Anthony H. Cordesman: The Lasting Strategic Impact of the War in the Ukraine. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies, Juli 2023
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Cordesman Anthony H. The Lasting Strategic Impact of the War in the Ukraine Washington, D.C. Center for Strategic and International Studies Juli 2023
Diese Studie unterscheidet sich deutlich von den meisten anderen Analysen, die sich auf die aktuellen Kämpfe und die Aussichten für ein Ende des Krieges zwischen der Ukraine und Russland konzentrieren. Cordesman fokussiert seine Analyse auf die potenziellen strategischen Auswirkungen des Krieges: erstens auf den weiteren Verlauf oder das Ende der Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine, zweitens auf die Beziehungen zwischen Russland, der NATO und dem Westen und drittens auf die globale Ordnung, so auch auf die Beziehungen zwischen Russland und China.
Was den weiteren Kriegsverlauf betrifft, so kommt die Studie zu dem Schluss, dass er sich aufgrund der Entscheidungen einzelner Personen, infolge einer speziellen militärischen Offensive oder einer Veränderung des Ausmaßes der Unterstützung von außen plötzlich auf unvorhersehbare Weise ändern kann. Am wahrscheinlichsten sei es allerdings, dass die Kämpfe in der Ukraine jahrelang andauern werden. Je länger der Krieg andauert, befürchtet der Verfasser, desto mehr werden Kräfte freigesetzt, die jede Einigung oder jeden „Frieden“ höchst instabil machen werden. Auf jeden Fall habe der Krieg eine neue und dauerhafte Form des Kalten Krieges zwischen dem Westen und Russland bewirkt.
Der Autor hält es für sehr wahrscheinlich, dass jedwede Form der Beendigung des Konflikts oder ein Waffenstillstand zu einer anhaltenden politischen Konfrontation und einem Wettrüsten zwischen der Ukraine und Russland führen wird. Der Krieg werde so lange andauern, wie in Russland Personen wie Putin regieren und die Ukraine eine starke, unabhängige Führung hat. Ein Waffenstillstand würde vermutlich dazu führen, dass es vor allem seitens Russlands immer wieder zu gewalttätigen Zwischenfällen und zu einem fortwährenden politischen und wirtschaftlichen Kampf käme. Die Ukraine wiederum würde versuchen, ihre Beziehungen zur NATO zu stabilisieren und der Allianz beizutreten.
Der neue Kalte Krieg werde ein regionales, sowohl nukleares als auch konventionelles Wettrüsten auslösen. Im Westen werde man die nukleare Abschreckung wahrscheinlich von Grund auf neu konzipieren müssen. Ein wichtiger Faktor dabei sei, wie sich die innere Stabilität und Geschlossenheit auf beiden Seiten entwickelt. Russlands künftige innere Stabilität könnte stark davon abhängen, ob und inwieweit Putin zumindest ansatzweise einen Sieg für sich verbuchen kann. Konkret hieße dies, dass Russland nicht nur das gesamte 2014 eroberte Gebiet behält, sondern auch das in der Ostukraine eingenommene Territorium. Es müsse davon ausgegangen werden, dass Russland seine militärischen Fähigkeiten grundlegend umbaue, modernisiere und erweitere, um seinen Status als Großmacht wiederzuerlangen. Jedoch seien Russlands Ressourcen nicht unerschöpflich.
Voraussetzung für die künftige Stabilität Europas und den Erfolg der erweiterten Abschreckung im Westen werde sein, ob und wie es den NATO-Mitgliedern gelinge, effektivere Formen der Abschreckung und der Kriegsführungsfähigkeit zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Bisher hätten sich die meisten NATO-Länder verpflichtet, mehr Geld zu investieren und die Modernisierung und Einsatzbereitschaft erheblich zu verbessern. Noch sei nicht klar, ob tatsächlich all diese Pläne umgesetzt würden und die NATO ein Maß an Interoperabilität und integrierter Streitkräfteplanung und -taktik erreichen werde, das eine erfolgreiche konventionelle Abschreckung gewährleisten könne.
Wichtig sei auch die Frage, ob die Ukraine in die NATO aufgenommen werde. Es sei derzeit unklar, wie viel Unterstützung die Ukraine von den Vereinigten Staaten und den europäischen Staaten erhalten wird, um tatsächlich der NATO und der Europäischen Union beitreten zu können. Ebenso unklar sei die Menge und Qualität der künftigen Hilfen für die Ukraine. Umfragen zufolge nehme die Unterstützung für die Ukraine ab und auch die Befürwortung zusätzlicher NATO-Militärausgaben sei nicht überwältigend. In vielen NATO-Ländern, darunter in den Vereinigten Staaten und Schlüsselländern wie Deutschland, nähme die Zahl „rechter“ politischer Elemente zu, die sich gegen Hilfe für die Ukraine wenden.
Auch globalstrategisch, so der Verfasser, werden sich die Spannungen und Machtkämpfe um die Ukraine auswirken. Putin habe wiederholt erklärt, die russische Wirtschaft von ihrer Abhängigkeit von Europa, dem Westen und seinem „regelbasierten“ System abzukoppeln. Er habe angedeutet, dass Russland neue wirtschaftliche und strategische Beziehungen zu China und anderen nicht-westlichen Staaten aufbauen wolle. Zugleich versuche er, seinen Einfluss außerhalb Europas und im Rest der Welt nach Kräften auszuweiten.
Einige von Putins Zielen seien mit ziemlicher Sicherheit unrealistisch, doch die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen auf globaler Ebene werde sich sehr wahrscheinlich verschärfen. Das wird sich besonders im Fall China zeigen. Der neue Kalte Krieg und das Wettrüsten zwischen Russland und dem Westen werden zunehmend verknüpft sein mit politischen Spannungen, wirtschaftlicher Konfrontation und dem Wettrüsten zwischen China und den Vereinigten Staaten mit ihren strategischen Verbündeten.
Der Verfasser räumt ein, dass man unmöglich vorhersagen könne, welches Ende diese drei folgenschweren Auswirkungen des Krieges nehmen werden. Die Analyse hebt aber einige der quantitativen Trends hervor, die dabei wichtig sein können.
https://www.csis.org/analysis/lasting-strategic-impact-war-ukraine
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