Miranda Priebe/Bryan Rooney/Nathan Beauchamp-Mustafaga/Jeffrey Martini/Stephanie Pezard: Implementing Restraint. Changes in U.S. Regional Security Policies to Operationalize a Realist Grand Strategy of Restraint. Santa Monica, CA: RAND Corporation, 2021.
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Priebe Miranda Rooney Bryan Beauchamp-Mustafaga Nathan Martini Jeffrey Pezard: Stephanie Implementing Restraint. Changes in U.S. Regional Security Policies to Operationalize a Realist Grand Strategy of Restraint Santa Monica, CA RAND Corporation 2021
Dass die USA ihre weltpolitischen Ambitionen und globale Militärpräsenz reduzieren sollten, hat in den vergangenen Jahren zunehmend Anklang gefunden. Besonders prominent sind hier die Stimmen der Realisten, die rückblickend Washingtons Kurs seit dem Ende des Kalten Kriegs als gefährlichen Irrweg kritisieren. Der „liberale Internationalismus“ bzw. die Politik „liberaler Hegemonie“ habe den USA unnötige Allianzlasten und Interventionen aufgebürdet, Ressourcen vergeudet und internationale Konflikte provoziert. Die Lösung bieten soll eine Politik des Rückzugs und der Selbstbeschränkung, die sich auf vitale Kerninteressen besinnt und dem militärischen Instrument weniger Bedeutung beimisst. Wie eine solche Grand Strategy, die Verfechter mit den Schlagwörtern restraint oder offshore balancing umschreiben, in der Praxis aussehen würde, diskutiert die lesenswerte RAND-Studie Implementing Restraint.
Die Studie umreißt zunächst die aktuelle Strategiedebatte und identifiziert den Stellenwert des Militärs als gängiges Kriterium zur Unterscheidung von Grand Strategies: „In the public discourse, proposed grand strategies are characterized primarily by the extent of U.S. military involvement that they prescribe in key regions. By military involvement, we mean the number and depth of U.S. security commitments, the number of U.S. troops forward deployed abroad in peacetime, and the number of interests over which the United States would use force“ (S. 6). Davon ausgehend präsentiert sie ein Strategiespektrum, das von Isolationismus über Restraint (Untervarianten minimal military involvement und reduced military involvement) bis hin zu hegemonialen Strategien (Untervarianten selective or deep engagement und primacy) und völliger militärischer Dominanz (dominion) reicht.
Auf diese Einordnung folgen die Positionen der realistischen Restraint-Verfechter. Sie plädieren für eine enge Definition nationaler Interessen (zuvorderst Souveränität, territoriale Integrität, Sicherheit der Bürger) und gehen davon aus, dass diese mit einem deutlich reduzierten Mitteleinsatz gewahrt werden können. Restraint-Advokaten raten den USA, ihre militärische Präsenz in Übersee abzubauen und sich nur direkt zu engagieren, falls ein Rivale eine vitale Region zu unterwerfen droht. Sie sprechen sich aber weder für Abschottung noch eine De-Militarisierung aus. Stattdessen sollten militärische Stärke und diplomatisches Engagement, die Befreiung aus Allianzzwängen, die Abkehr vom Demokratie- und Normexport, die Rückbesinnung auf Abschreckung sowie der Ausgleich mit Großmächten die Interessen sichern. Im Notfall böten die (geschonten) eigenen Machtressourcen starke Handlungsoptionen.
Den größten Teil der Studie umfasst die nach Regionen gegliederte Analyse, wie eine Strategie des Restraint konkret in der Praxis aussehen würde. Die Autoren nehmen dafür Europa, den asiatisch-pazifischen Raum, den Mittleren Osten und Südasien (Fokus auf Afghanistan, Staatszerfall und Terrorismus) in den Blick. Hier wollen sie nicht bewerten, ob eine Strategie des Restraint empfehlenswert ist, sondern lediglich aufzeigen, welche Einzelmaßnahmen die entsprechende Literatur fordert und welche Lücken es gibt. Dabei tauchen immer wieder ähnliche Merkmale und Blindstellen auf:
Erstens: Restraint-Advokaten stützen ihre Empfehlungen zwangsläufig auf Annahmen, von denen es viele verdienen, kritisch hinterfragt zu werden. Können sich die USA wirklich ohne große Konsequenzen militärisch aus der Welt zurückziehen? Würden Partner durch einen US-Abzug tatsächlich ertüchtigt? Würden nicht rivalisierende Großmächte wie Russland und China das Vakuum füllen? Wäre es für die US-Interessen wirklich belanglos, Moskau und Peking regionale Einflusssphären zuzugestehen? Und warum sollten sie sich damit zufriedengeben? Zweitens: Das Restraint-Argument suggeriert, dass vitale und unnötige Engagements klar zu unterscheiden seien. Verlässliche Bewertungsmaßstäbe fehlen allerdings. Woran erkennt man den Aufstieg eines gefährlichen Regionalhegemons? Welches Maß an Aufrüstung, Machtungleichgewicht, Einfluss oder Aggression ist akzeptabel? Drittens: Aktuelle praktische Herausforderungen bildet die Literatur kaum ab. Dazu gehören die Dynamiken einer globalisierten und digitalisierten Welt, „Grauzonen“-Konflikte, die Versicherheitlichung der Wirtschaftsbeziehungen oder der Wettstreit um technologische Vorherrschaft. Wie sich eine Strategie des Restraint dazu verhält, wäre durchaus wichtig.
Die Studie Implementing Restraint ist ein hilfreicher Zwischenruf, der ohne eigene Wertung zeigt, dass eine Strategie der Zurückhaltung im Detail mindestens so verzwickt ist wie die Politik des liberalen Internationalismus.
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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