Home Howell, David; Snijders, Ludo: Conservation Research in Libraries. Mit Beiträgen von Andrew Beeby, Kelly Domoney und Anita Quye. Berlin, Boston: De Gruyter, 2020 (Current Topics in Library and Information Practice). 247 S., ISBN 978-3-11-037525-1, 99,95 €
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Howell, David; Snijders, Ludo: Conservation Research in Libraries. Mit Beiträgen von Andrew Beeby, Kelly Domoney und Anita Quye. Berlin, Boston: De Gruyter, 2020 (Current Topics in Library and Information Practice). 247 S., ISBN 978-3-11-037525-1, 99,95 €

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Published/Copyright: April 7, 2022

Rezensierte Publikation:

Howell, David; Snijders, Ludo: Conservation Research in Libraries. Mit Beiträgen von Andrew Beeby, Kelly Domoney und Anita Quye. Berlin, Boston: De Gruyter, 2020 (Current Topics in Library and Information Practice). 247 S., ISBN 978-3-11-037525-1, 99,95 €


Um diesem Buch gerecht zu werden, muss zunächst ein Missverständnis ausgeräumt werden, das der Titel zumindest für das deutsche Publikum erzeugen mag. Das Thema sind nicht Forschungen zu Konservierungstechniken im Sinne neuer Verfahren der Behandlung bibliothekarischen Materials, sondern es geht um bildgebende Verfahren und Analysetechniken zu seiner Untersuchung. Die Konservierung zu planen und zu begleiten, ist ein wichtiger Zweck solcher Untersuchungen. Doch genauso können sie der wissenschaftlichen Auswertung dienen. Die Verfasser wenden sich dann auch in gleichem Maße an Forschende, Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie Restauratorinnen und Restauratoren. Das mag dazu führen, dass jede Profession aus ihrer Sicht Selbstverständliches in sehr detaillierter Ausführung vorfindet. In seinem Charakter als umfassendes Praxishandbuch liegt jedoch der Wert des Bandes. Der Rezensent beurteilt das Werk aus der vermittelnden Sicht der „curators“, also der Fachverantwortlichen nicht allein in Bibliotheken, sondern auch in Archiven und anderen Einrichtungen, die Kulturerbe auf materiellen Schriftträgern verwahren.

Der Erstautor David Howell leitet an der Oxforder Bodleiana das Fachgebiet Heritage Science. Sein vorliegendes Buch – in eigenen Worten ein „long requested work“ (S. 1) – zieht eine Summe aus langjähriger praktischer Erfahrung in der Anwendung der beschriebenen Technologien. Die beigebrachten Beispiele und spezifischen Anordnungen von Material und Apparaten stammen darum meist aus Oxford. Neben Howell und Snijders haben weitere Spezialistinnen und Spezialisten zu einzelnen Kapiteln beigetragen. Daraus resultiert eine von Expertise gesättigte Praxisnähe, die dem Publikum auf jeder Seite entgegentritt. Der Bedarf für dieses Buch ergibt sich zum einen aus neuen Untersuchungsmethoden der letzten Jahrzehnte, zum anderen daraus, dass die Gerätschaften immer kleiner, leistungsfähiger und für eine größere Zahl von Einrichtungen erschwinglich werden. Immer bessere Methoden erfordern freilich immer mehr Knowhow für den Einsatz. Die Autoren betonen mit vollem Recht, dass Technik allein kein Erfolgsgarant ist. Die Untersuchungsmethode muss zur Fragestellung passen und die Ausrüstung sachkundig eingesetzt werden. Hierzu liefert das Buch in der Tat eine Fülle von „best practices“.

Jedes Kapitel ist einer Technologie gewidmet und in vier Abschnitte geteilt: Technischer Hintergrund, Ausrüstung, Anwendung und Fallstricke. Nach diesem Schema werden alte und neue, erprobte und in Entwicklung befindliche Verfahren der Bildgebung und der Materialanalyse behandelt. Howell und Snijders beginnen bei der Mikroskopie einschließlich der Nutzung polarisierten Lichtes, wobei die mittlerweile weitverbreiteten digitalen Geräte, bei denen es sich im Grunde um Makro-Digitalkameras handelt, nur gestreift werden. Hier wird noch nicht die Brücke geschlagen zu dem sehr guten Abschnitt über Digitalfotografie mit natürlichem, infrarotem und ultraviolettem Licht. Detailliert geht es um die vielen Möglichkeiten fehlerhafter Kalibrierung, aber auch um Verfälschungsgefahren bei der Nachbearbeitung und die Probleme der langfristigen Vorhaltung der Bilder, die als Forschungsdaten kuratiert werden müssen. Wenn sauber aufgenommene und bearbeitete Fotos in höchster Auflösung es ermöglichen, für ein altmexikanisches Manuskript aus charakteristischen Lochmustern auf einen verlorenen Einband aus Jaguarfell zu schließen, so eines der Beispiele, beweist dies schlagend den Wert der digitalen Aufrüstung des fachkundigen Auges.

Das Buch führt eindrücklich vor Augen, dass digitale Technologien die Unterscheidung zwischen flächigen Verfahren der Bildgebung und punktueller spektrografischer Materialanalyse verschwimmen lassen. Im Grunde ist alles eine Frage der Wellenlänge und der Aufzeichnungsgeräte. Neben die traditionelle Spektrografie mit ultraviolettem und infrarotem Licht ist in jüngster Zeit das μ-RamanVerfahren getreten, das mit monochromatischem Licht die zerstörungsfreie Untersuchung z. B. einzelner Pigment-Partikel in situ erlaubt. Die Autoren bieten die umfassende Beschreibung einer Referenz-Implementierung zur Untersuchung mexikanischer Handschriften in Oxford, deren Pigmentierungsanalyse es erlaubt, die Entstehungszeit vor oder nach der spanischen Eroberung anzusetzen. Wo solcher Nutzen winkt, sollte die irrationale Furcht vor dem Beschuss von Handschriften mit Lasern – denn darum geht es – zurücktreten, zumal die Verfasser vorrechnen, welche winzigen Energiemengen dabei freigesetzt werden.

Ein zweites Feld, dass sich gegenwärtig schnell entwickelt, ist die Anwendung spektrografischer Methoden auf die flächige Bildgebung, wobei dutzende (Multispectral Imaging) oder hunderte (Hyperspektral Imaging) Bereiche des sichtbaren und sichtbaren elektromagnetischen Spektrums gleichzeitig erfasst werden. Damit werden z. B. der Palimpsest-Forschung neue Möglichkeiten erschlossen. Doch weisen die Verfasser auch auf das Folgeproblem hin, diese riesigen Datenmengen zur Beantwortung von Forschungsfragen nutzbar zu machen. Handschriftenkunde impliziert jetzt also auch den richtigen Umgang mit Statistik-Software. In eine ähnliche Richtung gehen Methoden der Fotogrammmetrie und des 3D-Scans zur Modellbildung körperlicher Objekte oder auch von Handschriften-Fragmenten. Dafür gibt es Laser-Vorrichtungen, es reiche jedoch „normal equipment to make professional photographs and a computer with the right software to process them“ (S. 156). Diese beiden Voraussetzungen passen mittlerweile in die Hosentasche. Die 2020 erschienene Generation des iPhone verfügt sogar über einen Laser-Scanner für räumliche Proportionen (LIDAR).

Das vorliegende Buch wurde 2020 veröffentlicht und erfasst (englischsprachige) Literatur bis 2019; angesichts dieser technischen Entwicklung wird es hinsichtlich der Geräte und ihrer Möglichkeiten unweigerlich rasch veralten. Sein bleibender Wert liegt in den methodischen Hinweisen – teilweise Schritt-für-Schritt-Anleitungen – zur Anwendung der Technik auf fachliche Fragestellungen, die vor allem in den Bereichen der Datierung und Provenienzbestimmung von Handschriften angesiedelt sind. Die ausführlichen Literaturangaben und ein Glossar runden den Wert als Nachschlagewerk ab. Projektverantwortliche werden es für die Arbeitspraxis ebenso häufig zurate ziehen wie Personen in Leitungsfunktionen, die Kosten und Nutzen der Beschaffung neuer Technik abschätzen müssen.

Könnte man sich dieses Werk noch besser wünschen? Vielleicht als Online-Ressource, mit Videos vom Aufbau der Versuchsanordnung statt verbalen Beschreibungen, nutzbaren Links auf die zitierten Referenzdatenbanken und fortgeschriebener Bibliografie, und möglichst im Open Access. Der spezifische Inhalt macht die medialen Nachteile eines gedruckten Buches, dessen Anschaffung mit rund 100 € zu Buche schlägt, doch sichtbar.

Online erschienen: 2022-04-07
Erschienen im Druck: 2022-04-30

© 2022 Holger Berwinkel, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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  42. Davidis, Michael: Schiller und die Seinen. Beiträge zur Familien- und Wirkungsgeschichte. Göttingen: Wallstein Verlag, 2021. 262 S., 96 farbige Abb., fest gebunden. ISBN 978-3-8353-3578-3, 34,90 €
  43. Canuel, Robin; Crichton, Chad (Hrsg.): Approaches to Liaison Librarianship: Innovations in Organization and Engagement. Chicago, Ill: Association of College and Research Libraries, 2021.
Downloaded on 8.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/bfp-2021-0049/html
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