasst. Auf drei Studien möchte ich mich hier kurz beziehen, ohne damit die anderen Beiträge abwerten zu wollen. Es ist insgesamt ein qualitativ hochwertiger Bd. Zunächst ist der kurze Aufsatz von Yitzhak Hen, von Christina Pössel übersetzt, über „Kultur und Religion zur Zeit Pippins des Jüngeren“ (S. 11–20) zu nennen. Dem Autor gelingt es überzeugend darzulegen, dass schon zu Pippins Zeiten deutliche kulturelle Fortschritte gemacht wurden, belegbar anhand von Buchpräsenten seitens des Papstes oder Pippins Interesse an liturgischen Themen. Zumindest sei eine Verbindung zur Überarbeitung der „Lex Salica“ und den Fortsetzungen der Fredegar-Chronik „unbestreitbar“ (S. 13). Von Bedeutung ist auch Ludger Körntgens Untersuchung „Pippins Königserhebung von 751 und der Papst. Die Narrative der Reichsannalen und der Fredegar-Fortsetzung“ (S. 39–67), der beide Quellen zunächst quellenkritisch beleuchtet. Die Intention der Werke sei jeweils durch die Zeit Karls des Großen beeinflusst (bes. S. 52 und 62), eine Trennung zwischen ihm und seinem Vater läge nicht vor. Durch diese Vorarbeiten könne das sogenannte Zacharias-Responsum neu analysiert werden. Möglicherweise war es – wie Becher es in seiner Zusammenfassung treffend in Bezug auf Körntgens Ausführungen herausarbeitet – der „Versuch einer klerikalen Elite im Umkreis Karls des Großen, Vergangenheit und Gegenwart karolingischer Königsherrschaft in einer stringenten Erzählung zu fassen“ (S. 179). Sören Kaschke „Die Italienfeldzüge Pippins des Jüngeren im Geschichtsbild der ‚kleinen Annalen‘“ (S. 121–135) stellt eher unbekannte Quellen in den Vordergrund seines Aufsatzes. Da diese in der Forschung bisher nur sehr vereinzelt rezipiert wurden, muss Kaschke – zumindest in Ansätzen – Grundlagenarbeit leisten, um das Geschichtsbild hinter den einzelnen Autoren herauszuarbeiten. Erstaunlich ist sicherlich, wie wenig Bedeutung dem Bündnis zwischen Pippin und Papst Stephan II. in den untersuchten Quellen zugemessen wird, ganz im Gegenteil zu den Reichsannalen. Die Salbung Pippins wird überhaupt nicht erwähnt und selbst die spektakulären Italienzüge finden nur relativ wenig Beachtung. Gelungen ist die ausführliche Bibliographie am Ende des Bd., wodurch in den Aufsätzen nur Kurztitel angegeben werden müssen. Zwar ist hierdurch ein gelegentliches Nachschlagen notwendig, doch entlastet es den Anmerkungsapparat merklich. Ein Personen- und Ortsregister rundet den gelungenen Bd. ab, schade ist lediglich, dass ein Autorenverzeichnis fehlt. Insgesamt kann gezeigt werden, um es mit den Worten Bechers auszudrücken, „wie sehr dieser Herrscher [scil. Pippin] sich um eine Erneuerung des Frankenreiches bemüht hat“ (S. 181).

Die Dissertation von Georg Friedrich Heinzle unterscheidet sich nicht nur in ihrer Länge von den anderen Studien, sie erschien auch nicht ganz so prominent, wenngleich die Reihe der „Libelli Rhenani“ mittlerweile ebenfalls außerhalb Kölns verstärkt in den Bibliotheken auftaucht. Der Autor untersucht die Deutungen des karolingischen Brüderkrieges im 9. Jh., beginnend ab den 840er Jahren nach dem Tod Ludwigs des Frommen. Dabei geht es ihm nicht um eine ereignisgeschichtliche Abhandlung, dies wäre bei der Vielzahl an Forschungsbeiträgen zweifellos verfehlt, sondern wie diese Konflikte von den Chronisten beschrieben wurden und im kulturellen Gedächtnis verankert sind. Heinzle versteht den Brüderkrieg als „Trauma“, nicht in „klinisch-psychologischem Sinn“, sondern als „eine Erschütterung der Grundlagen der christlichen Gesellschaft“ (S. 26). Wie vielschichtig so eine Deutung des Krieges ist, verdeutlicht Heinzle bei der Analyse des Autors der Hauptquelle für die Kriegsforschung dieser Zeit, Nithard (S. 31–95). Anschließend werden in drei großen Kapiteln die Kriegsdeutungen dargestellt. Zunächst „Die Gegenwart des Krieges, 840 bis 843“ (S. 97–246), dann „Das Fortleben des Krieges, 843 bis 877“ (S. 247–474) und zuletzt „Das Nachleben des Krieges, 877 bis 906“ (S. 475–530). Der Autor geht davon aus, dass der Brüderkrieg anfänglich als ein „Rechtskonflikt“ aufgefasst wurde, „während sich weitere Deutungen erst in seinem Verlauf einstellten“ (S. 220). Heinzle unterscheidet differenziert zwischen der Propaganda für den Krieg, besonders bei Lothar sichtbar, der als Kaiser selbstverständlich per se im Vordergrund stand, weshalb es wenig verwundert, dass er am meisten sein Verhalten rechtfertigte. Von Bedeutung ist in den Quellen vor allem die Schlacht von Fontenoy aus dem Jahre 841, obgleich sie nicht die militärisch entscheidende Bedeutung hatte, aber für das kollektive Gedächtnis von großer Nachwirkung war. Die Schlacht war das „Symbol des Scheiterns einer christlichen Gesellschaft“ (S. 222). Erstaunlich ist das Ergebnis des zweiten Kapitels, dass selbst beim Tod Karls des Kahlen, des letzten der an dem Konflikt beteiligten Könige, die Bewältigung des Traumas nicht als „abgeschlossen“ (S. 465) zu werten sei. Woran lag dies? Zum einen, dass dem „Sündenfall einer christlichen Gesellschaft“ nicht „eine andere Erzählung“ (S. 466) gegenübergestellt werden konnte. Ebenfalls funktioniert nicht die Verdrängung der Ereignisse. Überraschend ist, dass Fontenoy zunächst keine Bedeutung mehr in den zu dieser Zeit abgefassten Quellen hatte. Erst ab den 860er und dann vor allem ab den 870er Jahren war die Schlacht wieder im kollektiven Gedächtnis präsent. Im letzten Abschnitt wird dann deutlich, dass Fontenoy der Schlüsselbegriff für den Brüderkrieg wurde (S. 475). Der Konflikt wurde deutlich neutraler bewertet (S. 490). In einem knappen Fazit (S. 531–539) bündelt Heinzle die wichtigsten Ergebnisse. So wichtig und gewinnbringend die Studie ist, so gibt es leider doch einige Kritikpunkte. Zunächst ist hier die Länge der Studie gemessen an den Ergebnissen zu erwähnen. Eine deutliche Straffung des Textes wäre zwingend notwendig gewesen. Teilweise sind die Quellendarlegungen viel zu ausführlich und hätten verkürzt auf Einzelbeispiele präsentiert werden müssen. Dann ist gelegentlich die sprachliche Darstellung verwirrend, manchmal wechselt der Autor innerhalb weniger Seiten zwischen der 1. Person Singular und Plural, wenn er seine eigene Meinung kundtut. Problematisch sind zudem die Angaben in den Fußnoten. Zwei Beispiele mögen genügen: Auf S. 180 wird in der Anm. 670 als Verweis schlicht „MGH SS rer. Germ. 12, S. 13“ angegeben. Eine Suche im Quellenverzeichnis führt hierbei zu keinem Ergebnis. Nur aus dem Kontext erschließt sich, dass es sich um die „Annales Xantenses“ handelt, die unter „A“ aufgelistet sind. Sämtliche Quellenzitate in den Anmerkungen ab S. 250 sind ohne einen Hinweis, woher diese genau stammen. Nur wenn die Leserin oder der Leser auf S. 249 zurückblättert, dann sieht sie/er die Angabe in Fußnote 1090, dass alle folgenden Zitate aus MGH Poetae 2 entnommen sind. Eine leserfreundlichere Darstellung wäre wünschenswert. Positiv ist das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis, das zusätzlich die internationale Forschung umfasst. Dagegen lässt das Register den Rezipienten etwas ratlos zurück, denn nur eine „Auswahl der maßgeblichen Quellen und Autoren“ werden hier aufgelistet. „Personen und Orte, die nicht mit der Bezeichnung von Quellen verbunden sind, finden keine Berücksichtigung.“ So hilft das Register nur wenig weiter. (S. 577). So fällt leider diese Studie qualitativ trotz des interessanten Themas und der guten Analyse dennoch hinter den anderen Publikationen zurück. Schade!

Keine leichte Kost ist zweifellos die Dissertation von Dominik Trump. Seine Studie geht über das römische Recht in der Karolingerzeit, exemplarisch dargestellt an der Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der „Epitome Aegidii“, womit der Autor eine Quelle ausgewählt hat, die bislang von der Forschung stiefmütterlich behandelt worden ist. Ein zusätzliches Hindernis besteht darin, dass die „Epitome Aegidii“ immer im Schatten der „Lex Romana Visigothorum“ stand. Diese Quelle und ihre Epitome wurden bereits 1849 von Gustav Hänel editiert, eine Problematik, die sich gerade im Anmerkungsapparat der Edition niederschlägt, wie Trump eindeutig herausarbeitet. Die meisten der überlieferten Hss. stammen aus dem 9. Jh. Der Autor leistet in vielen Bereichen wahre Kärrnerarbeit, dies verdeutlicht er bereits in seiner Einleitung (S. 9–35), wo er die schwierige Überlieferungslage thematisiert und den unzureichenden Forschungsstand begründet, der immerhin durch die Studien von Detlef Liebs und José María Coma Fort in den letzten Jahrzehnten verbessert wurde. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text strebt Trump selbst nicht an, dieses Unterfangen wird für folgende Forscherinnen und Forscher reserviert bleiben. Dennoch bilden bisher nur „wenige Seiten in wenigen einschlägigen Publikationen … die Grundlage für die Erforschung eines Textes, der von der Vielfalt der Quellen und von seinem schieren Umfang her zu den umfassendsten Rechtstexten des frühen Mittelalters gehört“ (S. 21). Diese Problematik wird schon deutlich, wenn es um Entstehungszeit und -ort geht, die bisher nicht zweifellos geklärt sind. Dies wird wohl auch so bleiben. Trump nimmt entgegen Teilen der Forschungsvoten an, dass die Quelle möglicherweise im 7. Jh. entstand (S. 35), der Entstehungsort könne wohl nur auf das Frankenreich beschränkt werden (S. 34). Zunächst ermittelt Trump die Textzeugen der „Epitome Aegidii“. Hierzu stellt er sämtliche Hss. und Drucke zusammen, die er in Form eines Kataloges mustergültig beschreibt (S. 37–130). Gerade bei den bisher eher unzureichend beschriebenen Hss. in der Forschung verwendet der Autor viel Raum für eine genaue Darlegung. So kann er insgesamt 24 Hss./Drucke am Ende anbieten. Darauf aufbauend analysiert er die Überlieferungsgeschichte (S. 131–197). Gerade das Editionsbeispiel (S. 186–191) zeigt, dass der Anmerkungsapparat der Edition Hänels unzureichend ist und einer dringenden Neubearbeitung bedarf. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass keine der erhaltenen Hss. als Vorlage für eine andere Hs. angesehen werden könne (S. 196). Interessant ist das Kapitel über die „Rezeption“ (S. 199–290). Einerseits untersucht Trump die Rezeption der „Epitome Aegidii“ in den Rechtshss. sowie den juristischen Quellen des Mittelalters, wodurch er, allerdings wenig überraschend, hervorheben kann, dass sie insbesondere im 9. Jh. weite Verbreitung fand. Deutlich überraschender sind seine Funde in den Hss. selbst, wenn er die Glossen untersucht und dadurch sogar tironische Noten entschlüsselt. Anhand der Hs. St. Gallen 729 kann der Vf. so darlegen, dass die Glossen vor allem der Erleichterung zur Benutzung des Textes dienen sollten, aber weniger als eine inhaltliche Durchdringung zu interpretieren sind (S. 260). In seinem konzisen Fazit (S. 291–297) fasst Trump die gewonnenen Erkenntnisse zusammen und plädiert für eine Neuedition des Textes. Wäre er dafür nicht nach dieser Untersuchung am besten geeignet? Ein Quellen- und Literaturverzeichnis, eine Konkordanzliste sowie ein Register der Hss., Personen und Werke runden die wichtige Studie ab. Summa summarum bleibt festzuhalten, dass insgesamt – trotz mancher Abstufung – vier wichtige Bde. aus der Kölner Schule entstanden sind, die das Verständnis der Karolingerzeit weiter fördern und zu weiteren Forschungen anregen werden. Es ist erfreulich, dass nicht nur Karl der Große und Ludwig der Fromme, sondern auch seine Vor- und Nachfahren in der deutschen Forschungslandschaft thematisiert werden. Ein bedeutender Beitrag sind die Bücher vor allem für die Rechtsgeschichte!

Timo Bollen


Rezension von

Georg Friedrich Heinzle, Flammen der Zwietracht. Deutungen des karolingischen Brüderkrieges im 9. Jahrhundert, Köln (Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek) 2020 (Libelli Rhenani 77), 584 S., ISBN 978-3-939160-89-2, € 30; Dominik Trump, Römisches Recht im Karolingerreich. Studien zur Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Epitome Aegidii, Ostfildern (Thorbecke) 2021 (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 13), 340 S., ISBN 978-3-7995-6093-1, € 43; Patrick Breternitz/Karl Ubl (Hg.), Pippin der Jüngere und die Erneuerung des Frankenreichs, Ostfildern (Thorbecke) 2020 (Relectio. Karolingische Perspektiven 3), 224 S., Abb., ISBN 978-3-7995-2803-0, € 34; Patrick Breternitz, Königtum und Recht nach dem Dynastiewechsel. Das Königskapitular Pippins des Jüngeren, Ostfildern (Thorbecke) 2020 (Quellen und Forschungen zum Recht im Mittelalter 12), 260 S., Abb., ISBN 978-3-7995-6092-4, € 35.


Published Online: 2022-11-18
Published in Print: 2022-11-15

© 2022 bei den Autorinnen und den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Downloaded on 10.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/qufiab-2022-0030/html?lang=en
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