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Nika Aleksejeva: Narrative Warfare. How the Kremlin and Russian News Outlets Justified a War of Aggression against Ukraine. Washington, D.C.: The Atlantic Council (Digital Forensic Research Lab – DFRLab), Februar 2023

Published/Copyright: March 5, 2024

Rezensierte Publikation:

Aleksejeva Nika Narrative Warfare. How the Kremlin and Russian News Outlets Justified a War of Aggression against Ukraine Washington, D.C. The Atlantic Council (Digital Forensic Research Lab – DFRLab) Februar 2023


In den Wochen und Monaten vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 nutzten der Kreml und kremlfreundliche Medien falsche und irreführende Narrative, um ein militärisches Vorgehen gegen die Ukraine zu rechtfertigen, die operative Planung des Kremls zu verschleiern und jede Verantwortung für den kommenden Krieg zu leugnen. In Summe dienten diese Narrative Wladimir Putin als casus belli für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Das Digital Forensic Research Lab (DFRLab) des Atlantic Council hat wiederkehrende kremlfreundliche Narrative über zwei Zeiträume untersucht: die Zwischenkriegszeit 2014–2021 und die siebzig Tage vor der Invasion 2022. Insgesamt überprüfte es mehr als 350 Faktenchecks zu kremlfreundlicher Desinformation. Daraufhin sammelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über zehntausend Beispiele falscher und irreführender Narrative, die vierzehn kremlfreundliche Medien in den siebzig Tagen vor dem Einmarsch veröffentlicht hatten. Um zu verstehen, wie sich diese Narrative entwickelt haben, wurden diese nach Themen, Untererzählungen und Beziehungen zu Eskalationsereignissen vor der Invasion katalogisiert. Dies ermöglichte die Erstellung einer Zeitleiste mit falschen und irreführenden Kreml-Narrativen für das Jahr vor der Invasion. So wurde erkennbar, wie Russland Narrative als Waffe einsetzte, um in Richtung Krieg zu eskalieren.

Mithilfe der Zeitleiste dokumentiert die Analyse als Trainingsübungen getarnte russische Stationierungen an der Grenze zur Ukraine und verfolgt dann, wie der Kreml und die Führer der abtrünnigen Republiken ihre Rechtfertigungen, Dementis und Versuche der Verschleierung ihrer Aktivitäten miteinander verwoben. Kremlfreundliche Medien hätten diese Narrative während wichtiger Eskalationsphasen hervorgehoben. Dazu zählten Russlands Forderung nach Sicherheitsgarantien des Westens; Anschuldigungen, die Ukraine habe einen Kindergarten beschossen und Saboteure gegen Chemieanlagen eingesetzt; Bitten von Separatisten um eine Intervention des Kremls; Behauptungen, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wolle Atomwaffen beschaffen; und Behauptungen, Wladimir Putin beschäftige sich mit dem dringlichen Wunsch der abtrünnigen Volksrepubliken nach diplomatischer Anerkennung.

In einem weiteren Abschnitt wird der Text von Putins Invasionsrede vom 24. Februar 2022 analysiert. Die DFRLab-Bewertung der Rede fand fast zweihundert Verweise auf feindselige Narrative, die kremlfreundliche Medien in den siebzig Tagen davor publiziert hatten. Im Anschluss an die Überprüfung von Putins Rede wurden die kremlfreundlichen Narrative der Vorkriegszeit genauer aufgeschlüsselt. In der Zwischenkriegszeit von 2014 bis 2021 lauteten die drei prominentesten wiederkehrenden Narrative: Die ukrainische Armee und freiwillige Formationen seien brutal, die Ukraine sei ein gescheiterter Staat und die Ukrainer wären Nazis.

Für den Zeitraum der siebzig Tage vor der Invasion (16. Dezember 2021 bis 24. Februar 2022) wurden mehr als 10.000 Artikel von 14 kremlfreundlichen Medien analysiert und katalogisiert. Zu den primären untersuchten Narrativen, gehörten die wahrheitswidrigen Behauptungen:

  • Russland suche Frieden (2.201 Artikel);

  • Russland sei moralisch verpflichtet, sich für die Sicherheit in der Region einzusetzen (2.086 Artikel);

  • die Ukraine sei aggressiv (1.888 Artikel);

  • der Westen sorge für Spannungen in der Region (1.729 Artikel) und

  • die Ukraine sei eine Marionette des Westens (182 Artikel).

Die 2.201 Artikel mit dem Narrativ, Russland suche Frieden, dienten als moralisch hochrangiges Argument, um Putins kriegerische Absichten zu verschleiern und jede Verantwortung Russlands für militärische Eskalation abzustreiten. Am häufigsten war dieses Narrativ in Berichten über Russlands Forderung nach Sicherheitsgarantien zu finden. Diese machten 1.768 der 2.201 Artikel (80,32 Prozent) aus. Die am häufigsten zitierten Quellen waren hier russische Offizielle (1.570 Artikel), gefolgt von Wladimir Putin (160 Artikel) – ein Indiz, dass dieses Narrativ aus dem Kreml kam.

Das Narrativ, Russland habe eine moralische Verpflichtung, die Sicherheit der Region zu schützen, erschien in 2.086 Artikeln und sollte dem Kreml eine Rechtfertigung für den Krieg liefern. Das DFRLab identifizierte Spitzen am 19. Februar (262 Artikel) und am 21. Februar (401 Artikel), als sich kurz vor Putins Anerkennung der Donbass-Republiken die Rhetorik des Kremls verschärfte. Wie bei Russlands angeblicher Sehnsucht nach Frieden waren auch bei diesem Narrativ, das in 1.620 Artikeln erzählt wurde, russische Offizielle die häufigste genannte Quelle. In den Artikeln wurde Wladimir Putin 133-mal zitiert.

Das Argument, die Ukraine sei aggressiv (1.888 Artikel) diente als zusätzliches rhetorisches Instrument, um den Krieg zu rechtfertigen und die russische Verantwortung zu leugnen. In den Tagen nach den Behauptungen der Separatisten und des Kremls, dass die Ukraine einen Kindergarten und Chlortanks im Donbass angegriffen habe, erschien dieses Narrativ in großer Zahl, mit 395 Artikeln am 19. Februar und 418 Artikeln am 21. Februar. Bemerkenswert ist, dass hier Vertreter der „Volksrepubliken“ im Donbass die häufigste Quelle waren (1.250 Artikel).

Die Behauptung, der Westen schüre Spannungen in der Region, tauchte während der siebzig Tage vor der Invasion immer wieder auf, erreichte aber an keinem bestimmten Tag das Niveau anderer übergreifender Narrative. Kremlfreundliche Medien schrieben das Narrativ am häufigsten russischen Offiziellen (796 Artikel) und Putin (223 Artikel) zu.

Das DFRLab identifizierte auch Fälle, in denen kremlfreundliche Medien sich über Massenvernichtungswaffen und Nazis ausließen. Massenvernichtungswaffen wurden in 495 Artikeln erwähnt, zumeist in der letzten Woche vor der Invasion. Im Gegensatz dazu erschienen die 141 Artikel mit dem Reizthema Nazis in dem Zeitraum von siebzig Tagen; ihren Höhepunkt erreichten sie am 1. Januar mit 27 Artikeln, nach einer Kundgebung in Kyjiw zum Gedenken an den verstorbenen rechtsextremen ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera.

Das DFRLab hat zwar keine schlüssigen datengestützten Beweise für eine Koordination der 14 vom Kreml genehmigten Medien gefunden, aber seine Analyse deutet darauf hin, dass diese Medien, die viele Jahre in der Putin-Ära aktiv waren, die politischen Prioritäten kannten und kremlfreundliche Narrative in Übereinstimmung mit offiziellen Erklärungen und Ereignissen präsentierten. Es bleibe jedoch offen, ob der Kreml die Medien explizit angewiesen hat, ihr Publikum auf den Krieg vorzubereiten.

Der Bericht schließt mit einer Diskussion darüber, wie man Russland und seine Stellvertreter für den Krieg zur Rechenschaft ziehen kann. Während Russlands Vorkriegspropaganda und Aufstachelung zur Gewalt gegen seine Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verstoßen, bleibe die Frage offen, ob diese Narrative nach internationalem Recht ein Verbrechen darstellen. Während das Völkerrecht Desinformation und andere „Kriegstricks“ nicht verbietet, könnten Desinformationen des Kremls, die im Vorfeld der Invasion veröffentlicht wurden, als Beweis für die Planung oder Vorbereitung eines Angriffsakts gelten. Darüber hinaus könnten Desinformationsnarrative, die vor der Invasion einsetzten und danach fortgesetzt wurden, einen Beweis dafür liefern, dass russische oder Donbass-Offizielle sich bewusst waren, dass die Invasion nicht mit der Charta der Vereinten Nationen (UN) vereinbar war und eine „offensichtliche Verletzung“ dieser Charta darstellte.

Fazit: Insgesamt eine profunde Analyse, die einen aufschlussreichen Einblick in die Informationskriegsführung des Kremls gewährt.

https://www.atlanticcouncil.org/in-depth-research-reports/report/narrative-warfare/

Online erschienen: 2024-03-05
Erschienen im Druck: 2024-03-01

© 2024 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz.

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  23. Marta Kepe: Logistics and Sustainment in the Russian Armed Forces. Santa Monica: Cal.: The RAND Corporation (Research Report), November 2023
  24. Mason Clark/Karolina Hird: Russian Regular Ground Forces Order of Battle. Washington, D.C.: Institute for the Study of War 2023
  25. William Alberque/Douglas Barrie/Zuzanna Gwadera/Timothy Wright: Russia’s War in Ukraine: Ballistic and Cruise Trajectories. London: International Institute for Strategic Studies, Oktober 2023
  26. Jack Watling/Nick Reynolds: Stormbreak – Fighting Through Russian Defences in Ukraine’s 2023 Offensive. London: Royal United Services Institute, September 2023
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  28. Andrew Metrick: Rolling the Iron Dice. The Increasing Chance of Conflict Protraction. Washington, D.C.: Center for a New American Security (CNAS) 2023
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  39. Bildnachweise
Downloaded on 10.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2024-1020/html
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