Startseite Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten
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Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten

  • Kai-Uwe Schrogl

    Special Advisor for Political Affairs, European Space Agency (ESA) Paris und Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen

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Veröffentlicht/Copyright: 29. November 2024

Rezensierte Publikation:

Antje Nötzold / Enrico Fels / Andrea Rotter / Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten


Endlich kann nicht mehr lamentiert werden, dass in Deutschland die Analyse der strategischen Bedeutung des Weltraums vernachlässigt wird. Mit dem vorliegenden Sammelband ist dieser Mangel behoben; ein Mangel, der während der letzten Jahre immer spürbarer wurde und eine entschlossene Initiative erforderte. Diese hat das Herausgeberteam mustergültig ergriffen. Sie haben zum einen deutschsprachige, zur Weltraumstrategie und -politik arbeitende Forscher und Praktiker zusammengeführt und zum zweiten daraus eine für die deutsche Literatur grundlegende Analyse zur strategischen und politischen Bedeutung des Weltraums vorgelegt. Dieser fast 900-seitige Sammelband wird auf absehbare Zeit den Standard für diesen Politikbereich darstellen. Lange genug hat es tatsächlich gedauert, bis ein umfassendes deutschsprachiges Werk zur Weltraumstrategie vorgelegt wurde. Die Herausgeber weisen entsprechend auf den Sammelband „Raumfahrt und internationale Politik“ aus dem Jahr 1987 hin, der vom damaligen Forschungsdirektor der DGAP Karl Kaiser und dem vom Bundesforschungsministerium abgeordneten Stephan Freiherr von Welck herausgegeben worden war.

Seitdem gab es kein solches Unterfangen mehr. Zwar wurden immer wieder politikwissenschaftliche Dissertationen zu Weltraumfragen geschrieben und die führenden deutschen Think Tanks (DGAP und SWP) haben sich manchmal mehr, manchmal weniger intensiv mit Einzelfragen der Weltraumpolitik befasst und dabei auch mit dem 2004 eingerichteten European Space Policy Institute (ESPI) kooperiert. Aber die sich stetig entwickelnde deutschsprachige Gemeinschaft in diesem Bereich wurde erst durch das vorliegende Publikationsprojekt aus dem Dornröschenschlag geweckt und konstituiert sich nunmehr erst als richtige Community. Dabei bilden sich drei Knotenpunkte heraus: ein universitärer mit Antje Nötzold an der Universität Chemnitz und ein institutioneller mit dem Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS) durch Enrico Fels und Moritz Brake sowie ein weiterer im Bereich der politischen Stiftungen durch Andrea Rotter. Zusätzlich demonstriert die Liste der Beitragenden zu diesem Sammelband, welche Vielfalt an universitären und außeruniversitären Institutionen (wie insbesondere die BAKS) inzwischen zum Thema Weltraumpolitik tätig ist. Die vier genannten Herausgeber haben mit Ihrem Sammelband die deutschsprachige Analyse beherzt neu konstituiert. Dies wird begleitet durch das Netzwerk Sicherheit und Technologie im Weltraum (SichTRaum). Es hat aber auch schon weitere Kreise gezogen, indem Antje Nötzold das Thema Weltraumpolitik erstmals aus Deutschland in die International Studies Association (ISA) eingebracht hat.

Weshalb ist es wichtig, dass es diesen Sammelband gibt und dass das Augenmerk auf Weltraumpolitik gelenkt wird? Die Herausgeber führen in ihrer Einleitung überzeugend in die Bedeutung der Weltraumnutzung für terrestrische Infrastrukturen und Politikfelder wie Sicherheit, Klimaschutz, Mobilität, Ressourcenmanagement, Konnektivität und viele weitere ein. Dies bringt zahllose Vorteile mit sich, erzeugt aber auch wachsende Abhängigkeit von Raumfahrttechnologien und -anwendungen, die diesen Bereich zu einer eigenen Kritischen Infrastruktur machen. Sie entwickeln daraus die sich manifestierenden Konflikte auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene und untersuchen den sich daraus ableitenden „Wettbewerb“, wie es im Titel genannt wird, in den Dimensionen Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft. Damit ist der klar abgeleitete und strukturierte Analyserahmen gegeben, der mit mehr als 40 Einzelbeiträgen substantiiert wird. Die Herausgeber machen deutlich, dass der Weltraum einerseits ein Eldorado für wirtschaftliche Entwicklung darstellt und zu einem globalen Markt in Höhe von einer Billion Euro pro Jahr bis 2040 führen wird. Andererseits entwickelt sich die sprunghaft anwachsende militärische Nutzung des Weltraums zusammen mit terrestrischen Kriegen (der russische Angriffskrieg auf die Ukraine) und Spannungen (zwischen den USA und China) zu einem Konfliktgemenge, was für viele Beobachter einen kriegerischen Konfliktaustrag im Weltraum in absehbarer Zukunft nicht nur als möglich, sondern sogar als wahrscheinlich erscheinen lässt.

Dies alles wird detailliert im vorliegenden Sammelband aufgearbeitet und zu einer beeindruckenden umfassenden Analyse auf der Höhe der technologischen und politischen Entwicklungen kondensiert. Dabei unterscheidet sich das Buch wohltuend von Produkten der Think Tanks und Beratungsfirmen, die die Politikmachenden inzwischen ein- und zudecken. Auch wenn Praktiker aus nationalen oder europäischen Institutionen Beiträge zu diesem Sammelband beisteuern, so gestalten sie diese in Ansatz und Analyse mit akademischer Herangehensweise und Tiefe. So wird der Anspruch der Reihe „Sicherheit, Strategie und Innovation“ in der dieser Band erscheint und die vom CASSIS herausgegeben wird, exemplarisch erfüllt: ein realistisches, empirisch fundiertes und praxisorientiertes Bild bedeutender Herausforderungen zu zeichnen, welche sowohl für die fachwissenschaftliche Forschung einen Beitrag leistet als auch für Entscheidungsträger insbesondere in sicherheitspolitischen Feldern handlungsinformierende Relevanz entfaltet. Auch wenn der eine oder andere aktuellere Ansatz fehlt (beispielsweise feministische Außenpolitik-Analyse oder das über traditionelle wirtschaftsorientierte Ansätze hinausgehende Public Value Konzept), so bieten die Beiträge einen außerordentlich breiten Fundus an unterschiedlichen disziplinären Herangehensweisen, die die Komplexität des Politikfeldes deutlich machen, gleichzeitig aber auch konkrete Hilfestellungen für die Ausarbeitung eines umfassenden strategischen Denkens und Handelns geben.

Der Sammelband ist dabei in vier Themenfelder gegliedert: eine „Bestandsaufnahme Weltraumaktivitäten“, „Technologien, Trends und geopolitische Konfliktlinien im Weltraum“, „Westliche Reaktionen auf die Bedeutungsverschiebung des Weltraums“ sowie der „Stand der multilateralen Regulierung von Weltraumaktivitäten und Notwendigkeiten der Weiterentwicklung.“ Es kann hier natürlich nicht auf alle fast vierzig Beiträge einzeln hingewiesen werden. Deshalb soll ein jeweils kurzer Blick auf die vier Themenfelder genügen.

Die „Bestandsaufnahme“ besticht insbesondere durch die durchgehend ausgezeichnete Qualität der Länderstudien, ob europäische Staaten, die EU oder die Großmächte im All. Sie zeichnen ein Bild erst langsam erwachenden europäischen Willens, sich als raumfahrtpolitischer Akteur zu verstehen und entsprechend zu positionieren. Sie zeigen aber auch auf, was zur Umsetzung dieses Anspruchs noch fehlt und wie sich Europa im Vergleich mit den anderen Hauptakteuren in Weltraum anstrengen muss, um seine Interessen wahren zu können.

Dies ist das Hauptthema des dritten Teils zu den „westlichen Reaktionen“ auf den Bedeutungsgewinn der Weltraumnutzung. Auch hier werden hervorragende Einblicke in die notwendigen Strategie- und Fähigkeitsentwicklungen geboten, welche einerseits auf Erfahrungen aus dem Kalten Krieg abgeleitet werden und andererseits aus den neuen sicherheitspolitischen und militärischen Nutzungen des Weltraums entwickelt werden.

Zwischengeschoben ist der zweite Teil zu „Technologien, Trends und geopolitische Konfliktlinien.“ In diesem umfangreichen Teil werden insbesondere sicherheitsrelevante Aspekte beleuchtet, von der Resilienz über die Cyber-Sicherheit bis hin zur Kriegführung im Erdorbit und auf dem Mond. Inmitten dieser Szenarien der Versicherheitlichung des Weltraums bildet sich das Gegenstück der dynamischen Wirtschaftsentwicklung ab, die eigentlich ein friedliches Umfeld benötigt, aber selbst zu globalen Konflikten beiträgt.

Entsprechend schwer hat es der vierte Teil zur „multilateralen Regulierung von Weltraumaktivitäten“, der vor dem Aufweichen regelgeleiteten Handels der Großmächte, keinen ausdrücklichen Optimismus verbreiten kann. Dennoch können insbesondere von Europa geförderte Konzepte wie der Weltraum als global common sowie das Verständnis als normativer Akteur Wirkung zeigen und müssen nicht zugunsten einer Nachahmung insbesondere der Verachtung internationalen Rechts durch Russland über Bord geworfen werden. Gerade die von Europa geförderten Konzepte der Nachhaltigkeit im Weltraum, der Schaffung vertrauens- und transparenzbildender Maßnahmen sowie der Einführung von verhaltenssteuernden Verkehrsregeln (Space Traffic Management) im Orbit, sind effektive Mittel zur Konfliktreduzierung und -regulierung und sollten neben einer stärkeren Resilienz als Kernelemente strategischen Handeln weiterverfolgt werden.

Diese Besprechung kann der Vielfalt und Tiefe der Einzelbeiträge dieses Sammelbandes natürlich nicht gerecht werden. Deshalb soll noch einmal unterstrichen werden, dass jeder dieser Beiträge nicht nur ein hervorragendes Schlaglicht wirft, sondern integraler Teil einer großartigen editorischen Leistung ist: der nach fast vierzig Jahren erfolgten Neukonstituierung einer deutschsprachigen Weltraumstrategie-Forschung mit höchstem akademischem Anspruch und praktischer politischer Relevanz.

Über den Autor / die Autorin

Prof. Dr. Kai-Uwe Schrogl

Special Advisor for Political Affairs, European Space Agency (ESA) Paris und Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen

Online erschienen: 2024-11-29
Erschienen im Druck: 2024-11-27

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Aufsätze
  4. Quellen des Nahöstlichen Antisemitismus
  5. Der Informationskrieg des Irans
  6. Chinas Fähigkeiten im Bereich der Unterwasser-Seekriegsführung: Technologische Aspekte
  7. Kritische Rohstoffabhängigkeiten und Lieferketten-Resilienz – ein Fall für die geheimen Nachrichtendienste?
  8. Kurzanalyse
  9. Vorschläge für eine neue Russland-Strategie der NATO
  10. Ergebnisse internationaler strategischer Studien
  11. Naher Osten
  12. Jack Watling/Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
  13. Hassan Alhasan/Camille Lons: Gulf Bailout Diplomacy: Aid as Economic Statecraft in a Turbulent Region. London: IISS, Oktober 2023
  14. Brian Katulis, with Benjamin Freedman and Sydney Taylor: The Limits of Biden’s Middle East Diplomacy. An Assessment of US Policy. Washington, D.C.: The Middle East Institute, Juli 2024
  15. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine
  16. Samual Charap/Khrystyna Holynska: Russia’s War Aims in Ukraine. Objective-Setting and the Kremlin’s Use of Force Abroad. St. Monica, Cal.: The RAND Corporation, August 2024
  17. Dara Massicot: Russian Military Wartime Personnel Recruiting and Retention 2022–2023. St. Monica: The RAND Corporation, Juli 2024
  18. Dapo Akande/Olivier Corten/Shotaro Hamamoto/Pierre Klein/Harold Hongju Koh/Paul Reichler/Hélène Ruiz Fabri/Philippe Sands/Nico Schrijver/Christian J. Tams/Philip Zelikow: On Proposed Countermeasures Against Russia to Compensate Injured States for Losses Caused by Russia’s War of Aggression Against Ukraine. London: International Institute for Strategic Studies, Mai 2024
  19. Lt. General (Ret.) Keith Kellogg/Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
  20. Militärrivalität USA-China
  21. Katherine L. Kuzminski/Taren Sylvester: Back to the Drafting Board. U.S. Draft Mobilization Capability for Modern Operational Requirements. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Juni 2024
  22. Stacie Pettyjohn/Hannah Dennis/Molly Campbell: Swarms over the Strait. Drone Warfare in a Future Fight to Defend Taiwan. Washington, D.C.: CNAS
  23. Markus Schiller: Der große Sprung. Chinas ballistisches Raketenprogramm. Ein technischer Bericht. Hamburg: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Mai 2024
  24. Buchbesprechungen
  25. Rashid Khalidi: Der Hundertjährige Krieg um Palästina. Eine Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand. Zürich: Unionsverlag 2024, 379 S.
  26. Henry Farrell/ Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023, 278 Seiten
  27. Boris Bondarew: Im Ministerium der Lügen. Ein russischer Diplomat über Moskaus Machtspiele, seinen Bruch mit dem Putin-Regime und die Zukunft Russlands. München: Wilhelm Heyne Verlag 2023, 255 Seiten
  28. Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. C.H. Beck: München 2024, 622 Seiten
  29. Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten
  30. Bildnachweise
Heruntergeladen am 22.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2024-4020/html
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