Anthony H. Cordesman: China and the New Strategic Nuclear Arms Race: The Forces Driving the Creation of New Chinese Nuclear Delivery Systems, Nuclear Weapons, and Strategy. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, November 2018.
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Cordesman Anthony H. China and the New Strategic Nuclear Arms Race: The Forces Driving the Creation of New Chinese Nuclear Delivery Systems, Nuclear Weapons, and Strategy Washington, D.C. Center for Strategic and International Studies November 2018
Die Studie befasst sich mit der Entwicklung von Nuklearstreitkräften und der Nuklearstrategie der Volksrepublik China. Die Thematik sei laut Cordesman von amerikanischen Sicherheits- und Militäranalysten vernachlässigt worden, vor allem aufgrund der großen Aufmerksamkeit, die das Gebaren Chinas im Südchinesischen Meer und der Ausbau seiner Seestreitkräfte auf sich ziehen. Der Autor geht davon aus, die chinesischen Nuklearstreitkräfte würden in den nächsten fünf bis zehn Jahren stark ausgebaut werden und damit einen in den letzten Jahren begonnenen Trend fortsetzen. Perspektivisch weiche somit die bisherige nukleare Bipolarität von USA und Russland einer Tripolarität, die mit einer komplizierteren, da triangulären nuklearstrategischen und nuklearpolitischen Konstellation einhergehe.
Die Beschäftigung mit chinesischen Nuklearwaffen steht vor dem Problem einer sehr spärlichen Datenlage. Die hier vorliegende Studie stützt sich auf öffentlich zugängliches Material in englischer Sprache, erkennt jedoch an, dass dieses große Lücken erkennen lässt. Der Mangel an genauer und verlässlicher Information spiegelt sich in häufig verwendeten Wendungen wie „it seems“, „there might be“, „may or may not“ etc.
Im ersten Abschnitt zeichnet der Autor die Entwicklung der chinesischen Nuklearwaffenpolitik nach. Das chinesische Atomprogramm gehe wahrscheinlich auf die Zeit des Korea-Krieges (1950–53) zurück, in dessen Verlauf die US-Militärführung die nukleare Option zumindest in Betracht zog. Im Oktober 1964 unternahm die Volksrepublik ihren ersten Atomtest durch Kernspaltung, dem im Juni 1967 die erste thermonukleare Explosion folgte. In den fünfziger und den frühen sechziger Jahren sah Maos China die USA als die größte militärische Bedrohung an. Ohne erhebliche sowjetische Unterstützung wären die Anfänge des chinesischen Atomprogramms kaum möglich gewesen, doch im Zuge des sich rasch verschlechternden sino-sowjetischen Verhältnisses endete die technische Hilfe aus Moskau schon 1959/60. Ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nahm Peking die Sowjetunion als größte äußere Gefahr für die Volksrepublik wahr. Spätestens mit dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 habe sich dieses Problem erledigt und die Rolle der nuklearen Abschreckung verlor vorübergehend an Bedeutung. Wie auch Frankreich trat China erst im Jahr 1992 dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen bei.
Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der strategischen Konstellation des nuklearen Mächtedreiecks aus Washington, Moskau und Peking. Trotz der relativen Abwesenheit von harter Großmächterivalität in den 1990er und den 2000er Jahren hörte der nukleare Wettlauf nie ganz auf. Ungeachtet der Reduktion ihrer Gesamtbestände arbeiteten die USA und Russland stets an einer weiteren Modernisierung der eigenen Nuklearwaffen und an der Treffgenauigkeit ihrer Trägersysteme. Die amerikanisch-russischen Bemühungen um eine bilaterale nukleare Abrüstung kamen spätestens 2014 bis auf weiteres zum Erliegen. Auf diese Veränderung des nuklearstrategischen Umfeldes muss Peking sich nolens volens einstellen, zumal China gegenwärtig noch weit vom Status einer nuklearen Supermacht entfernt ist. Das chinesische Arsenal liegt mit geschätzten 280 nuklearen Sprengköpfen deutlich unter demjenigen der USA, die etwa 6.550 nukleare Sprengköpfe mit unterschiedlichem Status und unterschiedlichen Graden an Einsatzbereitschaft vorhalten, und Russland, das über insgesamt etwa 6.850 nukleare Sprengköpfe verfügt. Die heutigen chinesischen Bestände liegen näher am Arsenal Frankreichs oder Großbritanniens, die 300 bzw. 215 Sprengköpfe besitzen. Laut Cordesman sei es aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich, dass die chinesische Regierung bei ihrer nuklearen Aufrüstung versuchen werde, amerikanische oder russische Dimensionen zu erreichen. Die chinesische Strategie ziele bislang nicht auf nukleare Überlegenheit (oder zumindest Parität) oder auf die Fähigkeit zur Eskalationsdominanz in einer nuklearen Krise ab, sondern nur auf die gesicherte nukleare Zweitschlagfähigkeit, also die glaubwürdige Drohung, nach einem erlittenen nuklearen Erstschlag der gegnerischen Seite durch sogenannte countervalue attacks einen nicht-akzeptablen Schaden zuzufügen. Peking bekennt sich zu einer „No First Use Policy“, hat also angekündigt, Atomwaffen erst und nur dann einzusetzen, wenn sie von der Gegenseite eingesetzt wurden. Laut der Studie beginne die Volksbefreiungsarmee erst in der Gegenwart mit dem Aufbau einer voll funktionsfähigen nuklearen Triade aus strategischen U-Booten, strategischen Langstreckenbombern und landbasierten Interkontinentalraketen (S. 22, 48–49). Bestandteil der chinesischen Militärplanung ist ein sehr weit ausgedehntes Netz von unterirdischen Militäreinrichtungen, das Schutz gegen feindliche Atomschläge gewährleisten soll (S. 60).
In seiner Schlussbetrachtung prognostiziert der Autor einen sich verschärfenden nuklearen Wettbewerb zwischen den USA, Russland und China. Nuklearstrategie und -doktrin einer Macht könnten nicht isoliert, sondern nur interaktiv verstanden werden: Alle drei großen Nuklearmächte müssten das Verhalten der jeweils anderen beiden in die eigene Strategie und Doktrin einbeziehen. Bei der Bezeichnung Chinas als entstehende „dritte Supermacht“ (S. 67) setzt der Autor anscheinend voraus, dass sich dieser Status aus der Zahl der Nuklearwaffen und ihrer Trägersysteme ergibt. Jenseits der Nuklearwaffen wäre es jedenfalls erstaunlich, Putins Russland als „zweite Supermacht“ neben den USA anzusehen.
Abschließend noch zwei Monita: Zum einen trüben mehrere Ungenauigkeiten den Gesamteindruck. So spricht der Autor z.B. für die Zeit des Kalten Krieges hartnäckig von „Russland“ oder „Former Soviet Union“, wo einzig „Sowjetunion“ die angemessene Bezeichnung wäre; die US-Truppen zogen 1973 aus Südvietnam ab, nicht 1968 (S. 6); eine russische Invasion fand 2014 in der Ostukraine statt, nicht in der Westukraine (S. 9); die Bezeichnung IRBM Treaty für den INF Treaty (S. 67) ist nicht üblich. Zum anderen beeinträchtigen die sehr ausführlichen, teils mehrere Seiten langen Zitate aus andernorts publiziertem Material den Originalitätswert und die Lesbarkeit der Untersuchung. Vor allem in der ersten Hälfte liest sie sich eher wie eine Textcollage denn als konsistente Studie. Erst auf den letzten Seiten entwickelt der Text ein eigenes Profil.
https://www.csis.org/analysis/china-and-new-strategic-nuclear-arms-race
© 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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