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‚Linksversetzungen‘ im Mittelhochdeutschen als Beispiel narrativer Syntax

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Published/Copyright: July 25, 2023

Zusammenfassung

Linksversetzungen (e.g. Meine Tante, die hat uns oft aus dem Parzival vorgelesen.; im Folgenden LV) gelten übereinzelsprachlich als ein typisches Charakteristikum gesprochener Sprache bzw. als Anzeichen einer ‚oralen‘ Syntax. Diese Bewertung korreliert mit dem Befund, dass LV im Mittel- und Frühneuhochdeutschen tendenziell frequenter in denjenigen Textsorten vorkommen, die der konzeptionellen Mündlichkeit nahestehen (Lötscher 1994: 48). Anders als man aufgrund des ‚oralen‘ Charakters der LV erwarten könnte, sind diese im Nibelungenlied jedoch häufiger in den narrativen als in den Dialog-Passagen belegt (Zeman 2022). Auf der Suche nach einer Erklärung für diesen Befund vergleicht der Beitrag die Textfunktionen der LV im Nibelungenlied und im Tristan und zeigt, dass LV in beiden Versepen narrative Funktionen der (Re-)Aktualisierung einzelner Diskursreferenten leisten und damit nicht nur als Charakteristika der Mündlichkeit anzusehen sind, sondern auch als Charakteristika des mündlichen Erzählens. Dieses Ergebnis führt zu einem modifizierten Blick auf die Textsortenabhängigkeit der LV und ihrer Entwicklungslinie in der Diachronie des Deutschen.

7 Literatur

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Online erschienen: 2023-07-25
Erschienen im Druck: 2023-08-01

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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