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Henry Farrell/ Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023, 278 Seiten

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Published/Copyright: November 29, 2024

Rezensierte Publikation:

Henry Farrell / Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023 278 Seiten


Die Verfasser sind ausgewiesene Experten der internationalen Beziehungen und lehren an der Georgetown University in Washington, D.C. und der Johns Hopkins University in Baltimore. Sie machten sich 2019 einen Namen mit einem Aufsatz in der Zeitschrift International Security, in dem sie den Begriff der Weaponized Interdependence einführten.[1] In dem Aufsatz, dem ein Sammelband folgte,[2] setzten sie sich kritisch mit einer grundlegenden Annahme der liberal-institutionalistischen Theorie der internationalen Politik auseinander. Dieser Annahme zufolge habe sich insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges eine globalisierte Welt gebildet, in der eine zunehmende Vernetzung ökonomischer, informationeller und institutioneller Art eingesetzt habe. Diese Verflechtung und die damit einhergehende Interdependenz würde für alle Staaten die Hemmungen gegenüber kriegerischem Verhalten steigern und damit die Schwelle für große und mittlere Kriege wesentlich anheben. Für jeden sei erkennbar, dass es sich nicht lohne, andere Staaten mit Krieg zu überziehen, weil die damit verbundenen ökonomischen und strukturellen Kosten den erwarteten Nutzen übersteigen würden. Es käme darauf an, die Interdependenz zu fördern und zu steuern durch Institutionalisierung.

Farrel und Newman hielten dieser Annahme entgegen, dass sich die internationalen Beziehungen spätestens seit Beginn dieses Jahrhunderts in einer Weise qualitativ verändert hätten, die ihr widersprechen würde. In der Tat seien unter Bedingungen der Globalisierung hochkomplexe Netzwerke in unterschiedlichen Bereichen entstanden. Aus ihnen ergäben sich aber Dynamiken, die keinesfalls die erwartete Harmonie der Interessen entstehen ließen. Vielmehr sei zu beobachten, dass unterschiedlich starke Akteure – staatlicher und auch nicht-staatlicher Art – sich in die Lage versetzt hätten, Interdependenzen von Netzwerken für die Verfolgung ihrer Ziele zu nutzen. Und zwar oft dort, wo sich Asymmetrien gebildet haben.

Die beiden Autoren identifizierten zwei Methoden für mächtige staatliche Akteure, Interdependenzen als Waffe zu nutzen (daher weaponized interdependence). Das eine seien die Nutzung des Internets und vieler anderer Institutionen und Netzwerke der digitalen Welt, um ein möglichst umfassendes Lagebild der internationalen Politik in einer Vielzahl von Feldern zu gewinnen. Die beiden Autoren benannten dies den Panopticon-Effekt. Dieser Begriff geht auf den englischen Philosoph Jeremy Bentham zurück, der im 18. Jahrhundert einen architektonischen Entwurf vorlegte, der die Überwachung aller Insassen eines Gefängnisses rund um die Uhr durch nur einen einzigen Wärter erlauben sollte. Der zweite Effekt sei der Engpass-Effekt (chokepoint-effect). Dieser würde es Akteuren, die in den internationalen Netzwerken einen Engpass kontrollieren, erlauben diesen zur Durchsetzung eigener Interessen zu nutzen. Die hier erwähnten Publikationen wurden deshalb so weit rezipiert, weil sie einen weitgehend anderen Blick auf die internationalen Beziehungen und die damit verbundenen Konflikte erlaubten.

In dem hier vorliegenden Buch benutzen beide Autoren eine weniger theoriebetonte Argumentation, sondern versuchen ihre Überlegungen in klarer und deutlicher Sprache umzusetzen. Das ist ihnen gut gelungen. Sie können anhand plastischer Beispiele aufzeigen, dass sich eine Untergrundstruktur der internationalen Politik mit erheblichen Asymmetrien herausgebildet habe, in der einige Staaten das Zentrum von Netzwerken bildeten. Sowohl der Panopticon-Effekt wie der Engpasseffekt können beobachtet werden. Ihre These ist, dass kein Staat die Nutzung von Asymmetrien mehr nutze als die USA – ja man könne auch behaupten, dass es die USA gewesen seien, die die Instrumentalisierung von Interdependenz entwickelt hätten, um wichtige strategische Ziele zu erreichen. So wären vor allem die Politik der Terrorbekämpfung nach dem 11. September 2001 und die Bemühungen um Nichtverbreitung von Kernwaffen stark unter Inanspruchnahme von Informationsmöglichkeiten zur Lagegewinnung und durch die Nutzung von Engpässen und Asymmetrien gekennzeichnet gewesen.

Ihre zentrale Position im Bereich der internationalen digitalen Kommunikation und der Regelsetzung in internationalen Institutionen sowie die zentrale Rolle des US-Dollars als internationales Zahlungsmittel würden der USA eine Vielzahl von Handlungsoptionen zur Instrumentalisierung von Abhängigkeiten ermöglichen. Die Verfasser sprechen hier von einem Untergrundimperium, welches in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werde.

Sie konstruieren dadurch einen anderen Blick auf den Konflikt der USA mit der VR China. Ihre These ist, dass die USA durch die zunehmende Anwendung von Instrumentarien aus ihrem Untergrundimperium China mehr oder weniger in eine Konfrontation getrieben hätten, insbesondere unter Präsident Trump. Die zunehmende Nutzung von weaponized interdependence durch die US-Administration habe den Charakter der internationalen Beziehungen fundamental verändert und sei historisch gesehen mit der Einführung der Atomwaffen und dem nachfolgenden Rüstungswettlauf zwischen USA und Sowjetunion zu vergleichen gewesen. Mit der Instrumentalisierung der herausgehobenen Machtposition der USA in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen zur Durchsetzung strategischer Ziele habe Washington dem berühmten Zauberlehrling gleich eine Dynamik ausgelöst, die kaum noch zu kontrollieren sei. Vielmehr komme es darauf an, dass noch rechtzeitig eine Verständigung mit Peking erfolge. Denn mittlerweile habe Peking reagiert und versuche sich weniger anfällig gegen die Politik der USA und des Westens zu machen und seinerseits Abhängigkeiten zu instrumentalisieren. Russland und der Iran täten dies ohnehin schon in Anbetracht der gegen beide Länder verhängten Sanktionen.

Das ist zweifellos eine interessante aber auch steile These. Spätestens an dieser Stelle überfällt den Rezensenten ein gewisses Unbehagen, denn hier beginnt die Argumentationskette in ungesichertes Terrain abzugleiten. Was man den Autoren vorwerfen muss, ist der Übergang in eine – an akademischen Institutionen leider weit verbreitete – Unart der amerikazentrierten Betrachtungsweise. Kern dieser Betrachtungsweise ist es, alles Übel dieser Welt auf falsche politische Entscheidungen amerikanischer Präsidenten oder ihrer Administrationen zurückführen zu wollen. Zwar gab und gibt es immer wieder Beispiele für derartige Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen und die USA haben zweifelsfrei ihren Beitrag zur Instrumentalisierung von Abhängigkeiten für strategische Ziele geleistet. Nur andere haben das auch getan – und zwar ohne, dass die USA es ihnen vorgemacht hätten. Die OPEC-Staaten haben in den 70er Jahren versucht, die Abhängigkeit der westlichen Welt von ihren Energieexporten auszunutzen, um massive politische und wirtschaftliche Vorteile zu erzwingen. Russland sucht schon seit den 90er Jahren bestehende Abhängigkeiten im Bereich der Energieversorgung auszubauen und zu nutzen, um andere Länder zu beeinflussen. Die VR China verfolgt seit Jahrzehnten eine Industrie-, Handels-, Rohstoff- und Energiesicherungspolitik, die darauf abzielt, eigene Verwundbarkeiten gering zu halten, andererseits aber sich selber Monopolpositionen in zentralen Bereichen aufzubauen. Taiwan hat ähnliches im Sinn gehabt, als es seinerzeit anfing die Produktion von hochwertigen Microchips geradezu zu monopolisieren. Dadurch hat es eine Position erzielt, die es strategisch besonders wertvoll macht. Derartige Beispiele ließen sich viele finden. Sie lassen erkennen, dass die von Farrell und Newman identifizierten Netzwerkphänomene seit längerem in der politischen Praxis bekannt sind. Allerdings hat sich die internationale (vornehmlich amerikanische) Theoriediskussion bislang für diese Phänomene nicht sonderlich interessiert. Es ist den beiden Autoren zu verdanken, dass sie die Theoriedebatte auf dieses Desiderat gestoßen und ein durchaus sinnvolles theoretisches und methodisches Konzept zur Analyse dieser bislang in der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen wenig beachteten Dimension geleistet haben. Aber mit dem Vergleich zur Einführung von Atomwaffen und den geradezu alarmistischen Voraussagen in diesem Buch haben sich die Verfasser keinen Gefallen getan.

Online erschienen: 2024-11-29
Erschienen im Druck: 2024-11-27

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

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  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Aufsätze
  4. Quellen des Nahöstlichen Antisemitismus
  5. Der Informationskrieg des Irans
  6. Chinas Fähigkeiten im Bereich der Unterwasser-Seekriegsführung: Technologische Aspekte
  7. Kritische Rohstoffabhängigkeiten und Lieferketten-Resilienz – ein Fall für die geheimen Nachrichtendienste?
  8. Kurzanalyse
  9. Vorschläge für eine neue Russland-Strategie der NATO
  10. Ergebnisse internationaler strategischer Studien
  11. Naher Osten
  12. Jack Watling/Nick Reynolds: Tactical Lessons from Israel Defense Forces Operations in Gaza, 2023. London: Royal United Services Institute (RUSI), Juli 2024
  13. Hassan Alhasan/Camille Lons: Gulf Bailout Diplomacy: Aid as Economic Statecraft in a Turbulent Region. London: IISS, Oktober 2023
  14. Brian Katulis, with Benjamin Freedman and Sydney Taylor: The Limits of Biden’s Middle East Diplomacy. An Assessment of US Policy. Washington, D.C.: The Middle East Institute, Juli 2024
  15. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine
  16. Samual Charap/Khrystyna Holynska: Russia’s War Aims in Ukraine. Objective-Setting and the Kremlin’s Use of Force Abroad. St. Monica, Cal.: The RAND Corporation, August 2024
  17. Dara Massicot: Russian Military Wartime Personnel Recruiting and Retention 2022–2023. St. Monica: The RAND Corporation, Juli 2024
  18. Dapo Akande/Olivier Corten/Shotaro Hamamoto/Pierre Klein/Harold Hongju Koh/Paul Reichler/Hélène Ruiz Fabri/Philippe Sands/Nico Schrijver/Christian J. Tams/Philip Zelikow: On Proposed Countermeasures Against Russia to Compensate Injured States for Losses Caused by Russia’s War of Aggression Against Ukraine. London: International Institute for Strategic Studies, Mai 2024
  19. Lt. General (Ret.) Keith Kellogg/Fred Fleitz: America First, Russia, & Ukraine. Washington, D.C.: America First Policy Institute – Center for American Security, April 2024
  20. Militärrivalität USA-China
  21. Katherine L. Kuzminski/Taren Sylvester: Back to the Drafting Board. U.S. Draft Mobilization Capability for Modern Operational Requirements. Washington, D.C.: Center for a New American Security, Juni 2024
  22. Stacie Pettyjohn/Hannah Dennis/Molly Campbell: Swarms over the Strait. Drone Warfare in a Future Fight to Defend Taiwan. Washington, D.C.: CNAS
  23. Markus Schiller: Der große Sprung. Chinas ballistisches Raketenprogramm. Ein technischer Bericht. Hamburg: Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Mai 2024
  24. Buchbesprechungen
  25. Rashid Khalidi: Der Hundertjährige Krieg um Palästina. Eine Geschichte von Siedlerkolonialismus und Widerstand. Zürich: Unionsverlag 2024, 379 S.
  26. Henry Farrell/ Abraham Newman: Underground Empire. How America Weaponized the World Economy. London: Allen Lane 2023, 278 Seiten
  27. Boris Bondarew: Im Ministerium der Lügen. Ein russischer Diplomat über Moskaus Machtspiele, seinen Bruch mit dem Putin-Regime und die Zukunft Russlands. München: Wilhelm Heyne Verlag 2023, 255 Seiten
  28. Frank Bösch: Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik. C.H. Beck: München 2024, 622 Seiten
  29. Antje Nötzold/ Enrico Fels/ Andrea Rotter/ Moritz Brake (Hrsg.): Strategischer Wettbewerb im Weltraum. Politik, Recht, Sicherheit und Wirtschaft im All. Wiesbaden: Springer Nature, 2024, 883 Seiten
  30. Bildnachweise
Downloaded on 22.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2024-4017/html
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