Liang, Shanshan; Steinmüller, Ulrich (Hrsg.): Fremdheit in der deutschen Sprache. Linguistische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen. Berlin: Peter Lang, 2018 (Deutsche Sprachwissenschaft international, 28). -- ISBN 978-3-631-71839-1. 172 Seiten, € 54,60.

Wolfgang Braune-Steininger

doi:10.1515/infodaf-2021-0040

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Liang, Shanshan; Steinmüller, Ulrich (Hrsg.): Fremdheit in der deutschen Sprache. Linguistische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen. Berlin: Peter Lang, 2018 (Deutsche Sprachwissenschaft international, 28). -- ISBN 978-3-631-71839-1. 172 Seiten, € 54,60.

Wolfgang Braune-Steininger

Veröffentlicht/Copyright: 9. April 2021

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Aus der Zeitschrift Informationen Deutsch als Fremdsprache Band 48 Heft 2-3

Rezensierte Publikation:

Liang, Shanshan; Steinmüller, Ulrich (Hrsg.): Fremdheit in der deutschen Sprache. Linguistische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen. Berlin: Peter Lang, 2018 (Deutsche Sprachwissenschaft international, 28). -- ISBN 978-3-631-71839-1. 172 Seiten, € 54,60.

Fremdheit gehört zu den gegenwärtig in den Geistes- und Sozialwissenschaften intensiv erörterten Themenkomplexen. Unter dem Thema Fremdheit in der deutschen Sprache und Literatur stand eine am 17. und 18. September 2016 am Beijing Institute of Technology durchgeführte Tagung, deren sprach- und kulturwissenschaftliche Beiträge der vorliegende Band vereint. Als Herausgebende fungieren Ulrich Steinmüller, emeritierter Professor für DaF an der Technischen Universität Berlin, und Shanshan Liang, Associate-Professorin in der Deutschabteilung des Beijing Institute of Technology. In der Einleitung betonen die beiden, schon auf kommende Forschungen vorausweisend, „dass im Phänomen der Fremdheit noch eine Vielzahl sowohl tagesaktueller als auch grundsätzlicher und systematischer Fragen enthalten sind, die nach einer weiteren Bearbeitung auch unter kultur- und sprachwissenschaftlicher Perspektive verlangen“ (8).

Den ersten von drei Themenschwerpunkten, Fremdheitserfahrung, eröffnet Martina I. Steiner mit einer Studie über „Fremdheitserfahrung und interkulturelle Kommunikation. Fremdheit als Konstruktion“. Dabei geht sie mit kontradiktorischen Konstruktionen vor: „Nähe und Distanz, Inklusion und Exklusion, Marginalisierung und Partizipation sind die dualen Perspektiven, mit denen das Thema Fremdheit reflektiert wird“ (11). Nach der Auseinandersetzung mit Theoremen von Jürgen Habermas, Niklas Luhmann und Julia Kristeva schlussfolgert Steiner: „Um Fremdheit zu überwinden, muss sie erkannt werden, im Sinne des bewussten Sehens, das heißt, sie muss in ihrem Entstehen und deren gesellschaftlichem Kontext verstanden werden“ (15).

Unter dem inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Zitat von Karl Valentin, „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, setzt sich Ulrich Eschborn mit den in den Autobiographien von Martina Bölck, einer in China tätigen DaF-Dozentin, und Wang Xiaohui, einer zeitweilig in Deutschland aktiven Fotografin, problematisierten Fremdheitserfahrungen auseinander. Dabei werden für die Fremdheitsforschung grundlegende Maximen formuliert: „Demnach sind die Grenzziehungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden immer mit Abgrenzung, aber auch mit Über- und Unterordnung, also mit Machtstrukturen, verbunden. Menschen benötigen das Fremde, um sich von ihm abzugrenzen und ein Selbstbild und Selbstverständnis zu schaffen, um also eine eigene Identität, ein Selbst, zu konstruieren“ (28). Eschborns Fazit, „dass die Begegnung mit dem Fremden im besten Fall zu individueller, künstlerischer und gesellschaftlicher Weiterentwicklung führt“ (37), formuliert dann auch den optimalen Effekt von persönlichen Fremdheitskontakten für die einzelne Person.

Kulturkomparatistisch besonders ergiebig ist die materialreiche Studie von Benjamin van Well: „Vertraute Fremdheit. Träume in der chinesischen und deutschsprachigen Vormoderne“. Wer allerdings psychoanalytische Traumdeutungen avant la lettre erwartet, wird enttäuscht: „Die Darstellung innerpsychischer Prozesse spielt in beiden vormodernen Kulturen, v. a. in der Dichtung, kaum eine tragende Rolle“ (55). Eine Gemeinsamkeit ist dagegen die Vorstellung, dass die Seele den Körper während des Schlafes verlassen und in Kontakt mit metaphysischen Kräften und den Seelen Verstorbener treten kann (45 f.). Indes besteht ein großer Unterschied: „Der Traum ist in China auch viel stärker an die Erfahrungswelt gebunden, während Träumen im europäischen Mittelalter das Eintreten in eine phantastische Parallelwelt bedeutet“ (55).

Den zweiten Themenschwerpunkt des Bandes, Fremdheit im interkulturellen Kontext, eröffnet Yu Jingtao mit einer Untersuchung von „Reziprozitätsdynamiken in (chinesisch-deutschen) interkulturellen Teamprozessen“. Auf der Basis von 16 Leitfadeninterviews mit chinesischen und deutschen Mitarbeitern aus verschiedenen binationalen Teams werden Gemeinsamkeiten und Differenzen herausgearbeitet, etwa die Maxime im Berufsleben: „Man strebt bei der Reziprozität nach Gewinn auf beiden Seiten. Das sind die gemeinsamen Wünsche der chinesischen und deutschen Kommunikationspartner“ (67). Allerdings scheint im Alltagsleben „das Reziprozitätsprinzip in China stärker beachtet zu werden als in Deutschland“ (71). Für die Kulturforschung besonders nachhaltig ist Jingtaos Diktum: „Die Kommunikationsprozesse basieren auf der Reziprozität der Akteure, vernetzen sie und generieren damit Akteurfelder. Dadurch entsteht Kultur“ (62).

Für die Erforschung des Deutschlandbilds besonders informativ ist der Beitrag von Liang Shanshan über das in der auflagenstärksten und einflussreichsten Zeitung Chinas (75), People’s Daily, präsentierte Image der Bundesrepublik. Nach der Auswertung von 419 themenrelevanten Nachrichten „zeigt sich Deutschland hauptsächlich als Kooperationspartner, Wirtschaftsgroßmacht und als ein Land, das den Zweiten Weltkrieg gewissenhaft reflektiert und nur gelegentlich auch mit negativen Nachrichten aufzuwarten hat“ (76). Zu den Negativseiten gehört der Rechtsextremismus als am meisten erwähntes Problem und der Abgas-Skandal bei VW.

Zhang Yong betont die Wichtigkeit von interkultureller Kommunikationskompetenz als Schwerpunkt des interkulturellen Trainings für Manager. Erfolg und Misserfolg im internationalen Geschäftsleben hängt besonders von der Kenntnis kultureller Spezifika ab: „Fehlt den Interaktionspartnern das Verständnis und die Reflexion über kulturbedingte Besonderheiten, führt dies zwangsläufig zu Missverständnissen, die einen Geschäftsverlust in Millionenhöhe verursachen können“ (81).

Den dritten Themenschwerpunkt des Bandes, Fremdheit in Linguistik und Didaktik, eröffnet Armin Burkhardt mit seiner Studie „Über falsche Freunde und schwierige Nachbarn. Probleme der Kontrastiven Semantik“, wobei er u. a. auf Pseudo-Anglizismen wie Dressman, Talkmaster, Twen und Looping (103) eingeht. Politisch höchst relevant sind die linguistischen Überlegungen von Liu Fang zum Schlagwort Flüchtlinge, insbesondere zur -ling-Suffigierung, wobei das Fazit bemerkenswert ist, „dass bei Flüchtlinge sich ein interessanter und komplexer Entwicklungsprozess vollzogen hat, und dieser Begriff -- zumindest nach der Auffassung einiger Forscher -- in jüngster Zeit eine Bedeutungsverschlechterung erfahren hat, obwohl er noch nicht als ‚pejorativ‘ festgeschrieben ist“ (117).

In einem der grundlegenden Beiträge des Bandes -- „Mehrsprachigkeit als Beitrag zur Überwindung von Fremdheit?“ – engagiert sich Ulrich Steinmüller für die nachhaltige schulische Förderung von Erst- und Zweitsprachigkeit in einer multikulturellen Gesellschaft: „Beide Sprachen werden als Unterrichtsfach und als Unterrichtssprache verwendet, sodass dem Schüler die Möglichkeit gegeben wird, in möglichst vielen, am besten in allen Domänen des alltäglichen Lebens und der kognitiven Entwicklung beide Sprachen gebrauchen zu können“ (130). Als gelungenes Beispiel nennt er die Europaschulen in Berlin.

Für eine Zweikulturenkompetenz, nämlich die Kenntnis der eigenen und der noch zu erkennenden Kultur durch Spracherwerb, plädiert Su Fu in ihrer „Fehleranalyse zu Übersetzungsaufgaben in der Prüfung für das Germanistik-Hauptstudium“: „Erst unter der Voraussetzung, dass man über eine doppelte Kulturkompetenz verfügt, ist eine adäquate Übertragung möglich“ (139). Yali Wang erkennt in ihrer „Untersuchung zu Sequenzmustern in DaF-Unterrichtsgesprächen“ als besonders auffallend „die ausgeprägte lehrerzentrierte Lenkung von Unterrichtsgesprächen“ (152), und Lei Liu betont in seiner konstruktivistischen Sicht des computergestützten deutschen Schreibunterrichts aus technischer Perspektive die Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden: „Im Rahmen des Konstruktivismus sollten die Germanistikstudenten Lerner werden, die in der Lage sind, das neue Wissen selbstständig zu konstruieren. Für diese Lerner ist Computertechnologie ein kognitives Werkzeug, während die Lehrenden im Schreibunterricht als Organisator, Ratgeber, Kontrollperson oder Prüfer betrachtet werden“ (166).

Dem Editionsduo Shanshan Liang und Ulrich Steinmüller ist die Herausgabe eines thematisch vielfältigen, wissenschaftlich höchst ergiebigen und die Fremdheitswissenschaft nachhaltigst anregenden Forschungsbandes gelungen.

Online erschienen: 2021-04-09

Erschienen im Druck: 2021-04-01

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2021-0040