Jacob Stokes/Alexander Sullivan/Zachary Durkee: Global Island. Sustaining Taiwan’s International Participation Amid Mounting Pressure from China. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), April 2022
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Stokes Jacob Sullivan Alexander Durkee Zachary Global Island. Sustaining Taiwan’s International Participation Amid Mounting Pressure from China Washington, D.C. Center for a New American Security (CNAS) April 2022
Kaum marschierte das autokratische, von Putin geführte Russland in die Ukraine ein, wandten sich viele Blicke auch nach Ostasien und zeigten sich um Taiwans Status quo besorgt. Die Strategiestudie von den CNAS-Fellows Jacob Stokes und Alexander Sullivan unter Mithilfe des Projektberaters Zachary Durkee nimmt die Fragestellung auf, was der Krieg gegen die Ukraine für Taiwan bedeuten kann und gibt Handlungsempfehlungen für die Politik in den USA, Taiwan der strategischen Partner in der Region.
Besorgt über den wachsenden Druck Pekings skizzieren die Autoren Hintergründe und Maßnahmen, durch die Peking Taiwan zu isolieren versucht. Wie der Titel schon angibt, ist das Geschick der Insel von globaler Bedeutung. Während die taiwanesische Demokratie ihre Beteiligung an der liberalen internationalen Ordnung bewahren oder gar vorantreiben möchte, wächst der Druck der Volksrepublik China auf die Insel und auf die Staaten, die Taiwan bislang unterstützt haben und auch auf USA. Seit der Machtübernahme Xi Jinpings haben – meist auf ökonomischen Druck hin – neun Staaten ihre Anerkennung Taiwans zurückgezogen; darunter Panama (in 2017), die Dominikanische Republik (in 2018) oder jüngst Nicaragua (in 2021). Lediglich 14 Staaten erkennen Taiwan heute noch als souveränen Staat an; unter ihnen sind Paraguay, Honduras und der Heilige Stuhl (der Vatikan). Die Interpretationen der USA und Chinas über den Status Taiwans unter den Bedingungen der Ein-China-Politik weichen heute fundamental voneinander ab. Während für Xi Jinping die „Lösung der Taiwanfrage“ eine Vorbedingung der „großen Erneuerung der chinesischen Nation in einer neuen Ära der chinesischen Vormacht“ ist (S. 2), erklärte US-Präsident Biden unlängst, dass sein Land zur Verteidigung Taiwans bereit sei, sollte es durch China angegriffen werden.
Die Autoren schildern zunächst die Gründe für Chinas Druckkampagne („pressure campaing“), skizieren dann drei Linien der Politik Chinas zur Isolierung Taiwans, um daran anschließend handlungsleitende Prinzipien für zukünftige Strategien abzuleiten. Es werden insgesamt 18 Handlungsempfehlungen vorgebracht, die helfen sollen, Taiwans internationale Partizipation trotz des Drucks aus Peking zu bewahren.
Neben den Versuchen der diplomatischen Isolierung Taiwans versuche die Volksrepublik auch, andere Länder dahingehend unter Druck zu setzen, dass diese ihre wirtschaftlichen Verbindungen zur Inselrepublik aufgäben (S. 5). Allerdings habe Taiwan speziell wegen der Halbleiterindustrie eine Stellung, die „noch immer diejenige Chinas in wichtigen Belangen übersteige“ (S. 5).
Ein weiterer Bereich der Politik Pekings ist der Versuch, die New Southbound Policy unter Präsidentin Tsai zu konterkarieren. Diese stelle den Versuch dar, die nicht offiziellen diplomatischen Beziehungen Taiwans auszubauen. Die Volksrepublik sei bestrebt, Taiwans Bemühungen um alternative Formen der internationalen Einbindung in multilateralen Organisationen zu unterbinden. Darunter falle auch die Olympische Bewegung, für die keine Staatlichkeit zwingend ist (S. 7). Auch auf informell etablierte Vehikel wie z. B. die Entsendung von Beobachtern zu Nichtregierungsorganisationen oder der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) übe Peking Druck aus, um den Status Taiwans zu schwächen.
Chinas strategisches Vorgehen sei ein „embedded revisionism.“ Es würden existierende institutionelle Autoritäten genutzt (z. B. Ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat) und externe Koalitionen (über die Belt-Road Initiative) aufgebaut, um das Handeln internationaler Institutionen in die von Peking gewünschte Richtung zu lenken (S. 7). Die Autoren zählen einige Einzelbeispiele auf, darunter auch der Vorfall aus dem Jahr 2017 als chinesische Würdenträger am UN-Hauptquartier den Delegationsführer von Taiwans Environmental Protection Agency hinderten, ins Gebäude zu treten.
Ein häufig gewählter Kompromiss stelle die Einigung auf eine Teilnahme Taiwans als subnationale politische Einheit dar: in der Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC) nimmt Taiwan unter dem Titel „Chinese Taipei“ teil oder bei der Welthandelsorganisation (WTO) als „separate customs teritory of Taiwan, Penghu, Kinmen, and Matsu“ (S. 7). Teilweise führe das Verhalten Pekings in internationalen Organisationen zu merkwürdigen Reaktion. So wurde eine Videokonferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus „technischen Gründen“ abgebrochen, nachdem eine Journalistin, auf Taiwans Ausschluss zu sprechen kam (S. 8).
Die Situation um Taiwan bleibe insgesamt angespannt. Für die Autoren ist klar, dass die Antwort auf Chinas wachsende Gegenwehr in der Taiwanfrage nur Abschreckung sein könne: „Deterrence Remains Fundamental to Cross-Strait Peace and Stability“ (S. 9). Sie raten zu einem Framework der integrierten Abschreckung unter Führung der USA, welches andere Allianzpartner einbeziehen solle. Obgleich weder Präsident Biden noch Präsidentin Tsai von einer formalen Unabhängigkeit sprächen, intendierten sie, die internationale Partizipation Taiwans zu stärken. Dieses Vorgehen solle auch von anderen Ländern mitgetragen werden, denn je mehr Länder eigene Beziehungen zu Taiwan aufbauten, desto stärker könnten sie sich, gemeinsam mit den USA gegen den Druck der Volksrepublik zur Wehr setzen (S. 10).
Für die Bereiche Sicherheit, Wirtschaft und Energie sowie Klima, Gesundheit und Menschenrechte skizzieren die Autoren Handlungsfelder, die wichtig wären, um Taiwans Position zu stärken. Taiwan solle seine Teilhabebemühungen speziell auf die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) und die Internationale Maritime Organisation richten. Es müsse seine Dominanz im Bereich der Halbleiterindustrie ausbauen und die Teilhabe in Körperschaften vorantreiben, die sich mit finanzieller und makroökonomischer Regelsetzung beschäftigen.
Die Autoren weisen auf die besondere Vulnerabilität der Insellage hin und spekulieren, dass sich aus dem Problemdruck Klimawandel auch ein Potenzial für Taiwan ergebe, die „Produktion und den Einsatz grüner Energietechnologien anzuführen“ (S. 12). Sie schließen ihre Analyse mit Handlungsempfehlungen, die sich auf die Frage richten, wie politisch nachhaltige Verknüpfungen der Regierungen, Legislaturen und Gesellschaften entstehen können. Auch müsse versucht werden, die inoffiziellen Beziehungen zwischen Taiwan und anderen Gleichgesinnten auszuweiten. Nur so könne jede weitere Schwächung des politischen Status quo vermieden werden. Außerdem müsse Taiwans Beitrag zu multilateralen internationalen Organisationen im Einklang mit der langfristigen US-Politik verteidigt und verbessert werden.
Viele der genannten Punkte sind nicht neu, etwa die Einbettung in globale Kooperationsformen (z. B. das U.S.-Taiwan Global Cooperation and Training Framework, GCTF) oder der Ausbau gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen. Und weil etliche dieser Empfehlungen im Widerspruch zur bisherigen Politik vieler westlicher Staaten stehen, bedarf es vielerorts entsprechender Anpassungsprozesse. Wenn sie nicht gemeinschaftlich umgesetzt werden, steht zu befürchten, dass die Taiwanpolitik symbolhaft verbleibt.
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© 2022 Perkuhn, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Der russische Überfall auf die Ukraine – eine militärische Lageanalyse
- An der Schwelle zum Dritten Weltkrieg – Welche Risiken darf der Westen im Ukraine-Krieg eingehen?
- Russlands diktierter Nicht-Frieden im Donbas 2014–2022: Warum die Minsker Abkommen von Anbeginn zum Scheitern verurteilt waren
- One man’s surprise is another man’s analysis: Warum Regierungen überrascht werden und was man dagegen tun kann
- Die militärische Modernisierung in China und Russland und die Vierte Industrielle Revolution
- Auf dem Weg zum Krieg von morgen. Chinesische Militärtheorie und die Evolution des Krieges
- Kurzanalyse
- Unterschiede zwischen westlichen und nichtwestlichen US-Verbündeten in der Reaktion auf den Ukraine-Krieg
- Kommentar
- Die längerfristigen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und die wachsende Bedeutung der zivilen Seite des Krieges
- Ergebnisse strategischer Studien
- Zukunft Russlands
- Cyrus Newlin/Andrew Lohsen: Russia Futures. Three Trajectories. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Mai 2022.
- Die Lage von Taiwan
- Jacob Stokes/Alexander Sullivan/Zachary Durkee: Global Island. Sustaining Taiwan’s International Participation Amid Mounting Pressure from China. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), April 2022
- Johan Englund: Isolating Taiwan beyond the Strait: Chinese pressure tactics in four democracies. Stockholm: Swedish Defence Research Agency (FOI), Mai 2022
- Entkoppelung von China
- CSIS Multilateral Cyber Action Committee: The Two Technospheres. Western-Chinese Technology Decoupling: Implications for Cybersecurity. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
- US-Militärpolitik
- Marc F. Cancian: U.S. Military Forces in FY 2022: Peering into the Abyss. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
- Bücher von gestern – heute gelesen
- Militärische Strategien und die Wirksamkeit von Abschreckung zur Zeit des Ost-West-Konflikts
- Buchbesprechungen
- Christopher M. Smith: Ukraine’s Revolt, Russia’s Revenge. Washington, D.C.: Brookings Institution 2022, 384 Seiten
- Michel Eltchaninoff: In Putins Kopf. Logik und Willkür eines Autokraten. Stuttgart: Tropen, 2022, aktualisierte Neuausgabe (aus dem Französischen von Till Bardoux), 222 Seiten
- Rush Doshi: The Long Game. China’s Grand Strategy to Displace American Order. New York: Oxford University Press, 2021, 459 Seiten
- Ryan Hass: Stronger. Adapting America’s China Strategy in an Age of Competitive Interdependence. New Haven, Yale University Press 2021
- Bildnachweise
Artikel in diesem Heft
- Titelseiten
- Editorial
- Editorial
- Aufsätze
- Der russische Überfall auf die Ukraine – eine militärische Lageanalyse
- An der Schwelle zum Dritten Weltkrieg – Welche Risiken darf der Westen im Ukraine-Krieg eingehen?
- Russlands diktierter Nicht-Frieden im Donbas 2014–2022: Warum die Minsker Abkommen von Anbeginn zum Scheitern verurteilt waren
- One man’s surprise is another man’s analysis: Warum Regierungen überrascht werden und was man dagegen tun kann
- Die militärische Modernisierung in China und Russland und die Vierte Industrielle Revolution
- Auf dem Weg zum Krieg von morgen. Chinesische Militärtheorie und die Evolution des Krieges
- Kurzanalyse
- Unterschiede zwischen westlichen und nichtwestlichen US-Verbündeten in der Reaktion auf den Ukraine-Krieg
- Kommentar
- Die längerfristigen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und die wachsende Bedeutung der zivilen Seite des Krieges
- Ergebnisse strategischer Studien
- Zukunft Russlands
- Cyrus Newlin/Andrew Lohsen: Russia Futures. Three Trajectories. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Mai 2022.
- Die Lage von Taiwan
- Jacob Stokes/Alexander Sullivan/Zachary Durkee: Global Island. Sustaining Taiwan’s International Participation Amid Mounting Pressure from China. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), April 2022
- Johan Englund: Isolating Taiwan beyond the Strait: Chinese pressure tactics in four democracies. Stockholm: Swedish Defence Research Agency (FOI), Mai 2022
- Entkoppelung von China
- CSIS Multilateral Cyber Action Committee: The Two Technospheres. Western-Chinese Technology Decoupling: Implications for Cybersecurity. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
- US-Militärpolitik
- Marc F. Cancian: U.S. Military Forces in FY 2022: Peering into the Abyss. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
- Bücher von gestern – heute gelesen
- Militärische Strategien und die Wirksamkeit von Abschreckung zur Zeit des Ost-West-Konflikts
- Buchbesprechungen
- Christopher M. Smith: Ukraine’s Revolt, Russia’s Revenge. Washington, D.C.: Brookings Institution 2022, 384 Seiten
- Michel Eltchaninoff: In Putins Kopf. Logik und Willkür eines Autokraten. Stuttgart: Tropen, 2022, aktualisierte Neuausgabe (aus dem Französischen von Till Bardoux), 222 Seiten
- Rush Doshi: The Long Game. China’s Grand Strategy to Displace American Order. New York: Oxford University Press, 2021, 459 Seiten
- Ryan Hass: Stronger. Adapting America’s China Strategy in an Age of Competitive Interdependence. New Haven, Yale University Press 2021
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