Zusammenfassung
Obwohl sich possessive Dative in fast allen deutschen Dialekten, in den regionalen Umgangssprachen sowie im gesprochenen und geschriebenen Substandard finden, spielen sie insgesamt in den bisher erschienenen Arbeiten zu possessiven Ausdrucksformen des Deutschen eine untergeordnete Rolle. In der Forschung stehen recht unterschiedliche Positionen zu Alter (schon im Ahd., erst im Mhd. oder erst im 15. Jh.), Entstehung (Reanalyse zweier ursprünglich unabhängiger Satzglieder oder Analogiebildung zum possessiven Genitiv) und Gebrauch nebeneinander. Der Beitrag überprüft diese Positionen auf der Basis von 7566 manuell annotierten Belegen aus dem DTA-Korpus. Es zeigt sich, dass possessive Dative über den gesamten Zeitraum selten sind; Belege mit possessiver Lesart finden sich v. a. im 16. und 17. Jahrhundert. Die Daten lassen den von den meisten Untersuchungen favorisierten Reanalyse-Ansatz wahrscheinlicher erscheinen, wie ihn bereits Hermann Paul und Otto Behaghel formulierten. Genitive mit Possessivpronomen sind den possessiven Dativen aber zahlenmäßig überlegen und stellen über fast den gesamten Zeitraum eine funktional sehr ähnliche Konkurrenzform dar.
6 Literatur
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