Startseite Davidis, Michael: Schiller und die Seinen. Beiträge zur Familien- und Wirkungsgeschichte. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 262 S., 96 farbige Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-8353-3578-3, 34,90 €
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Davidis, Michael: Schiller und die Seinen. Beiträge zur Familien- und Wirkungsgeschichte. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 262 S., 96 farbige Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-8353-3578-3, 34,90 €

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Veröffentlicht/Copyright: 7. April 2022

Rezensierte Publikation:

Davidis, Michael: Schiller und die Seinen. Beiträge zur Familien- und Wirkungsgeschichte. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 262 S., 96 farbige Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-8353-3578-3, 34,90 €


Jan Eike Dunkhase hat in seinem im Frühjahr 2021 erschienenen Buch Provinz der Moderne eindrucksvoll beschrieben, „wie das Deutsche Literaturarchiv in Marbach zu dem, was es ist, geworden ist“.[1] Mit der „Allzuständigkeit“ für das Gesamtgebiet der deutschen Literatur ist aber nicht vergessen worden, dass sein Ursprung im Schiller-Nationalmuseum liegt. Seinem „Heros eponymos“, der quasi der Zellkern der Institution war, sind auch weiterhin aus seinen Sammlungen hervorgehende Publikationen gewidmet. Exemplarisch sei an Georg Günthers monumentale Bibliografie zu Schillers musikalischer Wirkungsgeschichte erinnert.[2]

Michael Davidis greift auf einen speziellen Teil der Bestände zurück. Der Historiker und Buchwissenschaftler war nahezu ein Vierteljahrhundert für die Kunstsammlungen, die Photographische Sammlung, die Musiksammlung (insofern ergibt sich eine Verbindung zur Veröffentlichung Georg Günthers) und die Sammlung historischer Sachzeugnisse zuständig. Er hat zusätzlich zu seinen wissenschaftlichen Aufgaben und den damit verbundenen Publikationen durch eine umfangreiche Vortragstätigkeit – sit venia verbo – zur Popularisierung für ein breites Publikum beigetragen.

Das Buch ist ein Sammelband von 12 Beiträgen, von denen 9 zwischen 2005 und 2019 als Vorträge gehalten wurden. Sie sind als Erstdrucke in verschiedenen Periodika oder Reihen veröffentlicht worden. Schauplätze der Veranstaltungen waren neben Marbach und Cleversulzbach überwiegend Schillerstätten wie Jena, Rudolstadt und Meiningen, aber auch die Ludwig-Maximilian-Universität München. Thematisch lassen sie sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Die Familie: der Vater Johann Caspar Schiller, die Mutter Elisabeth Dorothea Kodweiß, die Schwester Christophine verehelichte Reinwald, die Tochter Emilie verehelichte Gleichen-Rußwurm, welche die Familie bis ins 20. Jahrhundert fortsetzt.

  2. Die Künstler: die Porträtistin der Familie Ludovike Simanowiz, Luise Duttenhofer, berühmt durch ihre Scherenschnitte, Johann Heinrich Dannecker, der Schöpfer der kolossalen Schillerbüste von 1805 und Bertel Thorwaldsen, Schöpfer des ersten großen deutschen, durch eine Spendensammlung finanzierten Dichterdenkmals in Stuttgart 1839.

  3. Weitere Persönlichkeiten mit Schiller-Bezug: König Ludwig I. von Bayern, der Marbacher Bürgermeister Traugott Hoffmann.

  4. Sonstige Themen: Schiller-Vertonungen, Schiller-Ikonografie, Schiller-Ausstellungen.

Da die Beiträge als Erstdrucke in verschiedenen Publikationen nicht ohne Aufwand nachzulesen wären, ist es zu begrüßen, dass sie Davidis frei nach Prinz Eugen von Savoyen zu einem „Totum“ vereinigt hat.[3] Im Gesamtzusammenhang gewinnen auch seine grundlegenden Überlegungen, etwa über Entmythologisierung (S. 31), zur Problematik der Interpretierung von Porträts (S. 78) oder über den Zusammenhang von Zeitgeist und Schillerausstellungen (S. 231 ff.) neues Gewicht. Es ist auch nicht ohne Reiz, einige Quellen im Originalwortlaut nachlesen zu können, wie zum Beispiel das Gesprächsprotokoll, das die jüngste Tochter Schillers, Emilie von Gleichen-Russwurm, nach einem Besuch König Ludwigs I. von Bayern 1858 niedergeschrieben hat. Gleiches gilt für die diplomatisch getreue Wiedergabe des Rechenschaftsberichts von Traugott Haffner, dem Bürgermeister von Marbach, Mitinitiator von Schiller-Verein und Schiller-Museum, anlässlich des 60-jährigen Bestehens des Vereins 1895. Eher kurios, vielleicht sogar tragisch sind die biografischen Einzelheiten über den letzten Nachkommen Schillers, Alexander von Gleichen-Russwurm (1865–1947), der die fixe Idee hatte, „von Schiller nicht nur die äußere Erscheinung, sondern auch die literarische Begabung geerbt zu haben“. Er machte sich als „Mäusebaron“ nicht nur strafbar, sondern auch gesellschaftlich unmöglich. Die Geschichte seines dilettantischen Betrugsversuchs ist sogar in das 39. Kapitel von Thomas Manns „Doktor Faustus“ eingegangen.

Davidis betont ausdrücklich, dass es ihm nicht um Schiller-Philologie geht. Er versteht seine Arbeiten als Beiträge zur Biografik, Ikonografie und Realienkunde. Im Gegensatz zu Goethe, so erfährt man, habe sich die Schillerforschung „noch kaum mit den bildlichen und gegenständlichen Quellen befasst“. Es ist ihm ein Anliegen, „deutlich zu machen, dass für die Beantwortung bestimmter Fragen Bild- und Sachzeugnisse mindestens ebenso aufschlussreich sein können wie Schriftdokumente“. So versteht es sich von selbst, dass das Buch mit 96 farbigen Illustrationen nicht nur reich, sondern auch in hervorragender Qualität ausgestattet ist. Darunter finden sich nicht wenige historische Photografien, die bis 1860 zurückreichen. Bemerkenswert ist die Wiedergabe der bekanntesten Porträts des Dichters, zum Beispiel von den bereits genannten Ludovike Simanowiz und Johann Heinrich Dannecker, von Friedrich August Tischbein, Anton Graff, Gerhard von Kügelgen und Johanna Stock. Hinsichtlich des Umfangs des Materials findet Davidis die hübsche Formulierung „Der Hausrat des Hofrats birgt noch manches Geheimnis“. Das müssen allerdings nicht wie im Marbacher Museum die Strümpfe oder die Weste des Dichters sein.

Jeder Beitrag – die Texte wurden für die Neuveröffentlichung bearbeitet – schließt mit einem Literatur-, teilweise auch Quellen- und Literaturverzeichnis. Im Anhang findet sich eine Stammtafel „Schillers Vorfahren, Geschwister und Nachkommen“, ferner eine Tafel, welche die „Die Überlieferung von Bildern und Gegenständen Schillers und seiner Familie“ übersichtlich darstellt. Zuletzt sei noch das Personenregister erwähnt.

In summa ergeben die Beiträge so etwas wie eine Familiengeschichte in nuce. Bei einigen Texten finden sich bei den biografischen Details über die Familie Überschneidungen, die allerdings, um den Zusammenhang zu wahren, wohl nötig gewesen sind und nicht überarbeitet werden sollten. Das „breite Publikum“, für das Davidis sie zusammengestellt hat, wird es begrüßen, dass sie flüssig zu lesen sind. Dazu kommt noch die ansprechende Gestaltung. Das Buch wird auf das Interesse der „Stammgäste“ des Schiller-Nationalmuseums stoßen, andere vielleicht zu einem Besuch in Marbach anregen und bei einem jüngeren, literaturaffinen Publikum hoffentlich sogar zu einer weiteren Beschäftigung mit dem Dichter führen.

Online erschienen: 2022-04-07
Erschienen im Druck: 2022-04-30

© 2022 Peter Vodosek, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Inhaltsfahne
  4. Editorial
  5. Editorial: Bibliotheken zwischen Forschung und Praxis
  6. Zukunftsgestalter in Bibliotheken 2021
  7. BibToGo – Der Digitale Bibliotheksausweis des Goethe-Instituts
  8. Mit den FakeHuntern auf der Suche nach der Wahrheit – das Planspiel der Büchereizentrale Schleswig-Holstein bringt Schulen und Bibliotheken im Kampf gegen Fake News zusammen
  9. Bibliotheca Somnia – die digitale Zaubererschule der Stadtbibliothek Weinheim
  10. Beyond Psssst! Der Film der ZHAW Hochschulbibliothek
  11. Digitale Jugendliteraturjury Gerolzhofen: ein Projektinterview
  12. Auf Tour mit dem BiboBike
  13. „Informationsvermittlung kooperativ“ an der Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden
  14. Was passierte, als wir uns begegneten
  15. Das LibraryLab in der Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf – vom Prototyp zum etablierten Angebot
  16. Diversität in Bibliotheken
  17. Professional Pathways: Strategies to Increase Workforce Diversity in the Australian Library and Information Sector
  18. Selbstverständlich vielfältig. Aus einem internen Diversity-Schulungsprozess entsteht eine Aktionsreihe zur Diversität in Kinderbüchern
  19. Diversitätsorientierte Öffnung in Öffentlichen Bibliotheken am Beispiel der Bücherhallen Hamburg
  20. Diversity-Anforderungen an das Bibliotheksmanagement im berufsbegleitenden Studium
  21. Wir sind ein Land mit Migrationshintergrund
  22. Citizen Science an der Zentralbibliothek Zürich. Ein Praxisbericht
  23. Auskunftsdienst in Bibliotheken
  24. Improvisationstheater Auskunft
  25. Stereotypen und Vorurteile – facettenreiche Elemente der interkulturellen Kommunikation im Auskunftsinterview
  26. Webformulare zweier Verbünde in der virtuellen Auskunft
  27. Beschwerdemanagement in Öffentlichen Bibliotheken
  28. Kompetenzen von Bibliothekar*innen im Auskunftsgespräch mit Grundschulkindern
  29. Mystery Shopping in der Chatauskunft: Entwicklung eines Kriterienkatalogs
  30. Rahmenbedingungen der digitalen Auskunft in den russischen Bibliotheken der Gegenwart
  31. Weitere Beiträge
  32. Personal Digital Archiving: Eine neue Aufgabe für Öffentliche und Wissenschaftliche Bibliotheken
  33. Ethik im Aufwind! Auch in Bibliotheken?
  34. Digital. Persönlich. Weiter – Veränderungen in der bibliothekarischen Weiterbildung seit 2016
  35. Podcasting für Bibliotheken – Hintergründe und Bericht zum Universitätslehrgangs-Abschlussprojekt „Research Library Podcast“ der Universitätsbibliothek Wien
  36. Organisations-IDs in Deutschland – Ergebnisse einer Bestandsaufnahme im Jahr 2020
  37. Worüber schreiben LIS-Studierende ihre Abschlussarbeiten? Eine empirische Untersuchung der Jahre 2010–2019
  38. Mit Machine Learning auf der Suche nach Provenienzen – ein Use Case der Bildklassifikation an der Österreichischen Nationalbibliothek
  39. Rezensionen
  40. Hermann Rösch: Informationsethik und Bibliotheksethik. Grundlagen und Praxis. Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2021 (Bibliotheks- und Informationspraxis: 68). XVI + 584 S., 10 Tabellen. ISBN 978-3-11-051959-4, 69,95 €
  41. Howell, David; Snijders, Ludo: Conservation Research in Libraries. Mit Beiträgen von Andrew Beeby, Kelly Domoney und Anita Quye. Berlin, Boston: De Gruyter, 2020 (Current Topics in Library and Information Practice). 247 S., ISBN 978-3-11-037525-1, 99,95 €
  42. Davidis, Michael: Schiller und die Seinen. Beiträge zur Familien- und Wirkungsgeschichte. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 262 S., 96 farbige Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-8353-3578-3, 34,90 €
  43. Canuel, Robin; Crichton, Chad (Hrsg.): Approaches to Liaison Librarianship: Innovations in Organization and Engagement. Chicago, Ill: Association of College and Research Libraries, 2021.
Heruntergeladen am 14.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2021-0083/html
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