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Editorial

Veröffentlicht/Copyright: 9. April 2019

China wird mehr und mehr nicht nur als wirtschaftlicher, sondern auch als ein politischer und militärischer Herausforderer des Westens wahrgenommen. Was das im konkreten Einzelfall bedeutet, wird im deutschsprachigen Raum zumeist nur am Rande diskutiert oder verschwimmt in allgemeinen Ermahnungen oder düsteren Ahnungen. Besonders die One-Belt-One-Road Initiative (OBOR) Beijings ist Gegenstand vieler Spekulationen und zum Teil weitgehender Erwartungen und Ängste. In Asien hingegen wird vor allem wahrgenommen, mit welcher Energie und Risikobereitschaft die politische Führung in China sich dran macht das internationale Meer der Südchinesischen See durch Aufschüttung und Befestigung von Riffen und unbewohnten Atollen zu annektieren und wie sehr dabei militärische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen.

Das vorliegende Heft widmet sich schwerpunktmäßig der chinesischen Herausforderung, wobei einige ausgewählte und herausragende Fragen aufgegriffen werden, bzw. über interessante Forschungsprojekte berichtet wird. An erster Stelle steht der Beitrag von Sarah Kirchberger und Patrick O’Keefe. Der Artikel reflektiert die Ergebnisse eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, in dessen Rahmen die Verfasser der Frage nachgegangen sind, welche strategischen Beweggründe die Volksrepublik China veranlasst haben, große Teile der südchinesischen See zu annektieren und damit das Völkerrecht massiv zu verletzen. Sie testen unterschiedliche Hypothesen und gelangen am Ende zu der Schlussfolgerung, dass hinter der chinesischen Politik eine ambitionierte weltpolitische Agenda steht, die ohne Rücksicht auf internationale Bedenken durchgezogen wird. Die Südchinesische See wird offensichtlich zu einer maritimen Bastion für die derzeit in Bau befindliche nuklearstrategische Unterseeboot-Flotte Chinas ausgebaut, die auf der südchinesischen Insel Hainan ihren Heimathafen hat und gleichzeitig soll damit auch der neue Weltraumbahnhof auf der Insel geschützt werden.

Der Beitrag von Stefan Lukas setzt sich mit den Initiativen Chinas im Nahen und vor allem im Mittleren Osten auseinander und fragt nach deren Umsetzung und den dabei offenkundig werdenden Problemen. Vor allem die OBOR Initiative stellt China vor enorme Herausforderungen, die nicht nur technischer, finanzieller und infrastruktureller Natur sind, sondern die auch erkennen lassen, dass China im Zuge seines strategischen Vorrückens viele regionale Konflikte und Probleme erbt. Der Kurzbeitrag von Jacob Rosen-Koenigsbuch geht auf eine Frage ein, die sich derzeit viele Beobachter im Nahen Osten stellen: wird China das bestehende Vakuum in Syrien nutzen, um sich dort als Macht des Wiederaufbaus zu etablieren? Russland und der Iran sind dazu nicht in der Lage, der Westen will das Regime Assad nicht stabilisieren – da bleibt eigentlich nur noch China.

Dem Thema China widmen sich auch zwei strategische Kommentare – einer aus deutscher Sicht und einer aus amerikanischer Sicht. Während der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, betont wie wichtig es für Europäer sei die strategische Herausforderung Seitens Chinas endlich in ihrer Vieldimensionalität zu verstehen und darauf zu reagieren, schlägt Anthony Cordesman vom CSIS andere Töne an. Die US-Administration sei dabei in ihrer Politik gegenüber China zu sehr auf Konfrontation zu setzen. Dadurch würden beide Seiten geradezu spiegelbildlich die Betonung mehr und mehr auf einseitige Gewinne und auf militärische Eindämmung der jeweils anderen Seite setzen. Cordesman sieht Ähnlichkeiten mit der deutsch-britischen Rivalität in den drei Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und mahnt davor die gleichen Fehler zu begehen, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Verrohung der internationalen Beziehungen geführt hätten. Der Beitrag von Cordesman wird ergänzt durch die Besprechung seiner gerade beim CSIS erschienenen Studie über China und das neue strategische Wettrüsten. Ebenfalls wird eine Studie der RAND Corporation zu den Ambitionen und Plänen der chinesischen Rüstung im Bereich der Luftstreitkräfte besprochen.

Die weiteren Beiträge dieses Heftes befassen sich mit anderen Themen. Der Aufsatz von Ulff Brüggeman zur Strategie des „Islamischen Staates“ vertritt die These, dass sich der IS gegenüber dem Westen an Konzepte der Strategie des führerlosen Widerstandes orientiert habe und damit gescheitert sei. Der Autor eröffnet damit eine interessante Debatte zu den strategischen Überlegungen auf Seiten terroristischer Organisationen.

Der Aufsatz von Charles King Mallory IV knüpft an frühere Aufsätze in dieser Zeitschrift an, die sich mit dem Thema Abschreckung unter den heutigen Bedingungen befassen. Sein Artikel stellt einen Beitrag zur theoretischen Auseinandersetzung mit der Frage dar, wie man sich Abschreckung vorstellen muss, die zwischen unterschiedlichen Domänen changiert, und welche allgemeinen Regeln und Erfordernissen eine kluge Abschreckungspolitik beachten muss.

Die Kurzanalyse von Joachim Krause nimmt das Ergebnis der Zwischenwahlen in den USA in den Blick und fragt nach den Aussichten für die kombinierten Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November 2020. Derzeit sehen die Aussichten nicht gut aus für eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump, aber ein Sieg der Demokraten ist alles andere als sicher.

Auch in diesem Heft der Zeitschrift SIRIUS werden Studien aus der Welt der Thinktanks vorgestellt. Schwerpunkte sind dieses Mal westliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Russland, Terrorismus und Extremismus sowie Cyber-Sicherheit. Bei den Buchbesprechungen stehen zwei umfassendere Analysen im Vordergrund: zum einen Wolfgang Ischingers pessimistische Analyse der internationalen Entwicklung sowie der Strategic Survey des IISS vom Herbst Jahr 2018. Letzterer übertrifft noch die Analyse Ischingers in Sachen Pessimismus. Das IISS führt den neuen Begriff des „tolerance war“ ein, womit gemeint ist, dass dem Westen feindlich gesonnene Staaten dazu tendieren die Grenzen militärischer Risiken immer weiter auszutesten.

Remko Leemhuis legt eine scharfsinnige Kritik des Buches „Armageddon im Orient“ von Michael Lüders vor und Jeronimo L.S. Barbin macht die Leser mit einem interessanten französischen Beitrag zur Abschreckungsdiskussion vertraut (Pierre Vandier). Zum Abschluss folgt eine Besprechung des derzeit besten Buches zu autonomen Waffensystemen (Paul Scharre: Army of None) durch Niklas Schörnig.

Die Herausgeber

Published Online: 2019-04-09
Published in Print: 2019-04-05

© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Chinas schleichende Annexion im Südchinesischen Meer – die strategischen Hintergründe
  6. Neue Perspektiven in Nahost – Wie Chinas Initiativen politische Verhältnisse in der Region grundlegend verändern
  7. Der Islamische Staat und die Strategie des führerlosen Widerstands
  8. Domänenübergreifende Abschreckung – eine neue Herausforderung westlicher Sicherheitspolitik
  9. Analysen und Berichte
  10. Die Zwischenwahlen in den USA vom November 2018 – eine Trendwende in der amerikanischen Politik?
  11. Wer wird das kriegsgeschundene Syrien wiederaufbauen? China könnte ein Kandidat sein
  12. Strategische Kommentare
  13. Herausforderungen und Chancen für Europa in Ostasien
  14. USA und China: Die Wahl zwischen Konflikt und Kooperation
  15. Ergebnisse strategischer Studien
  16. Rüstungsdynamik in Asien
  17. Anthony H. Cordesman: China and the New Strategic Nuclear Arms Race: The Forces Driving the Creation of New Chinese Nuclear Delivery Systems, Nuclear Weapons, and Strategy. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  18. Scott W. Harold: Defeat, Not Merely Compete. China’s View of Its Military Aerospace Goals and Requirements in Relation to the United States. Santa Monica, Cal.: Rand Corp., November 2018.
  19. Gaurav Sharma/Marc Finaud: The South Asian Nuclear Posture: A Vicious Nuclear Arms Race. Genf: Geneva Centre for Security Policy, 2018.
  20. Westliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik
  21. Douglas Barrie/Ben Barry/Henry Boyd/Marie-Louise Chagnaud/Nick Childs/Bastian Giegerich/Christian Mölling/Torben Schütz: Protecting Europe: Meeting the EU’s military level of ambition in the context of Brexit. Berlin/London: DGAP/IISS November 2018.
  22. Franklin D. Kramer/Hans Binnendijk/Lauren M. Speranza: NATO Priorities after the Brussels Summit. Washington, D.C.: Atlantic Council, Dezember 2018.
  23. Michael J. Mazarr/Arthur Chan/Alyssa Demus/Bryan Frederick/Alireza Nader/Stephanie Pezard/Julia A. Thompson/Elina Treyger: What Deters and Why. Exploring Requirements for Effective Deterrence of Interstate Aggression. Santa Monica: Rand Corp. November 2018.
  24. Nathalie Tocci: The Demise of the International Liberal Order and the Future of the European Project. Rom: Istituto affari internazionale (IAI), Oktober 2018.
  25. Russland
  26. Philip N. Howard/Bharath Ganesh/Dimitra Liotsiou/John Kelly/Camille François: The IRA, Social Media and Political Polarization in the United States, 2012–2018. Oxford: Oxford University Project on Computational Propaganda, Working Paper, 2018.
  27. Flemming Splidsboel Hansen/Robert van der Noordaa/Øystein Bogen/Henrik Sundbom: The Kremlin’s Trojan Horses. Russian Influence in Denmark, The Netherlands, Norway, and Sweden. Washington, D.C.: Atlantic Council, Dezember 2018.
  28. Anton Lavrov: Russian Military Reforms from Georgia to Syria. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  29. Terrorismus und Extremismus
  30. Seth G. Jones/Charles Vallee/Danika Newlee/Nicholas Harrington/Clayton Sharb/Hannah Byrne: The Evolution of the Salafi-Jihadist Threat. Current and Future Challenges from the Islamic State, Al-Qaeda, and Other Groups. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  31. Maxwell B. Markusen: The Islamic State and the Persistent Threat of Extremism in Iraq. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
  32. Iran and Shi’ite Terrorism Desk: The Revolutionary Guards, Past, Present and Directions for Future Development. Herzliya: International Institute for Counter-Terrorism, November 2018.
  33. Buchbesprechungen
  34. Beyza Unal/Patricia Lewis: Cybersecurity of Nuclear Weapons Systems: Threats, Vulnerabilities and Consequences, London: The Royal Institute of International Affairs, Januar 2018.
  35. Marie Baezner/Patrice Robin: Cyber sovereignty, Cyberdefense Trend Analysis. Zürich: Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich, 2018.
  36. Buchbesprechungen
  37. Wolfgang Ischinger: Welt in Gefahr. Deutschland und Europa in unsicheren Zeiten, Berlin: ECON-Verlag 2018, 304 Seiten, 24,00€
  38. International Institute for Strategic Studies (IISS): Strategic Survey 2018. The Annual Assessment of Geopolitics. London: Taylor & Francis 2018, 432 S. 75.00 £
  39. Michael Lüders: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München: C.H. Beck Verlag 2018, 265. Seiten, €14,95.
  40. Pierre Vandier: La dissuasion au troisième âge nucléaire. Paris: Éditions du Rocher, 2018, 106 Seiten, 10,90 €
  41. Paul Scharre: Army of None: Autonomous Weapons and the Future of War, London: W.W. Norton 2018. 448 Seiten, €24,99
  42. Bildnachweise
Heruntergeladen am 7.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2019-1001/html
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