Durand, Marie-Laure; Lefèvre, Michel; Öhl, Peter (Hrsg.): Tradition und Erneuerung: Sprachen, Sprachvermittlung, Sprachwissenschaft. Akten der 26. Fachtagung der Gesellschaft für Sprache und Sprachen GeSuS e.V. in Montpellier, 5.–7. April 2018. Hamburg: Dr. Kovač, 2020 (Sprache und Sprachen in Forschung und Anwendung (SiFA), 9). –­ ISBN 978-3-339-11110-4. 456 Seiten,. € 129,80.

Der hier besprochene Sammelband stellt das Ergebnis der 26. Linguistik- und Literaturfachtagung der Gesellschaft für Sprache und Sprachen (GeSuS) e. V. dar, die vom 5. bis 7. April 2018 in Montpellier (Frankreich) unter dem Motto „Traditionen und Erneuerungen“ veranstaltet wurde. Der Band beginnt mit dem Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber sowie der Einleitung, in der der Inhalt der einzelnen Beiträge kurz besprochen wird. Die theoretisch-empirisch orientierten Aufsätze, an denen die heuristische Wechselwirkung zwischen Tradition und Erneuerung erkennbar ist, werden acht Kapiteln zugeordnet.

Der Beitrag von Lefèvre „Germanolinguistik in Frankreich“ und somit das erste Kapitel entspricht dem Plenarvortrag. Der Autor veranschaulicht darin, wie die Anwendung älterer französischer Theorien (Strukturalismus, Dependenzgrammatik) auf die deutsche Sprache zu originellen, heuristischen Erneuerungen führte.

Im zweiten Kapitel Vergleichende Grammatikforschung gibt es fünf Beiträge, die sich deskriptiv bzw. explanativ mit der Grammatik im Sprachvergleich befassen und zum Teil auch auf die Erkenntnisse der Semantik und Pragmatik zurückgreifen. Durand untersucht die sogenannte lockere Apposition und legt durch den Vergleich mit dem Französischen fest, welche morphosyntaktischen, semantischen und pragmatextuellen Bedingungen die Bildung der apponierten Nominalphrase im Deutschen beeinflussen. Öhl vergleicht germanische und nicht-germanische Sprachen hinsichtlich der Verbstellung und versucht zu bestimmen, wodurch die Voranstellung des Finitums in Verbzweitsprachen motiviert ist. Ono geht auf die Problematik der Wahl des Perfektauxiliars im Deutschen ein, die den Objektstatus bestimmter begleitender Nominalphrasen determiniert. Schwabe schlägt eine rein auf dem Deutschen basierende Typologie der Prädikate und der semantischen Operatoren vor, die einen untergeordneten ob-Interrogativsatz einbetten können. Wagner zeigt am Beispiel eines deutsch-tschechischen Valenzwörterbuches, dass die Anpassung von Valenzträgern in den zu vergleichenden Sprachen zum Zweck der Zuordnung dazu führen kann, dass „beim anschließenden Vergleich kaum noch Kontraste, sondern nur noch Konvergenzen übrigbleiben“ (94).

Das dritte Kapitel Lexikologie thematisiert die Entlehnungsformen im deutschen Wortschatz am Beispiel unterschiedlicher Sprach- und Interferenzsituationen. Moskovina untersucht den lexikalischen und semantischen Wandel in den Mischmundarten im Hinblick auf den Einfluss der Kontaktsprachen, die Sprachkonvergenz und zwischensprachliche Interferenzen (Russisch-Deutsch und deutsche Mundarten untereinander). Mostýn verweist auf die Bedeutungsnuancen, die mit den deutschen Parallelbildungen auf -ation und -ierung zusammenhängen. Dies erfolgt anhand eines metalexikografischen Vergleichs von ausgewählten ein- und zweisprachigen Wörterbüchern (Deutsch-Tschechisch und Tschechisch-Deutsch). Von Bedeutung ist hier auch die Analyse des Gebrauchs dieser Konkurrenzformen im Text.

Im vierten Kapitel Korpuslinguistik Diachron, das sich dem Einsatz korpuslinguistischer Methoden zur Erforschung der deutschen Sprache aus diachroner Perspektive widmet, analysiert Owsiński anhand der etwa 1600 niedergeschriebenen Dorfwillkür eines Klosters des Kartäuser-Ordens das Entwicklungsstadium des Deutschen und den Vereinheitlichungsgrad der deutschen Schriftsprache am Anfang des 17. Jahrhunderts.

Das fünfte Kapitel Kognitive Linguistik besteht aus drei Beiträgen, in denen „kognitionslinguistische Ansätze auf interdisziplinäre Verknüpfungs- und Anwendungsmöglichkeiten geprüft, vorgestellt und diskutiert werden“ (149). Ernst untersucht die Kompositummetaphern in den sogenannten Unwörtern des Jahres. Sie macht auf die Struktur der Kompositummetaphern und auf deren notwendige Paraphrasierungen aufmerksam. Im Mittelpunkt des Beitrags von Kaczmarek stehen deutsche phraseologische Einheiten, mit denen Ärger zum Ausdruck gebracht wird. Die Autorin erfasst die ursprüngliche Motiviertheit der ‚Ärger‘-Phraseologismen und ergründet die Verbindungen zwischen dem Wissensbereich ‚Kampf‘ und der ‚Ärger‘-Emotion. Premper betont die Bedeutsamkeit der Unterscheidung der Begriffe Kognition und Semantik aus funktionaler, kognitiver und pragmatischer Sicht und beleuchtet ihr Verhältnis zueinander.

Das sechste Kapitel Deutsch als Fremdsprache und Fremdsprachendidaktik ist am umfangreichsten und setzt sich aus 18 Beiträgen zusammen, die einen interessanten Einblick in innovative Lehrmethoden für den DaF-Unterricht im schulischen und universitären Bereich gewähren. Insgesamt lassen sich hier drei Themenkreise unterscheiden. Ein Teil der Beiträge ist u. a. der Motivation der Lernenden gewidmet. Andrášová betont die linguistische Ähnlichkeit des Deutschen zum Englischen im Bereich der Aussprache, aber auch des Wortschatzes und weist auf die Rolle des bewussten Umgangs mit Englisch im Deutschunterricht hin, was sich auf die Effizienz des Deutschlernens positiv auswirken kann. Brychová stellt das Konzept des immersiven, grenzüberschreitenden regionalen Interreg-Projektes BIG (Bildungskooperationen in der Grenzregion AT-CZ, AT-HU und SK-AT) vor und beschreibt wichtige Ziele, die sich auf die Förderung der interkulturellen und kommunikativen Kompetenzen der Kinder in niederösterreichischen Kindergärten in der Nachbarsprache Tschechisch beziehen. Janíková konzentriert sich auf die zwei Ansätze Erinnerungsorte und Linguistic Landscapes, die Potenzial für die Kulturvermittlung im Fach Deutsch als Fremdsprache haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang das von der Autorin vorgeschlagene Unterrichtsprojekt für den hochschulischen DaF-Unterricht, das beide Ansätze verbindet. Im Fokus des Beitrags von Jaworska steht die Individualisierung des Lern- und Lehrprozesses bei Jugendlichen mit Legasthenie, deren besondere Bedürfnisse und Fähigkeiten von Fremdsprachenlehrkräften entsprechend berücksichtigt werden müssen. Die Autorin bemerkt, dass die Autonomisierung der legasthenen Lernenden eine einzigartige Chance bietet, dass sie schrittweise ihre eigenen Möglichkeiten entdecken und die erfolgreichen Lernmethoden besser kennenlernen. Kołsut und Gębal stellen die Ergebnisse einer Pilotstudie vor, in der sie sich für den handlungs- und aufgabenorientierten Ansatz im Unterricht einsetzen, durch den die Lernenden ein hohes Maß an kognitivem, sozialem und emotionalem Engagement zeigen. Kolečáni Lenčová verweist auf neue Methoden des Umgangs mit Kunstbildern im DaF-Unterricht, die auf eine sinnliche Wahrnehmung und die Emotionen der Lernenden fokussiert sind und es ihnen ermöglichen, autonom zu handeln und das Gesehene mit ihrem eigenen Wissens- und Erfahrungshorizont zu verbinden. Rusek präsentiert das Konzept des kooperativen Lernens, das der Langeweile und Monotonie im Unterricht entgegenwirkt. Das Besondere an dieser Lehrmethode ist es, dass alle Lernenden mental angeregt werden, sich aktiv mit Lerninhalten auseinandersetzen und so ihren persönlichen Lernprozess erfolgreich gestalten. Sipos beschäftigt sich mit zwei- und dreidimensionalen E-Learning-Plattformen im DaF-Unterricht. Sie bespricht verschiedene Vorteile und Möglichkeiten, die der Einsatz vom E-Learning an Schulen und Universitäten mit sich bringt und erläutert dabei auch die damit verbundenen neuen Herausforderungen für die Lehrkräfte. Štilec stellt die Rahmenbedingungen des Projektunterrichts in sprachlich gemischten Gruppen dar, der als ein geeignetes methodisches Verfahren zur Steigerung der integrativen Motivation im Fremdsprachenunterricht gilt. Dieses Lernvorhaben bietet eine ideale Möglichkeit für das sprachlich-sozial-interkulturelle Interagieren der Lernenden und kann den Lernerfolg wesentlich beeinflussen.

Mit der Sprachlernmotivation ist die Rolle der Grammatik im Fremdsprachenunterricht verbunden, für die die Autorinnen und Autoren in ihren Aufsätzen sensibilisieren wollen. Csapó-Horváth plädiert für die Einbeziehung von Kinder- und Jugendliteratur in den DaF- bzw. in den Grammatikunterricht, was den Studierenden den Übergang vom impliziten Wissen zum expliziten, deklarativen Wissen gewährleisten soll. Die Autorin zeigt, wie literarische Texte mit entsprechenden grammatischen Strukturen didaktisch bearbeitet werden und die Kreativität der Studierenden fördern können. Gualberto und Schnitzer stellen konkrete Vorschläge für eine Unterrichtspraxis vor, die Tradition und Erneuerung verbindet. Ohne auf eine explizite Grammatikvermittlung zu verzichten, postulieren die Autorinnen den Einsatz von Comicstrips im Grammatikunterricht und die Einführung von Übungen zur Sprachmittlung, die als Alternative bzw. Ergänzung zu den altbewährten Übersetzungsübungen angesehen werden. Schneider-Mizony geht auf den geschlechtsspezifischen Unterricht im 18. Jahrhundert ein und thematisiert Charakteristika frauenspezifischer Grammatikvermittlung von Fremdsprachen. Am Beispiel der Sprachlehrwerke, die sich im Titel oder im Vorwort auf das weibliche Geschlecht beziehen, merkt die Autorin an, dass das auf Frauen zugeschnittene Grammatiklehren nicht explizit, sondern eher indirekt durch kommunikations- und handlungsorientierten Unterricht erfolgte.

Der nächste Themenkomplex betrifft die Kompetenzorientierung im Fremdsprachenunterricht. Dirks, Barski und Zhou besprechen die Ergebnisse einer empirischen Studie, in deren Rahmen die Schreib- bzw. Textkompetenz von Studierenden, vom Verfassen eines DaF-Forschungsberichts bis zur Präsentation eines Bewerbungsgesprächs, systematisch entwickelt wurde. Dabei erweist sich der Scaffolding-Ansatz als ein sehr hilfreiches Instrument, um „vergleichsweise übersichtliches und gut lernbares Regelwissen zu festigen [...] und für Notwendigkeiten einer textbezogenen Überarbeitung zu sensibilisieren“ (238). Bergerová überprüft, welche Rolle phraseologische Wortverbindungen in einem modernen DaF-Lehrwerk (studio B2: Die Mittelstufe) spielen und ob deren Behandlung den Anforderungen phraseodidaktischer Forschung der letzten Jahrzehnte standhält. Lachout widmet sich der Frage, wie tschechische Studierende philologischer und nicht-philologischer Fächer ihre Kommunikationsschwierigkeiten überwinden. Im Fokus stehen unterschiedliche Arten und die Gebrauchsfrequenz von kommunikativen Strategien, die bei den philologisch orientierten und den nicht-philologisch orientierten Studierenden in ihrer mündlichen Sprachproduktion zum Einsatz kommen. Niemiec-Knaś beschreibt kompetenzorientierte Lernaufgaben im fächerübergreifenden DaF-Unterricht. Von hohem Erkenntniswert sind die Reflexionen darüber, wie ein gelungener kompetenzorientierter DaF-Unterricht vorzubereiten ist, damit die Lernenden sprachliche und kommunikative Zwecke in authentischen Situationen erreichen. Tsvetkov zeigt anhand des Modells der Textordnungsmuster auf, wie sich die L2-Textkompetenz der Lernenden (8.–12. Schuljahr) bei der Produktion von argumentativen Texten entwickelt. Hervorhebung verdient die Tatsache, dass die Fähigkeit, schriftlich geprägte Formulierungsmuster anzuwenden, mit zunehmendem Alter der Lernenden wächst. Im Mittelpunkt der Ausführungen von Veličková befinden sich Konstrukte von Lerner- und Lehrerautonomie. Als praktisch umsetzbares Instrument zur Förderung der Lerner- und Lehrerautonomie im Fremdsprachenunterricht wird die Selbstevaluation von Lernenden betrachtet, die u. a. durch Lerntagebücher, Checklisten, Portfolios unterstützt wird.

Das siebte Kapitel Diskursive Zusammenhänge führt in das Feld der Diskursanalyse ein, wo die tradierte hermeneutische Textanalyse „an Hand sprachwissenschaftlicher Methoden zu einem neuerungsträchtigen Spezifikum der Linguistik“ (17) wird. Am Beispiel mittelalterlicher Textzeugnisse untersucht Bock den geldwirtschaftlichen Diskurs, indem sie ihn bis zu seinen Ursprüngen im 11. Jahrhundert zurückverfolgt. Sie geht dabei auf sprachliche Elemente wie Paarformeln und Kollokationen ein, die diesen Diskurs geprägt haben. Manerova beleuchtet ein in der deutschen Sprachwissenschaft neueres Feld, indem sie mit Hilfe des DeReKo- und DWDS-Korpus den deutschen Phraseoreflex „Gott weiß“ analysiert. Er gilt als ein Diskursmarker zum Ausdruck von Ungewissheit, Unsicherheit oder Konstatierung.

Den Band schließt der letzte achte Teil Übersetzungswissenschaften und Literatur ab, der vier Aufsätze umfasst. Miroslava Bajusová macht auf die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit der Anwendung der Neutralisierungsstrategie beim Übersetzen von historischen Fachtexten aufmerksam. Bauske erforscht rechte Literatur in Frankreich, indem er einen literatur- und kulturvergleichenden Ansatz verwendet. Eliseeva befasst sich mit den Topoi des autobiografischen Narrativs in der transkulturellen Frauenliteratur, wobei hier auf Werke von deutschsprachigen AutorInnen aus der ehemaligen Sowjetunion fokussiert wird. Paksy verfolgt einen intermodalen Ansatz, indem sie drei Verfilmungen von Kafkas Verwandlung miteinander kontrastiert, um Unterschiede und Akzentverschiebungen in den filmischen Interpretationen aufzudecken.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die im Band versammelten Beiträge einen facettenreichen Überblick über die aktuelle Forschung zum Deutschen und zu weiteren Sprachen in Europa und in der Welt verschaffen. Hervorhebung verdient das breite Spektrum der Fachgebiete, von der vergleichenden Grammatik über die Sprachdidaktik bis hin zur interkulturellen Übersetzungswissenschaft. Die Beiträge beleuchten mit vielfältigen wissenschaftlichen Ansätzen die Dialektik von Tradition und Erneuerung in Bezug auf die Sprachvermittlung, auf das Erlernen und Erforschen von Sprachen sowie auf Sprache und Kulturen im Kontakt.