Lt. General (Ret.) Keith Kellogg/Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
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Lt. General (Ret.) Keith Kellogg / Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
Der frühere Sicherheitsberater des US-Vizepräsidenten Pence, Keith Kellogg und der stellvertretende Chairman des neu gegründeten America-First-Institutes, Fred Fleitz, haben im April 2024 ein Papier vorgelegt, welches eine Vorstellung davon vermittelt, wie man in MAGA-Kreisen um Donald Trump herum über den Ukraine-Krieg und dessen Beendigung denkt. Keith Kellogg dürfte der primäre Autor sein und er hat einen durchaus professionellen Hintergrund aufzuweisen als ehemaliger Generalleutnant der US-Armee.
Der Krieg in der Ukraine, so die Autoren, sei eine vermeidbare Tragödie, die aus der Inkompetenz von Präsident Biden als Staatsoberhaupt und seiner chaotischen Außenpolitik resultiere. Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner mache sich Sorgen darüber, ob Amerikas vitale strategische Interessen im Ukraine-Krieg wirklich auf dem Spiel stehen und ob Amerika nicht in einen Stellvertreterkrieg mit Russland hineinrutsche, der zu einem nuklearen Konflikt eskalieren könnte. Es bedarf eines Plans zur Beendigung dieses Krieges, es könne nicht darauf hinauslaufen, einfach Waffen für einen Konflikt zu liefern, der zu einer langfristigen Pattsituation geworden sei. Dies sei nur im Wege eines America-First-Ansatzes möglich. Dieser Ansatz erfordere ein starkes Militär, den umsichtigen Einsatz militärischer Gewalt der USA und das Heraushalten von US-Truppen aus unnötigen und endlosen Kriegen.
Die Autoren schreiben weiter, dass ein starker und entschlossener amerikanischer Präsident Putin hätte daran hindern können, die Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 anzuordnen. Unter Trump wäre das nicht passiert. Die harte und kohärente Politik von Präsident Donald Trump sei der Grund, warum Russland während seiner Präsidentschaft davon absah, in sein Nachbarland einzumarschieren. Dazu hätten auch die Waffenlieferungen beigetragen, die Trump erstmals während seiner Präsidentschaft an die Ukraine erlaubt hatte. Biden hingegen habe eine idealistische Außenpolitik verfolgt, die Putin irritiert und in die Arme Chinas getrieben hätte.
Außerdem werfen die Verfasser Biden Fehler in der Phase Ende 2021/Anfang 2022 vor. Er hätte mit missverständlichen und widersprüchlichen Äußerungen irritiert. Ein America-First-Ansatz hätte darin bestanden, mit Moskau eine Verabredung zu treffen, die den Nichtbeitritt der Ukraine zur NATO vorsah. Außerdem hätten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten im Herbst 2021 erhebliche militärische Hilfe in die Ukraine schicken müssen, um eine russische Invasion zu verhindern. Stattdessen habe Biden dringende Bitten Selenskyjs um Militärhilfe noch im Dezember 2021 verweigert. Biden habe Putin ein Bild der Schwäche der USA vermittelt.
Die massive Waffenhilfe der USA an die Ukraine wird nicht kritisiert, aber dahinter stehe kein Konzept wie der Krieg beendet werden könne. Das Scheitern der ukrainischen Offensive im Sommer 2023 habe gezeigt, dass der Ukraine die Luft ausgehe und die Rückeroberung der besetzten Gebiete unrealistisch sei. Das erfordere einen politischen Neuansatz. Bidens wiederholte Äußerungen, er sei bereit, Waffen an die Ukraine zu liefern, „so lange es dauert“, ohne eine Strategie für den Sieg der Ukraine im Krieg oder einen Plan zur Beendigung des Konflikts vorzulegen, laufe darauf hinaus, den Konflikt als Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland zu nutzen. Biden habe nie erklären können, wie die Ukraine ihre Ziele erreichen könne. Ein America-First-Ansatz werde dieses Problem direkt angehen.
Wie sich die Autoren eine Beendigung des Krieges vorstellen, wird dann ausführlich, aber dennoch nicht sehr präzise geschildert. Sie fordern eine Änderung der US-Politik, die einen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung des Ukraine-Konflikts anstrebt. Die Vereinigten Staaten würden die Ukraine weiter bewaffnen und ihre Verteidigung stärken, um sicherzustellen, dass Russland keine weiteren Vorstöße macht und nach einem Waffenstillstand oder Friedensabkommen nicht wieder angreift. Künftige amerikanische Militärhilfe soll jedoch unter der Voraussetzung stehen, dass die Ukraine an Friedensgesprächen mit Russland teilnimmt. Um Putin von den Friedensgesprächen zu überzeugen, sollten die USA und andere Staats- und Regierungschefs der NATO anbieten, die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine für einen längeren Zeitraum aufzuschieben und die Sanktionen ein wenig zu lockern. Außerdem müsste es im Interesse Putins sein, ein umfassendes und überprüfbares Friedensabkommen mit Sicherheitsgarantien zu erhalten. Die Ukraine würde nicht aufgefordert, das Ziel der Rückeroberung ihres gesamten Territoriums aufzugeben, aber sie müsse sich bereit erklären, dieses Ziel auf diplomatischem Weg zu erreichen. Das würde bedeuten, dass die Ukraine erst einmal einen Waffenstillstand entlang der bestehenden Frontlinie akzeptiert. Die Aufhebung der gegen Russland gerichteten westlichen Sanktionen würde dann stattfinden, wenn über die Rückgabe der Gebiete eine diplomatische Lösung (der „Endzustand“) gefunden wäre, die für die Ukraine akzeptabel sei. Solange das nicht der Fall ist, sollten auch auf russische Energieverkäufe Abgaben erhoben werden, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.
Die Verfasser glauben, dass diese Politik die Ukraine in die Lage versetzen würde, aus einer Position der Stärke heraus zu verhandeln. Wie das geschehen soll, wird nicht erklärt. Die Verfasser sprechen auch von Konsequenzen, die Russland ertragen müsse, wenn es sich nicht darauf einließe. Aber was das bedeuten soll, darüber verlieren die Autoren keine Gedanken. Es bleibt alles sehr vage und unbestimmt. Friedensgespräche und Verhandlungsangebote sind Putin verschiedentlich überbracht worden, sei es vom Bundeskanzler Scholz, dem französischen Präsidenten Macron und vielen anderen mehr, zuletzt vom türkischen Präsidenten Erdogan. Nur hat Putin durch die formelle Annexion von vier ukrainischen Provinzen und die konstante Fortsetzung der Behauptung, dass die Ukrainische Nation nur eine Erfindung sei, signalisiert, dass er an seinen maximalistischen Kriegszielen festhält. Putin ist nach allen bisherigen Erkenntnissen nur bereit, über die Kapitulation der Ukraine zu verhandeln. Das scheint den Verfassern irgendwie verloren gegangen zu sein.
Sie haben aber in einem Punkt durchaus recht: die bisherige Politik der westlichen Staaten läuft darauf hinaus, dass die Ukraine in einem langwierigen Abnutzungskrieg früher ausblutet als Russland. Um das zu verhindern, sollte man durchaus in Richtung eines Waffenstillstands denken, der dem derzeitigen Frontverlauf entspricht. Das wäre für die Ukraine schmerzhaft aber immer noch besser als die Alternative des Ausblutens. Für die Ukraine wäre ein derartiger Waffenstillstand aber nur dann möglich, wenn es bindende, existenzielle Sicherheitsgarantien der USA oder der NATO für sein Überleben gibt. An dieser Stelle bleibt das ansonsten vorlaute America-First Papier ganz kleinlaut. Es spricht zwar von einer „Sicherheitsarchitektur für die Verteidigung der Ukraine“, die sich auf „bilaterale Sicherheitsverteidigung konzentriert,“ aber die wird erst Teil des „Endzustands“ sein, also nachdem sich Russland und die Ukraine auf die Rückgabe ukrainischen Gebiets geeinigt hätten (S. 16). Spätestens an dieser Stelle wird erkennbar, dass auch hier das Gerede von America First und einer realpolitischen Lösung auf tönernen Füßen steht.
Anders wäre es, wenn die Autoren gefordert hätten, dass ein starker US-Präsident den Kongress davon überzeugt, ein Waffenstillstandsabkommen mit einer eindeutigen Sicherheitsgarantie zu verbinden – so wie 1953 bei der Beendigung des Koreakrieges geschehen. Die beiden Autoren weisen durchaus zu Recht auf kritikwürdige und zentrale Punkte der Politik der Biden-Administration hin. Aber die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen bleiben vage und widersprüchlich und ähneln leider den völlig unausgegorenen Vorschlägen von Frau Wagenknecht und Politikern der AfD. Wer in diesem Papier Ideen dafür finden will, wie Donald Trump sein Versprechen umsetzen will, den Ukrainekrieg in einem Tag zu beenden, der wird enttäuscht werden. Auch hier zeigt sich, dass Make-America-Great-Again aus nichts anderem als einer Ansammlung oberflächlicher und populistischer Formeln besteht, die suggerieren sollen, dass Donald Trump alle Probleme wird lösen können.
https://americafirstpolicy.com/issues/america-first-russia-ukraine
© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Aufsätze
- Quellen des Nahöstlichen Antisemitismus
- Der Informationskrieg des Irans
- Chinas Fähigkeiten im Bereich der Unterwasser-Seekriegsführung: Technologische Aspekte
- Kritische Rohstoffabhängigkeiten und Lieferketten-Resilienz – ein Fall für die geheimen Nachrichtendienste?
- Kurzanalyse
- Vorschläge für eine neue Russland-Strategie der NATO
- Ergebnisse internationaler strategischer Studien
- Naher Osten
- Jack Watling/Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
- Hassan Alhasan/Camille Lons: Gulf Bailout Diplomacy: Aid as Economic Statecraft in a Turbulent Region. London: IISS, Oktober 2023
- Brian Katulis, with Benjamin Freedman and Sydney Taylor: The Limits of Biden’s Middle East Diplomacy. An Assessment of US Policy. Washington, D.C.: The Middle East Institute, Juli 2024
- Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine
- Samual Charap/Khrystyna Holynska: Russia’s War Aims in Ukraine. Objective-Setting and the Kremlin’s Use of Force Abroad. St. Monica, Cal.: The RAND Corporation, August 2024
- Dara Massicot: Russian Military Wartime Personnel Recruiting and Retention 2022–2023. St. Monica: The RAND Corporation, Juli 2024
- Dapo Akande/Olivier Corten/Shotaro Hamamoto/Pierre Klein/Harold Hongju Koh/Paul Reichler/Hélène Ruiz Fabri/Philippe Sands/Nico Schrijver/Christian J. Tams/Philip Zelikow: On Proposed Countermeasures Against Russia to Compensate Injured States for Losses Caused by Russia’s War of Aggression Against Ukraine. London: International Institute for Strategic Studies, Mai 2024
- Lt. General (Ret.) Keith Kellogg/Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
- Militärrivalität USA-China
- Katherine L. Kuzminski/Taren Sylvester: Back to the Drafting Board. U.S. Draft Mobilization Capability for Modern Operational Requirements. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Juni 2024
- Stacie Pettyjohn/Hannah Dennis/Molly Campbell: Swarms over the Strait. Drone Warfare in a Future Fight to Defend Taiwan. Washington, D.C.: CNAS
- Markus Schiller: Der große Sprung. Chinas ballistisches Raketenprogramm. Ein technischer Bericht. Hamburg: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Mai 2024
- Buchbesprechungen
- Rashid Khalidi: Der Hundertjährige Krieg um Palästina. Eine Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand. Zürich: Unionsverlag 2024, 379 S.
- Henry Farrell/ Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023, 278 Seiten
- Boris Bondarew: Im Ministerium der Lügen. Ein russischer Diplomat über Moskaus Machtspiele, seinen Bruch mit dem Putin-Regime und die Zukunft Russlands. München: Wilhelm Heyne Verlag 2023, 255 Seiten
- Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. C.H. Beck: München 2024, 622 Seiten
- Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten
- Bildnachweise
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Aufsätze
- Quellen des Nahöstlichen Antisemitismus
- Der Informationskrieg des Irans
- Chinas Fähigkeiten im Bereich der Unterwasser-Seekriegsführung: Technologische Aspekte
- Kritische Rohstoffabhängigkeiten und Lieferketten-Resilienz – ein Fall für die geheimen Nachrichtendienste?
- Kurzanalyse
- Vorschläge für eine neue Russland-Strategie der NATO
- Ergebnisse internationaler strategischer Studien
- Naher Osten
- Jack Watling/Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
- Hassan Alhasan/Camille Lons: Gulf Bailout Diplomacy: Aid as Economic Statecraft in a Turbulent Region. London: IISS, Oktober 2023
- Brian Katulis, with Benjamin Freedman and Sydney Taylor: The Limits of Biden’s Middle East Diplomacy. An Assessment of US Policy. Washington, D.C.: The Middle East Institute, Juli 2024
- Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine
- Samual Charap/Khrystyna Holynska: Russia’s War Aims in Ukraine. Objective-Setting and the Kremlin’s Use of Force Abroad. St. Monica, Cal.: The RAND Corporation, August 2024
- Dara Massicot: Russian Military Wartime Personnel Recruiting and Retention 2022–2023. St. Monica: The RAND Corporation, Juli 2024
- Dapo Akande/Olivier Corten/Shotaro Hamamoto/Pierre Klein/Harold Hongju Koh/Paul Reichler/Hélène Ruiz Fabri/Philippe Sands/Nico Schrijver/Christian J. Tams/Philip Zelikow: On Proposed Countermeasures Against Russia to Compensate Injured States for Losses Caused by Russia’s War of Aggression Against Ukraine. London: International Institute for Strategic Studies, Mai 2024
- Lt. General (Ret.) Keith Kellogg/Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
- Militärrivalität USA-China
- Katherine L. Kuzminski/Taren Sylvester: Back to the Drafting Board. U.S. Draft Mobilization Capability for Modern Operational Requirements. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Juni 2024
- Stacie Pettyjohn/Hannah Dennis/Molly Campbell: Swarms over the Strait. Drone Warfare in a Future Fight to Defend Taiwan. Washington, D.C.: CNAS
- Markus Schiller: Der große Sprung. Chinas ballistisches Raketenprogramm. Ein technischer Bericht. Hamburg: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Mai 2024
- Buchbesprechungen
- Rashid Khalidi: Der Hundertjährige Krieg um Palästina. Eine Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand. Zürich: Unionsverlag 2024, 379 S.
- Henry Farrell/ Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023, 278 Seiten
- Boris Bondarew: Im Ministerium der Lügen. Ein russischer Diplomat über Moskaus Machtspiele, seinen Bruch mit dem Putin-Regime und die Zukunft Russlands. München: Wilhelm Heyne Verlag 2023, 255 Seiten
- Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. C.H. Beck: München 2024, 622 Seiten
- Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten
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