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Justin Bronk with Nick Reynolds and Jack Watling: The Russian Air War and Ukrainian Requirements for Air Defence. London: Royal United Services Institute (RUSI), November 2022

  • Leo Bamberger

    Non-resident Fellow

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Published/Copyright: April 4, 2023

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Justin Bronk Reynolds Nick Watling Jack The Russian Air War and Ukrainian Requirements for Air Defence London Royal United Services Institute (RUSI) November 2022


Die vorliegende Studie des Thinktanks der britischen Streitkräfte vermittelt ein komplexes und umfassendes Bild des Ukraine-Kriegs mit Blick auf die Kämpfe in der Luft. Der Hauptverfasser Justin Bronk ist ein ausgewiesener Luftwaffenexperte und hat schon zuvor über die Luftwaffendimension dieses Kriegs geschrieben. Teilweise hat er seine früheren Aussagen revidiert. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen.

In der ersten Kriegsphase hat die russische Luftwaffe weitaus mehr erfolgreiche Angriffe mit Kampfflugzeugen durchgeführt als bislang vermutet. Die bodengebundene Luftabwehr der Ukraine wurde anfangs effektiv unterdrückt. Zwar hätten die Ukrainer einige russische Kampfflugzeuge abgeschossen, seien aber im Großen und Ganzen technologisch und quantitativ unterlegen gewesen und hätten schwere Verluste einstecken müssen. Auch hätten moderne russische Kampfflugzeuge wie die Su-35S (mit R-77-1 Luft-Luft-Raketen) und später die MIG-31BM mit den sehr weit reichenden R-37 Luft-Luft-Raketen ukrainische Kampfflugzeuge bekämpft.

Anfang März hätten die russischen Flugzeuge mehr und mehr die Fähigkeit eingebüßt, im ukrainischen Luftraum zu operieren. Ursache war die zunehmende Nutzung von leichten und flächenmäßig verbreiteten Luftabwehrsystemen von Seiten der Ukraine. Die Verfügbarkeit einer hohen Zahl dieser meist von einzelnen Soldaten betätigten Luftabwehrsysteme (MANPADS) gefährdete niedrig fliegende Kampfflugzeuge und Helikopter Russlands. Im April 2022 stellte Russland derartige Missionen ein. Aber auch die russische bodengestützte Luftabwehr erwies sich als effektiv, insbesondere ihr weitreichendes Luftabwehrsystem S-400 mit dem 48Ya6 Podlet-K1 Radarsystem.

Im Verlauf des Kriegs richteten sich die meisten russischen Luftangriffe gegen designierte Ziele, wobei ungelenkte Bomben und Flugkörper zum Einsatz kamen. Die modernen Flugzeuge vom Typ Su-34 hatten jedoch gelenkte Abstandswaffen wie die Kh-29 und die Kh-59 eingesetzt. Die Su-30SM und Su-35S Jagdflugzeuge haben regelmäßig Kh-31 und Kh-58 Raketen gegen ukrainische Radarstellungen benutzt.

Ohne Luftüberlegenheit mussten die Russen zur Bekämpfung strategischer Ziele in der Tiefe des ukrainischen Raums auf relativ kostspielige Marschflugkörper und ballistische Raketen mittlerer Reichweite zurückgreifen. Diese haben es während der ersten sieben Monate nicht geschafft, strategisch relevante Schäden in der Ukraine zu verursachen. Erst mit der Konzentration von Angriffen auf die Energieinfrastruktur seit Oktober 2022 hätten die Russen effektivere Formen des strategischen Bombardements durchgeführt. Dabei seien für größere Angriffsziele Marschflugkörper verwendet worden, während die aus dem Iran bezogenen Shahed-136 Drohnen vor allem kleinere Einrichtungen zerstört hätten.

Im Westen herrsche in Bezug auf die Fähigkeiten der Ukraine zur Abwehr russischer Luftangriffe eine gewisse Sorglosigkeit vor. Tatsächlich operieren die Ukrainer am Rande ihrer Leistungskräfte. Dass Russland weiterhin nicht die Luftüberlegenheit besitzt, sei eigentlich nur dem Umstand zu verdanken, dass es ihm in der Frühphase des Kriegs nicht gelang, die mobilen Luftabwehrstellungen der Ukrainer zu zerstören. Solange die ukrainische Luftabwehr nicht mit den entsprechenden Raketen ausgestattet sei, könne Russland durchaus doch noch die Luftherrschaft erringen. Das würde den Kriegsverlauf erheblich zu Ungunsten der Ukraine verändern. Deshalb sei westliche Hilfe für die mobile Luftabwehr der Ukraine unerlässlich. Der entsprechende sense of drama fehle noch in vielen Ländern.

Kurzfristig, so die Studie, benötige die Ukraine eine große Zahl weiterer MANPADS und vor allem auch radargesteuerte Flugabwehrkanonen, z. B. im Gepard-Flak-Panzer. Nur so könne man die Fähigkeit behalten und sogar verbessern, die Shahed-136 Drohnen abzufangen, und die Energieinfrastruktur wieder aufzubauen.

Mittelfristig müsse nach kosteneffektiveren Möglichkeiten zur Abwehr der Shahed-136 gesucht werden. Eine Option wäre ein kompaktes Radar- und Lasergestütztes System zur Erfassung und Sichtbarmachung der Drohnen, das es verschiedenen Flak-Geschützen erlaubt, diese mit höherer Präzision zu bekämpfen.

Zudem fordern die Autoren die Belieferung der ukrainischen Luftwaffe mit modernen Kampfflugzeugen und Luft-Luft-Raketen. Nur dann lasse sich die russische Luftwaffe dauerhaft in Schach halten. Schon eine kleine Anzahl moderner westlicher Kampfflugzeuge könne einen großen Effekt haben. Bei der Lieferung westlicher Kampfflugzeuge müsse gesichert sein, dass sie auch an unterschiedlichen und relativ einfachen Flugplätzen starten und landen können und das Unterstützungsteam klein und mobil bleibt.

Insgesamt eine sehr professionelle und durchdachte Studie, die einen durchgehenden Gedanken verfolgt: die bisher für die Ukraine sehr günstige Luftraumlage kann sich verschlechtern. Dagegen ist frühzeitig mit Lieferungen von Luftabwehrsystemen und auch Kampfflugzeugen vorzugehen. Ansonsten ist man vor bösen Überraschungen nicht sicher.

https://rusi.org/explore-our-research/publications/special-resources/russian-air-war-and-ukrainian-requirements-air-defence

About the author

Prof. em. Dr. Leo Bamberger

Non-resident Fellow

Published Online: 2023-04-04
Published in Print: 2023-03-30

© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

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