Home Frerk Blome, Universitätskarrieren und soziale Klasse: Soziale Aufstiegs- und Reproduktionsmechanismen in der Rechts- und Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2023, 546 S., br., 78,00 €
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Frerk Blome, Universitätskarrieren und soziale Klasse: Soziale Aufstiegs- und Reproduktionsmechanismen in der Rechts- und Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz Juventa 2023, 546 S., br., 78,00 €

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Published/Copyright: August 29, 2024
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Frerk Blome, Universitätskarrieren und soziale Klasse: Soziale Aufstiegs- und Reproduktionsmechanismen in der Rechts- und Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, 2023, 546 S., kt., 78,00 €


Während sich die empirische Bildungsforschung ausgiebig mit den Effekten der sozialen Herkunft auf zentrale Bildungs-Outcomes beschäftigt, spielt die soziale Herkunft in der soziologischen Arbeitsmarktforschung kaum eine Rolle. Die Hochschulforschung lässt sich insofern dazwischen verorten, da sowohl Bildungsentscheidungen und -erfolge für den Zugang zu einer Professur entscheidend sind als auch arbeitsmarkrelevante Aspekte. Je höher die Qualifikationsstufe auf dem Weg zu einer Professur, desto dürftiger werden auch die Erkenntnisse zur Bedeutung der sozialen Herkunft. Frerk Blome hat sich in seinem 546-seitigen Werk nichts Geringeres vorgenommen als den langen (steinigen) Weg von wissenschaftlichen Karrieren bis hin zur Professur mit einem Fokus auf die soziale Klasse der Protagonist:innen zu beleuchten.

Nach Blome gibt es vier zentrale Gründe, weshalb man sich mit der sozialen Herkunft von Professor:innen beschäftigen sollte: (a) das „professorale AgendaSetting“ (S. 12) – welche Themen auf die Agenda kommen und wie sie untersucht werden, sei von den Akteur:innen abhängig, (b) das Humankapital – man verschenke wichtiges personelles Kapitel, wenn Spitzenämter in der Wissenschaft manchen Personenkreisen verschlossen bleiben, (c) Gleichheit und Gerechtigkeit und, damit verbunden, (d) die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheiten, auch mit Blick auf die Lebenschancen der Studierenden.

Blome arbeitet mit dem Begriff der sozialen Klasse, der spätestens seit den frühen 1980er Jahren in der soziologischen Ungleichheitsforschung und Sozialstrukturanalyse höchst umstritten ist, nachdem Beck (1983) mit „Jenseits von Stand und Klasse“ eine Jahrzehnte lange Debatte losgetreten hat und sich zahlreiche Ungleichheitsforschende daran abgearbeitet haben (siehe etwa das Sammelwerk herausgegeben von Berger und Hitzler, 2010). Die Bandbreite der Adaption der Individualisierungsthese als Gegenentwurf zur Klassengesellschaft reichte nach Becker und Hadjar (2010, S. 52) von „flächendeckend adaptiert“ bis hin zu „heftig kritisiert“. Eine Renaissance erlebt der Klassenbegriff spätestens mit sich wieder verschärfenden Ungleichheiten im Rahmen der Corona-Pandemie. Eine Verortung von Blomes Werk auf einem Kontinuum zwischen Beck’scher Individualisierungsthese samt Aufhebung der Klassenmilieus und einer kritischen Eliteforschung à la Michael Hartmann (2002) ist mit Blick auf den Titel („Universitätskarrieren und soziale Klasse“) zumindest oberflächlich gesehen einfach. Blome richtet seinen Blick jedoch nicht primär auf soziale Exklusionsmechanismen, sondern auf die hochschulpolitisch sehr viel zielführenderen „Prozesse und Dynamiken, die für das Entstehen weiter sozialer Aufstiege in der Wissenschaft konstitutiv sind“ (S. 117). Zudem vergleicht er die Aufstiegsmobilität in zwei sehr unterschiedlichen Fachdisziplinen und verortet sich selbst in der (fächer-)vergleichenden Forschung.

Mit der Auswahl der beiden Fachdisziplinen Rechts- und Erziehungswissenschaft spannt Blome gekonnt wissenschaftliche Felder zwischen dem idealtypischen Aufsteiger:innenfach Erziehungswissenschaft und der konservativen, sozial selektiven Rechtswissenschaft (mit Ausnahme der meritokratisch orientierten Leistungsmessungen im Staatsexamen) auf.

Der Forschungsstand zur sozialen Herkunft im Rahmen von Wissenschaftskarrieren ist erstaunlich mager. Unter Chancengleichheit bei wissenschaftlichen Karrieren werden gemeinhin ungleiche Lebenschancen nach Geschlecht(ern) verstanden. Blome präsentiert den Forschungsstand sequenziell nach Studien und strukturiert nach qualitativen und quantitativen Studien. Gerade die Strukturierung nach methodischen Paradigmen wirkt für meinen Geschmack etwas altbacken und wird auch einigen zitierten, teils im Mixed-Methods Design angelegten Studien nicht gerecht. Ein größerer Fundus an autobiografischem Material von Professor:innen, die den sozialen Aufstieg teils auf bemerkenswerte Weise geschafft haben, verschwindet leider entweder in einer Fußnote (Mayer, 2010) oder wird komplett ignoriert (Münch, 2010; Opp, 2010; Sack, 2010). Dies ist insofern verwunderlich, als Blome ebenfalls einen autobiografischen Zugang (autobiografische Interviews mit Universitätsprofessor:innen) wählt, wenngleich es sich um andere Disziplinen handelt.

Während das ganze Werk theoretisch gut informiert wirkt, verwundert das Unterkapitel „Theoretische Ansätze klassensensibler Hochschulforschung“ (S. 106) sehr. Hier werden auf ca. acht Seiten empirische Befunde vermengt mit Theorieansätzen präsentiert, davon knapp zwei Seiten mit Theorien rationaler Wahl, für die der Autor nicht wirklich ein Faible zu haben scheint. Da ich selbst aus einer deduktiv, theorietestenden Forschungstradition komme und mit theoriegenerierender qualitativer Forschung wenig Berührungspunkte habe, halte ich mich diesbezüglich mit Beurteilungen zurück.

Methodisch und methodologisch verortet sich Blome in der Tradition einer theoriegenerierenden Grounded Theory, die iterativ und mit theoretischem Sampling arbeitet. Während Blome im Forschungsstand die für die qualitative Forschung unbegründet vereinfachende Dichotomie von Akademiker- versus Nichtakademikerhaushalte kritisiert, wendet er diese im Rahmen seiner eigenen Sampling Strategie aus forschungspragmatischen Gründen ebenfalls an (was er sympathischer Weise auch mitreflektiert). Weitaus problematischer sehe ich die Sampling Strategie, die teils mit Verweis auf die „Vorgeschichte“ (der Masterarbeit von Herrn Blome) verschwimmt und in der pragmatische Feldzugänge gewählt werden wie beispielsweise wenn bekannte Jurastudierende „gefragt wurden, ob sie sozial aufwärtsmobile Professor:innen kennen“ (S. 121). Ob das Nichtakademikerelternhaus generell und vor Studierenden thematisiert wird oder nicht, kann durchaus als Teil einer Assimilationsstrategie in einem fremden Feld interpretiert werden und somit auch eng konfundiert mit dem eigentlichen Erkenntnisinteresse selbst sein. Auch wurden „Professor:innen direkt kontaktiert, die sich für unterschiedliche Organisationen engagierten, deren Ziel die Unterstützung nicht-privilegierter Studierender ist“ (S. 145). Auch diese Sampling-Strategie steht in engem Zusammenhang mit dem offenen Umgang mit der sozialen Herkunft.

Die Analyseergebnisse werden im vierten Kapitel – dem Herzstück des Werkes – auf über 300 Seiten entlang der Statuspassagen dargestellt. Als Fazit der Analyse werden letztlich zwei soziale Mechanismen herausgearbeitet. Zum einen „Sozialbeziehungen zu und Interaktionen mit signifikanten wie autoritativen Anderen“ (S. 491, [Herv. i. Orig.]). Dieser Mechanismus inkludiert sowohl die Vorbildfunktion von autoritativen anderen wie etwa Schul- oder Hochschullehrer:innen als auch die Erwartungshaltung bzgl. Bildungsentscheidungen und direkte Bildungs- und Jobangebote in Form von Betreuungs- oder Stellenangeboten, die auch finanzielle Restriktionen als Barrieren aufweichen. Diese Einschätzungen der autoritativen Anderen werden nach Blome ins Selbstbild der Bildungsaufsteiger:innen übernommen und sorgen für eine „Modifikation biografischer Schemata“ (S. 491–492). Dass Mentor:innen eine zentrale Rolle zukommt wurde zwar schon in bisheriger Forschung aufgezeigt (u. a. Jungbauer-Gans & Gross, 2013), Blome zeigt aber sehr schön, wie der positive Effekt zustande kommt. Der zweite soziale Mechanismus, den Blome herausarbeitet, wird mit „positiven Bewertungen erbrachter Leistungen“ (S. 492, [Herv. i. Orig.]) umschrieben. Dabei passen die Bildungsaufsteiger:innen ihr Selbstbild auf Basis von objektivierten Leistungsbeurteilungen an. Theoretisch bettet Blome diese Erkenntnis in die Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Festinger, 1954) ein.

Insgesamt hat sich Frerk Blome sehr viel vorgenommen und den Fokus auf ein sehr wichtiges und zu wenig beachtetes Thema gelenkt. Die Betrachtung des „Big Pictures“ bzw. des gesamten „Bildungstrichters“ bis hin zur Professur leisten bisherige Studien, die sich in der Regel einzelnen Statuspassagen widmen, weitestgehend nicht. Dieses Vorhaben ist ebenso löblich wie auch mit zahlreichen Fallstricken versehen, die weitestgehend gut gemeistert werden. Trotz des thematisch weiten Themenzuschnitts wird auch eine angemessene Tiefe erreicht, die sicherlich nicht alle Flanken abdecken kann. Der Feldzugang, der sich bei der Beforschung von Eliten immer schwierig gestaltet, wird pragmatisch wie auch angreifbar „gelöst“. Die theoretische Einbettung ist gleichermaßen gut informiert wie auch abenteuerlich. Alles in allem liefert das Werk von Blome sowohl einen wichtigen Beitrag zur Erklärung sozialer Schließungsprozesse bei wissenschaftlichen Karrieren als auch eine Beschreibung möglicher Öffnungsmechanismen, die die Bildungsaufsteiger:innen zu dem machen, was sie sind.

Literatur

Becker, R., & Hadjar, A. (2010). Das Ende von Stand und Klasse? 25 Jahre theoretische Überlegungen und empirische Betrachtungen aus der Perspektive von Lebensverläufen unterschiedlicher Kohorten. In P. A. Berger & R. Hitzler (Hrsg.), Individualisierungen: Ein Vierteljahrhundert „jenseits von Stand und Klasse“? (S. 51–72). 10.1007/978-3-531-92589-9_3Search in Google Scholar

Berger, P. A., & Hitzler, R. (Hrsg.). (2010). Individualisierungen: Ein Vierteljahrhundert Jenseits Von Stand und Klasse?. Springer Science & Business Media.Search in Google Scholar

Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human relations, 7(2), 117–140.10.1177/001872675400700202Search in Google Scholar

Hartmann, M. (2002). Der Mythos von den Leistungseliten: Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft. Campus Verlag.Search in Google Scholar

Jungbauer-Gans, M., & Gross, C. (2013). Determinants of success in university careers: Findings from the German academic labor market. Zeitschrift für Soziologie, 42(1), 74–92.10.1515/zfsoz-2013-0106Search in Google Scholar

Mayer, K. U. (2010). Lebensverlauf und soziale Ungleichheit. In M. Jungbauer-Gans & C. Gross (Hrsg.), Soziologische Karrieren in autobiographischer Analyse (S. 107–128). Springer VS. 10.1007/978-3-531-92322-2_6Search in Google Scholar

Münch, R. (2010). Soziologie als Beruf. In M. Jungbauer-Gans & C. Gross (Hrsg.), Soziologische Karrieren in autobiographischer Analyse (S. 129–149). Springer VS.10.1007/978-3-531-92322-2_7Search in Google Scholar

Opp, K. D. (2010). Ein nicht vorhersehbarer Lebenslauf?. In M. Jungbauer-Gans & C. Gross (Hrsg.), Soziologische Karrieren in autobiographischer Analyse (S. 75–94). Springer VS.10.1007/978-3-531-92322-2_4Search in Google Scholar

Sack, F. (2010). Wie wurde ich Soziologe?. In M. Jungbauer-Gans & C. Gross (Hrsg.), Soziologische Karrieren in autobiographischer Analyse (S. 21–51). Springer VS.10.1007/978-3-531-92322-2_2Search in Google Scholar

Online erschienen: 2024-08-29
Erschienen im Druck: 2024-08-28

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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