Jedes der Besprechungsformate der Soziologischen Revue sollte einmal Gegenstand eines Editorials werden. Das hatte ich mir vorgenommen, nachdem ich 2021 die geschäftsführende Herausgeberschaft übernommen hatte und die Redaktion der Soziologischen Revue aus Bremen an das Institut für Soziologie der TU Berlin umgezogen war. Bald vier Jahre später habe ich fast alle Besprechungsformate beleuchtet: die Sammelbesprechung im Heft 02/2021, die Einzelbesprechung im Heft 02/2022, die Gebietskartierung im Heft 04/2022, die Doppelbesprechung im Heft 01/2023 und den Essay und den Themenessay im Heft 04/2023. Fehlt noch das Symposium, das in diesem Editorial behandelt werden soll.
In den Hinweisen für Rezensent:innen heißt es zu diesem Besprechungsformat: „Im Rahmen eines Symposiums werden Neuerscheinungen gewürdigt, die einen wesentlichen, womöglich kontroversen, in jedem Fall herausfordernden Beitrag zum jeweiligen Forschungsfeld liefern. Zwei bis drei AutorInnen setzen sich in zuspitzender, kontextuierender, essayistischer Form mit den zentralen Beiträgen des Buches zur soziologischen Debatte auseinander. Im Mittelpunkt steht die eigene Einschätzung der Qualität und des Ertrags des Werks, daher sollte keine kleinschrittige Inhaltsangabe im Mittelpunkt stehen.“
Das Symposium ist ein Besprechungsformat, das in der Soziologischen Revue seit ihrer Gründung vertreten ist. Bereits das erste Heft im Jahre 1987 enthielt ein Symposium. Bis heute bemüht sich die Redaktion der Soziologischen Revue, möglichst in jedem Heft ein Symposium zu veröffentlichen. Das ist nicht ganz einfach, denn das Symposium ist das einzige Besprechungsformat, bei dem das Werk, um das es geht, von mehreren Rezensent:innen besprochen wird, die dementsprechend gewonnen und zeitlich koordiniert werden müssen. Das Ziel der Herausgeber:innen und der Redaktion ist es, dass die Rezensent:innen unterschiedliche Perspektiven auf das Werk einnehmen und es von unterschiedlichen Seiten beleuchten. Bei der Suche nach und der Auswahl von geeigneten Rezensent:innen liegt darauf dementsprechend ein Augenmerk.
Der Umstand, dass es zwei oder drei Rezensent:innen sind, die sich um das zu besprechende Werk versammeln, macht das Symposium zu einem besonders herausgehobenen Besprechungsformat. Das wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien die Soziologische Revue entscheidet, für welche Publikationen dieses Besprechungsformat zum Einsatz kommt. Es handelt sich um Publikationen, die aus der Sicht der Herausgeber:innen und der Redaktion besondere Beachtung innerhalb der soziologischen Fachgemeinschaft verdienen, weil sie Ergebnisse größerer und/oder langjähriger Forschungsarbeiten und -zusammenhänge zusammenfassen, weil sie neue Impulse zu aktuellen soziologischen und gesellschaftlichen Fragen zu geben versprechen, weil sich in ihnen einflussreiche soziologische Stimmen und Richtungen artikulieren, insgesamt also: weil sie versprechen, Diskurse in Teilbereichen der Soziologie, in der ganzen Soziologie und auch darüber hinaus wesentlich zu beeinflussen. Wie für alle Besprechungsformate, gilt auch hier: Nicht jede Publikation, die es wert wäre, in einem Symposium besprochen zu werden, wird auch tatsächlich so besprochen. Das ist der Begrenztheit der Ressourcen der Zeitschrift und ihrer Rezensent:innen geschuldet. Das hängt aber auch damit zusammen, dass nicht jedes geplante Symposium zu Stande kommt.
Das Symposium in diesem Heft, in dem Florian Buchmayr, Martin Kronauer und Uwe Schimank das Buch „Polarisierte Gesellschaft: Die postmodernen Kämpfe um Identität und Teilhabe“ von Richard Münch besprechen, weist etliche typische Merkmale der Symposien in der Soziologischen Revue auf. Es handelt sich um ein soziologisch wie gesellschaftlich aktuelles Thema, zu dem der soziologisch einflussreiche Autor eine Position entwickelt, die in diesem Fall in der Tat als kontrovers und herausfordernd wahrgenommen wird, wie es sich schon im Titel des Symposiumsbeitrages von Florian Buchmayr („Sahra Wagenknecht gefällt das“) andeutet.
Besonders deutlich kommt im vorliegenden Fall aber das besondere Unterscheidungsmerkmal der Symposien der Soziologischen Revue zum Ausdruck: die unterschiedlichen Perspektiven auf das zu besprechende Werk, die daraus resultieren, dass mehrere Fachkolleg:innen mit unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Orientierungen aufgefordert sind, ihre jeweilige Sichtweise zugespitzt auf das Papier zu bringen. Bei diesem Symposium bekommt man verschiedentlich den Eindruck, dass die Rezensenten drei unterschiedliche Bücher besprechen: Uwe Schimank bespricht ein Buch, das gesellschaftsanalytischen Erkenntnisgewinn erbringt, indem es „etwas Drittes zwischen Polarisierung auf der einen und Depolarisierung durch ‚cross-pressures‘ auf der anderen Seite entdeckt“. Martin Kronauer bespricht ein Buch, das den gesellschaftlich bestimmenden Widerspruch in einem Antagonismus zwischen dem gebildeten und dem gewerblichen Bürgertum sieht und daraus höchst zweifelhafte Folgerungen für die Überwindung der gesellschaftlichen Polarisierung zieht. Und Florian Buchmayr bespricht ein Buch, das den Populisten in die Hände spielt, indem es deren Ressentiments gegen die vermeintliche linke Kulturelite reproduziert.
Und auch hier zeigt sich wieder: Rezensionen ersparen einem die Lektüre des Originals nicht. Aber sie können dabei helfen, zu entscheiden, welche Bücher man sich genauer anschauen möchte und unter welchen Gesichtspunkten. Dazu tragen in diesem Heft hoffentlich auch die anderen Rezensionen bei: zwei Essays und ein Themenessay, zwei Sammelbesprechungen, zwei Doppelbesprechungen und acht Einzelbesprechungen zu Neuveröffentlichungen aus dem ganzen Spektrum der Soziologie von der Bildungs- und Hochschulforschung über Digitalisierung, Grenzsoziologie, Intersektionalität und Nachhaltigkeit bis hin zur Organisationssoziologie, Professionssoziologie und qualitativen Forschung. Doch lesen Sie selbst!
© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Editorial
- Symposium
- Sahra Wagenknecht gefällt das
- Kampf um gesellschaftlichen Zusammenhalt: Münchs Verschiebung der Fronten
- „Viel Lärm um nichts“
- Essay
- Wie unbestimmbar ist Lebensqualität?
- Bildungsungleichheit wie in kaum einem anderen Land? Hartmut Essers Frontalangriff auf die Standardposition und das Integrationsmodell in der Bildungsforschung
- Themenessay
- Soziologische Forschung für nachhaltige Entwicklung
- Sammelbesprechung
- Soziologie (in) der postdigitalen Gesellschaft
- Qualitative Forschung im Lichte neuerer Publikationen
- Doppelbesprechung
- Zur praktischen Relevanz der Gabentheorie. Analyse des Zusammenwirkens in Organisationen und in der Digitalwirtschaft aus der Perspektive der Gabe
- Methodologie der Intersektionalität
- Einzelbesprechung Angewandte Soziologie
- Christian von Ferber (hrsg. von Alexander Brandenburg), Menschenbild und Gesellschaft. Studien zur Philosophischen Anthropologie, Soziologie und Medizinsoziologie. Baden-Baden: Verlag Karl Alber 2022, 412 S., kt., 89,00 €
- Einzelbesprechung Bildungssoziologie
- Achim Brosziewski, Lebenslauf, Medien, Lernen: Skizzen einer systemtheoretischen Bildungssoziologie. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2023, 243 S., kt., 28,00 €
- Einzelbesprechung Digitalisierung
- Andreas Wagener / Carsten Stark (Hrsg.), Die Digitalisierung des Politischen: Theoretische und praktische Herausforderungen für die Demokratie. Wiesbaden: Springer VS 2023, 338 S., kt., 64,99 €
- Einzelbesprechung Grenzsoziologie
- Ulla Connor, Territoriale Grenzen als Praxis. Zur Erfindung der Grenzregion in grenzüberschreitender Kartografie. Baden-Baden: Nomos 2023, 347 S., br., 79,00 €
- Einzelbesprechung Hochschulforschung
- Frerk Blome, Universitätskarrieren und soziale Klasse: Soziale Aufstiegs- und Reproduktionsmechanismen in der Rechts- und Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2023, 546 S., br., 78,00 €
- Einzelbesprechung Kultur und soziale Praxis
- Barbara Sieferle, Nach dem Gefängnis. Alltag und unsichtbare Bestrafungen. Bielefeld: transcript Verlag 2023, 234 S., kt., 45,00 €
- Einzelbesprechung Organisationssoziologie
- Tobias Röhl, Verteilte Zurechenbarkeit: Die Bearbeitung von Störungen im Öffentlichen Verkehr. Frankfurt/New York: Campus 2022, 256 S., br., 39,00 €
- Einzelbesprechung Professionssoziologie
- Barbara Fillenberg, Akademisierung des Hebammenwesens: Eine empirische Studie am Beispiel Bayerns. Opladen / Berlin / Toronto: Barbara Budrich 2023, 300 S., kt., 68,00 €
- Korrigendum
- Korrigendum zu: Talcott Parsons, Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien, herausgegeben von Helmut Staubacher und Paul Reichacher. Wiesbaden: Springer 2023, S. 193, kt., 29,99 €
- Rezensentinnen und Rezensenten des 3. Heftes 2024
- Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
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- Sahra Wagenknecht gefällt das
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- „Viel Lärm um nichts“
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- Methodologie der Intersektionalität
- Einzelbesprechung Angewandte Soziologie
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- Einzelbesprechung Bildungssoziologie
- Achim Brosziewski, Lebenslauf, Medien, Lernen: Skizzen einer systemtheoretischen Bildungssoziologie. Weinheim Basel: Beltz Juventa 2023, 243 S., kt., 28,00 €
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- Andreas Wagener / Carsten Stark (Hrsg.), Die Digitalisierung des Politischen: Theoretische und praktische Herausforderungen für die Demokratie. Wiesbaden: Springer VS 2023, 338 S., kt., 64,99 €
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- Rezensentinnen und Rezensenten des 3. Heftes 2024
- Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)