Home Wolfram Lacher: Unser schwieriger Partner: Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), SWP-Studie 3, Februar 2021
Article Publicly Available

Wolfram Lacher: Unser schwieriger Partner: Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), SWP-Studie 3, Februar 2021

  • Daniel Mittermaier EMAIL logo
Published/Copyright: August 26, 2021

Reviewed Publication:

Lacher Wolfram Unser schwieriger Partner: Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali Berlin Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), SWP-Studie 3 Februar 2021


In seiner Studie vergleicht Lacher das deutsche und französische Engagement in den beiden krisengeplagten Staaten Libyen und Mali, die trotz intensiver Bemühungen seit Jahren der Schauplatz bewaffneter Konflikte sind. Dazu zeichnet er unter Verweis auf zahlreiche Medienberichte, Analysen sowie eigene Gespräche mit Entscheidungsträgern genau die verschiedenen Entscheidungen Deutschland und Frankreichs, deren Konsequenzen auf die jeweilige Krise sowie die Interessen dahinter nach.

Lacher kommt dabei zu einem ernüchternden Ergebnis: Stabilisierung scheine nie das strategische Ziel deutscher und französischer Politik gewesen zu sein. Vielmehr bestimmten Alleingänge und das innenpolitische Narrativ der Terrorismusbekämpfung, das nach den Anschlägen 2015 zum Leitmotiv französischer Politik avancierte, das Handeln Frankreichs. Das Handeln Deutschlands hätte eine vorgeschobene statt eine echte Verantwortungsbereitschaft (Mali) sowie mangelndes Interesse (Libyen) und das Fehlen einer übergeordneten Strategie ausgezeichnet. Damit widerspricht Lacher einem Narrativ der Annäherung der beiden einflussreichsten EU-Länder in Nordafrika, dem zufolge sich Frankreich vermehrt um multilaterales Vorgehen bemühe, und Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehme. In Kombination führten beide Ansätze außerdem nicht nur nicht zum Erfolg, sondern trugen sogar zur Verschlechterung der Lage bei.

In Libyen, argumentiert Lacher, sei Frankreichs militärische Unterstützung der Opposition mitverantwortlich für die Destabilisierung des Friedensprozesses der Vereinten Nationen (VN) und das weitere Andauern des Bürgerkrieges gewesen. Frankreich begann eine zunächst verdeckte Kooperation mit Oppositionsführer Haftar schon kurz nach Antritt einer neuen VN-unterstützten Einheitsregierung. Vorgeblich sollte diese Unterstützung nur zur Bekämpfung jihadistischer Gruppen dienen, wodurch Frankreich allerdings mutwillig in Kauf genommen habe, dass die französische Hilfe Haftars dessen militärische Position stärkte und auch zur Bekämpfung anderer Gegner genutzt wurde. Gleichzeitig habe dies zur De-Legitimierung der offiziell auch von Frankreich anerkannten Regierung in Tripolis geführt. Damit handelte Frankreich ähnlich wie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten, was Lacher auch auf Frankreichs Verkauf von Rüstungsgütern an diese Staaten zurückführt. Deutschland auf der anderen Seite habe sich darauf beschränkt, den internationalen Prozess finanziell zu unterstützen und ansonsten lange Zeit kein Interesse gezeigt, eigene Impulse zur Lösung des Konflikts zu setzen. Dabei habe Deutschland aus Gründen der Migrationsbekämpfung gemeinsam mit anderen europäischen Ländern auch dann noch an der Einheitsregierung festgehalten, als diese schon lange offensichtlich gescheitert war – auf Kosten der deutschen Glaubwürdigkeit. Auch im Kontext des Berlin-Prozesses, für den das deutsche Interesse eher im Nachhinein formuliert worden sei, sei Deutschland nicht bereit gewesen, diplomatischen Druck auf die verschiedenen für den Konflikt mitverantwortlichen Länder wie die VAE auszuüben, um die eigenen Beziehungen nicht zu gefährden. Der französische Alleingang einerseits und die deutsche Zurückhaltung andererseits hätten außerdem erheblichen Anteil daran gehabt, dass europäische Staaten zunehmend an Einfluss auf den libyschen Konflikt verloren haben.

In Mali dagegen hätte Frankreich zunächst nur widerwillig interveniert und sei von Anfang an drängende Kraft in der Einrichtung der VN-Mission MINUSMA und der EUTM Mali gewesen, um die Lasten mit internationalen Partnern zu teilen. Allerdings diagnostiziert Lacher dabei eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Ursachen des Konfliktes und dem strategischen Ansatz Frankreichs bei MINUSMA. Der Einsatz sei zunächst nicht als langfristige Stabilisierungsmission, sondern nur als kurzfristige Befriedigung mit anschließender Übergabe an lokale Sicherheitskräfte geplant gewesen, wobei strukturelle Ursachen wie Korruption, mangelnde Staatskapazität und politisierte Sicherheitskräfte ausgeblendet wurden. Die ausbleibende Wirkung der Trainingsmission auf die Stabilisierung des Landes und die Fähigkeit Malis zur Übernahme von Sicherheitsaufgaben sei die logische Konsequenz. Weiterhin habe die Zusammenarbeit mit lokalen Milizen den Konflikt weiter angeheizt. Für Deutschland auf der anderen Seite sei Mali eine willkommene Gelegenheit gewesen, im Vorfeld der Bewerbung für einen Sitz im VN-Sicherheitsrat Verantwortungsbereitschaft zu zeigen. Dabei sei die Entscheidung für Mali nicht auf Basis sicherheitspolitischer Erwägungen, sondern aufgrund der passenden Außenwirkung und als Zeichen der Solidarität mit Frankreich getroffen worden. Das deutsche Kontingent habe sich vor Ort auf die Fehleinschätzungen französischer Militärs verlassen und keine eigenen Akzente gesetzt, während aus taktischen Gesichtspunkten der Erfolg des Einsatzes einer möglichst hohen Sicherheit deutscher Soldaten untergeordnet war. Militärisch wirke das Engagement Deutschlands und Frankreichs daher ratlos, während viele Millionen an Entwicklungsgeldern in Mali strukturelle Probleme wie Korruption weiter verstärkt hätten.

Insgesamt attestiert Lacher dem Engagement Frankreichs und Deutschlands eine durchwachsene bis schlechte Bilanz. Dabei legt er überzeugend und detailreich dar, dass die jeweiligen Versäumnisse der beiden Ansätze sich dabei gegenseitig verstärkten und dadurch sogar zur Destabilisierung in Libyen und Mali führten. Etwas unbefriedigend für den Leser ist allerdings angesichts des internationalisierten Charakters der beiden Konflikte, dass Lacher sich stark auf die Aktivitäten von Frankreich und Deutschland beschränkt und diese nur bedingt in den regionalen und internationalen Kontext einbettet.

https://www.swp-berlin.org/publikation/deutschlands-und-frankreichs-erfolgloses-engagement-in-libyen-und-mali

Published Online: 2021-08-26
Published in Print: 2021-08-24

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Verteidigung ist Pflicht – Deutschlands außenpolitische Kultur muss strategisch werden – Teil 1
  6. Deutschland am Scheidepunkt – eine aktive Verteidigungs- und Bündnispolitik ist überfällig
  7. Governance vulnerabler strategischer Wertschöpfungsketten im Zeichen der Deglobalisierung
  8. Kurzanalysen und Berichte
  9. Deutsche Sicherheitspolitik im Indo-Pazifik zwischen Anspruch und Realität
  10. Der Krieg um Bergkarabach – Folgen für die deutsche und europäische Sicherheitspolitik
  11. Kommentar
  12. Betrachtungen einer Millennial über das „Neue Deutsche Problem“ nach 30 Jahren Frieden
  13. Literaturbericht
  14. Westliche Russlandpolitik: Mythen, Fehlbeurteilungen und Strategien
  15. Ergebnisse strategischer Studien
  16. Großmächtekonkurrenz
  17. Andrea Kendall-Taylor/David Shullman: Navigating the Deepening Russia-China Partnership. Washington, DC: Center for a New American Security, Januar 2021.
  18. Miranda Priebe/Bryan Rooney/Nathan Beauchamp-Mustafaga/Jeffrey Martini/Stephanie Pezard: Implementing Restraint. Changes in U.S. Regional Security Policies to Operationalize a Realist Grand Strategy of Restraint. Santa Monica, CA: RAND Corporation, 2021.
  19. Stephanie Segal/Dylan Gerstel: Degrees of Separation. A Targeted Approach to U.S.-China Decoupling – Interim Report. Washington, DC: CSIS, Februar 2021.
  20. Paul Scharre/Ainikki Riikonen: Defense Technology Strategy. Washingon, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), November 2020
  21. Konflikt und Kooperation in der Arktis
  22. Paul Stronksi/Grace Kier: A Fresh Start on U.S. Arctic Policy Under Biden. Moskau: Carnegie Moscow Center, 17. Mai 2021
  23. Jim Townsend/Andrea Kendall-Taylor: Partners, Competitors, or a Little of Both? Russia and China in the Arctic. Washington, D.C.: Center for a New American Security, März 2021
  24. Eugene Rumer/Richard Sokolsky/Paul Stronski: Russia in the Arctic – A critical examination. Washington, DC: Carnegie Endowment for International Peace, März 2021
  25. Russische Streitkräfte
  26. Estonian Foreign Intelligence Service: International Security and Estonia − Report on Russia. Tallinn: Estonian Foreign Intelligence Service, März 2021
  27. Dmitry (Dima) Adamsky: Moscow’s Aerospace Theory of Victory: Western Assumptions and Russian Reality. Washington, D.C.: Center for Naval Analyses, February 2021
  28. Europa
  29. Alice Billon-Galland/Richard G. Whitman: Towards a strategic agenda for the E3. Opportunities and risks for France, Germany and the UK. London: Chatham House, April 2021
  30. Wolfram Lacher: Unser schwieriger Partner: Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), SWP-Studie 3, Februar 2021
  31. Stephen Tankel/Lisa Curtis/Joshua Fitt/Coby Goldberg: Positive Visions, Powerful Partnerships. The Keys to Competing with China in a Post-Pandemic Indo-Pacific. Washington, D.C.: Center for a New American Security, März 2021
  32. Cleo Paskal: Indo-Pacific strategies, perceptions and partnerships. The view from seven countries. London: Chatham House, März 2021
  33. Hiroyuki Suzuki: Building Resilient Global Supply Chains. The Geopolitics of the Indo-Pacific Region. Washington, DC: Center for Strategic & International Studies (CSIS), Februar 2021
  34. Indo-Pazifik
  35. Stephen Tankel/Lisa Curtis/Joshua Fitt/Coby Goldberg: Positive Visions, Powerful Partnerships. The Keys to Competing with China in a Post-Pandemic Indo-Pacific. Washington, D.C.: Center for a New American Security, März 2021
  36. Cleo Paskal: Indo-Pacific strategies, perceptions and partnerships. The view from seven countries. London: Chatham House, März 2021
  37. Hiroyuki Suzuki: Building Resilient Global Supply Chains. The Geopolitics of the Indo-Pacific Region. Washington, DC: Center for Strategic & International Studies (CSIS), Februar 2021
  38. Jason Bartlett: Exposing the Financial Footprints of North Korea’s Hackers. Washingon, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), November 2020
  39. Globale Klimapolitik
  40. Christian Schaller: Der Meeresspiegelanstieg als Herausforderung für die maritime Ordnung. Kann das Seevölkerrecht Stabilität gewährleisten? Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 1, Januar 2021
  41. Buchbesprechungen
  42. Wilfried von Bredow: Armee ohne Auftrag. Die Bundeswehr und die deutsche Sicherheitspolitik. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2020, 200 Seiten
  43. Andreas Lutsch: Westbindung oder Gleichgewicht? Die nukleare Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland zwischen Atomwaffensperrvertrag und NATO-Doppelbeschluss. Berlin: DeGruyter Oldenbourg 2020, 878 Seiten
  44. Jochen Maurer/Martin Rink (Hrsg.): Einsatz ohne Krieg? Die Bundeswehr nach 1990 zwischen politischem Auftrag und militärischer Wirklichkeit. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2021, 432 Seiten
  45. Gregor Schöllgen/Gerhard Schröder: Letzte Chance. Warum wir jetzt eine neue Weltordnung brauchen. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2021, 256 Seiten
  46. Klaus Schwab/Thierry Malleret: COVID-19: The Great Reset. Genf: World Economic Forum 2020, Edition 1.0, 280 Seiten
  47. Alex S. Wilner/Andreas Wenger (Hg.): Deterrence by Denial. Theory and Practice. Amherst, NY: Cambria Press, 2021, 294 Seiten
  48. Bildnachweise
  49. Bildnachweise
Downloaded on 8.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2021-3019/html
Scroll to top button