Startseite Cyrus Newlin/Andrew Lohsen: Russia Futures. Three Trajectories. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Mai 2022.
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Cyrus Newlin/Andrew Lohsen: Russia Futures. Three Trajectories. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Mai 2022.

  • Adrian Steube

    Masterstudent „Internationale Beziehungen und Diplomatie“ und Vorsitzender der Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik

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Veröffentlicht/Copyright: 9. September 2022

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Newlin Cyrus Lohsen Andrew Russia Futures. Three Trajectories Washington, D.C. Center for Strategic and International Studies (CSIS) Mai 2022


Die Studie von Cyrus Newlin und Andrew Lohsen fokussiert sich auf die Antizipierung zukünftiger Entwicklungsszenarien Russlands. Dazu initiierte das CSIS ein Forschungsprojekt, dass drei potenzielle Szenarien identifiziert und daraus Implikationen für den transatlantischen Raum ableitet. Um eine möglichst differenzierte Darstellung zu ermöglichen, untersucht die Studie multiple Variablen und ihre möglichen Auswirkungen auf die Zukunft Russlands. Dazu gehören unter anderem: die innere politische Situation, militärische Aktivitäten, die russische Außenpolitik, der Klimawandel, ökonomische Prognosen sowie der zunehmende Konkurrenzkampf in der Arktisregion. Die vorliegenden Szenarien sind das Produkt eigener Analysen und wurden im Rahmen verschiedener Workshops mit U.S.-amerikanischen, europäischen und norwegischen Experten erörtert.

Die drei antizipierten Szenarien unterscheiden sich jeweils in der Richtungsprägung der angenommenen zukünftigen Entwicklung. So identifiziert die Studie eine potenzielle Entwicklungsbahn Russlands als Baseline/Path of Continuity. Dieses Szenario ist durch eine anhaltende Konfrontation mit dem Westen gekennzeichnet, wobei einem offenen Konflikt und einer tiefergehenden Eskalation jedoch ausgewichen wird. Russland hält weiterhin am Konzept Greater Eurasia fest, während die Partnerschaft mit China zunehmend ungleicher wird. Kurskorrekturen sind aufgrund innerer Politik kaum möglich. Putins Popularität nimmt langsam, aber stetig ab; dennoch bleibt er innenpolitisch weitestgehend unangefochten. Soziale Unruhen nehmen zu, werden jedoch durch Gewalt unterdrückt. Wirtschaftlich setzt der Kreml auf anhaltende Stagnation, während sich der Klimawandel desaströs auf die Lage im Land auswirkt.

Die zweite potenzielle Entwicklungsbahn Russlands wird als Positive/Risk Reduction and Partial Normalization beschrieben. Diesem Szenario sei insbesondere der verringerte Konfrontationskurs und die Reformbereitschaft des Kremls eigen. Hier zwingt die wirtschaftliche Stagnation Russland dazu, das eigene ökonomische System zu reformieren. Dadurch ergeben sich Lockerungen der Sanktionen und neue Investitionsmöglichkeiten. Um äußere Risiken zu minimieren, mäßigt Russland seine Außenpolitik. Aus Angst vor weiteren Sanktionen und einem härteren Kurs des Westens deeskaliert der Kreml seinen Kurs gegenüber der Ukraine. Innenpolitisch kühlen soziale Unruhen partiell ab, werden aber noch immer mit Repressionen beantwortet.

Das letzte Szenario benennen die Autoren als Negative/Risk Acceptance and Rise of the Siloviki. Diese Entwicklungsbahn wird besonders durch eine vertiefte Konfrontation mit dem Westen gekennzeichnet. Außenpolitisch greift Russland in der Ukraine erneut zu militärischen Mitteln und übernimmt die de-facto Kontrolle über Belarus, während es seine Partnerschaft im Bereich der Sicherheit mit China ausbaut. Eine hohe Risikobereitschaft führt für Russland in den meisten Fällen zu den gewünschten Resultaten. Dieser Kurs ist nur möglich, weil der Kreml keine unmittelbare, existenzielle externe Bedrohung fürchten muss. Ökonomische Stagnation und Misswirtschaft verschärfen negative Klimaauswirkungen und den Unmut in der Bevölkerung. Eine genuine Krise bedroht das Regime und verleitet den Kreml dazu, externe Risiken einzugehen, in der Hoffnung, positive Effekte auf die innere Unzufriedenheit im Land hervorzurufen. Die Entscheidungsfindung der Führungsriege leidet zunehmend, wodurch sich die Repräsentanten der russischen Sicherheitsdienste (Silowiki) letztendlich durchsetzen.

Selbstkritisch merken die Autoren die schwierigen Umstände der Studie an, weil diese zum Zeitpunkt der Invasion der Ukraine bereits kurz vor der Veröffentlichung stand. Dennoch bleibt die Studie für strategische Überlegungen interessant. So können einige Aspekte durch die aktuellen Entwicklungen ausgeklammert werden, während andere hingegen verschärft wurden. Abgesehen davon, kann das Ziel solcher Studien niemals eine unanfechtbare Zukunftsvorhersage sein. Der Mehrwert liegt darin, für strategische Zukunftsplanungen eventuelle Szenarien durchzuspielen, sich auf potenzielle Ereignisse aus langer Hand vorzubereiten und mögliche Reaktionen zu testen. Dies erreicht die Studie durchaus, indem sie eine diverse Anzahl von Entwicklungen unter verschiedenen Faktoren betrachtet. Wünschenswert wären jedoch zusätzlich konkrete Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Szenarien gewesen.

https://www.csis.org/analysis/russia-futures-three-trajectories

About the author

Adrian Steube

Masterstudent „Internationale Beziehungen und Diplomatie“ und Vorsitzender der Hochschulgruppe für Außen- und Sicherheitspolitik

Published Online: 2022-09-09
Published in Print: 2022-09-01

© 2022 Steube, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Der russische Überfall auf die Ukraine – eine militärische Lageanalyse
  6. An der Schwelle zum Dritten Weltkrieg – Welche Risiken darf der Westen im Ukraine-Krieg eingehen?
  7. Russlands diktierter Nicht-Frieden im Donbas 2014–2022: Warum die Minsker Abkommen von Anbeginn zum Scheitern verurteilt waren
  8. One man’s surprise is another man’s analysis: Warum Regierungen überrascht werden und was man dagegen tun kann
  9. Die militärische Modernisierung in China und Russland und die Vierte Industrielle Revolution
  10. Auf dem Weg zum Krieg von morgen. Chinesische Militärtheorie und die Evolution des Krieges
  11. Kurzanalyse
  12. Unterschiede zwischen westlichen und nichtwestlichen US-Verbündeten in der Reaktion auf den Ukraine-Krieg
  13. Kommentar
  14. Die längerfristigen Auswirkungen des Ukraine-Krieges und die wachsende Bedeutung der zivilen Seite des Krieges
  15. Ergebnisse strategischer Studien
  16. Zukunft Russlands
  17. Cyrus Newlin/Andrew Lohsen: Russia Futures. Three Trajectories. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Mai 2022.
  18. Die Lage von Taiwan
  19. Jacob Stokes/Alexander Sullivan/Zachary Durkee: Global Island. Sustaining Taiwan’s International Participation Amid Mounting Pressure from China. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS), April 2022
  20. Johan Englund: Isolating Taiwan beyond the Strait: Chinese pressure tactics in four democracies. Stockholm: Swedish Defence Research Agency (FOI), Mai 2022
  21. Entkoppelung von China
  22. CSIS Multilateral Cyber Action Committee: The Two Technospheres. Western-Chinese Technology Decoupling: Implications for Cybersecurity. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
  23. US-Militärpolitik
  24. Marc F. Cancian: U.S. Military Forces in FY 2022: Peering into the Abyss. Washington, D.C.: Center for Strategic & International Studies (CSIS), März 2022
  25. Bücher von gestern – heute gelesen
  26. Militärische Strategien und die Wirksamkeit von Abschreckung zur Zeit des Ost-West-Konflikts
  27. Buchbesprechungen
  28. Christopher M. Smith: Ukraine’s Revolt, Russia’s Revenge. Washington, D.C.: Brookings Institution 2022, 384 Seiten
  29. Michel Eltchaninoff: In Putins Kopf. Logik und Willkür eines Autokraten. Stuttgart: Tropen, 2022, aktualisierte Neuausgabe (aus dem Französischen von Till Bardoux), 222 Seiten
  30. Rush Doshi: The Long Game. China’s Grand Strategy to Displace American Order. New York: Oxford University Press, 2021, 459 Seiten
  31. Ryan Hass: Stronger. Adapting America’s China Strategy in an Age of Competitive Interdependence. New Haven, Yale University Press 2021
  32. Bildnachweise
Heruntergeladen am 8.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2022-3010/html
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