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Stacie L. Pettyjohn/Becca Wasser: No I in Team. Integrated Deterrence with Allies and Partners. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), Oktober 2022

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Published/Copyright: April 4, 2023

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Pettyjohn Stacie L. Wasser Becca No I in Team. Integrated Deterrence with Allies and Partners Washington, D.C. Center for a New American Security (CNAS) Oktober 2022


Diese Studie des Center for a New American Security behandelt ein Thema, das hierzulande nur mit der amerikanischen Strategieentwicklung vertrauten Fachleuten geläufig sein dürfte: „Integrated Deterrence“ (integrierte Abschreckung). Dieses Konzept, vom US-Verteidigungsministerium als Schlüsselelement gekennzeichnet, spielt eine bedeutende Rolle in der Nationalen Verteidigungsstrategie (National Defense Strategy – NDS), die am 27. Oktober 2022 gemeinsam mit der Nuclear Posture Review (NPR) und dem Missile Defense Review (MDR) veröffentlicht wurde. Die abgestimmte, geradezu integrierte, Verknüpfung dieser Dokumente ist neu. Die NDS 2022 gibt die strategische Richtung und die Prioritäten des Ministeriums für die Gesamtstreitkräfte vor und legt fest, wie das US-Militär den wachsenden Bedrohungen für die nationalen Sicherheitsinteressen der USA und für ein stabiles und offenes internationales System begegnen will.

Das Resümee der vorliegenden Studie lässt sich in einem Satz festhalten: „Integrierte Abschreckung zielt auf die Integration aller Instrumente der nationalen Macht über Handlungsfelder, Geographie und Konfliktspektrum hinweg sowie in Zusammenarbeit mit Verbündeten und Partnern. Aber was integrierte Abschreckung in der Praxis bedeutet, bleibt unklar, insbesondere gerade für die Verbündeten und Partner, von denen Washington mehr verlangt.“ Dieses Defizit versuchen die Autoren durch Systematisierung und konkrete Empfehlungen zu beheben.

Ausgegangen wird von einer strategischen Landschaft, in der die aufstrebende Weltmacht China und die immer noch bzw. erneut gefährliche russische militärische Bedrohung sowie zahlreiche kleinere Bedrohungen seitens Iran, Nordkorea und gewalttätigen extremistischen Organisationen in Schach zu halten sind. Doch verfügen die USA für diese Aufgaben nicht über ausreichende Kapazitäten, Fähigkeiten und Bereitschaft. Daher ist die Mitwirkung von Verbündeten und Partnern notwendig. Um Integrierte Abschreckung von der Rhetorik zur Realität zu befördern, schlagen die Autoren einen Rahmen für die Integration der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten/Partner auf drei Ebenen vor: taktisch, institutionell und strategisch.

Taktische Integration als die sichtbarste Form der multilateralen Verteidigungszusammenarbeit bestehe in der Interoperabilität mit Verbündeten und Partnern durch gemeinsame oder kompatible Ausrüstung und gemeinsame Taktiken. Institutionelle Integration sei eine tiefergehende Form der Zusammenarbeit und bedinge ein höheres Maß an Vertrauen, da sie die Einbeziehung von Verbündeten und Partnern in Entscheidungsprozesse des Verteidigungsministeriums erfordere. Sie konzentriere sich in der Regel auf Bereiche wie Informationsaustausch, Forschung und Entwicklung sowie Beschaffung und Produktion. Strategische Integration sei am schwierigsten zu erreichen, da strategische und politische Unterschiede im Weg stünden. Sie erfordere gemeinsames Verständnis und Priorisierung der Bedrohungen sowie Einigung auf Arbeitsteilung zu deren Bekämpfung.

Integrierte Abschreckung verlange die Zusammenarbeit auf allen drei Ebenen, wobei strategische Integration als „Rückgrat“ gesehen wird und dazu beitragen müsse, die strategische Vision zu entwickeln, um Hindernisse für eine tiefere institutionelle und taktische Integration zu überwinden. Washington und seine Verbündeten und Partner müssten die Integration bereits in Friedenszeiten vertiefen, anstatt auf eine Krise oder einen Konflikt als „Triebfeder“ zu warten. Sei ein Konflikt beispielsweise mit China oder Russland erst einmal ausgebrochen, würde die Zeit fehlen. Solche Schritte seien angesichts der späten Veröffentlichung der NDS 2022 dringlich, um Alliierte und Partner mit dem Konzept vertraut zu machen.

Konkret empfiehlt die Studie, im vorgeschlagenen Rahmen einen Fahrplan zu entwickeln, beginnend mit einer Bewertung der strategischen Orientierung und Priorisierung von Bedrohungen auf der Suche nach möglichst großer Übereinstimmung. Daraufhin seien Erwartungen an die Verbündeten/Partner zu präzisieren sowie mit ihnen die strategische und operative Planung zu verbessern. Informationsaustausch, auch als Anreiz, sei wichtig, ebenso Liberalisierung des internationalen Waffenhandels, gemeinsame Entwicklung von Schlüsselfähigkeiten und Schaffung einer Netz- und Datenarchitektur für Joint All Domain Command and Control (JADC2) unter Einbeziehung von Verbündeten und Partnern. Dazu gehöre auch ein multilateraler Übungsplan.

Ohne direkt vergleichen zu wollen, fühlt sich der Rezensent an die Zeit erinnert, als er am NATO Defense College in Rom den Entwurf des „EBAO Handbook“ beurteilen sollte. Es befasste sich mit dem Effects-based Approach to Operations und machte aus relativ banalen Einsichten ein umfangreiches pseudo-wissenschaftliches, Operations Research-getränktes Kompendium, bei dem man sich fragte: Haben wir ein Erkenntnis- oder ein Umsetzungsproblem? Ähnliches lässt sich zu umfangreichen amerikanischen Konzepten wie z. B. COIN (counter-insurgency) feststellen. Wer soll die lesen, internalisieren, verwirklichen? Wie systematisch wird darin ausgebildet und auf welchen Ebenen?

Insofern ist die Absicht dieser Studie verdienstvoll; systematische Operationalisierung eines Konzepts, stringente Darstellung und konkrete Empfehlungen sind immer nützlich. Doch stellt sich die Frage, wie dieses Gedankengebäude den adressierten Alliierten und Partnern nahegebracht und, noch wichtiger, gemeinsam mit ihnen umgesetzt werden soll – in der NATO, bilateral, multilateral? Da bleiben viele Fragen offen.

https://www.cnas.org/press/press-release/new-cnas-report-no-i-in-team-integrated-deterrence-with-allies-and-partners

Published Online: 2023-04-04
Published in Print: 2023-03-30

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

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Downloaded on 24.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2023-1020/html
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