Reviewed Publication:
Billon-Galland Alice Whitman Richard G. Towards a strategic agenda for the E3. Opportunities and risks for France, Germany and the UK London Chatham House April 2021
Bei der Analyse europäischer Politik ist man schnell geneigt, vorrangig auf die etablierten Institutionen zu schauen und die informellen und flexiblen Formate außer Acht zu lassen. Das kann sich jedoch als nachteilig erweisen, da man womöglich bedeutsame Gesprächsformate und Verhandlungsgruppen, die an wegweisenden Prozessen und Entscheidungen im Vorfeld oder im Hintergrund mitgewirkt haben, übersieht. Eines dieser wenig beachteten Formate ist das sogenannte E3-Format aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien, das Alice Billon-Galland und Richard G. Whitman in ihrem Forschungspapier näher untersuchen. Der Titel des Papiers zeigt im Grunde das ganze Spannungsfeld, in dem sich die Analyse der E3-Gruppe bewegt: einerseits dem Ausloten einer verstärkten gemeinsamen strategischen Agenda zwischen den drei mächtigsten europäischen Ländern, andererseits dem Einbeziehen und Abwägen der jeweiligen Interessen und Wahrnehmungen in den drei Hauptstädten. Wäre Großbritannien weiterhin EU-Mitglied, könnte man das Machtdreieck London-Paris-Berlin als natürliches Forum und Motor der EU ansehen. Aber seit dem Brexit besteht das E3-Format nur noch aus zwei EU-Mitgliedern und einem unabhängigen Großbritannien, dessen neue außen- und sicherheitspolitische Rolle gegenüber der EU und der Welt noch immer nicht ganz klar sei. Gerade deshalb erachten die Autoren das E3-Format als weiterhin wichtig: „Paradoxically, the UK’s exit from the EU makes E3 cooperation simultaneously more necessary and more difficult (S. 3).“
Ein Schwerpunkt des Papiers bildet die Darstellung der unterschiedlichen Perspektiven Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens auf das E3-Format. Obwohl es sich bei den drei Ländern um die diplomatischen und militärischen Schwergewichte Europas handele, unterscheiden sich deren politische Rationalitäten, Ambitionen und Interessen auf diesen Feldern deutlich. So achte Deutschland besonders darauf, die Rolle und Einheit der EU durch das E3-Format nicht zu unterminieren und kleinere EU-Staaten nicht zu übergehen. Dadurch werde Deutschlands Präferenz für institutionalisierte multilaterale Formate gegenüber lockeren intergouvernementalen Gruppierungen deutlich. Allerdings sei sich Berlin auch bewusst, dass es Formate wie E3 nutzen müsse, wenn die EU wie so oft handlungsunfähig sei oder man ansonsten von wichtigen britisch-französischen Diskussionen ausgeschlossen bleibe. Im britisch-französisch-deutschen E3-Dreieck sei die britisch-deutsche Seite die bisher am wenigsten entwickelte, was unter anderem auch an der ähnlichen Sicherheitskultur Großbritanniens und Frankreichs liege. Für Frankreich passe das E3-Format gut in das Set loser intergouvernementaler Arrangements, die Paris größere außenpolitische Freiheit und Agilität verleihe. Aber auch Paris sehe die Dinge pragmatisch und ziehe eine klare Linie zwischen Vereinbarungen im E3-Format und innerhalb der EU. So dürfe es etwa keine informellen gemeinsamen oder aber Sonderpositionen im E3-Format zu außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen geben, wenn dazu bereits politische Positionen der EU existierten. Die britische Sicht gleicht mit Blick auf die flexible Zusammenarbeit jenseits formeller Formate und Zwänge der französischen. Sie unterscheide sich jedoch in anderen Bereichen beträchtlich, denn für London seien nicht nur die bilateralen Beziehungen zu Frankreich und Deutschland oder im größeren Rahmen zur EU bedeutsam, sondern seit dem Brexit vor allem (wieder) die Beziehungen zu den USA. Großbritannien changiere daher in mehreren Politikvektoren: einem losen bilateralen (E3), einem noch recht unklaren (zur EU), einem erhofft wiedererstarkenden (zu den USA) und bestehenden Sonderformaten (Five Eyes). In all diesen Vektoren wolle London möglichst große Manövrierfreiheit haben, um seine Interessen maximal autonom verfolgen und sich nirgendwo zu stark binden zu müssen.
Trotz des komplexen Interessen- und Bindungsgeflechts zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien sehen die Autoren die Möglichkeit, das E3-Format fortzuentwickeln. Im Kern werde es jedoch „an instrument of informal minilateralism“ (S. 7) bleiben. Die drei Funktionen, die das Format künftig ausfüllen könnte, wären erstens die eines Forums für Konsultationen, um schwierige Positionen in privaten Diskussionen auszuloten, zweitens als ein Raum für koordiniertes politisches Handeln, wenn die politischen oder strategischen Positionen eng bei einander liegen und drittens als eine handelnde Gruppe im Rahmen von E3 oder in größeren Formaten (S. 8). Hier sei wieder darauf hingewiesen, dass das Formulieren gemeinsamer E3-Positionen von der Existenz etwaiger EU-Positionen oder US-Interessen abhänge. Dementsprechend seien gemeinsame E3-Positionen als komplementäre Positionen zu anderen Gruppen oder Formaten (G7, NATO, UN) anzusehen. Nach Ansicht der Autoren bleibt das E3-Format auf politische und sicherheitspolitische Themen beschränkt. Dass es jemals zu einem „full-spectrum format“ (S. 14) für alle Arten von internationalen Fragen zwischen den drei Partnern avanciere, sehen die Autoren nicht. Möglich sei jedoch eine Erweiterung des Abstimmungskreises mit anderen informellen Gruppen (Quad, Five Eyes, D10) oder durch Einbezug weiterer Staaten wie etwa Japan. Schließlich gäbe es so etwas wie eine politische Wachstumsgrenze für E3: „Given the constraints France, Germany and the UK each face, as well as their preferences, none of the three countries is looking to deepen and expand exclusive cooperation in the E3 as an end in itself“ (S. 16).
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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