Wie der Maschinenbau aus der Krise findet
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Hannes Schmalzried
Hannes SchmalzriedKompetenz-Teamleiter Engineer To Order bei CNT Management Consulting Sonthofen GermanyDiesen Autor / diese Autorin suchen:
Herr Schmalzried, es heißt, dass der Maschinenbau in Deutschland in der Krise stecken würde. Ist das so und wenn ja, wo drückt der Schuh?
Dem kann ich leider nur zustimmen. Auch wenn die Auftragsbücher derzeit noch gut gefüllt sind, wird laut dem Verband Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) für das Jahr 2024 ein Produktionsrückgang um etwa vier Prozent erwartet. Die Probleme sind vielschichtig. Es wächst nicht nur der internationale Konkurrenzdruck, auch die Auftragslage in den großen Märkten wie Deutschland selbst, den USA und China bleibt angespannt. Durch politische Einflüsse wie EU-Regularien wird der Konkurrenzdruck zusätzlich erhöht. Ein Beispiel dafür ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das vor allem für kleine und mittelständische Betriebe nur schwer kontrollierbar bzw. umsetzbar ist.
Wie kann die Branche hier gegensteuern?
Interne Prozessoptimierungen, vor allem bei mittelständischen Unternehmen, sind oft als Game Changer zu betrachten. Nur weil Prozesse in der Vergangenheit gut funktioniert haben, ist dies kein Garant, dass sie auch für die Zukunft effizient sind. Oftmals blockieren historisch gewachsene, komplexe Prozesse über mehrere IT-Systeme hinweg den Innovationspfad. Auch hinsichtlich den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz muss die Integration zwischen einem nachhaltigen Produktionsansatz (Energie- und Rohstoffeffizienz), sozialer Verantwortung und wirtschaftlicher Effizienz erfolgen.
Hannes Schmalzried
Von den aktuellen Herausforderungen abgesehen: Wo liegen denn die Stärken und Potenziale des Maschinenbaus in Deutschland?
Der deutsche Maschinenbau zeichnet sich durch Präzision, Innovation und Qualität aus. Allgemein verfügt Deutschland über eine breite Produktpalette, welche mit Antriebstechnik, Land- und Fördertechnik sowie Lufttechnik den größten Exportanteil aufweist. Der deutsche Maschinenbau profitiert nicht nur von seinen Großkonzernen, sondern vor allem von dem stark ausgeprägten Mittelstand. Unternehmen aus diesem Segment gelten aufgrund der langjährigen Erfahrung über mehrere Generationen als Traditionsunternehmen.
Wer sind die größten Konkurrenten und wie kann erreicht werden, dass wieder mehr Aufträge nach Deutschland vergeben werden?
Auch wenn die Konkurrenz je nach Marktsegment variiert, seien im Allgemeinen China, Japan und USA erwähnt. Im internationalen Markt entscheiden neben dem allgegenwärtigen Kostendruck mehrere Kriterien: Forschung und Innovation in neue Technologien, Flexibilität und Liefertreue. Mit der branchenübergreifenden Initiative „Manufacturing-X“ hat die deutsche Industrie, zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, bereits ein richtiges und wichtiges Projekt gestartet um unter anderem eine digitale Austauschplattform zu erstellen.
Welche Trends und neue Lösungen gibt es im Hinblick auf die Digitalisierung und Vernetzung im Bereich Maschinenbau?
Vor allem im Mittelstand bietet der noch nicht zu stark ausgeprägte Digitalisierungstrend immenses Potenzial. Oftmals werden technologisch hochentwickelte und vernetzte Maschinen entworfen, produziert und verkauft, allerdings sind die internen Prozesse verstaubt. Die Absprachen zwischen Konstruktion, Produktion und Supply Chain sollten weitestgehend digitalisiert und standardisiert werden, um verschiedene Wissensstände und langatmige Änderungsanfragen zu vermeiden. Dies fördert zusätzlich die Transparenz im Unternehmen, die oft der Grund für mangelnde Integration der Prozesse und Systeme ist. Somit können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die komplexen Themen kümmern und steigern automatisch die Performance der internen Prozesse.
Was ist für die digitale Transformation in den deutschen Maschinenbauunternehmen erfolgsrelevant?
Digitalisierung muss mehr sein als ein reines Management Buzzword. Um die Produktion erfolgreich zu digitalisieren, ist eine Gesamtvision und ein Digitalisierungsplan erforderlich. Es muss evaluiert werden, welche Insights aus der Produktion ermittelt werden sollen, in welchen zeitlichen Abständen und wie diese weiterverarbeitet werden. Digitalisierungsziele müssen stets machbar sein und nützlich gesetzt werden. Es ist äußerst wichtig, dass die ermittelten Werte zur Steigerung der Gesamteffizienz und zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit dienen.
Wieso spielt die Stammdatenverwaltung im Maschinenbau eine besondere Rolle?
Im Allgemeinen gilt die Devise „Master Data can run or ruin your processes“. Im Maschinenbau, besonders im Sondermaschinenbau, werden oftmals Unikate produziert. Hierbei ist ein gewisses Augenmaß bei der Stammdatenqualität unabdingbar. Die Stammdatenpflege im ERP-System soll weitgehend katalogisiert und automatisiert werden, sodass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur um die notwendigen Adaptierungen des Standardkatalogs kümmern müssen.
Der Erfolg des Maschinenbaus basiert auf Innovation und Flexibilität. Wie kann vor diesem Hintergrund agile und flexible Stammdatenverwaltung gelingen?
In einem komplexen Produktionsszenario kommen verschiedene Softwarekomponenten zu tragen. Dies beginnt bei der Auftragserfassung, geht über die Konstruktion, zur Beschaffung, der Produktion, dem Versand und endet mit dem Reporting. Bezugnehmend auf die Stammdatenverwaltung sollte ein „Single-Sourceof-Truth“ Konzept etabliert werden. Wenn mehrere Softwareprodukte im Einsatz sind, so soll auf eine zentrale Master-Data-Governance geachtet werden. Die Daten werden im SAP-MDG bzw. ERP System (z. B. SAP) angelegt und von dort verteilt. Die prozessbedingten Stammdaten werden anschließend in den jeweiligen Prozessmodulen gepflegt. Dies klingt erstmal einfacher, als es tatsächlich ist, denn oftmals wurden in der Vergangenheit Systeme etabliert, die nicht einheitlich am stammdatenführenden System integriert wurden. Auch die Synchronisierung von mehreren Produktionsstandorten ist hier als Optimierungspunkt zu erwähnen.
Kann sich zu viel Standardisierung auch nachteilig auf die Maschinenbaubranche auswirken?
Auch wenn alle globalen Trends auf Standardisierung zeigen, ist und bleibt der (Sonder)-Maschinenbau ein flexibles Geschäft. Es ist nicht unüblich, dass kurzfristige Kundenwünsche bei sich bereits in der Produktion befindlichen Anlagen bzw. produzierten Maschinen durchgeführt werden. Hierbei ist es unabdingbar, dass sich der Change-Prozess im Gesamtprozess integriert und der Informationsfluss so kurz wie möglich gehalten wird. Dies startet mit der Konstruktionsänderung, die sich auf die Beschaffungskette überträgt und den Produktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern mitgeteilt wird.
Wie können Digitalisierung und Vernetzung die Produktion und Montageabwicklung verbessern? Worauf kommt es dabei an?
Die Digitalisierung kann, soll und wird die Produktionsabläufe nachhaltig revolutionieren. Auch wenn Performancemessungen wie OEE (Overall Equipment Effectiveness) bereits vielschichtig im Einsatz sind, so gilt der Shop Floor oftmals als prozessuale Blackbox. Planerische Fragen zum Personalstand, Fein-Sequenzierung der Fertigungsaufträge, dem aktuellen Stand der Produktion und Verzögerungen werden meist außerhalb vom ERP-System beantwortet, da die Datengrundlage oder Systemunterstützung nicht gegeben ist. Mit der Digitalisierung, etwa mittels Echtzeitdatenanalyse, sollen Möglichkeiten geschaffen werden, um die relevanten Insights und KPI’s der Produktion zu ermitteln und auch Folgeprozesse daraus abzuleiten und zu steuern.
Abschließend noch ein Blick in die Zukunft: Welche digitalen Trends könnten für den Maschinenbau in weiterer Folge noch an Bedeutung gewinnen?
Mittels Integration der Maschinendaten kann die termingenaue Wartungsplanung revolutioniert werden, indem zum Beispiel Zählerstände oder Abriebfaktoren zur vorrausschauenden Wartungsplanung verwendet werden. Die Erstellung eines serialisierten Digitalen Zwillings bietet hinsichtlich Produktionsnachvollziehbarkeit, Qualität und Kundenservice eine Vielzahl an Optimierungsmöglichkeiten. Auch wenn Themen wie Augmented Reality (AR) noch etwas an einen SCI-FI Film der 1990er-Jahre erinnern und sich im deutschen Markt bisher nur abwartend etablieren, so können auch diese Themen den Markt revolutionieren. Zum Beispiel können AR-Brillen eingesetzt werden, die den Montagemitarbeitern die Arbeitsanweisung bzw. die nächsten Produktionsschritte vorgeben.
© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Wir brauchen die Digitale Fabrik!
- Interview
- Wie der Maschinenbau aus der Krise findet
- Hybride Organisation
- Eignungsanalyse zur Einführung hybrider Organisationsformen in der Montage
- Fabrikplanung
- Augmented Reality in der kollaborativen Fabrikplanung von KMU
- Auswirkung von Strukturadaptionen auf die Veränderungsfähigkeit von Fabriken
- Digitalisierter Fabrikbetrieb
- Quantenalgorithmen zur Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen
- Kreislaufwirtschaft
- Die kreislauffähige Produktion
- Wandlungsfähigkeit
- Strukturvarianz in wandlungsfähigen Produktions- und Logistiksystemen
- Innovationsmanagement
- Anwendungsorientiertes Innovationsmanagement
- Lean Management
- Vorgehensmodell zum Roll-out des digitalen Shopfloor Managements
- Erneuerbare Energien
- Lean Photovoltaik
- Energieeffizienz
- Einsparpotenzial alternativer Trocknungstechnologien
- Mikrobearbeitung
- Mikrofräsen von PMMA mit vollkeramischen Werkzeugen
- Technologien
- Vergleich von Industrie-4.0-Technologien
- Digitalisierung
- Handlungsstufenplan für Digitalisierungsprojekte in der Produktion
- Digitaler Zwilling
- Der qualitätsbewusste Digitale Zwilling
- Industrial Metaverse
- Eine Referenzarchitektur für das Industrial Metaverse
- Vorschau
- Vorschau
Artikel in diesem Heft
- Frontmatter
- Editorial
- Wir brauchen die Digitale Fabrik!
- Interview
- Wie der Maschinenbau aus der Krise findet
- Hybride Organisation
- Eignungsanalyse zur Einführung hybrider Organisationsformen in der Montage
- Fabrikplanung
- Augmented Reality in der kollaborativen Fabrikplanung von KMU
- Auswirkung von Strukturadaptionen auf die Veränderungsfähigkeit von Fabriken
- Digitalisierter Fabrikbetrieb
- Quantenalgorithmen zur Optimierung von Produktions- und Logistikprozessen
- Kreislaufwirtschaft
- Die kreislauffähige Produktion
- Wandlungsfähigkeit
- Strukturvarianz in wandlungsfähigen Produktions- und Logistiksystemen
- Innovationsmanagement
- Anwendungsorientiertes Innovationsmanagement
- Lean Management
- Vorgehensmodell zum Roll-out des digitalen Shopfloor Managements
- Erneuerbare Energien
- Lean Photovoltaik
- Energieeffizienz
- Einsparpotenzial alternativer Trocknungstechnologien
- Mikrobearbeitung
- Mikrofräsen von PMMA mit vollkeramischen Werkzeugen
- Technologien
- Vergleich von Industrie-4.0-Technologien
- Digitalisierung
- Handlungsstufenplan für Digitalisierungsprojekte in der Produktion
- Digitaler Zwilling
- Der qualitätsbewusste Digitale Zwilling
- Industrial Metaverse
- Eine Referenzarchitektur für das Industrial Metaverse
- Vorschau
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