Reviewed Publication:
Scharre Paul Riikonen Ainikki Defense Technology Strategy Washingon, D.C. Center for a New American Security (CNAS) November 2020
Paul Scharre und Ainikki Riikonen vom Center for a New American Security (CNAS) empfehlen in „Defense Technology Strategy“ eine systematische Technologiestrategie für das amerikanische Verteidigungsministerium. Diese sei nötig, weil das Verteidigungsministerium nicht länger Treiber in der Entwicklung von Militärtechnologien sei. Während in den 1960er Jahren noch Zweidrittel des nationalen Forschungs- und Entwicklungsbudgets für Militärtechnologien durch das Verteidigungsministerium gestellt worden seien, sei dieser Anteil auf weniger als ein Viertel geschrumpft. Zwar sei der Anteil am Bruttoinlandsprodukt ungefähr identisch geblieben, aber die Privatwirtschaft würde sich zunehmend einbringen. Damit würde das Verteidigungsministerium zwar einerseits zum Nutznießer der finanziellen Wagnisse Dritter, verlöre jedoch gleichzeitig an Einflussmöglichkeiten auf wesentliche Entwicklungsprozesse.
Die USA hätten zudem auch international an Einfluss in der Rüstungsentwicklung verloren: 1960 hätte das Forschungs- und Entwicklungsbudget des amerikanischen Verteidigungsministeriums noch 26 Prozent des globalen Budgets ausgemacht; 2016 sei dieser Anteil auf ein Zehntel seiner Größe (3,7 Prozent) geschrumpft. Vor allem China habe nicht nur aufgeholt, sondern übernehme in absehbarer Zeit die Führung. Damit könne es die Richtung der zukünftigen Entwicklungen von Militärtechnologien vorgeben. Die Stärke Chinas sei nicht nur auf die finanziellen Aufwendungen zurückzuführen. Vielmehr sei auch der systematische Ansatz ausschlaggebend, mit dem China die globalen Wirtschaftsbeziehungen und das technologische Umfeld als Ganzes in seinem Sinne zu formen beginne. Die unterschiedlichen staatlichen Stellen der USA hingegen gingen häufig unabgestimmt und damit kleinteilig und ineffizient vor. Einzelentscheider hätten außerdem zu großen Einfluss („Too often, investments appear to be driven by the whims of department senior leaders.“) Chinas Top-Down-Ansatz, bei dem alles von der Entscheidung der Zentralregierung abhänge, sei allerdings nicht zu kopieren. Ebenso ginge es nicht nur darum, „National Champions“ zu fördern. Vielmehr solle das Erfolgskonzept der 1960/70er Jahre wiederbelebt werden: Amerikas Stärke liege im freien Wettbewerb, im innovativen Potential, in den besten Universitäten der Welt und in einer Immigrationspolitik, die die besten Talente anlocke.
Dem Verteidigungsministerium fehle aber ein systematischer Ansatz, um die für die zukünftige militärische Dominanz wesentlichen Technologien zu identifizieren. Die Autoren empfehlen in diesem Zusammenhang ein dreistufiges Vorgehen („Three Tiered Investment Strategy“):
1. Prioritisieren: Erste Priorität hätten sich exponentiell entwickelnde, digitale Technologien (Informationstechnologien), die bereits in der Privatwirtschaft Marktreife erreicht hätten. Diese Technologien würden zwar auch ohne das Verteidigungsministerium entwickelt werden, weil sie für eine Vielzahl von Akteuren interessant seien. Ohne den Zugriff auf relevante Informationstechnologien seien die amerikanischen Militärstrategien jedoch zum Scheitern verurteilt. Prototypen ziviler Produkte sollten von kampferprobten Soldaten (Warfighters) getestet werden, um früh ihr Potential auf dem Schlachtfeld einzuschätzen. Als wesentliche Trends erwarten die Autoren Cyber, Elektronische Kriegsführung, Internet of Things, Sensorik, Big Data, Netzwerke, Cloud, Künstliche Intelligenz, Autonome Waffensysteme, Robotik, Genomik und Synthetische Biologie, weil diese das Potential hätten, die Strukturen von Command-and-Control, die Geschwindigkeit in der Entscheidungsfindung und den Ablauf von Operationen maßgeblich zu verändern. Es sei ebenso zu erwarten, dass etablierte Gefechtstaktiken, militärische Doktrinen, Konzepte zur Einsatzführung und der militärische Aufbau als solcher mit der Einführung dieser Technologien an Bestandskraft verlieren und überarbeitet werden müssten.
2. Investieren: Das Verteidigungsministerium solle in von der Privatwirtschaft vernachlässigte, eher analoge Schlüsseltechnologien (Key Military-Specific Technologies, z. B. Hochleistungslaser, Überschallraketen, Tarnung wie Stealth, Panzerung) investieren. Gerade diejenigen Technologien entwickelten sich weniger exponentiell, die nicht zu den Informationstechnologien, sondern z. B. zu den Arbeitsfeldern Material, Optik oder Energie zählten. Fortschritte seien eher inkrementell und hätten weniger Potential, bahnbrechende Veränderungen in der Kriegsführung zu beeinflussen. Damit seien sie als Investitionsobjekte für die Privatwirtschaft weniger interessant. Weil diese Technologien dennoch wichtige Weiterentwicklungen darstellten, müsse das Verteidigungsministerium tätig werden.
3. Absichern: Es sei auch in Technologien zu investieren, die zwar nur eine geringe Wahrscheinlichkeit hätten, Marktreife zu erlangen, aber deren Effekt einen Paradigmenwechsel zur Folge hätte (Wild Cards). Die Quantenforschung, Brain-Computer-Interfaces oder Nanotechnologie seien beispielhaft zu nennen. Durch eine Beteiligung in diesen Feldern könne das Verteidigungsministerium rechtzeitig Entwicklungstendenzen aufgreifen und vor technologischen Überraschungen schützen (early warning).
https://www.cnas.org/publications/reports/defense-technology-strategy
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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