Daase, Andrea: Zweitsprachsozialisation in den Beruf. Narrative Rekonstruktionen erwachsener Migrant*innen mit dem Ziel einer qualifizierten Arbeitsaufnahme. Münster: Waxmann, 2018 (Beiträge zur Soziokulturellen Theorie der Sprachaneignung, 1). – ISBN 978-3-8309-3583-4. 408 Seiten, € 39,90.

Krzysztof Nerlicki

doi:10.1515/infodaf-2021-0020

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Daase, Andrea: Zweitsprachsozialisation in den Beruf. Narrative Rekonstruktionen erwachsener Migrant*innen mit dem Ziel einer qualifizierten Arbeitsaufnahme. Münster: Waxmann, 2018 (Beiträge zur Soziokulturellen Theorie der Sprachaneignung, 1). – ISBN 978-3-8309-3583-4. 408 Seiten, € 39,90.

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Published/Copyright: April 9, 2021

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From the journal Informationen Deutsch als Fremdsprache Volume 48 Issue 2-3

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Daase, Andrea: Zweitsprachsozialisation in den Beruf. Narrative Rekonstruktionen erwachsener Migrant*innen mit dem Ziel einer qualifizierten Arbeitsaufnahme. Münster: Waxmann, 2018 (Beiträge zur Soziokulturellen Theorie der Sprachaneignung, 1). – ISBN 978-3-8309-3583-4. 408 Seiten, € 39,90.

Die Fragen der Migration und Sprachintegration sind in der deutschen Zweitspracherwerbsforschung von zunehmender Bedeutung. Dies resultiert unter anderem daraus, dass die Einwanderungsprozesse als gesellschaftliche Realität in Deutschland unterschiedliche individuelle und gruppenspezifische Untersuchungsprobleme aufwerfen.

Dem Forschungsinteresse von Daase liegen ihre langjährigen Erfahrungen in Sprachkursen zugrunde. Die Autorin begleiten dabei zwei Fragen (16): Welche Ziele und Motive haben die Lernenden, wenn sie in die Kurse gehen? Welche anderen Faktoren helfen ihnen bei der Sprachsozialisation? Fokussiert wird in dieser Studie die Aneignung des Deutschen als Zweitsprache für die Berufszwecke – die Verfasserin interessiert sich dafür, wie Zweitsprachlernende ihre eigene Sprachsozialisation im Geflecht verschiedener Faktoren (etwa persönlicher, sozialer, gesellschaftlicher, beruflicher Provenienz) rekonstruieren (können). Forschungsmethodologisch handelt es sich hierbei um narrativ-biographische Interviews.

Mit der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Einwanderung nach Deutschland bekommt der interessierte Leser Einblick in den gesellschaftlich-politischen Hintergrund (Kapitel 2). Darüber hinaus stellt Daase staatlich-institutionelle Angebote zur Vermittlung der Zweitsprache Deutsch dar, nicht selten mit Kritik versehen. Diese bezieht sich etwa auf die Integrationskurse, in denen allgemeinsprachliche, weniger berufsspezifische Deutschkenntnisse entwickelt werden (43). Auch die berufsbezogenen ESF-BAMF-Kurse^[1] können nicht immer den Bedürfnissen der Lernenden und den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht werden (77).

Die theoretische Untermauerung der Arbeit bildet die Soziokulturelle Theorie der Zweitspracherwerbsforschung (Kapitel 3). Zu Recht hebt Daase aus soziokultureller Sichtweise hervor, dass Sprache und Spracherwerb „als komplexe soziale Praxis“ verstanden werden sollten und dass der Kontext für die Sprachaneignung konstitutiv ist (88). In diesem Sinne wird auf die kulturhistorische Schule der Psychologie von Vygotski und auf seinen soziokulturellen Ansatz eingegangen – referiert wird über die Hauptkonzepte wie Vermittlung (Sprache als Artefakt – Werkzeug [tool] zur Organisation und Steuerung von Denken und Verhalten, 92) oder aber über die Zone der nächsten Entwicklung, in der als einer community of practice der collaborative dialogue zwischen Experten und Novizen und auch unter Novizen stattfindet (94). Des Weiteren wird auch die Tätigkeitstheorie diskutiert, die die Nachfolger von Vygotski (etwa Leont’ev) ausgearbeitet haben. Darauf stützt sich die activity theory von Lantolf/Thorne (2006). In solch einem Tätigkeitssystem werden menschliche Handlungen – was Lernprozesse impliziert – in einem Gefüge vollzogen: Sprache als Artefakt, die Gemeinschaft, in der bestimmte institutionelle und historische Gesetze vorkommen, und die Arbeitsteilung (etwa soziale Rollen der Handelnden). Laut Daase kann auch der Zweitspracherwerb, etwa in institutioneller Form eines DaZ-Kurses, als Tätigkeitssystem verstanden werden, das auch andere Tätigkeitssysteme, an denen Lernende und Lehrende teilhatten, miteinschließt (109). Darüber hinaus werden poststrukturalistische Ansätze und Bachtins Theorie der Dialogizität aufgegriffen. Hierbei verdient Bachtin besondere Aufmerksamkeit, weil seine philosophischen Konzepte bezüglich der Sprache für das Verstehen der Soziokulturellen Theorie grundlegend sind. Zu ihnen gehören: a) Sprache wird als dialogisches Phänomen verstanden; b) Bedeutung ist immer kontextuell abhängig; c) das menschliche Subjekt soll nur durch seine Relationen mit anderen Subjekten verstanden werden; d) Sprachaneignung ist ein dialogischer Erfahrungsprozess – auch als Summe von unterschiedlichen Stimmen (voices) angesehen, denen Lernende ausgesetzt werden. Für Interessierte, die sich bisher mit der Soziokulturellen Theorie des Zweitspracherwerbs wenig beschäftigten, bietet dieses Kapitel einen guten Einstieg in die weitere Diskussion.

In Kapitel 4 werden die Fragestellung und der Forschungsgegenstand konkretisiert. Daase geht unter anderem der Frage nach (148): „Wie rekonstruieren erwachsene Zweitsprachenlernende, deren Ziel die Aufnahme einer qualifizierten Arbeit ist, ihre Sprachsozialisation und deren Rahmenbedingungen?“ Dabei handelt es sich um drei Erzählpersonen: Malgorzata (Polen), Khalid (Marokko) und Ludmila (Ukraine).

Den Fallanalysen in Kapitel 6 geht eine sehr umfangreiche Darlegung forschungsmethodologischer Grundlagen bezüglich der narrativen Interviews voraus (Kapitel 5). Der Umfang dieses Abschnitts mag für manche Lesenden etwa zu breit angelegt sein, wissenschaftliche Genauigkeit kann man aber der Autorin nicht absprechen. Fokussiert werden: Grundprinzipien Interpretativer Zweitsprachenerwerbsforschung, sprachbiographische Herangehensweisen an den Untersuchungsgegenstand, narrative Interviews und deren Analysen.

In den Fallanalysen stehen die von den Probanden aufgezeichneten Sprachporträts im Mittelpunkt der geführten Diskussionen. Auf diese Art und Weise gelingt es der Verfasserin, das von den Erzählpersonen Erlebte hinsichtlich der Sprachsozialisation zur Diskussion zu stellen und dieses im Kontext der Handlungen bezüglich der Zweitsprachaneignung für berufliche Zwecke zu analysieren. Aus den sprachbiographischen Erzählungen lassen sich unterschiedliche Aktivitäten der Interviewten in ihren Sprachsozialisationen ableiten: orientierungstheoretische Aktivitäten, erklärungs- und legitimationstheoretische Aktivitäten und evaluationstheoretische Aktivitäten.

Kapitel 7 widmet sich den kontrastiven Fallvergleichen. Damit wird auf Elementarkategorien hingewiesen, die der Verfasserin im nächsten Schritt (Kapitel 8) zur Aufstellung vier genereller Hypothesen bezüglich der Zweitsprachsozialisation in den Beruf dienen.

Abgeschlossen wird das Buch mit einigen Reflexionen hinsichtlich des Forschungsprozesses sowie der Position der Autorin. Sehr positiv beurteile ich diese selbstkritische Auseinandersetzung mit den Untersuchungsergebnissen, vor allem damit, was besser hätte gemacht werden können (364). Daase stellt die Rolle anderer Teilnehmender an der Forschungswerkstatt im Prozess der Dateninterpretation heraus – durch die Diskussionen mit ihnen konnte sie vieles aus der Rekonstruktion der Erzählpersonen neu auslegen oder aber erst erkennen. Wie die Autorin konstatiert, „[...] ermöglicht Forschen im interpretativen Paradigma [...] immer auch Selbsterkenntnis“ (367). In weiteren Unterkapiteln werden die Ergebnisse der Studie in den Forschungsstand eingebettet und vor dem Hintergrund der politisch-gesellschaftlichen Entscheidungen diskutiert. Sicher ist, dass Zweitsprachsozialisation in den Beruf nicht nur den Kursen überlassen werden sollte. Sie „[...] bedarf der Beziehungsarbeit“ (370), die in einem breiteren Kreis etwa von Kollegen, Vorgesetzten etc. geleistet werden muss. Offene Fragen und Forschungsdesiderata schließen das Buch ab.

Fazit: Diese Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Zweitspracherwerbsforschung. Ihre Verortung im soziokulturellen Paradigma eröffnet ohne Zweifel neue Untersuchungsperspektiven, deckt mehrere Fragen auf und regt zu interdisziplinären Projekten an.

Literatur

Lantolf, James P.; Thorne, Steven L. (2006): Sociocultural Theory and the Genesis of Second Language Development. Oxford: Oxford University Press. Search in Google Scholar

Online erschienen: 2021-04-09

Erschienen im Druck: 2021-04-01

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https://doi.org/10.1515/infodaf-2021-0020