Hille, Almut; Schiedermair, Simone: Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Eine Einführung für Studium und Unterricht. Tübingen: Narr Francke Attempto, 2021. – ISBN 978-3-8233-9371-9 (ePDF). 342 Seiten, € 19,99.

Mit Hinweis auf den jüngst erschienenen Begleitband zum GER (2020) machen Hille/Schiedermair auf die zunehmende Relevanz der Literaturdidaktik im Fremdsprachenunterricht aufmerksam. Zugleich stellen sie fest, dass es der Forschungsdebatte bisher an einer umfassend-konsistenten Studie fehle, die neuere wissenschaftliche Perspektiven zu diesem Themenfeld reflektiere (8). Mit ihrem Handbuch Literaturdidaktik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache möchten die Autorinnen auf dieses Defizit reagieren und damit der Forschung sowie der Aus- und Weiterbildung Studierender sowie (künftiger) DaF-/DaZ-Lehrkräfte neue Impulse geben.

Ziel des Studienbuches sei es, literarische Einzeltexte in ihrer jeweils spezifischen Ausprägung und medialen Realisierung in das komplexe gesellschaftliche Bedingungsgefüge des fremdsprachlichen Unterrichtsgeschehens zu integrieren und sie dabei in Textnetze einzubinden, um rezeptiv-produktive Diskurszusammenhänge sichtbar zu machen, Einblicke in sprachliche Verfahren und die Wirkungsdimension literarischer Texte zu ermöglichen und somit Deutungsbildungsprozesse im Zusammenhang mit „fremdsprachliche[r] Diskursfähigkeit“ anzubahnen (7).

Im Sinne dieser ambitionierten Zielsetzung führen Hille/Schiedermair literaturwissenschaftliche Diskussionen mit literatur-, lese- und DaF-/DaZ-didaktischen Positionen sowie praxisorientiert-unterrichtsmethodischen Vorschlägen zusammen und illustrieren ihre Überlegungen anhand von Unterrichtskonzepten und -modellen. Über die theoretisch-didaktische Diskussion hinaus soll das Handbuch somit fachwissenschaftlich fundierte Anregungen für die Unterrichtspraxis mit einer breitgefächerten Textauswahl geben.

Gegliedert ist das Studienbuch in vier große Teile. Der erste Teil erörtert Theoretische Perspektiven und dabei zunächst die Leitbegriffe, mit denen das Studienbuch im Folgenden arbeitet, so den Literaturbegriff (Kapitel 1), der, in literaturwissenschaftlicher Perspektive, auf der Basis Belletristik-spezifischer Merkmale wie Poetizität, Fiktionalität und Diskursivität (16–17) definiert wird. Außerdem wird der Zusammenhang zwischen Literaturdidaktik und Literaturwissenschaft näher beleuchtet (Kapitel 2) und Literaturdidaktik dabei, in Anlehnung an aktuelle literaturdidaktische Positionen, verstanden als eine eigene sich dynamisch fortentwickelnde transdisziplinär-kulturwissenschaftliche Fachwissenschaft mit Literaturwissenschaft als einer wichtigen (und in dieser Studie daher stets präsenten) Bezugsdisziplin, die, von einem weitgefassten Literaturbegriff ausgehend, literarische Lehr-Lernprozesse erforscht.

Mit Blick auf die Frage nach der Auswahl literarischer Texte (Kapitel 3) für den literaturdidaktisch perspektivierten Fremdsprachenunterricht werden, im Anschluss an eine skeptisch-kritisch geführte Kanondiskussion, Alternativen zu starr-alleingültigen Kanon-Vorgaben diskutiert. Schließlich (Kapitel 4) werden die Begriffe Lesekompetenz und Lesedidaktik als Voraussetzung für eine Begegnung mit literarischen Texten näher beleuchtet und dabei u. a. Überlegungen zu Lesetraining, Wortschatzarbeit sowie vorentlastender pre-reading-activities angestellt (52 f.).

Der zweite große Teil der Arbeit, der Etablierte Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache diskutiert, fokussiert zunächst basale Kompetenzbereiche des Fremdsprachenlernens (Kapitel 5): Vorgeschlagen wird u. a., die Kompetenzen Lesen, Schreiben, Sprechen, Hören und Sehen als „Fertigkeitenbündel“ (61) im Rahmen der Behandlung literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht zu fördern. Ziel ist die Anbahnung einer multiliteracy. Dabei solle sprachliches Lernen (Kapitel 6) gerade über eine Sprach-, Grammatik- sowie Wortschatzprogression hinaus auch ästhetische Sinnerfahrungen ermöglichen und zur Reflexion über die Wirkung und das Bedeutungspotenzial sprachlicher Mittel einladen. Mit Landeskunde (Kapitel 7) und interkulturellem Lernen (Kapitel 8) werden schließlich zwei weitere zentrale DaF-/DaZ-Themenfelder in literaturdidaktischer Perspektive diskutiert: Mit Blick auf die Vermittlung landeskundlichen Wissens wird gefragt, welche für den Landeskundekontext relevanten Themenkomplexe sich in literarischen Texten authentisch abbilden und in welcher (für den Unterricht ansprechenden) medialen Form sie präsentiert werden könnten (z. B. als Graphic Novels). Anliegen des mit dem Landeskundeunterricht eng verbundenen interkulturellen Lernens solle v. a. in der Anbahnung interkultureller Kompetenz bestehen (105 f.).

Der dritte große Teil der Arbeit, der sich Neue[n] Perspektiven in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache zuwendet, fokussiert zunächst, neben dem Begriff Literarizität, der hier im Anschluss an Kapitel 1 in literaturwissenschaftlicher Perspektive vertieft diskutiert wird (Kapitel 9), die Diskursivität und Medialität. In der Diskussion um den für diese Studie zentralen Diskursivitätsbegriff (Kapitel 10) werden diskursanalytische Überlegungen Foucaults (1997/dt. 1973/frz. 1969) zu Texturgeflechten und Interdependenzen für den DaF-/DaZ-Kontext reflektiert (132 f.). Ziel ist eine Förderung fremdsprachiger Diskursfähigkeit. Im Zusammenhang mit dem Begriff Medialität (Kapitel 11) werden dann Chancen und Möglichkeiten eines intermedialen Lernens zur Anbahnung einer audiovisual literacy vor dem Hintergrund einer intermedialen Literatur- und Kulturdidaktik erörtert. Unter die neueren Perspektiven fällt auch der Performativitätsbegriff (Kapitel 12), der vor dem Hintergrund performativer Fremdsprachendidaktik und v. a. dramentheoretischer Ansätze zur Realisierung ästhetischer Lehr- und Lernprozesse diskutiert wird und nach Möglichkeiten einer Anbahnung performativer Kompetenz fragt (164 f.).

Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf mehrsprachige Literatur (Kapitel 13), auf Aspekte transkultureller Hybridität (167) in unterschiedlicher medialer Ausprägung und Überlegungen zu einer Sensibilisierung für sprachlich-kulturelle Symbolisierungen (173). Dabei werden literarische Texte (Kapitel 14) als Symbolvorrat verstanden, als kollektive Wissensspeicher ihrer Zeit, die Möglichkeiten des Wissenserwerbs bieten. Im Zusammenhang mit mehrsprachlicher Literatur rückt auch das Thema Postkolonialität (Kapitel 15) in den Blick und dabei Überlegungen zur Realisierung einer transkulturell ausgerichteten literarisch-ästhetischen Bildung. Abschließend wird das Thema Gender (Kapitel 16) mit den zentralen Begriffen Heterogenität, Diversität und Inklusion thematisiert und dabei für eine gendersensible Unterrichtsgestaltung plädiert, für die Anbahnung einer „Genderdiskursfähigkeit“ (211) durch gezielten Einsatz literarischer Texte.

Im vierten großen Teil der Arbeit, der Didaktische und methodische Perspektiven in den Blick nimmt, wird zunächst erneut die Frage nach adäquater Textauswahl aufgegriffen (Kapitel 17). Als relevante Kriterien hierfür werden u. a. spezifische Unterrichtsziele, Textinhalte, Literarizität, Gattungs- und Medienvielfalt zur Sprache gebracht. Im Anschluss daran werden Fragen der Strukturierung des Unterrichtsverlaufs (Kapitel 18) diskutiert, so ein Drei-Phasen-Modell mit Textbegegnung (235 ff.), Aushandeln von Verstehensoptionen und einer Auseinandersetzung mit einem Textnetz, sowie ein Fünf-Phasen-Modell, das noch um einen Einstieg in den Diskurs sowie Transfer und Reflexion ergänzt ist. Illustriert werden die Überlegungen am Beispiel einer Unterrichtsplanung. Anschließend werden die 12 methodischen Prinzipien (Kapitel 19) des DaF-/DaZ-Unterrichts im Anschluss an Funk erörtert und von den Autorinnen um eine dreizehnte inhaltstragende Online-Komponente ergänzt. Dazu diskutiert werden kreative, performative und analytische Verfahren (Kapitel 20), die u. a. ein literarisch-ästhetisches, sprachliches, emotionales, geschlechtsspezifisches, (inter-)kulturelles Lernen ermöglichen sollen (271). Abschließend werden dann Möglichkeiten zur Realisierung von Projektarbeit auf der Grundlage von Gudjons (2014) vier Projektschritten erörtert (Kapitel 21).

Diese Zusammenfassung – die natürlich nur knappe ausschnitthafte Einblicke in die Konzeption des Studienbuchs gewähren kann – sollte einen ersten Eindruck vermitteln von der thematischen Breite einer Arbeit, die sich einem überaus wichtigen, viel diskutierten, aber bisher kaum systematisch erschlossenen Themenbereich des DaF-/DaZ-Unterrichts zuwendet. Das Handbuch bietet eine umfassende Studie, die, prägnant in der Gesamtdarstellung, alle einschlägigen DaF-/DaZ-Bereiche in literaturdidaktischer Perspektive diskutiert, ältere, neuere und neueste Forschungspositionen ausführlich reflektiert und abwägt, in konzentriert-dichter Form didaktische Analysen und Lösungswege entwickelt und diese literaturwissenschaftlich-sachanalytisch fundiert präsentiert. Studierenden bietet das Handbuch einen systematisch-strukturierten Einstieg in die Wissenschaft, Lehrende werden hierin zahlreiche Anregungen für die Unterrichtspraxis finden, Forschenden wiederum gibt die Arbeit einen umfassenden Überblick über wissenschaftliche Positionen zum Themenfeld Literaturdidaktik DaF/DaZ, die sich weiterdenken lassen. Der Ausbildung von DaF-/DaZ-Lehrkräften im In- und Ausland kann es wesentliche neue Impulse geben. Ein rundum gelungenes Handbuch.