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Marie Baezner/Patrice Robin: Cyber sovereignty, Cyberdefense Trend Analysis. Zürich: Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich, 2018.

  • Inger-Luise Heilmann EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 9. April 2019

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Baezner Marie Robin Patrice Cyber sovereignty, Cyberdefense Trend Analysis Zürich Center for Security Studies (CSS) ETH Zürich, 2018.


Der Cyberspace lässt sich nicht auf einen territorialen Raum beschränken. Seine Immaterialität und Interkonnektivität fordern das traditionelle Völkerrecht heraus. Laut einer UN-Regierungsexpertengruppe (UNGGE) sollten Staaten völkerrechtliche Prinzipien im Cyberraum respektieren und anwenden. Vor dem Hintergrund steigender Nutzerzahlen und der Möglichkeit von Kriegsführung im Cyberraum fordern Staaten zunehmend mehr Souveränität über den Cyberraum. Das Papier des Center for Security Studies (CSS) an der ETH Zürich untersucht deshalb die Verwendung und Verbreitung des Konzepts „Cybersouveränität“, indem es Souveränität im Cyberraum definiert, die akademische Debatte dazu analysiert und Cybersicherheitsstrategien von 93 Ländern untersucht.

Cybersouveränität wird von den Autoren als die Anwendung der Prinzipien von Staatensouveränität auf den Cyberraum definiert. Staatliche Souveränität beinhaltet Rechte und Pflichten: So muss sie auf internationaler Ebene mit dem Völkerrecht und Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sowie dem Kriegsvölkerrecht übereinstimmen, auf nationaler Ebene erlaubt sie dem Staat unabhängige Entscheidungen zu treffen. Länder wie beispielsweise China haben offen Cyber-Souveränität auf nationaler Ebene beansprucht, nicht zuletzt im Bereich der Inhaltskontrolle im Internet.

Die Forscher vom CSS haben untersucht, wie das Konzept von Cybersouveränität in nationalen Cybersicherheitsstrategien Anwendung findet. Dazu wurden 93 öffentlich verfügbare Dokumente untersucht, die im Anhang der Studie aufgeführt werden. Die verfügbaren Dokumente waren mehrheitlich Strategien aus westlichen Staaten oder Strategien der Großmächte, gleichwohl konnten auch Dokumente aus Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten oder Südamerika ausgewertet werden (z.B. Afghanistan, Indien, Israel, Ruanda, Saudi-Arabien, Türkei etc.). In 18 von 93 Dokumenten trat das Wort „Souveränität“ und nur in der kanadischen Strategie das Wort „Cybersouveränität“ auf. Den Autoren zufolge scheint das Konzept eher in der westlichen Welt verbreitetet zu sein und die meisten Staaten verwendeten es ohne klare Definition. Es wurde insbesondere im Bereich der nationalen Cybersicherheit genannt: Regierungen sollten ihre kritischen Infrastrukturen und IT-Systeme vor Angriffen schützen, denn Cyberoperationen könnten die staatliche Souveränität bedrohen. Ein sicherer Cyberraum schütze staatliche Souveränität. Frankreich wird im Papier als Sonderfall beschrieben, da in den französischen Dokumenten Souveränität als Autonomie für Entscheidungen und Handlungen verstanden wird. Cybersouveränität stelle in der französischen Cybersicherheitsstrategie von 2015 eher die Notwendigkeit dar, Autonomie durch die Entwicklung von vertrauenswürdigen Technologien und Partnerschaften zu wahren.

Das Papier kommt somit zu dem Schluss, dass die Staaten nicht häufig “Souveränität” oder “Cybersouveränität” in ihren nationalen Cybersicherheitsstrategien verwenden. Stattdessen gäbe es insbesondere in Europa zunehmend eine Debatte über „digitale Autonomie“ – dabei geht es um die Entwicklung nationaler IT-Industrie und Lösungen für mehr Unabhängigkeit von ausländischen Anbietern und Akteuren. Als Beispiele werden dafür die Europäische Datenschutzgrundverordnung und die Chinesische Cybersicherheitsstrategie von 2016 genannt.

Auch wird in dem Papier kurz auf die Diskussion über Souveränität und völkerrechtliche Regelungen im Bereich der Global Commons Luft, Wasser und Weltraum eingegangen, um Parallelen zur Verrechtlichung des Cyberraums herzustellen. Obgleich der Cyberspace nationale Gerichtsbarkeiten ähnlich wie der Weltraum oder andere Global Commons überschreite, sei er keine natürliche Ressource, sondern beruhe auf Infrastruktur, die von privaten Akteuren zur Verfügung gestellt wird. Die Diskussion darüber, ob der Cyberspace ein Global Common darstelle, sei somit noch nicht abgeschlossen. Die Diskussionen um die Anwendbarkeit des Völkerrechts in akademischen Analysen und im Rahmen von Formaten wie der UNGGE könnten dazu beitragen, dass zu gegebener Zeit ein rechtsverbindlicher Vertrag zur Festschreibung von Praktiken im Cyberspace entwickelt werde.

Das CSS-Papier definiert „Cybersouveränität“ aus völkerrechtlicher Sicht und trägt zur Untersuchung der nationalen Cybersicherheitsstrategien bei. Das gewählte Konzept scheint jedoch in den Strategien der untersuchten Länder wenig Verbreitung gefunden zu haben, weswegen das Papier neben der kurzen empirischen Untersuchung auch auf weitere akademische Diskussionen eingeht. Leider konnten einige Aspekte, insbesondere zu Attributionsfragen und zur Frage, ob eine Cyberattacke Gewaltanwendung entspräche, aufgrund des geringen Umfangs des Papiers nur angerissen werden. Folglich ermöglicht das Papier keine grundlegend neuen Einsichten zur Debatte über völkerrechtliche Rechte und Pflichten im Cyberraum, dennoch trägt es zur empirischen Untersuchung des Konzepts „Cybersouveränität“ bei.

http://www.css.ethz.ch/publikationen/risk-and-resilience-reports/details.html?id=/c/y/b/e/cyber_sovereignty

Published Online: 2019-04-09
Published in Print: 2019-04-05

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Chinas schleichende Annexion im Südchinesischen Meer – die strategischen Hintergründe
  6. Neue Perspektiven in Nahost – Wie Chinas Initiativen politische Verhältnisse in der Region grundlegend verändern
  7. Der Islamische Staat und die Strategie des führerlosen Widerstands
  8. Domänenübergreifende Abschreckung – eine neue Herausforderung westlicher Sicherheitspolitik
  9. Analysen und Berichte
  10. Die Zwischenwahlen in den USA vom November 2018 – eine Trendwende in der amerikanischen Politik?
  11. Wer wird das kriegsgeschundene Syrien wiederaufbauen? China könnte ein Kandidat sein
  12. Strategische Kommentare
  13. Herausforderungen und Chancen für Europa in Ostasien
  14. USA und China: Die Wahl zwischen Konflikt und Kooperation
  15. Ergebnisse strategischer Studien
  16. Rüstungsdynamik in Asien
  17. Anthony H. Cordesman: China and the New Strategic Nuclear Arms Race: The Forces Driving the Creation of New Chinese Nuclear Delivery Systems, Nuclear Weapons, and Strategy. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  18. Scott W. Harold: Defeat, Not Merely Compete. China’s View of Its Military Aerospace Goals and Requirements in Relation to the United States. Santa Monica, Cal.: Rand Corp., November 2018.
  19. Gaurav Sharma/Marc Finaud: The South Asian Nuclear Posture: A Vicious Nuclear Arms Race. Genf: Geneva Centre for Security Policy, 2018.
  20. Westliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik
  21. Douglas Barrie/Ben Barry/Henry Boyd/Marie-Louise Chagnaud/Nick Childs/Bastian Giegerich/Christian Mölling/Torben Schütz: Protecting Europe: Meeting the EU’s military level of ambition in the context of Brexit. Berlin/London: DGAP/IISS November 2018.
  22. Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk/Lauren M. Speranza: NATO Priorities after the Brussels Summit. Washington, D.C.: Atlantic Council, Dezember 2018.
  23. Michael J. Mazarr/Arthur Chan/Alyssa Demus/Bryan Frederick/Alireza Nader/Stephanie Pezard/Julia A. Thompson/Elina Treyger: What Deters and Why. Exploring Requirements for Effective Deterrence of Interstate Aggression. Santa Monica: Rand Corp. November 2018.
  24. Nathalie Tocci: The Demise of the International Liberal Order and the Future of the European Project. Rom: Istituto affari internazionale (IAI), Oktober 2018.
  25. Russland
  26. Philip N. Howard/Bharath Ganesh/Dimitra Liotsiou/John Kelly/Camille François: The IRA, Social Media and Political Polarization in the United States, 2012–2018. Oxford: Oxford University Project on Computational Propaganda, Working Paper, 2018.
  27. Flemming Splidsboel Hansen/Robert van der Noordaa/Øystein Bogen/Henrik Sundbom: The Kremlin’s Trojan Horses. Russian Influence in Denmark, The Netherlands, Norway, and Sweden. Washington, D.C.: Atlantic Council, Dezember 2018.
  28. Anton Lavrov: Russian Military Reforms from Georgia to Syria. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  29. Terrorismus und Extremismus
  30. Seth G. Jones/Charles Vallee/Danika Newlee/Nicholas Harrington/Clayton Sharb/Hannah Byrne: The Evolution of the Salafi-Jihadist Threat. Current and Future Challenges from the Islamic State, Al-Qaeda, and Other Groups. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  31. Maxwell B. Markusen: The Islamic State and the Persistent Threat of Extremism in Iraq. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  32. Iran and Shi’ite Terrorism Desk: The Revolutionary Guards, Past, Present and Directions for Future Development. Herzliya: International Institute for Counter-Terrorism, November 2018.
  33. Buchbesprechungen
  34. Beyza Unal/Patricia Lewis: Cybersecurity of Nuclear Weapons Systems: Threats, Vulnerabilities and Consequences, London: The Royal Institute of International Affairs, Januar 2018.
  35. Marie Baezner/Patrice Robin: Cyber sovereignty, Cyberdefense Trend Analysis. Zürich: Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich, 2018.
  36. Buchbesprechungen
  37. Wolfgang Ischinger: Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten, Berlin: ECON-Verlag 2018, 304 Seiten, 24,00€
  38. International Institute for Strategic Studies (IISS): Strategic Survey 2018. The Annual Assessment of Geopolitics. London: Taylor & Francis 2018, 432 S. 75.00 £
  39. Michael Lüders: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München: C.H. Beck Verlag 2018, 265. Seiten, €14,95.
  40. Pierre Vandier: La dissuasion au troisième âge nucléaire. Paris: Éditions du Rocher, 2018, 106 Seiten, 10,90 €
  41. Paul Scharre: Army of None: Autonomous Weapons and the Future of War, London: W.W. Norton 2018. 448 Seiten, €24,99
  42. Bildnachweise
Heruntergeladen am 7.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2019-1024/html
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