Startseite Entwicklungen in den Formulierungsmustern der Redewiedergabe in der Wiener Zeitung (1740–1835)
Artikel Open Access

Entwicklungen in den Formulierungsmustern der Redewiedergabe in der Wiener Zeitung (1740–1835)

Eine Pilotstudie
  • Lucia Assenzi EMAIL logo
Veröffentlicht/Copyright: 25. Juli 2023

Zusammenfassung

Im Beitrag werden Entwicklungen in den Formulierungsmustern der Redewiedergabe in der Wiener Zeitung (1740–1835) untersucht. Redewiedergabe wird hier als jede Form der Wiedergabe von oder des Verweisens auf sprachlich kodiertes Material verstanden, das in einer anderen Kommunikationssituation produziert wurde, und wird unter zwei Gesichtspunkten untersucht: Zunächst werden die formalen Realisierungen der Redewiedergabe analysiert; dabei wird in erster Linie die Frage des Verhältnisses zwischen syntaktischer Integration des wiedergegebenen Inhalts und figuraler bzw. autoraler Perspektive der Wiedergabe berücksichtigt. Danach wird auf den Verweis auf eine Informationsquelle eingegangen. Dies erfolgt mit einer Analyse der reportiven und quotativen Strategien, die bei Redewiedergabe angewendet werden. Entwicklungen in diesen beiden Aspekten werden quantitativ dargestellt und im Hinblick auf den sozialen und medialen Wandel im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert erklärt.

1 Wandel in der Gesellschaft – Wandel im Mediensystem – Wandel in der Redewiedergabe?

Die Epoche, die sich ca. von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erstreckte, war eine Zeit des Übergangs in gesellschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht. Das gesamte 18. Jahrhundert hindurch herrschte im deutschen Sprachraum das absolutistische System weiter, in dem die Kultur noch immer von der Fürstenklasse streng kontrolliert und zensiert wurde. Zu dieser Zeit konnte das Bildungsbürgertum meist nur im Dienst eines Fürstenstaats agieren und daher lediglich einen begrenzten Einfluss auf die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen ausüben (von Polenz 2013: 396). Das 18. Jahrhundert war aber auch die Zeit der Aufklärung, die sich in manchen deutschsprachigen Ländern in der Form des sogenannten aufgeklärten Absolutismus konkretisierte. Aufgeklärte Herrschende setzten sich u. a. für die Verbreitung der Schulpflicht sowie für die Volksbildung ein.

Die ersten frühindustriellen Produktionsformen ließen besonders am Ende des 18. Jahrhunderts das Bürgertum aufsteigen, sodass sich Vorformen einer bürgerlichen politischen Öffentlichkeit herausbilden konnten (von Polenz 2013: 396). Dies geschah zunächst in den städtischen Zentren, die infolge der Industrialisierung zu wachsen begannen und in denen das ‚räsonierende‘ Bürgertum eine „bürgerliche Identität als neue urbane Klasse“ entwickeln konnte (Oggolder 2016: 17). Der Prozess ging in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weiter: In dieser Zeit des Übergangs zur Moderne erfuhr die deutschsprachige Gesellschaft einen grundlegenden Wandel, der – von der Industrialisierung vorangetrieben – zu Fortschritten in der Massenausbildung, zur Politisierung der Massen und zu zunehmend dringenden Forderungen eines demokratischen Systems führte (Steinmetz 2012: 91–95).

Mit dem allgemeinen Wandel von einer höfischen zu einer städtisch-bürgerlichen Gesellschaft befanden sich auch Zeitungen im 18. und 19. Jahrhundert in einem „Übergangsstadium vom Informationsmedium des Bildungsbürgertums und des Adels zum Massenmedium einer breiten, sämtliche soziale Schichten übergreifenden Gesellschaft“ (Wille 2020: 397). Zeitungen wurden demnach von einem zunehmend breiteren und vielfältigeren Publikum rezipiert. Durch die Lockerung der Zensurbestimmungen unter aufgeklärten Herrschenden konnten sich Zeitungen des Weiteren „als Medien eines aufstrebenden Bürgertums entwickeln, die zum einen die Formulierung eines neuen bürgerlichen Selbstverständnisses sowie die Etablierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit ermöglichten“ (Oggolder 2016: 17).

Obwohl der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert eine bedeutsame Zeit für die Entwicklung des Zeitungsmediums war, ist unser Wissen um diachronen Wandel in der Zeitungssprache dieser Zeit „aufgrund eher an wenigen Exemplaren vorgenommenen Untersuchungen ohnehin eingeschränkt“ (Pfefferkorn et al. 2017: 2–3; vgl. Schröder 2017: 165).

Für Zeitungen im 18. Jahrhundert liegen neue textsortengeschichtliche, mediengeschichtliche und textlinguistische Erkenntnisse vor, allerdings hauptsächlich für den Hamburgischen Correspondent (etwa Schuster & Wille 2015; Wille 2020). Die Sprache von Zeitungen aus dem 18. Jahrhundert wurde ferner vor allem im Hinblick auf die Rolle der Pressesprache bei der Ausbildung eines überregionalen Standards untersucht (s. etwa Durrell 2017; Havinga 2018: 100–105).

Zeitungen des 19. Jahrhunderts wurden zwar nach 2010 als Gegenstand für exemplarische Studien gewählt, die den Schwerpunkt auf syntaktische bzw. diskurslinguistische Aspekte legen (etwa Schuster 2010; Theobald 2012), Phänomene des Sprachwandels blieben darin allerdings meistens unerforscht. Mit wenigen Ausnahmen – darunter Haß-Zumkehr (1998) – fehlen außerdem Studien, die die Veränderung der Zeitungssprache über eine längere Zeitspanne verfolgen und die linguistischen Merkmale von Zeitungen vor und nach 1800 vergleichen.

Im Folgenden werden die ersten Ergebnisse eines langfristigen Projekts präsentiert, in dem die Entwicklung der Redewiedergabe in der Wiener Zeitung (im Folgenden: WZ), in den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen und im Hamburgischen Correspondent im Zeitraum von 1740 bis 1848 untersucht werden soll. Das Phänomen der Redewiedergabe wurde ausgewählt, weil es in Zeitungen omnipräsent ist: In Berichten müssen die Worte anderer immer wieder zitiert werden, etwa der Inhalt von Briefen von Korrespondenten, Entscheidungen und Befehle, aber auch andere Zeitungsartikel. Das Ziel des Projekts ist es zu zeigen, inwiefern die Entwicklungen in der Formulierung der Redewiedergabe mit dem medialen und sozialen Wandel korrelieren, der für diese Epoche kennzeichnend war.

Aufgrund der Erkenntnisse von Haß-Zumkehr (1998) und Wille (2020) sowie des sozialen Wandels im Zeitraum 1740–1848 ist eine Entwicklung in Richtung einer steigenden Transparenz der Informationsvermittlung zu erwarten: Zeitungen wurden im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts von einem zunehmend breiteren und anspruchsvolleren Publikum gelesen, das im Einklang mit den „aufklärerischen Idealen der Unparteilichkeit und Wahrhaftigkeit“ (Haß-Zumkehr 1998: 38) vermehrt eine neutrale, in ihrer Herkunft, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit nachvollziehbare Berichterstattung forderte (vgl. Schröder 2017: 170). Im vorliegenden Beitrag wird anhand der Untersuchung eines Teilkorpus von Berichten aus der WZ (1740–1835) dargestellt, wie sich der oben skizzierte soziale und mediale Wandel auf die Formulierungsmuster der Redewiedergabe in Zeitungen niederschlägt.

2 Untersuchungsgegenstand und Methode

2.1 Redewiedergabe: formale Realisierung und Verweis auf die Informationsquelle

Die Untersuchung der Redewiedergabe hat in der Forschung eine lange Tradition. Dementsprechend besteht in der Literatur eine Vielfalt an Begriffen, die verwendet werden, um Redewiedergabe zu beschreiben; selbst der Terminus Redewiedergabe wird mal breiter, mal enger aufgefasst (s. Diskussion in Fabricius-Hansen 2019).

Im vorliegenden Beitrag wird Redewiedergabe im weitesten Sinne verstanden als jede Form der Wiedergabe von oder des Verweisens auf sprachlich kodiertes Material (Gesagtes, Geschriebenes, Gedachtes, usw.), das in einer anderen (mündlichen oder schriftlichen) Kommunikationssituation produziert wurde. Unter Redewiedergabe werden also im Folgenden nicht nur die ‚traditionelle‘ direkte und indirekte Rede verstanden, sondern auch Sätze mit präpositionaler Redeanzeige oder mit nominalisiertem Redeinhalt wie in (1) und (2) u. a. (s. 2.1.1).

(1) Laut Briefen von Rochefort sind 4. Schiffe von dahin nach denen Jnsuln St. Domingue, Martinique und Guadeloupe unter Seegel gegangen. (WZ 3.1.1770: 2)

(2) Die Londner Hofzeitung vom 7. dieß meldet von Rüstungen zu einer neuen Expedizion [...]; (WZ 1.1.1800: 9)

Die Redewiedergabe wird im Folgenden in zwei ihrer grundlegenden Dimensionen betrachtet, d. h. in ihrer formalen Realisierung und im Hinblick auf den Verweis auf die Informationsquelle (evidentiale Dimension).

2.1.1 Form und syntaktische Integration der Redewiedergabe

Um Variationen in der Frequenz der unterschiedlichen Formulierungsmuster der Redewiedergabe beobachten zu können, ist es zunächst erforderlich, eine möglichst präzise Taxonomie der im Korpus vorliegenden Formen der Redewiedergabe zu erstellen. Dies ist im analysierten Teilkorpus weniger aufwendig als in aktuellen Zeitungstexten, die durch Mischformen und fließende Übergänge zwischen Redewiedergabeformaten gekennzeichnet sind (s. Pitz & Solfjeld 2019: 149–157). Im Korpus sind etwa weder Teilzitate noch nachgestellte Redeanzeigen vorhanden. Es treten auch keine Übergänge zwischen unterschiedlichen Formaten der Redewiedergabe innerhalb eines Satzes auf. Beispiele wie (3), in denen eine berichtete Rede ein Teilzitat enthält und von einer nachgestellten Redeanzeige begleitet wird, scheinen in der untersuchten Epoche nicht verbreitet gewesen zu sein: Im analysierten Teilkorpus sind sie nie belegt.

(3) Dabei seien rund 50 russische Soldaten "liquidiert" worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. (WZ 2022)

Im Folgenden werden die im Korpus nachweisbaren Muster der Redewiedergabe beschrieben und nach ihrem syntaktischen Integrationsgrad kategorisiert. Als Kriterien für die Bestimmung der syntaktischen Integration der Redewiedergabe gelten nach Leistner (2016: 169) die Satzhaftigkeit, Finitheit und Einbettung des wiedergegebenen Inhalts, die Erkennbarkeit der Originaläußerung sowie die personal- und temporaldeiktische Verschiebung.

Eine Klassifizierung der syntaktischen Integration unterschiedlicher Redewiedergabeformate ist umso relevanter, als mit der Skalierung der syntaktischen Integration eine Skalierung der Perspektive einhergeht, aus der das Wiedergegebene dargestellt wird. Wie Leistner (2016) in Anlehnung an Plank (1986) betont, sind stärker integrierte Formen der Wiedergabe mit einer stärkeren autoralen Perspektive verbunden: Wiedergegeben wird dabei aus dem Gesichtspunkt der aktuell schreibenden Person. Bei weniger integrierten Formen tritt dagegen die figurale Perspektive in den Vordergrund, d. h. die Perspektive der Person, die die Originaläußerung formuliert hat.

In Tab. 1 wird eine Schematisierung der im Korpus vorliegenden Redewiedergabeformate visualisiert, die modifiziert aus Leistner (2016: 169) übernommen wurde.[1]

Tab. 1

Zusammenspiel von Integration und figuraler bzw. autoraler Perspektive in den im Korpus nachgewiesenen Redewiedergabeformen.

- integriert + integriert autoraler Text
DIR BER IND(V2, VL, INF) NOM PAR PP sollen
+ figurale Perspektive + autorale Perspektive

Unter den im Korpus belegten Formen weist die direkte Rede (DIR) eine niedrigere syntaktische Integration und eine stärkere figurale Perspektive auf. Obwohl die direkte Rede in manchen Fällen syntaktisch in den Satz eingebettet ist, in dem die Redeanzeige vorkommt, ist sie syntaktisch weitgehend unselbständig. Bei direkter Rede wird außerdem angenommen, dass die Originaläußerung wortgetreu wiedergegeben wird. Die deiktische Verschiebung der Personalpronomina, Tempora und lokalen Adverbialen, die die übrigen Formen der Wiedergabe kennzeichnet, ist dort zudem ausgeschlossen:

(4) Die Antwort des Königs auf diese Vorstellungen war: „Jch will über euern Vortrag meine Betrachtungen anstellen [...] (WZ 2.6.1770: 3)

Die berichtete Rede (BER), d. h. die uneingeleitete indirekte Rede im Konjunktiv I/II, bezeichnet Leistner (2016) als „freie indirekte Rede“. Leistner (2016: 52–56) betrachtet sie als genauso nicht integriert wie die freie direkte Rede. Leistner untersucht allerdings literarische Texte, in denen ‚echt‘ freie, d. h. nicht von einer Redeanzeige eingeleitete indirekte Rede vorkommt (Leistner 2016: 128–129). Das ist in meinem Zeitungskorpus nicht der Fall.

Im analysierten Korpus ist die berichtete Rede nicht ganz uneingeleitet. Wie es i. d. R. auch in der gegenwärtigen Zeitungssprache der Fall ist (Pitz & Solfjeld 2019: 149–151), liegt berichtete Rede im Korpus ausschließlich in längeren Erzählsequenzen vor, an deren Anfang eine Redeanzeige vorkommt:

(5) Das Journal des Defenseurs behauptet übrigens, daß es in Frankreich eben nicht sehr traurig zugehe. Zu Jori bey Paris sey kürzlich an einem Festtage des alten Kalenders, der dort ehemahls stark gefeyert worden, ein Landfest der Bewohner der nächsten Dörfer gewesen, wie man es seit 20 Jahren nicht gesehen habe. (WZ 4.6.1800: 1822)

Die berichtete Rede weist weitere Merkmale auf, die für ihre Subordination sprechen: Bereits der Indirektheitskonjunktiv, der ein konstitutives Merkmal der berichteten Rede ist, weist darauf hin, dass der Satz nicht selbstständig ist (Pitz &Solfjeld 2019: 143–144). Die berichtete Rede kann also im analysierten Korpus als syntaktisch weniger integrierte Fortsetzung einer indirekten Rede interpretiert werden. Ihren Integrationsgrad würde ich deswegen zwischen dem der direkten und dem der indirekten Rede einstufen (vgl. Fabricius-Hansen et al. 2018: 138).

Die nächste Integrationsstufe stellt die indirekte Redewiedergabe (IND) dar. Dabei variiert der Integrationsgrad des Wiedergegebenen mit seiner syntaktischen Realisierung als uneingeleiteter Verbzweitnebensatz (V2) (6), als eingeleiteter Verbletztnebensatz (VL) (7) oder als Infinitivkonstruktion (INF) (8):

(6) Hier bemerkt der Ausschuß zuförderst, er habe es nicht für die Absicht des Unterhauses gehalten, daß er sich mit den Gegenständen befassen solle, welche auf die dem Kronadvocaten übertragene Civilklage Bezug hätten; (WZ 3.6.1805: 3077)

(7) Man sagt, daß an 3000 Ochsen ertrunken sind; (WZ 2.6.1770: 6)

(8) Ein wenig hernach bate er sehr höflich einen Kapuciner, [...] ihn ruhig zu lassen. (WZ 3.1.1770: 2–3)

Bei Nominalisierung (NOM) ist die maximale syntaktische Integration erreicht. Dabei wird der wiedergegebene Inhalt nicht mehr satzhaftig, sondern als Nominal- oder Präpositionalphrase realisiert.

(9) Fortwährend spricht man von der Intervention [...] (WZ 3.6.1835: 647)

Bei den nächsten Formen der Redewiedergabe kann m. E. nicht mehr von syntaktischer Integration des wiedergegebenen Inhalts in die Redeanzeige gesprochen werden.

Die Klassifizierung der syntaktischen Integration bei parenthetischer Redeanzeige (PAR) ist problematisch. Bei Mortelmans & Vanderbiesen (2011: 72) wird die parenthetische indirekte Rede in der Skala der syntaktischen Integration zwischen der direkten Rede und der indirekten Rede mit Verbzweitstellung eingestuft. Als parenthetische indirekte Rede betrachten Mortelmans & Vanderbiesen (2011) allerdings Beispiele wie „er komme später, sagte Karl“ oder „er komme, sagte Karl, später“. Diese liegt jedoch im hier untersuchten Korpus in dieser Form nicht vor. Als parenthetische Redeanzeige werden hier wie-Einschübe verstanden, wie der in (10), denen Leistner (2016: 147) eine „schwache Integration“ zuspricht:[2]

(10) Der Schrecken von solchem Feuer um ihre Ohren, bestürzte sie, wie sie selbst gesteht, so, daß sie weder schellen noch um Hülfe ruffen konnte [...] (WZ 2.6.1770: 6)

In Beispielen wie (10) ist der Text gänzlich aus der Perspektive der aktuell schreibenden Person verfasst. Der Konjunktiv als Indirektheitsmerkmal kommt dort nicht vor. Nur die Parenthese signalisiert, dass es sich beim Text um die Aussage einer anderen Person handelt. Diese Parenthesen kann man laut Pittner (1993: 317) „als Satzglieder in der Funktion eines redekommentierenden Adverbials werten“; hier ist also die Redeanzeige in den wiedergegebenen Inhalt integriert, nicht umgekehrt. Deswegen stufe ich Sätze mit einer parenthetischen wie-Redeanzeige als autoralen Text mit Quellenangabe ein (vgl. Pittner 1993: 321). Ähnlich verhält es sich mit präpositionalen Redeanzeigen (PP), die im Korpus mit laut, gemäß und zufolge realisiert sind:

(11) Privatnachrichten aus Rom zufolge ist der Kardinal von Solis, als der letzte erwartete Kardinal den 21. Christmonat in das Konklave eingetretten. (WZ 4.1.1775: 5)

Noch stärker autoral verankert sind m. E. Sätze mit dem reportiven Modalverb sollen. Dadurch gibt die aktuell schreibende Person zu erkennen, dass er oder sie „über den beschriebenen Sachverhalt gehört, gelesen, erfahren hat, d. h. dass er [oder sie] die Information über den beschriebenen Sachverhalt aus einer anderen Kommunikationssituation bezieht“ (Smirnova & Diewald 2011: 95), ohne allerdings eine Informationsquelle zu nennen:

(12) Jhre Majestät die Kaiserinn sollen festgesetzet haben, nach vollendeten Feyerlichkeiten sogleich eine Reise nach Astrakan anzustellen. (WZ 3.6.1775: 5)

Beim reportiven sollen hat die Person, die die Originaläußerung produziert hat, keine Stelle in der Argumentstruktur (Mortelmans & Vanderbiesen 2011: 73); eine zweite Kommunikationssituation wird nicht profiliert. Die aktuell schreibende Person gilt als einzige Urheber:in der Aussage (Smirnova & Diewald 2011: 94).

Bei der oben dargestellten Klassifizierung bleibt die Frage des Verbalmodus vorerst unberücksichtigt, weil eine Untersuchung des Zusammenspiels von Konjunktiv I/II und Indikativ in der indirekten Rede noch bevorsteht. Für eine Diskussion der Zweifels- und Grenzfälle, die im untersuchten Korpus vorkommen, fehlt hier außerdem der Platz.

2.1.2 Evidentiale Strategien

Evidentialität wird in der typologischen Linguistik als „grammatical marking of information source“ (Aikhenvald 2018: 1) definiert. Woher die Information stammt, von der eine Person gerade spricht, muss in ca. einem Viertel der Weltsprachen obligatorisch ausgedrückt werden, und zwar durch evidentiale grammatische Marker (Aikhenvald 2018: 8–11). Andere Sprachen, die – wie Deutsch – über keine evidentialen grammatischen Marker verfügen, verweisen auf die Informationsquelle durch unterschiedliche lexikalische Strategien, zu denen auch die Redewiedergabe zählt (Aikhenvald 2018: 4).[3]

In der Evidentialitätsforschung werden sieben Kategorien der Informationsquelle unterschieden. Die aktuell sprechende Person kann angeben, dass sie von etwas weiß, weil sie es gesehen (visual) oder durch andere Sinne wahrgenommen hat (non-visual sensory); sie kann es aus Sichtbarem oder Wahrnehmbarem inferiert haben (inferential); schließlich kann es sich dabei um eine logische Schlussfolgerung oder um Allgemeinwissen handeln (assumption) (Aikhenvald 2018: 12). Die aktuell sprechende Person kann die Information außerdem als wiedergegeben markieren, sie kann also angeben, dass sie von etwas spricht, was sie von jemandem gehört oder irgendwo gelesen hat. Dabei kann die Informationsquelle explizit genannt (quotativ) oder verschwiegen werden (reported) (Aikhenvald 2018: 12).[4] Quotative und reportive Strategien sind zentral in der Redewiedergabe und werden im Folgenden verwendet, um die Angabe der Informationsquelle in der WZ (1740–1835) zu beschreiben.

In der Literatur wurde die evidentiale Dimension bis jetzt nur bei wenigen Formen der Redewiedergabe im Deutschen beschrieben. Interesse haben vor allem der Konjunktiv I (Indirektheitskonjunktiv) und die Modalverben wollen und sollen erhalten (Mortelmans & Vanderbiesen 2011, Smirnova & Diewald 2011; 2013). Eine Kategorisierung der verschiedenen Formen der Redewiedergabe im Deutschen nach reportiven und quotativen Strategien ist nicht das Ziel des vorliegenden Beitrags, umso mehr, da i. d. R. keine unmittelbare Übereinstimmung zwischen evidentialen Strategien und formalen Realisierungen der Redewiedergabe festzustellen ist (s. unten).

Bei der Korpusanalyse wurden die gesammelten Redewiedergabebelege zunächst in quotativ und reportiv getrennt. Für diese Unterscheidung war ausschließlich die Erwähnung bzw. die fehlende Erwähnung einer Informationsquelle im extrahierten Beleg relevant. Um eine feinere Analyse der diachronen Tendenzen in den evidentialen Strategien im Korpus zu gewährleisten, wurde die Kategorie quotativ in zwei Subkategorien unterteilt: Wenn bei Redewiedergabe eine Informationsquelle erwähnt wird, ist es nicht immer der Fall, dass sie auch eindeutig identifizierbar ist. Deswegen wurde in der Korpusanalyse bei den quotativen Strategien zwischen eindeutigen und nicht eindeutigen Quellenangaben unterschieden.

In die Kategorie EIN.ID (‚eindeutig identifizierbar‘) wurden Belege aufgenommen, in denen die Informationsquelle so genau beschrieben wird, dass die Lesenden sie potentiell wiederfinden und die Nachricht dort verifizieren können. Diese Kategorie tritt in Verbindung mit verschiedenen Formaten der Redewiedergabe auf, u. a. mit einer eingeleiteten indirekten Rede wie in (13), mit direkter Rede wie in (4) oder mit Nominalisierung wie in (2).

(13) Das Journal des Defenseurs behauptet übrigens, daß es in Frankreich eben nicht sehr traurig zugehe. (WZ 4.6.1800: 1822)

Zur Kategorie GEN (‚genannt‘) gehören Belege, in denen eine Quelle zwar erwähnt wird, aber nicht eindeutig identifizierbar ist. Ein Beispiel dafür ist (14), in dem nicht rekonstruiert werden kann, genau welchem Liverpooler Blatt die Nachricht entstammt. Auch diese Kategorie kann formal unterschiedlich realisiert werden, etwa als indirekte Rede, mit Nominalisierung des Redeinhalts wie in (14) oder mit präpositionaler Redeanzeige wie in (11).

(14) Ein Liverpooler Blatt erzählt ein Beyspiel von außerordentlicher Schnelligkeit der Verbindungen zwischen Liverpool und New=York. (WZ 3.1.1835: 8)

Bei reportiven Strategien (REP) wird keine Quelle angegeben, und zwar oft nicht, weil die Quelle lieber verschwiegen wird, sondern weil die Information vom Hörensagen bekannt ist. Eine Information als wiedergegeben zu markieren, ohne dabei eine Quelle anzugeben, kann im Deutschen durch das reportive Verb sollen (s. 2.1.1) sowie durch Adverbien wie angeblich erfolgen, die im analysierten Teilkorpus allerdings nur einmal belegt sind:

(15) Zu Paris ist man itzt auf eine gleichsam tötende Art mit einem angeblichen Poltergeist beschäftiget [...] (WZ 3.1.1770: 5)

Auch die indirekte Redewiedergabe kann als reportive Strategie fungieren, solange das Subjekt ein unpersönliches ist, etwa man wie in (7), seltener jedermann, viele oder einige, wie in (16). Alternativ wird Hörensagen im Korpus in der Form eines wie-Einschubs realisiert wie in (17).

(16) Es glauben einige, er werde mit einem geheimen Auftrag nach Petersburg [...] geschickt werden. (WZ 3.1.1770: 3)

(17) Das Urtheil, wie es lautet, hat man noch nicht bekannt gemacht. (WZ 3.1.1770: 3)

Die formale Realisierung der Redewiedergabe und die evidentialen Strategien hängen also nicht strikt zusammen. Im Korpus treten etwa Redewiedergaben mit dem unpersönlichen Subjekt man oder mit sollen auf, in denen doch eine Quelle – meistens in einer Präpositionalphrase – erwähnt wird. Solche Sätze gehören in der Analyse nicht zur Kategorie REP, sondern zu GEN oder EIN.ID, je nachdem, ob die Informationsquelle eindeutig identifizierbar ist. Beispiel (18) wird etwa als GEN betrachtet, weil eine (nicht eindeutig identifizierbare) Nachrichtenquelle, der aus Schlesien hier angelangte Currier, erwähnt wird.

(18) Mit einem aus Schlesien hier angelangten Currier hat man die Nachricht erhalten, daß die Königl. Armee den 28. May zu Schönberg [...] in Schlesien eingeruket seye [...] (WZ 2.6,1745: 16)

2.2 Beschreibung des analysierten Teilkorpus

Da sich das Projekt noch in seinen Anfängen befindet, werden im vorliegenden Beitrag die Ergebnisse der Analyse eines Teilkorpus präsentiert. Untersucht wurden bisher 16 Ausgaben der WZ zwischen 1740 und 1835 (s. Tab. 2). Da es im Projekt darum geht, Entwicklungen in der Redewiedergabe im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung der Berichterstattung nachzugehen, wurden nur Berichte im engeren Sinne der Analyse unterzogen, d. h. faktizierende Meldungen und Kurzberichte (Wille 2020: 150-154), die die Hauptform des sachlichen Berichts im 18. Jahrhundert darstellten (Wille 2020: 160–162). Auch die eher seltenen Erlebnis- bzw. Erfahrungsberichte (Wille 2020: 156–157) wurden analysiert. Ausgeschlossen wurden dagegen andere periphere Formen der Berichterstattung, die „besondere sprachliche und funktionale Merkmale aufweisen“ (Wille 2020: 158), d. h. Texte von Dekreten, Verordnungen und Verträgen sowie Sitzungsprotokolle, die in den Bereich der Textsorten des thematischen Berichts (Wille 2020: 154–155; Verlaufsbericht nach Schuster 2014) oder der externen Dokumentenwiedergabe (Wille 2020: 158) fallen.

Tab. 2

Analysiertes Teilkorpus.

1740–1745 WZ 3.2.1740, 1.6.1740

WZ 2.1.1745, 2.6.1745
ca. 15.060 Wörter 96 Belege
1770–1775 WZ 3.1.1770, 1.6.1770

WZ 4.1.1775, 3.6.1775
ca. 15.120 Wörter 157 Belege
1800–1805 WZ 1.1.1800, 4.6.1800

WZ 2.1.1805, 3.6.1805
ca. 14.720 Wörter 110 Belege
1830–1835 WZ 2.1.1830, 1.6.1830

WZ 3.1.1835, 2.6.1835
ca. 17.700 Wörter 110 Belege

Das Korpus wurde nach den in 2.1.1 und 2.1.2 dargestellten Kategorien manuell annotiert; die Ergebnisse wurden schließlich quantitativ ausgewertet. Bei der Annotation wurde zudem mit dem am IDS entwickelten automatischen Redewiedergabe-Erkenner (Brunner et al. 2020) experimentiert. Im Rahmen einer Kooperation mit Annelen Brunner wurde überprüft, ob der Erkenner, der ursprünglich anhand eines Korpus literarischer Texte des 19. und 20. Jahrhunderts trainiert wurde, auch für die Analyse der Redewiedergabe in historischen Zeitungen aufschlussreich sein kann. Die berichtete Rede und das reportive sollen, die im analysierten Korpus relativ häufig vorkommen, konnte der automatische Erkenner leider oft nicht identifizieren. Er war dagegen bei der indirekten Rede sehr zuverlässig und konnte sogar Belege für Nominalisierung finden, die bei der manuellen Annotation übersehen worden waren. Deswegen wurde der Erkenner verwendet, um die Ergebnisse der manuellen Annotation zu überprüfen und um eventuell übersehene Textstellen ins Korpus aufzunehmen.

In dieser ersten Phase des Projekts wurde außerdem nur die Redewiedergabe ersten Grads analysiert. Auf Wiedergaben innerhalb einer übergeordneten Wiedergabe, wie in (19), soll in einer späteren Phase noch eingegangen werden.

(19) Man schreibt aus Grenada vom 10. May: »Während der Nacht ist die Nachricht hier angekommen, daß in Cadiz Unruhen ausgebrochen seyen [...]« (WZ 3.6.1835: 647)

3 Ergebnisse

3.1 Syntaktische Integration, Figurenperspektive und Authentizität

Im analysierten Teilkorpus lassen sich nicht immer lineare Entwicklungen in der Frequenz der unterschiedlich integrierten Realisierungsmuster der Redewiedergabe nachvollziehen. Die syntaktisch stärker integrierte Form der Nominalisierung sowie die Formen, die zum wiedergebenden autoralen Text gehören, nehmen in den untersuchten Zeitabschnitten teilweise zu, teilweise wieder ab (s. Tab. 3).

Tab. 3

Syntaktisch integrierte Formen der Wiedergabe und wiedergebender autoraler Text in der WZ (1740–1835).

- integriertDIR integriert

BER, IND
+ integriert NOM aut. TextPAR, PP, sollen gesamt
1740–45 3 73 5 15 96
1770–75 11 89 23 34 157
1800–05 20 54 9 27 110
1830–35 46 31 19 14 110

Ein linearer diachroner Wandel lässt sich dagegen in der Häufigkeit der direkten und der indirekten Rede quantitativ verfolgen. Wie aus Abb. 1 zu sehen, sind im Zeitabschnitt 1740–45 die syntaktisch integrierten Formen der berichteten und indirekten Rede vorherrschend. Das dominante Muster der Redewiedergabe war damals die eingeleitete indirekte Rede mit Verbletztstellung, deren Frequenz allerdings in den folgenden Epochen ständig abnahm, wobei die Häufigkeit der anderen indirekten Formen keine derart auffällige Variation aufweist.

Parallel zum Seltener-Werden der eingeleiteten indirekten Rede lässt sich eine konstante Zunahme der direkten Rede im Korpus nachweisen (s. Abb. 2). Diese Entwicklung ist keine Folge eines syntaktischen Wandels in der Realisierung der Redewiedergabe im 18. und 19. Jahrhundert. Vielmehr ist sie mit der für diese Epoche kennzeichnende Veränderung der Medienlandschaft und der Erwartungen der Zeitungslesenden in Verbindung zu bringen.

Abb. 1 
            Syntaktisch integrierte Formen der Redewiedergabe in der WZ (1740–1835).
Abb. 1

Syntaktisch integrierte Formen der Redewiedergabe in der WZ (1740–1835).

Abb. 2 
            Direkte Rede in der WZ (1740–1835).
Abb. 2

Direkte Rede in der WZ (1740–1835).

Indirekte Rede ist außer in den Transformationsübungen der Schulgrammatik nie eine einfache Umschreibung einer direkten Rede mit personaldeiktischer Verschiebung und dem Konjunktiv I/II (vgl. Steinseifer 2019: 183–184). Bei indirekter Rede sind Paraphrasierungen und Reduzierungen der Originalaussage möglich, was bei indirekter Rede mit Infinitivkonstruktion besonders auffällt. Die Lesenden können bei indirekter Rede also berechtigt vermuten, dass sie gerade nicht die Originaläußerung vor sich haben, sondern eine von der aktuell schreibenden Person verkürzte und möglicherweise manipulierte Version davon.

Ein direktes Zitat dagegen ist “generally considered to display the lowest degree of subjectivity, since it represents the quoted in a more or less verbatim manner, dependent on the genre at hand” (Fetzer & Weiss 2020: 86). Bei direkter Rede gehen die Lesenden davon aus, dass sie die Originaläußerung unverändert lesen, ohne Modifikationen vonseiten der aktuell schreibenden Person. Unabhängig davon, ob direkte Zitate die Originalaussage tatsächlich wortgetreu wiedergeben, erhöht die Präsenz von direkter Redewiedergabe – und allgemein eine stärkere Figurenperspektive – die gefühlte Authentizität des Berichts. Dass Authentizität, Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Berichts in der untersuchten Epoche ständig an Bedeutung gewannen, wird auch durch die Ergebnisse zur Anwendung der verschiedenen evidentialen Strategien bestätigt (s. 3.2).

Es ist wahrscheinlich, dass die steigende Relevanz eines ‚authentischen‘ Berichts zur Entstehung der neuen Formen der Redewiedergabe in Zeitungen nach 1835 beigetragen hat. Alle Redewiedergabemuster, die im historischen WZ-Korpus nachweisbar sind, sind heute noch geläufig. Zwischen 1835 und heute hat sich das Inventar der Formen der Wiedergabe aber erweitert – durch Formate mit einer stärkeren figuralen Perspektive wie die direkte und die berichtete Rede mit nachgestellter Redeanzeige sowie durch Teilzitate, deren Funktion eben in der „Markierung von Originalnähe“ besteht (Steinseifer 2019: 203). Die absteigende Häufigkeit der eingeleiteten indirekten Rede im analysierten Teilkorpus könnte außerdem mit den Entwicklungen in den evidentialen Strategien hin zu einer erhöhten Rekonstruierbarkeit der Informationsquelle zusammenhängen (s. 3.2).

3.2 Identifizierbarkeit der Informationsquelle

Im analysierten Teilkorpus herrschen bis 1775 die reportiven Strategien und die quotativen Strategien der Kategorie GEN vor. In Zeitungen bis 1775 erfolgt die Redewiedergabe also in ca. drei Viertel der Berichte ohne Verweis auf die Informationsquelle oder mit Erwähnung einer Quelle, die nicht eindeutig identifizierbar ist (s. Abb. 3). Folglich ist es in Zeitungen aus 1740–1775 meistens unmöglich, eine Nachrichtenquelle zu identifizieren und dort die Wahrhaftigkeit des Berichts zu überprüfen.

Nach 1800 steigt die Häufigkeit der Kategorie EIN.ID, u. a. weil erst ab diesem Jahr systematisch auf andere Zeitungen als Informationsquelle verwiesen wird – wie in (2) und (13). Auch vor 1800 war es üblich, Nachrichten aus anderen Zeitungen unverändert zu übernehmen, das wurde jedoch nicht signalisiert.[5]

Abb. 3 
            Reportive und quotative Strategien in der WZ (1740–1835).
Abb. 3

Reportive und quotative Strategien in der WZ (1740–1835).

Bereits Haß-Zumkehr (1998) hatte diese Entwicklung in historischen Zeitungen vor und nach den 1770ern beobachtet. Nach den 1770ern wurde es immer bedeutsamer zu signalisieren, woher genau eine Nachricht kommt und wer sie verfasst hat (Haß-Zumkehr 1998: 118). Das geht wohl auf die zunehmend zentrale Rolle der Ideale der Verbürgtheit und Wahrhaftigkeit in der Spätaufklärung zurück, hängt aber auch mit dem vor 1770 noch weitgehend vormodernen Verständnis des geistigen Eigentums zusammen (vgl. Habermann 2019: 108). Schließlich hatte die Erwähnung von eindeutig identifizierbaren Quellen, besonders von Zeitungsquellen, eine praktische Funktion: Die „formelhafte Bezugnahme auf andere Zeitungen“ signalisierte den Zensoren, dass sich die Redaktion an erlaubte Quellen hielt, und diente gleichzeitig zur Relativierung der Verantwortlichkeit der Redaktion oder des Journalisten für den wiedergegebenen Inhalt (Haß-Zumkehr 1998: 44).

Mit dem Rückgang der reportiven Strategien verschwindet außerdem das im 18. Jahrhundert dominierende Formulierungsmuster für das Hörensagen, d. h. die eingeleitete indirekte Rede mit unpersönlichem Subjektpronomen man wie in (7). Dieses Muster machte 1740–45 fast 20 % aller Redewiedergaben aus, wurde danach immer seltener und ist 1835 nicht mehr belegt (s. Abb. 4). Die zunehmende Inakzeptabilität des Hörensagens als Informationsquelle und damit auch der Formulierung man sagt, dass hat schließlich zum Rückgang der Häufigkeit der eingeleiteten indirekten Rede beigetragen, der in 3.1 beobachtet wurde.

Abb. 4 
            Eingeleitete indirekte Rede (IND.VL) mit unpersönlichem Subjektpronomen man in der WZ (1740–1835).
Abb. 4

Eingeleitete indirekte Rede (IND.VL) mit unpersönlichem Subjektpronomen man in der WZ (1740–1835).

4 Fazit und Ausblick

Im analysierten Teilkorpus von Berichten aus der Wiener Zeitung (1740–1835) wurde eine Zunahme der Häufigkeit der direkten Rede auf Kosten der indirekten Rede festgestellt, die im untersuchten Zeitraum ständig seltener wird. Gleichzeitig war eine Zunahme der quotativen Strategien zu beobachten; markant häufiger wurden v. a. die Verweise auf eindeutig identifizierbare Informationsquellen. Hörensagen und vage Nachrichtenquellenangaben wurden progressiv weniger akzeptabel.

Diese Entwicklungen sind als Folgen der steigenden Relevanz von Informativität, Transparenz, Nachvollziehbarkeit der Information und Rekonstruierbarkeit der Informationsquelle in der Berichterstattung zu betrachten. Die im Korpus nachweisbaren diachronen Tendenzen sind also mit dem Wandel in der Gesellschaft und in der Medienlandschaft sowie mit den Evolutionen in der Zusammensetzung und in den Erwartungen der Leserschaft – d. h. schließlich mit makro-soziolinguistischen Faktoren – in einen Zusammenhang zu bringen.

Die Ergebnisse der Analyse des Teilkorpus sollen in den nächsten Schritten des Projekts weiter erforscht und vertieft werden. Um die oben skizzierten Entwicklungen durch statistisch signifikante Werte zu bestätigen, muss als Erstes das Belegkorpus aus der Wiener Zeitung erweitert werden. Außerdem soll die Redewiedergabe in Berichten aus mindestens zwei weiteren Zeitungen, den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen und dem Hamburgischen Correspondent, untersucht werden, um zu überprüfen, ob es sich bei den in der Wiener Zeitung feststellbaren Entwicklungen um allgemeine Phänomene der deutschen Zeitungssprache von 1740–1835 handelt oder ob die Handhabung der Redewiedergabe in den verschiedenen Zeitungen variiert.

Ferner sollen die Korrelationen zwischen der syntaktischen Realisierung der Wiedergabe und den reportiven bzw. quotativen Strategien statistisch ausgewertet werden, um zu ermitteln, ob etwa eine höhere Identifizierbarkeit der Quelle mit Formen mit stärkerer Figurenperspektive und reportive Strategien mit stärker integrierten Formulierungsmustern korrelieren. Im Projekt soll außerdem eine Analyse des Gebrauchs von Indikativ und Konjunktiv I/II in der indirekten Rede und der epistemischen Weiterinterpretationsmöglichkeiten der beiden Konjunktivformen in historischen Zeitungen geleistet werden.

5 Literatur

5.1 Quellen

Wiener Zeitung, 1740–1835. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz (Zugriff: 19.05.2023).Suche in Google Scholar

WZ 2022 = https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/2173200-NATO-Generalsekretaer-fordert-mehr-Waffenlieferungen.html (Zugriff: 19.05.2023).Suche in Google Scholar

5.2 Sekundärliteratur

Aikhenvald, Alexandra Y. (2018): Evidentiality. The framework. In Alexandra Y. Aikhenvald (Hrsg.), The Oxford Handbook of Evidentiality, 1–43. Oxford: Oxford University Press.Suche in Google Scholar

Brunner, Annelen, Ngoc Duyen Tanja Tu, Lukas Weimer & Fotis Jannidis (2020): To BERT or not to BERT – Comparing Contextual Embeddings in a Deep Learning Architecture for the Automatic Recognition of four Types of Speech, Thought and Writing Representation. Proceedings of the 5th Swiss Text Analytics Conference (SwissText) & 16th Conference on Natural Language Processing (KONVENS), Zurich, Switzerland, June 23–25, 2020. https://ceur-ws.org/Vol-2624/paper5.pdf (Zugriff: 19.05.2023).Suche in Google Scholar

Diewald, Gabriele & Elena Smirnova (2010): Evidentiality in European languages: the lexical-grammatical distinction. In Gabriele Diewald & Elena Smirnova (Hrsg.), Linguistic realization of evidentiality in European languages (Empirical approaches to language typology 49), 1–14. Berlin: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Diewald, Gabriele & Elena Smirnova (Hrsg.) (2011): Modalität und Evidentialität (Fokus 37). Trier: WVT.Suche in Google Scholar

Durrell, Martin (2017): Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung standardsprachlicher Normen im Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Vergleich anhand eines repräsentativen Korpus. In Oliver Pfefferkorn, Jörg Riecke & Britt-Marie Schuster (Hrsg.), Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte. Korpora – Analyse – Wirkung (Lingua Historica Germanica 15), 81–98. Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Fabricius-Hansen, Cathrine, Kåre Solfjeld & Anneliese Pitz (2018): Der Konjunktiv. Formen und Spielräume (Stauffenburg Linguistik 100). Tübingen: Stauffenburg.Suche in Google Scholar

Fabricius-Hansen, Cathrine (2019): Redewiedergabe reloaded? Zeitschrift für germanistische Linguistik 47, 1–27.Suche in Google Scholar

Fetzer, Anita & Daniel Weiss (2020): Doing things with quotes: Introduction. Journal of Pragmatics 157, 84–88.Suche in Google Scholar

Habermann, Mechthild (2019): Praktiken des Zitierens in der vormodernen Wissensliteratur. Zeitschrift für germanistische Linguistik 47, 102–136.Suche in Google Scholar

Haß-Zumkehr, Ulrike (1998): „Wie glaubwürdige Nachrichten versichert haben“. Formulierungstraditionen in Zeitungsnachrichten des 17. bis 20. Jahrhunderts (Studien zur deutschen Sprache 13). Tübingen: Narr.Suche in Google Scholar

Havinga, Anna (2018): Invisibilising Austrian German. On the effect of linguistic prescriptions and educational reforms on writing practices in 18th-century Austria (Lingua Historica Germanica 18). Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Leistner, Annika (2016): Syntaktische Integration in Redewiedergabe. Eine Untersuchung der direkten und nicht-direkten Redewiedergabeformen in literarischen Texten. Kassel: Kassel university press. Suche in Google Scholar

Mortelmans, Tanja & Jeroen Vanderbiesen (2011): Dies will ein Parlamentarier „aus zuverlässiger Quelle“ erfahren haben. Reportives wollen zwischen sollen und dem Konjunktiv I der indirekten Rede. In Gabriele Diewald & Elena Smirnova (Hrsg.), Linguistic realization of evidentiality in European languages (Empirical approaches to language typology 49), 69–88. Berlin: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Oggolder, Christian (2016): Politik, Gesellschaft, Medien. Österreich zwischen Reformation und Erstem Weltkrieg. In Matthias Karmasin & Christian Oggolder (Hrsg.), Österreichische Mediengeschichte. Band 1: Von den frühen Drucken zur Ausdifferenzierung des Mediensystems (1500 bis 1918), 9–27. Wiesbaden: Springer.Suche in Google Scholar

Pfefferkorn, Oliver, Jörg Riecke & Britt-Marie Schuster (Hrsg.) (2017): Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte. Korpora – Analyse – Wirkung (Lingua Historica Germanica 15). Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Pfefferkorn, Oliver, Jörg Riecke & Britt-Marie Schuster (2017): Einführung. In Oliver Pfefferkorn, Jörg Riecke & Britt-Marie Schuster (Hrsg.) (2017): Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte. Korpora – Analyse – Wirkung (Lingua Historica Germanica 15), 1–6. Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Pittner, Karin (1993): So und wie in Redekommentaren. Deutsche Sprache 21, 306–325.Suche in Google Scholar

Pitz, Anneliese & Kåre Solfjeld (2019): Redewiedergabe in Online-Pressetexten – kontrastiv. Zeitschrift für germanistische Linguistik 47, 137–176.Suche in Google Scholar

Plank, Frans (1986): Über den Personenwechsel und den anderer deiktischer Kategorien in der wiedergegebenen Rede. Zeitschrift für germanistische Linguistik 14, 284–308.Suche in Google Scholar

Polenz, Peter von (2013): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band II: 17. und 18. Jahrhundert. Unter Mitarbeit von Claudine Moulin. 2. Aufl. Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Schröder, Thomas (2017): Information und Meinung. Pressetextsorten vor der Trennungsnorm. In Oliver Pfefferkorn, Jörg Riecke & Britt-Marie Schuster (Hrsg.) (2017): Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte. Korpora – Analyse – Wirkung (Lingua Historica Germanica 15), 165–175. Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Schuster, Britt-Marie (2010): Gibt es eine Zeitungssyntax? Überlegungen und Befunde zum Verhältnis von syntaktischer Gestaltung und Textkonstitution in historischen Pressetexten. In Arne Ziegler (Hrsg.), Historische Textgrammatik und Historische Syntax des Deutschen: Traditionen, Innovationen, Perspektiven; Band 2: Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch, 665–688. Berlin, New York: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Schuster, Britt-Marie (2014): Die „Sattelzeit der Pressekommunikation“. Textsortenallianzen in der Medienlandschaft des frühen 18. Jahrhunderts. In Peter Ernst & Jörg Meier (Hrsg.), Kontinuitäten und Neuerungen in Textsorten- und Textallianztraditionen vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (Germanistische Arbeiten zur Sprachgeschichte 10), 255–275. Berlin: Weidler.Suche in Google Scholar

Schuster, Britt-Marie & Manuel Wille (2015): Von der Kanzlei- zur Bürgersprache? Textsortengeschichtliche Betrachtungen zur "Staats- und gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten" im 18. Jahrhundert. Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 17, 7–29.Suche in Google Scholar

Smirnova, Elena & Gabriele Diewald (2011): Indirekte Rede zwischen Modus, Modalität und Evidentialität. In Gabriele Diewald & Elena Smirnova (Hrsg.), Linguistic realization of evidentiality in European languages (Empirical approaches to language typology 49), 89–108. Berlin: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Smirnova, Elena & Gabriele Diewald (2013): Kategorien der Redewiedergabe im Deutschen: Konjunktiv I versus sollen. Zeitschrift für germanistische Linguistik 41, 443–471.Suche in Google Scholar

Steinmetz, Willibald (2012): Some Thoughts on a History of Twentieth-Century German Basic Concepts. Contribution to the History of Concepts 7, 87–100.Suche in Google Scholar

Steinseifer, Martin (2019): Funktionen, Konstellationen und Mittel der Wiedergabe – Ein dreidimensionales textpragmatisches Modell. Zeitschrift für germanistische Linguistik 47, 177–215.Suche in Google Scholar

Theobald, Tina (2012): Presse und Sprache im 19. Jahrhundert. Eine Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses (Lingua Historica Germanica 2). Berlin, Boston: De Gruyter.Suche in Google Scholar

Wille, Manuel (2020): Die Tageszeitung des 18. Jahrhunderts auf dem Weg zum Massenmedium. Eine textlinguistische Untersuchung des „Hamburgischen Correspondenten“ (Linguistische Untersuchungen 15). Gießen: Universitätsbibliothek.Suche in Google Scholar

Online erschienen: 2023-07-25
Erschienen im Druck: 2023-08-01

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Vorwort
  4. (Morpho-)Syntax und Sprachgeschichte
  5. Teil 1 Entwicklungstendenzen der Morphosyntax des Deutschen
  6. Variation in der mittelniederdeutschen Substantivflexion
  7. Vergleichskonstruktionen im Mittelniederdeutschen
  8. Präpositionalphrasen mit duruh bei Otfrid und im Tatian
  9. ‚Linksversetzungen‘ im Mittelhochdeutschen als Beispiel narrativer Syntax
  10. Die Hilfsverbselektion in den Schriften Martin Luthers
  11. Einflussfaktoren der Numeruskongruenz bei koordinierten Subjektsteilen in der Lutherbibel von 1545 und 2017
  12. Morphosyntax als Beschreibungsgegenstand der frühneuzeitlichen Fremdsprachenlehrwerke
  13. Entwicklungen in den Formulierungsmustern der Redewiedergabe in der Wiener Zeitung (1740–1835)
  14. Koordinationsellipsen in Patientenbriefen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
  15. Erkläransätze zu Unterschieden in der Verbreitung der tun-Peri­phrase in extraterri­to­ri­alen Varietäten des Deutschen
  16. Normalfall Movierung: Geschichte und Gegenwart des generischen Maskulinums in Prädikativkonstruktionen
  17. Teil 2 Grammatikographische Aspekte einer Morphosyntax des Deutschen
  18. Morphologie – Syntax – Morphosyntax: Theoretisch-methodologische Überlegungen am Beispiel der Diachronie von Perfekt- und Plusquamperfektformen im Deutschen
  19. Das genus-insensitive Possessivpronomen sein in der Geschichte des Deutschen
  20. Futurkonstruktionen im Wandel: werden + Infinitiv und Konkurrenzmuster aus konstruktionsgrammatischer Perspektive
  21. Zur Entwicklung der abstraktbildenden Wortbildungsmuster [X-heit], [X-scaf(t)] und [X-tuom] im Alt- und Mittelhochdeutschen
  22. „Ach [...] was wars so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“
  23. Semantische Faktoren für die Stellung des hochdeutschen Genitivattributs im 17.–19. Jh.
  24. Die rheinisch-hochdeutsche Pronominalgrenze – vergessene Formen und Systeme
Heruntergeladen am 7.9.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/jbgsg-2023-0011/html?lang=de&srsltid=AfmBOorJFgdE229ZtkmH83HcOFvZf0DD6aU-bdj4WiNzBbHhvdIzgn1u
Button zum nach oben scrollen