Jack Watling/Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
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Jack Watling / Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
Die Operationen der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) in Gaza, die im Oktober 2023 begannen, so die Autoren, lieferten wertvolle Lehren für die Durchführung von militärischen Operationen in Städten. Während es viele Aspekte der Kämpfe gebe, die spezifisch für Gaza seien, könnten doch einige Lehren allgemeiner Natur gezogen werden. In dieser Studie werden auf der Grundlage einer Analyse der IDF-Operationen im Herbst 2023 Lehren gezogen, die auch für britische oder andere westlichen Streitkräfte relevant sein können. Das Papier befasst sich nur mit militärischen Taktiken, nicht mit operativen und strategischen Fragen.
Beim abgesessenen Nahkampf in einer städtischen Umgebung bestehe die Gefahr, dass eigene Truppen sich möglicherweise gegenseitig bekämpften. Wichtig sei daher, dass Einheiten, die entlang derselben Achse vorrücken, keine überlappenden Operationsgebiete haben. IDF-Einheiten hätten daher einen klar definierten Bewegungskorridor und einen Feuerkorridor auf jeder Seite.
Die IDF habe zudem Probleme mit Trümmern gehabt. Diese seien Bewegungshindernisse und würden auch die Fähigkeit beeinträchtigen, das Gelände zu beschreiben und somit das Feuer zu koordinieren und zu kontrollieren. Die IDF sei zu dem Schluss gekommen, dass für das, was sie als „verwüstete Geländekriegsführung“ bezeichnen, eine spezifische Ausbildung erforderlich sei. Es müssten spezielle Übungen praktiziert werden, um es den Soldaten zu ermöglichen, dort zu operieren.
Die Autoren berichten ebenfalls davon, dass der Wechsel von Operationen oberhalb der Erde oder in Tunneln die Initiative an den Feind abtrete und dass dadurch das Tempo verringert werde. Die IDF sei zu dem Schluss gekommen, dass es effektiver sei, gleichzeitige Operationen über und unter der Oberfläche durchzuführen. Dies erfordere aber ein sorgfältiges Management des Gefechtsfeldes, denn die Bewegung unter der Erde lasse sich nicht immer mit den oberirdischen Einheitengrenzen abstimmen.
Die Operationen in Gaza hätten gezeigt, wie wichtig es sei, dass die Einheiten vor Ort in der Lage sind, das Wiederaufflammen von Kampfhandlungen in Gebieten zu verhindern, die gerade erobert worden seien. Es sei die Taktik der Hamas, isolierte IDF-Einheiten schnell anzugreifen und sich zurückzuziehen. In der Praxis habe diese Taktik nicht gut funktioniert, weil die Hamas nicht in der Lage war, genügend Feuerkraft zu konzentrieren. Es sei ihnen zwar immer wieder gelungen, nennenswerten Schaden anzurichten, aber die IDF wären zumeist in der Lage gewesen, die Angreifer zu unterdrücken und sie danach gezielt ins Visier zu nehmen. Die Lektion sei klar: Die Fähigkeit von Nahkampfstaffeln zur Abwehr von Anschlägen aus dem Hinterhalt müsse erhöht werden.
Die Studie befasst sich auch mit den Erfahrungen beim Einsatz mit Präzisionswaffen. Der Erfolg dieser Kampfmittel sei in entscheidender Weise von der Kontrolle des elektromagnetischen Spektrums (EMS) abhängig geworden. Die IDF sei zu der Feststellung gekommen, dass sobald die eigenen Einheiten Drohnen zur Aufklärung oder zur Bekämpfung einsetzten, die Unterscheidung zwischen Freund oder Feind sehr schwierig werde. Nachdem die Hamas selber Drohnen eingesetzt hätten, hätten die entsprechenden Störmaßnahmen der IDF deren digitalisierte Führung gestört. Daraus sei der Schluss gezogen worden, dass ein verbessertes EMS-Gefechtsfeldmanagement erforderlich sei.
Die IDF habe die Fähigkeit der Hamas, ihre Kräfte zu konzentrieren, durch Luftangriffe mit Präzisionsmunition unterbinden können. Die Lektion, die daraus zu ziehen sei, laute, dass die Verteidigung von städtischen Räumen auf einer effektiven Luftverteidigung beruhen müsse.
Der Einsatz von Luftangriffen gegen zivile Gebäude, die von der Hamas als Verteidigungsstellungen genutzt werden, stelle eine Herausforderung für die Achtung der Regeln des humanitären Völkerrechts dar, insbesondere des Gebots der Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten. Die Kombattanten der Hamas würden sich mit der Zivilbevölkerung in einer Weise vermischen, die eine Diskriminierung erschwere. Die IDF habe schwer mit diesem Problem zu kämpfen. Dieses Problem habe sich noch dadurch verschärft, dass die IDF kritische Elemente des Informationsumfelds, wie z. B. die Schätzungen der Opferzahlen, an Organisationen abtrat, die mit der Hamas in Verbindung stehen.
Die humanitäre Lage in Gaza sei katastrophal. Ein Grundproblem stelle die Versorgung mit Hilfsgütern im Gazastreifen dar. Das größte Problem sei die Verteilung von Hilfsgütern. Auf der einen Seite habe die Hamas versucht, die Kontrolle über die Verteilung der Hilfsgüter zu erlangen. Um das zu verhindern, habe die IDF die Verteilung selber kontrolliert, was von der Hamas ausgenutzt wurde, um diese zu durchkreuzen. Die IDF habe bislang kein System gefunden, das eine angemessene Versorgung und Verteilung der Hilfe gewährleiste und gleichzeitig die Hamas daran hindere, diesen Prozess zu stören. Diese Herausforderung müsse sorgfältig untersucht werden, da die Erfüllung humanitärer Verpflichtungen ein wesentlicher Bestandteil städtischer Operationen sei.
Dies ist alles in allem eine kluge Studie, die aus den Erfahrungen der israelischen Streitkräfte Lehren und Herausforderungen für westliche Streitkräfte zieht, die in städtischen Gebieten operieren müssen.
https://www.rusi.org/explore-our-research/publications/occasional-papers/tactical-lessons-israel-defense-forces-operations-gaza-2023
© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
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