Kurzberichte aus den Ländern
Baden-Württemberg
denk_mal_minimal
»Lage-Lage-Lage«, das Mantra von Immobilienmaklern zur Bedeutung der richtigen Verortung von Gebäuden, trifft auch auf Kulturdenkmale zu. Sie stehen in der Regel nicht alleine, sondern haben einen ganz besonderen Bezug zur natürlichen oder gebauten Umgebung. Gerade die in den Ortsgemeinden abgelegener Regionen situierten Objekte haben oft einen schweren Stand. Sie liegen häufig an stark befahrenen Durchgangsstraßen oder verfügen wegen ihrer Lage im Dorfkern über keine Freiflächen. Weitere Faktoren wie der demografische Wandel und der Wegzug der jüngeren Generation aus einer wirtschaftlich geschwächten Region erhöhen das Risiko von Leerstand, drohendem Verfall und letztlich auch Abbruch. Damit einher geht die einschneidende Veränderung des Erscheinungsbildes der Stadt- und Ortskerne.
Gerade mit Blick auf die aktuelle Debatte des flächen- und ressourcen-schonenden Bauens sowie aus Gründen der Nachhaltigkeit muss es künftig die Priorität der Ortsgemeinden und Eigentümer sein, bestehende denkmalgeschützte Gebäude zu erhalten, um deren Verlust zu verhindern. Nicht zuletzt leistet dies einen wichtigen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes und der regionalen Identität der Städte und Gemeinden.
Eine neue Chance auf Umnutzung erhalten diese bisher meist schwer vermittelbaren und daher unsaniert gebliebenen (Denkmal-)Immobilien wegen ihrer günstigen Preise, die sich unter anderem aus ihrer Lage abseits der Ballungsräume ergeben. Sicherlich beschleunigt durch die immer noch anhaltende pandemische Situation hat sich die Organisation der Arbeitswelt rasant verändert. Flexible Arbeitszeiten, eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf und nicht zuletzt das Arbeiten im Home-Office machen es nicht mehr zwingend notwendig, direkt am Arbeitsort oder in dessen Nähe zu wohnen.
Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf unsere Stadt- und Ortskerne lassen sich noch nicht absehen. Insbesondere Leerstandsobjekte im ländlichen Raum rücken damit aber möglicherweise in ein ganz neues Licht. Mit seinem neuen Projekt denk_mal_minimal nimmt sich das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg diesen Sorgenkindern der Denkmalpflege an. Exemplarisch werden neue Nutzungschancen derzeit leer stehender Gebäude ermittelt und zusammen mit der Städtebauförderung kostengünstige Sanierungsmöglichkeiten aufgezeigt.
Für repräsentativ ausgewählte leer stehende Gebäude haben erfahrene Architekturbüros in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege Ausbauvorschläge für verschiedene neue Nutzungen entwickelt. Gemeinsames Anliegen dabei ist, die Bauten in ihrer historischen Bausubstanz und ihrem charakteristischen Erscheinungsbild anschaulich zu bewahren. Im Mittelpunkt steht die kostengünstige Reparatur bzw. Instandsetzung von Objekten nach dem Pareto-Prinzip, das heißt, dass 80 Prozent des Ergebnisses mit 20 Prozent des Gesamtaufwands erreicht werden. Die Maßnahmen sollen sowohl für das Kulturdenkmal als auch für das Stadtbild einen besonders großen Effekt ergeben.

Freudenberg am Main, Leerstand an einer stark befahrenen Durchgangsstraße, 2020
Ziel dabei ist es, einen Anreiz für Eigentümer zu schaffen, die nicht allzu viel investieren wollen oder können, und somit dem stagnierenden Sanierungsinteresse entgegenzusteuern. So wird zum einen kostengünstiger, bezahlbarer Wohnraum geschaffen und gleichzeitig der Werterhalt der Immobilien und Kulturdenkmale gesichert. Bei der Instandsetzung von Objekten werden alle Maßnahmen kritisch auf ihre Notwendigkeit und ihren Mehrwert hinterfragt. Das Landesamt für Denkmalpflege will mit diesem Projekt zusammen mit der Städtebauförderung einen aktiven Beitrag zur Belebung wenig genutzter Wohngebäude und zur Entwicklung ländlicher Stadtkerne leisten. Die gefundenen Lösungen sind auf andere Objekte in Dörfern und Städten übertragbar.
DANIEL KELLER
Bayern
Ganslberg – Fritz Koenigs Parnass
Das Ensemble Künstleranwesen Ganslberg dokumentiert zusammen mit seinen Einzelbaudenkmalen in anschaulicher Weise die Lebens- und Arbeitswelt des Künstlers Fritz Koenig (1924–2017) und ist darüber hinaus ein bemerkenswertes Beispiel für landschaftsgebundenes Bauen in der Nachkriegszeit. Den Mittelpunkt des von Wald, Wiesen und Pferdekoppeln umgebenen Anwesens in der Gemeinde Altdorf (Lkr. Landshut) bildet ein nach Süden mit einer Einfriedungsmauer geschlossener Dreiseithof von 1961–1972, bestehend aus dem Wohn- und Ateliergebäude sowie Scheune und Pferdestall für die Zucht von Vollblutarabern.
Mit dem Nachtrag des Anwesens in die Denkmalliste konnte ein erstes, langes Kapitel abgeschlossen werden, das gekennzeichnet war von der Suche nach dem richtigen Weg im Umgang mit einem äußerst komplexen und in seiner Anschaulichkeit auch sehr fragilen Künstlernachlass und seiner denkmalfachlichen Bewertung. Aufgrund fehlender belastbarer Quellen bzw. nicht zugänglicher Unterlagen beschritt das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege neue Wege, um die denkmalfachliche Bewertung auf eine gesicherte Basis zu stellen. 2021 fanden moderierte Zeitzeugengespräche mit Wegbegleitern des Künstlers statt. Die Gespräche mit Regisseur Percy Adlon, Historiker Michael Wolffsohn, Alexander Rudigier, Kurator der Koenig-Retrospektive in den Uffizien 2018, dem Publizisten Dieter Wieland und der ehemaligen Leiterin des Koenig-Museums in Landshut, Stefanje Weinmayr, lieferten wichtige Informationen zur Verbindung von Koenigs künstlerischem Schaffen und der Architektur des Anwesens.
Fritz Koenig gilt als einer der führenden deutschen und europäischen Bildhauer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Wirken hatte maßgeblichen Anteil an der Wahrnehmung von Kunst im öffentlichen Raum, ging aber weit über eine gewöhnliche Kunst-am-Bau-Beziehung hinaus und manifestierte sich auch in bildhauertheoretischen und kunstpolitischen Themen. Wie kein Zweiter steht Koenig für die Überwindung der Skulptur der Zeit des Nationalsozialismus und daher für den künstlerischen Aufbruch in der Nachkriegszeit. Auf der Grundlage eines humanistischen, kosmopolitischen Weltbildes setzte er sich in seinem umfangreichen OEuvre mit den Determinanten der Natur, des menschlichen Lebens und ihren Triebkräften sowie den künstlerischen Traditionen auseinander. Seine Skulpturen kreisen um die zentralen Fragen nach Raum und Zeit, um Eros und Thanatos. Ihre radikal reduzierten geometrischen Formen, oft in fragilen Konstruktionen, symbolisieren ein inneres Ringen zwischen Bändigung und Freiheit. Auch seine Karyatiden-Projekte sind Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen dem Geometrischen und dem Organischen. Seine Große Kugelkaryatide N.Y. (The Sphere)wurde zum Inbegriff der Westorientierung der Bildhauerei in der Bonner Republik.

Altdorf bei Landshut, Hofanlage Ganslberg, Ansicht von Süden, 2021

Altdorf bei Landshut, Hofanlage Ganslberg, Wohnraum mit Einrichtung (heute im Depot), Zustand kurz nach dem Tod des Künstlers, 2017
Koenig hat den gesamten Ganslberg als sein Werk, seinen Lebens- und Schaffensraum betrachtet. Aus ihm heraus kann sein OEuvre erkannt und verstanden werden. Der Umgang mit dem Gelände, die Einfügung der aufeinander bezogenen Bauten und deren Verhältnis zu Form, Material und Landschaft sind zusammengenommen ein Paradebeispiel für landschaftsgebundenes Bauen der 1960er und 1970er Jahre. Der Rückbezug zur niederbayerischen Hauslandschaft ist überall spürbar, aber ohne zu kopieren. Zu erkennen sind zudem Entlehnungen aus der südländischen und skandinavischen Architektur, ohne dass ein konkretes Vorbild durchdringt.
Mit der Hofanlage ist ein im Nachkriegsdeutschland frühes Beispiel neuer Architektur als Synthese von Tradition und Moderne dicht und anschaulich überliefert. Die Raum-Körper-Beziehung manifestiert sich auch im Inneren des Wohnhauses: Vor allem Eingangshalle und Wohnraum wurden in Bezug zueinander gesetzt und durch Öffnungen und Blickbeziehungen auch mit dem Außenraum verbunden. Hier fanden diverse Objekte im Wechsel Aufstellung und wurden in ihrer Wirkung »erprobt«, indem Möbel, Arbeiten und Sammlerstücke des Künstlers entsprechend ausgewählt, positioniert und in das künstlerische Gesamtkonzept eingebunden wurden (derzeit gesichert im Depot). Das gesamte Anwesen war damit auch als Bühne gedacht, um Objekte zu inszenieren.
Auch die 1969 am Fuß des Ganslbergs zunächst eigens für die Fertigung der Großen Kugelkaryatide N.Y. errichtete Werkhalle war bis in das letzte Detail von Koenig durchdacht worden. Als Schaffensort der bronzenen Großskulptur, die 1972 in Form eines stilisierten Globus als drehbarer Mittelpunkt der Brunnenanlage auf der Plaza des World Trade Centers in New York aufgestellt wurde und durch das Überstehen der Terroranschläge des 11. September 2001 weltweite Bedeutung erlangte, kommt dem holzverschalten, stützenfreien Schopfwalmdachbau zusätzliche Bedeutung zu. Koenig schenkte dem Bau der Atelierhalle seinem eigenen Bekunden zufolge beinahe die gleiche Aufmerksamkeit wie der Bronzeskulptur selbst.
Die Bauten des Ganslbergs stehen in Form und Substanz in direktem Zusammenhang mit dem künstlerischen Schaffen Fritz Koenigs: Reduktion als Formprinzip. Wie auch bei der Gesamtgestaltung des Anwesens sind Einfachheit und schlichte Ausführung sowie die Verwendung natürlicher und naturbelassener Materialien die Leitbilder seiner Architektur. Seit dem Tod des Künstlers im Jahr 2017 stehen die Gebäude leer. Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie zum künftigen Nutzungskonzept des Anwesens erarbeitet.
ANKE BORGMEYER UND MICHAEL SCHMIDT
Berlin
Ost-Postmoderne am Gendarmenmarkt
Im Herbst 2020 hat das Landesdenkmalamt (LDA) Berlin eine Nachqualifizierung des Denkmal-Ensembles Gendarmenmarkt durchgeführt, in der die Platzumbauungen der 1980er Jahre eine Wertschätzung und Würdigung erfuhren. Nach starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg waren erst 1976 Beschlüsse zur Wiederherstellung der barocken Platzanlage als »Platz der Akademie« unter der Leitung der Architekten Manfred Prasser (1932–2018) und Erhardt Gißke (1924–1993) von der »Baudirektion Hauptstadt Berlin des Ministeriums für Bauwesen« verabschiedet worden, die den Wiederaufbau des Deutschen und Französischen Doms sowie des einstigen Schauspielhauses von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) ebenso wie die Neubebauung der Platzränder und die Neugestaltung der Freifläche vorsahen.
Die Umsetzung der Planungen für Kultur- und Bildungseinrichtungen mit dem territorialen Schwerpunkt der Straße Unter den Linden über den Bebelplatz bis zum Platz der Akademie erfolgte am Gendarmenmarkt größtenteils in den 1980er Jahren. Das ehemalige Schauspielhaus wurde als Konzerthaus wiedererrichtet, in die Kirchenbauten sollten Ausstellungen integriert werden. Am neuen Platz der Akademie entstanden ein Funktionsbau für das Konzerthaus, ein Internat für die Akademie der Wissenschaften, ein Wohnungsbau mit Einzelhandel und Geschäften, die Zentrale der Ost-CDU sowie das heutige Hilton als Interhotel Domhotel.
Als beispielhaft für den Denkmalwert der einzelnen Bauten kann der Wohn- und Geschäftsbau an der Markgrafenstraße auf der Ostseite des Platzes angesehen werden. So stecken hier hinter den barockisierenden Fassaden größtenteils Bauelemente der Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) in Sonderausführungen. Die sehr aufwendig gestalteten Räumlichkeiten, beispielsweise für ein Restaurant in den beiden unteren, im Inneren über große Öffnungen verbundenen Geschossen, sind aus Sonderbauteilen gefertigt, auf die in gängiger WBS 70-Bauweise die außergewöhnlich geräumigen Wohnungen aufgesetzt wurden. Die konstruktive Besonderheit des Baus wird insbesondere in der Betrachtung von Vorder- und Rückseite deutlich. So steht der barockisierenden Platzfassade das typische Aussehen der WBS 70 auf der Rückseite entgegen. Beide Fassaden sind durch die erkennbar gebliebene Struktur der Plattensysteme als zeittypische Zitate zu lesen. Das Ensemble kann so auch als herausragende postmoderne Gestaltung innerhalb der DDR-Architektur bewertet werden.

Berlin, Wohn- und Geschäftsbauten an der Markgrafenstraße, zwischen Französische und Jägerstraße, 2021
Die in den 1980er Jahren errichteten Neubauten am heutigen Gendarmenmarkt spiegeln die vielfältigen Möglichkeiten der Verwendung von Plattensystemen in der Spätphase der DDR ebenso wider wie die wertschätzende Hinwendung der Stadtplanung zu den gewachsenen Strukturen der Stadt. Die Neugestaltung des Platzes der Akademie ist zusammen mit der Errichtung des Nikolaiviertels wohl das bedeutendste dieser Projekte im Berlin der Hauptstadt der DDR und zudem auch als Pendant zu den parallel entstandenen Bauten der IBA in West-Berlin zu sehen.
JORIS HUBE
Abschied von der AVUS
Die Automobil-Verkehrs- und Übungs-Straße (AVUS) ist nicht nur ein bedeutendes Denkmal der deutschen Automobilgeschichte, sondern prägt auch die (West-)Berliner Identität: Das Panorama von AVUS, Funkturm und ICC wirkt als Stadteingang, ab hier ist man in Berlin. Umso mehr erstaunt es, mit welchem Desinteresse die Berliner Öffentlichkeit bislang der kommenden Zerstörung dieses Denkmalbereiches durch den geplanten Umbau des Autobahndreiecks Funkturm begegnet.
Die AVUS wurde ab 1909 auf private Initiative als erste reine Autostraße Deutschlands in Nachbarschaft zu den damaligen großen Sportstätten geplant, und gab wiederum den Anstoß für deren Umbau zum heutigen Messegelände (1914 Ausstellungshallen des Reichsverbandes der Automobil-Industrie). Nach Bauunterbrechung im Ersten Weltkrieg und Eigentümerwechsel wurde sie erst 1921 fertiggestellt und zeitgleich zur benachbarten großen Deutschen Automobil-Ausstellung als Rennstrecke eröffnet.
Das Dreieck Funkturm ist sanierungsbedürftig und entspricht nicht mehr heutigen Anforderungen an Verkehrsfluss und Sicherheit. Jedoch bedeuten die Umbauplanungen, dass das gesamte Nordende der AVUS verkehrlich und räumlich abgeklemmt wird.

Berlin, AVUS, Panorama bei der Einfahrt nach Berlin: die Denkmale Tribüne, Motel, Funkturm und ICC, 2021
Die neue A115 schwenkt südlich der Tribüne und quer über das Gelände der Nordkurve nach Westen, während Schallschutzwände und aufsteigende Rampen den Blick auf das Panorama verstellen. Die Abfahrt zum Messedamm zerschneidet die Fahrbahn zwischen Tribüne und Motel. Für die Restflächen im Umfeld wird eine Bebauung als neuer »Stadteingang West« geplant. Auch wenn Tribüne und Motel erhalten bleiben, werden durch die Maßnahmen die räumlichen Zusammenhänge der Gesamtanlage AVUS völlig zerschnitten und das berühmte Panorama während der Einfahrt nach Berlin nicht mehr wahrnehmbar sein. Das LDA hat alternative Verkehrsführungen vorgeschlagen, jedoch werden sich die Bemühungen wohl auf den Erhalt und eine adäquate Nachnutzung des AVUS-Nordendes zumindest als öffentlich zugängliche bzw. befahrbare Fläche konzentrieren müssen. Interessant ist die noch nicht abschließend geprüfte Idee eines Radweges auf der alten Rennstrecke – doch gegenüber den funktionalen und visuellen Verlusten des vielleicht bedeutendsten Denkmals der deutschen Automobilgeschichte und eines identitätsprägenden Denkmals von Berlin, 100 Jahre nach seiner Eröffnung, wäre dies nur ein schwacher Trost.
ACHIM SCHRÖER
Brandenburg
Die zentrale deutsche Feuerwehr-Fachschule »Schloss Bahrensdorf«
In der Ortslage des heute zur Kreisstadt Beeskow gehörenden Dorfes Bahrensdorf liegen die Gebäude der ehemaligen Feuerwehr-Fachschule. Die Institution wurde 1927 als erste zentrale deutsche Ausbildungsstätte dieser Art gegründet und zunächst im historischen Herrenhaus des Ortes untergebracht, einem märkischen Rittergut aus der Zeit um 1600, dessen heutige Gestalt im Wesentlichen auf Umbauten von 1820 zurückgeht. Ergänzend entstanden ein Feuerwehrgerätehaus und der große Steiger- und Schlauchtrockenturm; das Schloss diente als Erholungsheim. Aufgrund der steigenden Nachfrage und der Ausweitung des Ausbildungsprogramms wurde die Anlage – nun als »Landes-Feuerwehrschule Kurmark« – ab 1936 erheblich erweitert, unter anderem durch ein Gasübungshaus und ein Sanitätshaus. Der Steigerturm erfuhr eine Aufstockung. Jenseits der Kernbauten wurde eine neue Baugruppe, bestehend aus einer Fahrzeughalle und einem Verwaltungsgebäude, errichtet.
Die Gebäude bildeten trotz ihrer verstreut wirkenden Lage ein gestalterisch und funktional aufeinander bezogenes Ensemble, das im heute desolaten städtebaulichen Umfeld nur noch schwer ablesbar ist. Der als Landmarke wirkende und für die Funktion und Nutzung des Anwesens wichtigste Bau ist der große Steigerturm, der als Übungs-, Schlauch-, Uhren- und Feuerwachturm diente. Er wurde über rechteckigem Grundriss errichtet und erhebt sich als sechsgeschossiger, massiv gemauerter Ziegelbau mit einem aufgesetzten Belvedere in Holzkonstruktion und einem steilen Walmdach. Die Holzbrüstung und die sichtbaren Konstruktionselemente des Daches weisen Formen des Heimatschutzstils auf. Baulich mit dem Turm verbunden wurden das ehemalige Gasübungshaus und die anschließende Krankenstation. Beide Gebäudeteile sind geschickt zu einem annähernd U-förmigen gegliedert Baukörper angeordnet.
Eine zweigeschossige Fahrzeughalle, deren siebenachsiges Erdgeschoss durch sechs große Tore und einen ebenso großen Eingang untergliedert wird, diente mit den Räumlichkeiten im Obergeschoss ebenfalls als Schulungsgebäude. Die breiten Laibungen des Eingangsportals waren ursprünglich durch figürliche Reliefplatten gestaltet, die nicht mehr erhalten sind. Der mit Sandsteinplatten gestaltete Eingangsbereich im Inneren vermittelt zum tiefer im Gebäude liegenden Treppenhaus. Von dort erreichte man die Schulungsräume im Obergeschoss und den Keller mit Sozialräumen und Sauna. Ein dreigeschossiges Verwaltungsgebäude ist über einen eingeschossigen Verbindungsbau angebunden. Beide Gebäude verweisen mit dem erhaltenen steilen Walmdach und den baulichen Gliederungsdetails deutlich auf ihre Entstehungszeit in den 1930er Jahren.

Beeskow-Bahrensdorf, Feuerwehr-Fachschule, Gesamtansicht, 2020

Beeskow-Bahrensdorf, Feuerwehr-Fachschule, Steigerturm mit Gasübungshaus und Krankenstation, 2020
Die Stadt Beeskow plant derzeit, einen Teil der Gebäude instand zu setzen und umzunutzen. Während die Baugruppe um den Steigerturm Vereinen zur Verfügung gestellt werden soll, werden Fahrzeughalle und Verwaltungsbau von privater Seite zu Wohnzwecken ausgebaut und somit nach langem Verfall wieder einer Nutzung zugeführt werden.
Seit 1943 war die Feuerwehrschule Teil der Feuerschutzpolizei-Ersatzabteilung und als selbstständige taktische Einheit für Ausbildung und Logistik aller motorisierten Feuerschutzpolizeiabteilungen des Deutschen Reiches zuständig. Die Ausbildung von Feuerwehrleuten für die Freiwilligen Feuerwehren blieb trotz kurzer Unterbrechung in den Nachkriegsjahren bis 1958 an diesem Standort. Im Jahr 1958 änderte und erweiterte man die Zuständigkeit der ehemaligen Feuerwehrschule, die nun als »Zentralschule für den Luftschutz« in der DDR zuständig war. Bis 1990 firmierte der stetig anwachsende Gebäudekomplex unter ver schiedenen Namen, zuletzt als »Institut für Zivilverteidigung Otto Grotewohl«, als feuerwehrtechnische Ausbildungsstätte der DDR.
Die im Rahmen der Denkmalbewertung durchgeführten Recherchen bestätigten für die ehemalige Feuerwehrschule, auch wegen der innerhalb der DDR landesweit wahrzunehmenden Aufgaben, die allgemein-, bau- und architektur-, militär- sowie sozialgeschichtliche Bedeutung der Anlage und begründeten ihre Eintragung in die Brandenburgische Denkmalliste.
Die nun beginnenden Arbeiten sollen nach Jahrzehnten des Leerstands die Gebäude wieder in eine sinnvolle Nutzung überführen, die die Bewahrung der stark gefährdeten Anlage ermöglicht.
HAIKO TÜRK
Hamburg
Vom Deichen und vom Weichen
Der auch durch den Menschen verursachte Klimawandel bedroht durch den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels die Kulturlandschaften der Küstenregionen. Betroffen sind auch die Gebiete entlang der Elbe, darunter das Alte Land und die Vier- und Marschlande. Die seitens des Hochwasserschutzes gewählte Lösung ist seit Jahrzehnten die klassische Deicherhöhung, verbunden mit einer gleichzeitigen Verbreiterung des Deichfußes. Objekte jeder Art, die bereits heute bzw. zukünftig zu nahe oder direkt im Deichfuß stehen, müssen für die Deichsicherheit weichen. Das gilt auch für Kulturdenkmale.
Nur in seltenen Fällen wird eine Translozierung in Betracht kommen, nämlich dann, wenn es darum geht, das Gebäude lediglich um wenige Meter zu verschieben. Dieser Vorgang ist kostenintensiv und benötigt vor allem eine ausreichende Grundstücksfläche im rückwärtigen Marschland.
Bislang konnten derartige Translozierungen umgangen werden. Stehen Gebäude nahe am Deichfuß, wurden weitere Flächen, auf denen eigentlich Windbäume zum Schutze des Hauses stehen, gepflastert, um den Deich vor einer eventuellen Unterspülung zu schützen. Bereits diese Lösung hat Kulturlandschaftselemente vernichtet.
Am 13. Oktober 2021 berichtete nun die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift »Dem Untergang geweiht«, dass ohne ambitionierten Klimaschutz 50 Großstädte im Meer versinken könnten. Eine entscheidende Erkenntnis und Botschaft des auf einer Analyse der Forscher der US-Organisation Climate Central fußenden Beitrags ist, dass höhere Deiche nur wenig gegen den Anstieg des Meeresspiegels um bis zu fünf Meter nützen werden. Denn die Aufgabe der Deiche besteht allein darin, vor Sturmfluten zu schützen. Gegen den Anstieg des Meeresspiegels hingegen helfen sie nicht und schon gar nicht gegen beides zusammen. Mit anderen Worten, ein Leben unterhalb des Meeresspiegels hinter dem Deich, wird und kann es nicht geben – der Mensch wird weichen müssen, selbst bei Erreichen der Klimaziele des Pariser Abkommens. Daher gehen die Niederlande hier bereits neue Wege.

Hamburg, Altengammer Hauptdeich 130: Es droht die Translozierung zur Rettung, 2021
Welchen Beitrag die Denkmalpflege zum Klimaschutz leisten kann, ist viel diskutiert worden: Bewahren des gebauten Erbes mit seiner grauen Energie, vertretbare Wärmedämmung sowie in Einzelfällen auch der Einsatz von Solarenergie. Windkraftanlagen einigermaßen (denkmal-)verträglich in die Kulturlandschaft zu integrieren, ist eine Sisyphusarbeit, die eher selten gelingt. Es ist anzunehmen, dass die »Verspargelung« der Landschaft eines Tages durch technische Weiterentwicklungen ein Ende haben wird.
Nicht allein denkmalpflegerischen Laien stellt sich nun die Frage, ob die in Hamburg in Gang gesetzte prophylaktische Entnahme von Kulturdenkmalen und anderen historischen Gebäuden hinter dem Deich die einzige Antwort auf den Klimawandel sein kann. Nach Frühwarnsystemen, die auf Flut- und andere Katastrophen hinweisen, wird allenthalben gerufen; ihre Weiterentwicklung hat für die Rettung von Menschenleben zweifellos höchste Priorität. Den unweigerlichen Untergang des kulturellen Erbes haben wir, wie auch den Klimawandel, ohnehin schon jetzt selbst zu verantworten.
ASTRID HANSEN
Hessen
Beginn der Innenrestaurierung
Die Elisabethkirche in Marburg wurde ab 1235 errichtet. Die Gesamtweihe erfolgte 1283, lediglich die Westtürme waren zu diesem Zeitpunkt nicht fertiggestellt. Für seine Zeit ist der Bau hochmodern und rezipiert sehr früh Elemente der französischen Kathedralgotik. Im Unterschied zu dieser erhielt die Elisabethkirche jedoch einen zentralisierenden Dreikonchenchor und ein Hallenlanghaus. Sie gehört zu den ersten und bedeutendsten gotischen Kirchenbauten in Deutschland und diente auch als Grablege der hl. Elisabeth. Von der gotischen Ausstattung sind wesentliche Elemente erhalten, so Verglasungen im Chor, Hochaltar, Lettner, Elisabethmausoleum und Elisabethschrein sowie zahlreiche Altäre und Skulpturen.
Die letzte Renovierung des Innenraums liegt über 80 Jahre zurück. Aufgrund von Verschmutzungen und Alterungserscheinungen erscheinen die Oberflächen sehr dunkel. Hinzu kommen konservatorische Probleme in den östlichen Gewölbereichen in Form von sich ablösenden Verputzschichten. Aufgrund dieser Problematik, die mittlerweile seit Jahrzehnten von der Kirchengemeinde beobachtet wird, besteht auch aus deren Sicht ein hohes Interesse an einer Renovierung des Innenraums. Zur Vorbereitung wurden in mehreren Abschnitten ab 2005 restauratorische Untersuchungen zu den historischen Raumfassungen sowie zu den technischen Möglichkeiten und Grenzen von verschiedenen Maßnahmenkonzepten einschließlich größerer Musterflächen durchgeführt. Eine Diskussion der Ergebnisse und anstehenden Entscheidungen erfolgte auch im Rahmen von international besetzten Fachkolloquien in den Jahren 2016 und 2017.
In der Elisabethkirche sind seit der Erbauung insgesamt vier Raumfassungen nachweisbar. Die erste Raumfassung aus der Erbauungszeit ist im gesamten Kirchenraum anhand zahlreicher Befunde erschließbar. Sie hat an den Pfeilern, Wand- und Gewölbeflächen einen rosafarbenen Grundton mit weißem Fugennetz. Architekturgliedernde Elemente wie Dienste, Rippen, Kapitelle und Maßwerk sind in Weiß und Ocker abgesetzt.
Im 16. Jahrhundert erhielt die Elisabethkirche eine zweite komplett neue Raumfassung, bestehend aus einer leicht grau-blau abgetönten weißen Grundfarbigkeit mit farblichen Absetzungen. Sie ist nur in wenigen Resten nachweisbar, lediglich an den Gewölbeflächen der Ostkonche sind umfangreichere Reste einer differenzierten Rankenmalerei erhalten.
Für die dritte, ab 1854 ausgeführte Raumfassung wählte man ein gebrochenes Weiß als Grundton an den Wandflächen, Pfeilern und Gewölben. Bestehende Malereien und einzelne Gestaltungsmerkmale der vorherigen Fassungen wurden mit eingebunden. Diese Fassung ist anhand von Fotoaufnahmen zwar dokumentiert, jedoch sind die einzelnen Farbwerte aufgrund der heute nur vereinzelt erhaltenen Befunde nicht mehr exakt zu ermitteln.
Die Renovierungsmaßnahme der 1930er Jahre strebte einen steinsichtigen Zustand an. Hierzu versuchte man die Vorgängerfassungen an Wand- und Pfeilerflächen zu reduzieren, was im Bereich der sehr stabilen gotischen Fugenspachtelungen mit freskal gebundener Erstfassung nur unvollständig gelang. Auch aus diesem Grund wurden alle aufgehenden Bauteile mit einer bräunlichen Leimfarbe dünn lasiert, um ein beruhigtes, einheitliches Erscheinungsbild zu erreichen. Die verputzten Gewölbe überzog man nach einer weitgehenden Entfernung der Fassungen des 16. und 19. Jahrhunderts mit einer dünnschichtigen weißen Leimfarbe.
Die stark verschmutzte Fassung dieser Phase bestimmt das heutige Erscheinungsbild der Elisabethkirche. Konzeptionelle Überlegungen und Musterflächen für die nun anstehende Renovierung gingen zunächst von einer Erhaltung der angetroffenen Raumfassung aus. Diese liegt aufgrund der Alterungen der verwendeten organischen Bindemittel in einem teilweise stark pudrigen Zustand vor, in dem Schmutzpartikel eingelagert sind. Eine Erhaltung dieser Fassung gestaltet sich sehr aufwendig, da sie nur schlecht gereinigt und in ihrem bereits stark reduzierten Bestand erhalten werden kann. Das gewonnene Erscheinungsbild ist aufgrund der Uneinheitlichkeit der Oberflächen ästhetisch unbefriedigend und vom Aufwand her fragwürdig. Die Ursachen liegen in den schwach gebundenen Lasuren, deren organische Bindemittel sich zum Großteil abgebaut haben. Um die Gestaltungsabsicht der 1930er Jahre zu erreichen, wären zudem so umfangreiche Retuschen notwendig, dass von einer weitgehenden Rekonstruktion dieser Fassung gesprochen werden müsste.
Wegen der lückenhaften Befundlage der Gestaltungskonzepte des 16. und 19. Jahrhunderts scheidet eine rekonstruierende Neufassung der Kirche auf der Basis einer dieser Renovierungsphasen aus, obwohl sie aufgrund ihrer historischen Kontexte konzeptionell und ästhetisch denkmalfachliche Optionen darstellen würden.
Im Hinblick auf diese arbeitstechnische und denkmalfachliche Problematik wurde von dem einberufenen Fachgremium mehrheitlich eine Neufassung in der Farbigkeit der gotischen Erstfassung befürwortet. Für diese ist die Befundlage ausreichend gesichert, zudem sind insbesondere in den Ostteilen der Kirche umfangreich gotische Ausstattungsstücke erhalten, für die diese Fassung auch kontextuell einen Rahmen bilden kann. Es wurden verschiedene Musterflächen zu möglichen Materialien und Farbauftrag ausgeführt und diskutiert. Letztendlich hat man sich aus Rücksicht auf die vorhandenen Befunde für ein reversibles Material entschieden. Dieses wird zwar flächig aufgetragen, jedoch wirken die Unregelmäßigkeiten der Steinoberflächen noch mit. Technik und Material werden somit nicht gänzlich die Kompaktheit, Farbtiefe und Brillanz der ursprünglichen gotischen Fassung in Kalktechnik erreichen, jedoch im Zusammenspiel mit der gealterten und veränderten Ausstattung ein harmonisches Gesamtbild erzielen, eine Erwartung, die sich angesichts der Alterung der vor rund sechs Jahren aufgebrachten Musterflächen noch verstärkt hat.

Marburg, Elisabethkirche, Nordwand des Hauptchores mit Gewölbeansatz, Musterachse mit verschiedenen Musterflächen, rechts die Variante für die anstehende Innenrenovierung, 2021
Die Arbeiten an der Raumschale beginnen Ende 2021. An der historischen Ausstattung sollen vorwiegend Reinigungsarbeiten und – soweit notwendig und im Gesamtkonzept sinnvoll – kleinere konservatorische und restauratorische Maßnahmen durchgeführt werden. Diese erfolgen während und nach Abschluss der Maßnahmen an den Wand- und Gewölbeflächen.
BERNHARD BUCHSTAB UND CHRISTINE KENNER
Mecklenburg-Vorpommern
Ostmoderne, Hochhäuser und Literatur
Wenn es einen Ort in Mecklenburg-Vorpommern gibt, der durch die Zeit der DDR geprägt und dessen Antlitz durch diese vier Jahrzehnte bestimmt worden ist, dann ist es Neubrandenburg. Die ehemalige Kleinstadt, die 1950 noch 20.000 Einwohner zählte, entwickelte sich als Bezirkshauptstadt zum regionalen Zentrum von Verwaltung und Wirtschaft. Zum Ende der DDR-Zeit lebten hier 91.000 Menschen.
Seit den 1960er Jahren entstanden in Neubrandenburg neue Wohnstandorte in industrieller Bauweise. Aufgrund der sich häufig über lange Jahre erstreckenden Planungs- und Bauzeiten kam eine Vielzahl von Bauformen und verschiedene Serien des industriellen Wohnungsbaus zum Einsatz. Eine Ausnahme hinsichtlich seiner Einheitlichkeit und seines Überlieferungszustands bildet das zwischen 1980 und 1985 entstandene Hochhausensemble an der Neustrelitzer Straße, ehemals Leninallee. Es ist nach einem städtebaulichen Gesamtplan unter Verwendung lediglich eines industriellen Bautyps, der Wohnungsbauserie 70, kurz WBS 70, umgesetzt worden. Unweit des Stadtkerns reihen sich entlang der nach Süden aus der Stadt führenden Bundesstraße 96 an deren östlicher Seite 15 Baukörper von 11 bis 14 Geschossen aneinander, Zeugnisse der Ostmoderne.

Neubrandenburg, Neustrelitzer Straße, Hochhaussiedlung, von Norden, 2019
Die vor- und rückspringende Straßenbebauung des Ensembles schafft offene Höfe und eine abwechslungsreiche, bewegte Gesamterscheinung. Die Komposition ist ausgerichtet auf den sich mit dem Auto fortbewegenden Menschen, der aus der Stadt kommend in das Wohngebiet hinein- oder an ihm vorbeifährt. Verantwortlich für die städtebauliche Anlage und Architektur waren maßgeblich Iris Grund, die damalige Stadtarchitektin, und die Architekten Günter Gisder und Manfred Hartung. Bis heute ist das Ensemble in Grundstruktur und Substanz nahezu ursprünglich erhalten – dies ist eine rare Ausnahme.
Wenn wir heute die Großwohnsiedlungen der späten 1960er bis 1980er Jahre im Überblick betrachten, stellen wir als zunächst fest: In einer kurzen Zeit wurde immens viel gebaut. Innerhalb des industriellen Wohnungsbaus nahm die WBS 70 eine Schlüsselrolle ein. Von 1973 bis 1990 sind in der DDR 650.000 Wohnungen dieses Serientyps produziert worden, in der Regel in Siedlungen am Rande der Städte auf ehemals unbebauten Flächen. Schließlich zeigt sich, dass dieser Bestand nach der politischen Wende stark verändert wurde. Zum einen geschah dies durch umfangreiche Instandsetzungen, zum anderen durch Abbruch von manchmal bis zu 25 Prozent des Gebäudebestands der Siedlungen.
Das Hochhausensemble in Neubrandenburg stellt nicht nur ein authentisches Zeugnis für die Sozialpolitik der späten DDR und deren industriellen Wohnungsbau dar. In Literatur und Kunst dieser Zeit steht diese Architektur auch für das Leiden der damals jungen Generation an den Verhältnissen oder ihr Verzweifeln am politischen System. Die Autorin Brigitte Reimann (1933–1973), die in ihren letzten Lebensjahren in Neubrandenburg wohnte, beschreibt in ihrem Roman Franziska Linkerhand von 1974 das Leben einer jungen Architektin. Der Stadtarchitekt erklärt darin, als er die junge neue Mitarbeiterin in ihr Arbeitsfeld einweist: »Wir haben keine Zeit für Spielereien. Wir haben nur eine Aufgabe: Wohnungen für unsere Werktätigen zu bauen, so viele, so schnell, so billig wie möglich«.
Der Roman skizziert die beinahe störrische Hoffnung der jungen Heldin, die sich diesen sachlichen Vorgaben gegenübergestellt sieht: »Es muß, es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden«. Die Situation im Roman fasst die Autorin in einem Brief so zusammen: »Da kommt ein Mädchen, jung, begabt, voller leidenschaftlicher Pläne, in die Baukastenstadt und träumt von Palästen aus Glas und Stahl – und dann muss sie Bauelemente zählen, schnell bauen, billig bauen, sich mit tausend Leuten herumschlagen … wo bleiben die großen Entwürfe der Jugend?«
Wesentliches Vorbild für die Romanfigur der Franziska Linkerhand war die Architektin Iris Grund (* 1933), seit 1970 Stadtarchitektin von Neubrandenburg. Die beiden Frauen hatten sich in Neubrandenburg angefreundet. Nach den Motiven des Romans entstand der Spielfilm »Unser kurzes Leben«, der 1981 seine Premiere im Ostberliner Kino International feierte – heute ebenso ein Denkmal der Ostmoderne wie das kürzlich in die Denkmalliste aufgenommene Neubrandenburger Hochhausensemble.

Neubrandenburg, Neustrelitzer Straße, Hochhausiedlung, Isometrie von Norden, 2017
JÖRG KIRCHNER
Niedersachsen
Import/Export – Denkmalpflege und Nachhaltigkeit in der Weiterbildung
Im Juni 2021 startete das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege (NLD) federführend für das »System Denkmalpflege«, den Runden Tisch zum guten Umgang mit dem Kulturerbe in Niedersachsen, ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für ein Jahr gefördertes Projekt, mit dem die berufliche Weiterbildung auf den Gebieten Denkmalpflege, Bauwerkserhaltung, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung gestärkt werden soll. Ziel ist es, dafür gemeinsam mit Architekten-, Handwerks- und Ingenieurkammern, mit lokalen und regionalen Initiativen und überregionalen Akteur*innen konkrete Bausteine zu entwickeln, zu erproben und dauerhaft zur Verfügung zu stellen.
Eine Sensibilisierung der diversen Berufsgruppen des Bauwesens hinsichtlich der Weiternutzung des gebauten Bestands wird immer wichtiger, auch zum Erreichen der Klimaneutralität. Um bei Architekt*innen, Ingenieur*innen, im Handwerk, in Bau- und Planungsämtern und in kommunalen Denkmalschutzbehörden entsprechende Kompetenz für diese Zukunftsaufgaben aufzubauen, soll das Weiterbildungsangebot in der Denkmalpflege nicht nur erheblich ausgeweitet und vernetzt, sondern auch neu konzipiert und inhaltlich breiter aufgestellt werden. Die dringend benötigte berufliche Weiterbildung in diesen Berufsgruppen ist daher ein zentrales Desiderat des NLD.

Celle, Siedlung Blumläger Feld, Baustelle mit bauzeitlichem Außenwandaufbau, 1930
Das Projekt begann Anfang Juli 2021 mit einem Kick-off-Work-shop. Dort diskutierten relevante Akteur*innen über aktuelle Fragestellungen, mögliche Kooperationen, konkrete Maßnahmen und neue inhaltliche Schwerpunkte einer breiter aufgestellten Weiterbildung. Außerdem diente die Veranstaltung als Auftakt eines Dialogs zu den Themen Nachhaltigkeit und Denkmalpflege, der gezielt vertieft und fortgeführt wird. Im Frühjahr 2022 finden an drei Standorten in Niedersachsen drei thematische Pilotveranstaltungen als Module künftiger Weiterbildungen mit dem Schwerpunkt »Denkmalpflege, Bauwerkserhaltung und Ressourcenschonung« statt. Sie widmen sich unterschiedlichen Themen wie »Lokale bzw. regionale Baukultur: Techniken und Baustoffe«, »Denkmalpflege, Bauwerkserhaltung und Energie: Bilanzierung und Lebenszyklen« sowie »Entwurf: Stoff kreisläufe und Bestand«.
Die im Projekt entwickelten Bausteine der Weiterbildung werden online zur Verfügung gestellt. Mit dem Ende des Projektzeitraums wird die Arbeit jedoch nicht abgeschlossen sein. Das NLD und seine Partner*innen streben an, die Formate und Publikationen stetig weiterzuentwickeln und für neue Zielgruppen zu öffnen, um das Themenfeld »Denkmalpflege, Bauwerkserhaltung und Ressourcenschonung« in der Aus- und Weiterbildung fächer- und berufsgruppenübergreifend zu verankern – auch über Niedersachsen hinaus. Nicht zuletzt zielt das Vorhaben auf eine allgemein höhere Akzeptanz von bauwerkserhaltenden und denkmalpflegerischen Maßnahmen in Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft: Denkmalpflege verhindert nachhaltige Entwicklung nicht, sondern gibt ihr eine solide Grundlage.
LEA HÜLSEN
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Rheinland
Neue Perspektiven für ein altes Dorf
Mit dem Beschluss im Januar 2020 zum Erhalt des Hambacher Forsts am gleichnamigen Tagebau, circa 30 Kilometer westlich von Köln, hat sich auch das Schicksal des angrenzenden Ortes Morschenich von Grund auf gewendet. Das bis zuletzt vom Abriss bedrohte und bereits 2015 umgesiedelte Dorf bleibt nun – ebenso wie der Forst – vor der Zerstörung verschont und erhält somit die Chance auf ein zweites Leben. Damit werden Fragen nach einer grundsätzlichen Neugestaltung und Fortentwicklung aufgeworfen, aber auch nach einem verantwortungsvollen Umgang mit der überkommenen historischen Bausubstanz und der Infrastruktur eines typischen Straßendorfes in der rheinischen Börde. Morschenich hat aufgrund der drohenden Devastierung durch den Tagebau seit den 1970er Jahren – im Gegensatz zu vielen anderen Dörfern der Region – keine wesentlichen städtebaulichen Erweiterungen mehr erfahren und ist somit in seiner Grundstruktur noch relativ gut erhalten. Vor diesem Hintergrund hat das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) im Januar 2021 in Kooperation mit der Gemeinde Merzenich im Kreis Düren das Projekt »Zurück in die Zukunft. Eine denkmalpflegerische Analyse zur Dorferneuerung von Morschenich-Alt« initiiert. Es birgt die einmalige Chance, die Belange der Denkmalpflege schon sehr früh und in umfassender Weise in den Prozess der Neuplanung einzubringen und damit positiv auf die Zukunft Morschenichs hinzuwirken. Ziel des Projekts ist eine gesamtheitliche Darstellung der geschichtlichen Spuren im Ortsbild, angefangen beim umgebenden Landschaftsraum, über die historisch gewachsenen Straßen- und Wegeführungen, die Parzellenstruktur, ortstypische Haus- und Hofformen bis hin zu einzelnen prägenden Freiflächen und Bauwerken. Dabei sollen auch allgemeine städtebauliche Prinzipien und bautypologische Merkmale des Ortes herausgearbeitet werden, die dann eine wichtige Orientierungshilfe bei der bevorstehenden Neuplanung darstellen können. Mithin versteht sich das Projekt als informeller Beitrag zur Dorfneuplanung im Sinne einer präventiven Städtebaulichen Denkmalpflege, die nicht nur die Benennung und Darstellung im Ort ablesbarer historischer Werte leistet, sondern zugleich auf deren langfristige Bewahrung oder – gegebenenfalls – auch behutsame Fortschreibung abzielt. Die frühzeitige Beteiligung der fachlichen Denkmalpflege sowie der intensive Austausch mit weiteren, im Umfeld der »Neuerfindung« des Ortes tätigen Akteur*innen, wie der Gemeinde, der Eigentümerschaft, hier insbesondere die Haupteigentümerin RWE AG, den Hochschulen oder Forschungsprojekten im Kontext des Strukturwandels im rheinischen Braunkohlerevier, können jetzt schon als ein wegweisender Schritt hin zu einer zukunftsorientierten und zugleich historisch sensiblen Reaktivierung von Morschenich-Alt angesehen werden.

Morschenich, Blick über den nördlichen Teil des Ortes mit der Abbruchkante des Tagebaus im Hintergrund, 2019
PHILIPP F. HUNTSCHA UND FABIAN KRÖNING
Checkliste Kulturelles Erbe
Denkmale weisen immer auch räumliche Bezüge zur Umgebung auf. Diese können ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei einer hohen Dichte räumlicher Bezüge lässt sich oftmals feststellen, dass ganze Landschaftsausschnitte von besonderem historischen Wert sind. Überall gilt, dass eine dauerhafte Bewahrung der spezifischen Raumwirkung eines geschützten Objekts nur gelingen kann, wenn sämtliche bauliche Veränderungen in der Umgebung einer denkmalpflegerischen Betrachtung standhalten. Die Weichen werden im Regelfall im Rahmen von Raumordnung, Bauleitplanung und raumbezogenen Fachplanungen gestellt. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Planungen auf Denkmale im Rahmen der Abwägung der unterschiedlichen Belange nicht selten unzureichend ausfällt. Um Genehmigungsbehörden wie Fachbüros stärker für denkmalpflegerische Aspekte zu sensibilisieren, wurde vom Landschaftsverband Rheinland jüngst eine Checkliste zur Berücksichtigung des Kulturellen Erbes in der Planung veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um ein dienststellenübergreifend entstandenes Werk, an dem neben dem Sachgebiet Städtebauliche Denkmalpflege des LVR-ADR auch das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland sowie die Abteilung Kulturlandschaftspflege des LVR beteiligt waren. Zielsetzung bei der Erarbeitung der Checkliste war es, die für die angemessene Berücksichtigung des kulturellen Erbes in der Planung wesentlichen Punkte, wie sie ausführlich in der von der UVP-Gesellschaft herausgegebenen Broschüre »Kulturgüter in der Planung« angesprochen werden, in kompakter und übersichtlicher Darstellung abzufragen. Die für das Rheinland entwickelte, aber auch für andere Landesteile in der Bundesrepublik problemlos anpassungsfähige Checkliste reagiert damit auf eine schnelllebige Zeit, die sich auch in der steigenden Zahl an Planverfahren bemerkbar macht. Im nächsten Schritt soll eine überarbeitete Fassung der bundesweit verwendeten UVP-Broschüre, deren letzte Auf lage bereits sieben Jahre zurückliegt, vorgelegt werden. Eine Arbeitsgruppe, in der Mitarbeiter des LVR sowie der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen mitwirken, hat sich dafür bereits zusammengefunden.

Nideggen, Blick auf die Höhenburg Nideggen mit Windenergieanlagen in der Umgebung, 2020
Der Link zur Checkliste: https://www.lvr.de/de/nav_main/kultur/kulturlandschaft/kulturlandschaftsentwicklungnrw/checkliste__kulturelles_erbe_in_der_planung/inhaltsseite_292.jsp
JASCHA PHILIPP BRAUN
Nordrhein-Westfalen, Landesteil Westfalen
Wohnen in Stahl
Hoesch – dieser Name steht für eines der ehemals bedeutendsten Stahl- und Montanunternehmen Nordrhein-Westfalens. Die wenigsten werden mit diesem einst in Dortmund ansässigen Industriegiganten experimentelle Avantgarde-Architektur verbinden. Und doch steht seit über einem halben Jahrhundert in Münster-Gievenbeck ein weißer Flachdach-Bungalow aus Stahl, entwickelt und produziert von der Firma Hoesch.
Vor 72 Jahren, im September 1953, beschloss die Firma, Fertighäuser aus Stahl zu entwickeln. Vorrangiges Anliegen des Konzerns war es nicht, eine eigene Bauabteilung aufzubauen, sondern den Absatz ihrer Stahlprodukte während einer Stagnationsphase der Stahlindustrie im Ruhrgebiet sicherzustellen. 1959 stellte Hoesch erstmals den selbst entwickelten neuartigen Verbundwerkstoff Platal vor. Das PVC-beschichtete Stahlblech konnte zu einer Vielzahl von Fertigteilen weiterverarbeitet werden und diente auch als Ausgangsmaterial für den Stahlbungalow.
Zunächst war das Stahlfertighaus für die amerikanischen Streitkräfte als temporäre und transportable Truppenunterkunft sowie als umsetzbares Zuhause für die im Ausland tätigen Mitarbeiter deutscher Firmen gedacht. Die weitere Entwicklung führte aber zu einem schlüsselfertigen Bungalowbausystem für den heimischen Markt. Im Jahr 1962 präsentierte Hoesch auf der Hannover-Messe zwei eingeschossige stählerne Flachdachbungalows unterschiedlicher Größe. Gemeinsam mit der Darmstädter Firma Donges betrieb Hoesch seit 1961 die Weiterentwicklung zu einem Einfamilien-Fertighaussystem. Nachfolgend wurden drei Einfamilienhaustypen angeboten, die entsprechend der Größe ihrer Wohnfläche die Typenbezeichnung 55, 109 oder 146 trugen.
Um das Projekt wirtschaftlich zu gestalten, plante der Konzern ursprünglich die Produktion von 2.000 Bauten. Bis zur Einstellung der Produktion im Jahre 1969 sind nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch weltweit maximal 200 Hoesch-Bungalows realisiert worden. Zahlreiche von ihnen entstanden im Rahmen firmeneigener Werkssiedlungen, so in der Hoeschstadt Dortmund, in Hamm und in Darmstadt. Fünf der Bungalows sind – in leicht abgewandelter Form – als Stützpunkte der Autobahnpolizei ausgeliefert worden. Jedoch entschieden sich auch private Bauherren für einen Hoesch-Bungalow. In Münster ließ ein Professor 1964 den Stahlbungalow für seine Familie in dem damals durch den Ausbau des Universitätsklinikums boomenden Stadtteil Gievenbeck errichten. 1974 wurde das Haus von seinen heutigen Eigentümern erworben, die ihr ungewöhnliches Zuhause sehr schätzen.
Die nur 56 Millimeter starken Außenwände des Hoesch-Bungalows bestehen aus 2,65 Meter hohen und 1,25 Meter breiten, mit Platal beplankten Paneelen. Ein Hartschaumkern dient der Wärme- und Schalldämmung. Die Pa-neele aus Bandstahlrahmen bilden einen selbsttragenden Wandaufbau. Platalabdeckleisten verdecken die Spalte zwischen den Paneelen und geben den Bauten so eine glatte, weiße Oberflächenerscheinung.
Es existieren kaum Quellen über die Entwicklung und den Vertrieb der Hoesch-Bungalows. Das Unternehmen fungierte zugleich als Konstrukteur, Gestalter, Planer und Generalunternehmer. Der Bungalow wird mit keinem Architekten oder Ingenieur namentlich in Verbindung gebracht. Auch ist bis dato nicht klar, wer zur Entwicklungsabteilung der Firma Hoesch gehörte. Grundlage des Hoesch-Bungalows ist das nach seinem Erfinder benannte »Lücke-Bausystem«.
Der Hoesch-Stahl-Bungalow der 1960er Jahre kann gemeinsam mit dem ein Jahrzehnt später von Thyssen produzierten Thyssen-Haus-System als Endpunkt einer im 19. Jahrhundert begründeten, in den 1920er Jahren erprobten und in der Nachkriegszeit weiter entwickelten Bauweise für Wohnhäuser aus Metall – zum Beispiel Kupfer oder Stahl – angesehen werden. Innerhalb seiner Gattung – dem Stahl-Fertighaus – ist der Hoesch-Bungalow ein klares Bekenntnis zum modernen und industriellen Bauen. Das Wandmaterial verleugnet nicht seine Herkunft vom Fließband einer Fabrik. Der Hoesch-Bungalow schließt als eingeschossiger Flachdachbau mit glatten Wandpaneelen und betonter Dachkante an die experimentellen Stahlbauten des Neuen Bauens der 1920er Jahre an wie Georg Muches (1895–1987) und Richard Paulicks (1903–1979) Stahlhaus in Dessau-Törten (1926). Aufgrund seiner Bedeutung für die Architekturgeschichte der Stadt Münster wurde der Hoesch-Bungalow 2018 in die Denkmalliste aufgenommen. Aktuell wird die Mobilität des originellen Haustyps aus den 1960er-Jahren – eine frühe, aber verworfene Entwurfsidee – dann doch noch erprobt: Noch in diesem Jahr soll ein Stahlbungalow vom Typ L 141 aus dem Süden Dortmunds zum Hoesch-Museum in der Westfalenhütte umgesetzt werden.

Münster-Gievenbeck, Weierstraßweg 7, Hoesch-Bungalow (1964 montiert), Straßenansicht, 2021

Münster-Gievenbeck, Weierstraßweg 7, Hoesch-Bungalow, Wohnzimmer, 2021
ANKE KUHRMANN
Rheinland-Pfalz
Eine neue Denkmalzone im Welterbe
Die einzigartige Lage in bergiger Flusslandschaft und die bemerkenswerten städtebaulichen Strukturen machen Bad Ems zum hochrangigen Stadtdenkmal. Im Kontext des Welterbeantrages »Great Spas of Europe« stellte sich heraus, dass hier eine inventarisatorische Nachqualifikation durchaus zielführend wäre. Denn die bisherigen Ausweisungen von Denkmalzonen bildeten die Bedeutung des Kurbezirks kaum ansatzweise ab.
Das nassauische, dann preußische Kurbad erweist sich als hochbedeutend für die Geschichte des Badewesens. Das »Weltbad« des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zog internationale Persönlichkeiten aus Hochadel und Großbürgertum an. Intakter Grundriss und geschlossene historische Baustruktur machen die Stadtgestalt im Erscheinungsbild der Belle Époque erlebbar. Die attraktiven flussübergreifenden Blickbeziehungen, die funktionale bzw. auf ein malerisches Stadtbild im Geiste der Romantik und des Späthistorismus abzielende räumliche Ordnung qualifizieren das Kurbad als beachtliches Zeugnis des städtebaulichen Gestaltungswillens. In der ruhigen Wasserfläche des Flusses spiegelt sich das Ensemble der Kurgebäude und Gärten, dem eine wirkungsvolle Höhenstaffelung von Villen und Sakralbauten gegenübergestellt ist. Der Baubestand oft überragender Qualität ermöglicht die Ablesbarkeit der kunstgeschichtlichen Entwicklung, ebenso der wesenseigenen Funktionszusammenhänge des Kurwesens.

Bad Ems, Blick auf die Kurstadt vom Concordiaturm, 2019

Bad Ems, Lahnpanorama mit russischer Kirche und Schloss Balmoral, 2019
Nach 1810 entwickelte sich die gediegene nassauische Bäderarchitektur, die ein facettenreiches Spektrum von Hotels, Villen und Logierhäusern hervorbrachte und Bad Ems einen einheitlichen Charakter verlieh. Die Stilwahl lässt einen fließenden Übergang vom Klassizismus zum Historismus erkennen.
1836–1839 wurde der Kursaal nach Plänen von Johann Gottfried Gutensohn (1792–1851), orientiert an Renaissancepalästen, erbaut. Dazu steht in funktionaler Beziehung der Kurgarten, geteilt in eine geometrische Anlage und einen Landschaftsgarten. Seit 1876 wird die Perspektive im Westen durch die katholische Kirche von Eduard Zais (1804–1896) in klassizistisch gefärbter Neugotik geschlossen. Die Kurbrücke ermöglichte Fußgängern den direkten Weg vom Kurhaus zum Neuen Badehaus. Impulse erhielt der Kurtourismus durch den Anschluss der Stadt ans Eisenbahnnetz (Bahnhof mit Fürstensaal, 1862).
Von kulturhistorischem Zeugniswert ist die Sozialtopographie der saisonalen Beherbergung, die sich in der Hierarchie klar definierter Bereiche und Bautypen widerspiegelt: Hotels hoher baukünstlerischer Qualität formieren sich zu einer in der Lahnansicht wirksamen Front. Sonst finden sich Pensionen in Zeilenbauweise. Davon heben sich die Villenviertel, wo schon früh der Schweizer Stil vorkommt, deutlich ab. Schloss Balmoral verkörpert die Hinwendung zur Neurenaissance (1868). Einen großartigen Blickpunkt markiert als städtebauliche Krone die malerische Villa Schlink (1900).
Konfessionelle und nationale Zusammensetzung des Kurpublikums erschließen sich durch die stadtbildprägende Sakraltopographie. Im Lahnpanorama gewinnt mit leuchtender Farbigkeit die Russische Kirche (1876) städtebauliche Geltung. Bedeutender Blickpunkt in privilegierter Hanglage ist die neuromanische evangelische Kaiser-Wilhelm-Kirche (1898/99).
1911/12 erreichte das Bauwesen den letzten Höhepunkt mit dem Prunkensemble von Kurhaus und Kursaal: Architekt Wilhelm Vittali (1859–1920) fasste die Bauten in der Art einer barocken Schlossanlage zusammen. Dem Kursaal wurde ein Theater nebst Rotunde angefügt, die effektvoll als Point de vue des Kurgartens platziert ist. Seit 1908 wirkt als Gegenüber links der Lahn der wahrzeichenhafte Quellenturm.
Die beschriebenen Erkenntnisse hatten die Aktualisierung der Definition einer einheitlichen Denkmalzone »Historisches Kurbad Bad Ems« zum Ergebnis: Neu berücksichtigt wurden die grundlegende Relevanz der Lahn für den historischen Stadtraum und jetzt vollumfänglich das Villenviertel links des Flusses. Auf breiter empirischer Grundlage wurde die Denkmalbegründung revidiert und eine Liste der denkmalbegründenden Elemente erstellt.
DIETER KRIENKE
Saarland
Modulare ehemalige Flugzeughalle in Bedrängnis
Der erste Flugplatz der Saarregion entstand 1914 im Saarbrücker Stadtteil St. Arnual. Widrige Rahmenbedingungen führten jedoch 1937 zum Baustart des Flughafens in Ensheim, sodass der Flugbetrieb in St. Arnual im Oktober 1939 wieder eingestellt wurde. Im Juli 1945 übernahm die französische Militärregierung die Verwaltung des Saarlandes, kurz darauf wurde Oberst Gilbert Grandval als Militärgouverneur eingesetzt. Als Anfang 1946 die Zuständigkeit des Alliierten Kontrollrates endete, konnte Grandval eigenständig für das Saarland entscheiden. Da er den Betrieb des alten stadtnahen Flugplatzes in St. Arnual präferierte, ließ er hier 1946 eine Flugzeughalle errichten, in der auch sein Dienstflugzeug untergebracht war. 1955 konnte Grandval, inzwischen französischer Botschafter im Saarland, die Umnutzung des Hangars noch verhindern. Anfang der 1960er Jahre musste der Bau jedoch der Stadtautobahn weichen. Der störende Hangar wurde 1963 an eine Holzfabrik verkauft, demontiert und 1964 im saarländischen Eiweiler / Heusweiler wiederaufgebaut. Der Prüfingenieur verwies auf die modulare Konstruktion als Grundlage für die problemlose Umsetzung. Die Halle diente bis zur Schließung des Nachfolgeunternehmens Ende 2019 als Lagerhalle für Holzprodukte.

Heusweiler, Gemarkung Eiweiler, Werkstraße 1, ehemalige Flugzeughalle, Innenansicht, 2021
Die modulare Zweigelenkbogenbinderkonstruktion der Halle, im Aufriss mit typischem Eselsrückenbogen und Mittelfirst, überspannt einen etwa 66 × 40 Meter großen und etwa 14 Meter hohen Raum stützenfrei. Das Haupttragwerk besteht aus neun Bögen, jeder Bogen wiederum aus sechs in Lichtbogentechnik mit Stabelektroden geschweißten, geflanschten Rohrbindern, die bis auf den Boden reichen. An den Fußpunkten sind die einzelnen Bögen zur Aufnahme der Zugkräfte durch Zugbänder unter den Betonbodenplatten verbunden. Kreuzverstrebte Rohre stabilisieren die Hauptbögen, horizontale Rohre fungieren als Auflager für die verzinkte Wellblecheindeckung. Strebewerk erweitert die Haupthalle um durchfensterte, eingeschossige Abseiten. Die Einfahrt nimmt beinahe die gesamte Frontseite ein, ebenso öffneten sich die Fensterbänder auf der Rückseite fast in Hallenbreite.
Das Interesse eines Piloten machte die Inventarisation Ende 2020 auf die translozierte Flugzeughalle aufmerksam. Aufgrund des Initiators Grandval lag ein französischer Ursprung der Halle nahe. Doch weder in Frankreich noch in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern realisierte man in den 1940er Jahren Vergleichbares. Ideen für modulare Flugzeughallen kamen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs aus den USA. So konzipierte der 1941 in die USA immigrierte Architekt Konrad Wachsmann (1901–1980) 1944/45 für die Atlas Aircraft Corporation einen Flugzeughangar mit universellen Verbindungsknoten als »mobilar structure«. Die Recherche zu existenten Flugzeughallen der 1940er und 1950er Jahre auf amerikanischen Luftwaffenstützpunkten ergab, dass es sich bei dem Typ von St. Arnual um eine Fabrikation aus Beständen der Air Force handelt. In wesentlichen Merkmalen identisch, steht auf dem Gelände der Army Air Base in Wendover (Utah) der renovierte »Enola-Gay-Hangar«. Er wurde 1940–1943 zur Unterstellung der Atombomben transportierenden B-29 Bomber gebaut. Die Flugzeughalle in St. Arnual ist folglich made in U.S.A.
Als herausragendes technik- und militärhistorisches, insbesondere lufte. V. (GHND) gar ein Bürgerbegehren dagegen auf den Weg bringen, da sie auch für die auf Neustädter Seite gelegene Anlage eine »barocke« Zukunftsvision verfolgt. fahr tgeschichtliches Zeugnis der Kriegs- bzw. frühen Nachkriegszeit des Saarlandes steht die Halle in einem engen deutsch-französischen Geschichtskontext. Der Hangar amerikanischer Provenienz der 1940er Jahre ist in der Bundesrepublik offenbar einzigartig, was seine nationale Bedeutung hervorhebt. Vergleichbare amerikanische Konstruktionen wurden erst Anfang der 1950er Jahre mit Beginn des Kalten Kriegs im Auftrag der NATO vermehrt in Europa realisiert.
Frisch zum Baudenkmal gekürt ereilt die Halle bereits die Leerstandproblematik einer Industriebrache. In Erwartung auf Revitalisierung und neue Arbeitsplätze wird das Areal aktuell als neuer Produktionsstandort für einen Investor aufbereitet. Ein Großteil der benachbarten Fertigungs- und Lagerhallen wurde bereits abgebrochen. Dieses Schicksal droht auch dem Hangar. Grundsätzlich modular, bedeutet ein Szenario von Demontage und Wiederaufbau nicht nur eine technische und finanzielle Herausforderung, sondern hätte auch die große Hürde einer Baugenehmigung auf aktueller Rechtsgrundlage zu meistern.
KRISTINE MARSCHALL
Sachsen
Städtebau der Nachkriegsmoderne
Seit Langem hat kein Denkmaleintrag die Gemüter so bewegt wie der des Neustädter Marktes in Dresden im Mai 2021, einem städtebaulich ambitionierten Prestigeobjekt der DDR. So will die Gesellschaft Historischer Neumarkt Nach einer längeren Vorgeschichte mit der großflächigen Beseitigung von Kriegstrümmern, aber auch dem Abbruch erhaltenswerter und wiederauf baufähiger Ruinen und unterschiedlichen Überlegungen zum Wiederaufbau der 1945 stark zerstörten Dresdner Innenstadt zu beiden Seiten der Elbe entstand 1974 bis 1979 am Neustädter Markt und entlang der Hauptstraße ein neues Quartier mit Bauten des industriellen Wohnungsbaus (W BS 70) einschließlich Geschäften und Gastronomie in den Erdgeschossen.
Zwar blieb für die Hauptstraße (während der DDR: Straße der Befreiung) die ursprüngliche Idee einer das Stadtzentrum von Alt- und Neustadt in Süd-Nord-Richtung durchziehenden Fußgängermagistrale zwischen Hauptbahnhof und Albertplatz (während der DDR: Platz der Einheit) gültig; allerdings ist zehn Jahre nach der weitgehenden Fertigstellung des südlichen Abschnitts mit der Prager Straße hier ein deutlicher Wandel der städtebaulichen Auffassungen festzustellen. Neben den von überkommenen Strukturen losgelösten DDR-Neubauten wurden mehrere historische Gebäude aus dem 18. bis 20. Jahrhundert erhalten und in das städtebauliche Ensemble einbezogen. Die annähernde Anknüpfung an die alte Bauflucht beschränkte sich mit der Hauptstraße lediglich auf die mittlere Achse der ursprünglich als Dreistrahl vom Markt in nördlicher Richtung ausgehenden barocken Straßen, während die beiden seitlichen mit den WBS 70, Inbegriff aller ostdeutschen Plattenbausysteme, überformt wurden.
Den Platzraum des Neustädter Marktes fassen zwei sich weit nach außen öffnende, abgeknickte Flügel, die in zeitgenössischer Form und mit Bauten der damals vorhandenen technischen Möglichkeiten den barocken Duktus des bis 1945 bestehenden Dreistrahls neu interpretieren. In der Mitte überlagern sich zwei städtebauliche Freiraumfiguren: die Hauptstraße als Boulevard und der Neustädter Markt als Schmuckplatz. Dazu gehört die Einbeziehung der Silhouette der Altstadt als vierte Platzseite. Vor den beruhigten Flanken des Platzes stehen als große zentrale Geste der Goldene Reiter und seitlich zwei repräsentative Wasserkünste.
Die zur Anlage gehörende bemerkenswerte Freiflächengestaltung verbindet historische und neue Elemente und setzt sie wirkungsvoll in Beziehung zueinander. Mittels Ornamentpf laster und umlaufender Stufenarchitektur hervorgehoben, ist der Goldene Reiter Zentrum und Bezugspunkt der gesamten Anlage geblieben. Neben dem Reiterstandbild (1736) und zwei ehemaligen Eckbrunnen (um 1740, Teilkopien von 1938) gehört auch das Paar Fahnenmasten mit Balustraden von 1893 zum älteren Bestand. Sie leiten optisch in die Hauptstraße über. Die beiden modernen Wasserkünste in den Winkeln der seitlichen Flügel sind von großzügigen Freiflächen umgeben. »Baumblöcke« von Platanen zu beiden Seiten des Reiterstandbildes verbinden die seitlichen Bereiche mit der Platzmitte und knüpfen an die Platanen der Hauptstraße an.

Dresden, Neustädter Markt, städtebauliche Einbindung der Straße der Befreiung in die Gesamtkonzeption des Dresdner Zentrums, Zeichnung: Manfred Wagner, vor 1981
Mit seinen individuell gestalteten Ausstattungselementen, der durchdachten Funktionalität und hohen Verweilqualität ist der Platz für das Gebiet der ehemaligen DDR ein frühes und gleichermaßen bemerkenswertes Beispiel der Gestaltung des öffentlichen Raums.
MICHAEL MÜLLER UND HARTMUT RITSCHEL
Schleswig-Holstein
Ein Laubenganghaus für den sozialen Wohnungsbau
Neumünster nimmt für den sozialen Wohnungsbau der unmittelbaren Nachkriegszeit eine herausragende Stellung und bundesweite Vorreiterrolle ein. 1950 erfolgte hier mit der Grundsteinlegung für die sogenannte Böckler-Siedlung der Startschuss für das erste und größte systematische Wohnungsbauprojekt Westdeutschlands: Im Rahmen des European Recovery Program (EPR), bekannt als »Marshallplan«, wurde damals der »Bau von 10.000 Flüchtlingswohnungen« in insgesamt 50 Städten und Gemeinden Schleswig-Holsteins realisiert. Die Planungen für die Mietwohnungsblocks sowie die Reihenhauszeilen der Böckler-Siedlung stammten überwiegend von ortsansässigen und lokal tätigen Architekten.
Beteiligt war unter anderem auch Hans Joachim Westphal, Architekt BDA, der zeitgleich weitere Wohnungsbauprojekte in Neumünster entwarf: So wurde ab 1949 nach seinen Plänen die sogenannte Kock-Siedlung erweitert. In der letzten Ausbauphase erfolgte 1952/53 die Errichtung des Laubenganghauses Steinkamp 11–15. Das unterkellerte Wohngebäude erhebt sich über einem U-förmigen Grundriss; prägende Gestaltungsmerkmale sind die roten Backsteinfassaden, die steilen Satteldächer mit roter Ziegeldeckung und insbesondere die übereinanderliegenden, offenen Laubengänge. Sie dienen der Erschließung der Obergeschosse und sind über zwei seitlich im viergeschossigen Hauptbau angeordnete Treppenhäuser sowie ein zusätzliches Treppenhaus in der Mitte des Nordflügels zu erreichen. Die Wohnungen im Erdgeschoss besitzen ebenerdige Zugänge. Geschosshohe dreiteilige Fenster kennzeichnen die Lage der Haupttreppenhäuser an der nordöstlichen, über 80 Meter langen Fassade. Die Anordnung der Laubengänge nimmt Rücksicht auf eine helle Belichtung der Wohnräume: Zugunsten nach Südosten bzw. Südwesten gelegener großer Fenster und Balkone richten sie sich nach Nordosten (am Hauptbau) bzw. Nordwesten (an den Seitenflügeln) aus. Die beiden einspringenden, rückwärtigen Seitenflügel sind dreigeschossig ausgebildet.

Neumünster, Steinkamp 11–15, Laubenganghaus, viergeschossiger Hauptbau, 2021
Die 92 Wohneinheiten bestehen aus Ein- und Zweiraumwohnungen mit einfachen Grundrissen von etwa 30 bis 40 Quadratmetern, lediglich die Wohnungen in den Gebäudeecken weisen großzügigere Zuschnitte auf. Sie alle entsprachen mit Küche und innenliegendem Bad mit WC den damaligen Ansprüchen an modernen Wohnkomfort. Im Dachraum befanden sich Trockenböden und Abstellkammern, im Keller Waschküchen und weitere Nebenräume. Zeittypische Baudetails wie die vorkragenden Flugdächer über den Hauseingängen, zahlreiche versprosste Holztüren, die Treppenhäuser mit Terrazzoböden und die gemauerten Laubengangbrüstungen mit doppelten Handläufen sind erhalten.
Das dreiflügelige Laubenganghaus hebt sich deutlich von den schlichter gestalteten Wohnblöcken der übrigen Siedlung ab, deren erster Bauabschnitt bereits 1936/37 auf Initiative des Hamburger Kaufmanns Werner Kock (1921–1997) zur Schaffung von Arbeiterwohnstätten realisiert wurde. Durch seinen modernen und außergewöhnlichen Bautyp bildet es den gestalterischen Höhepunkt der Kock-Siedlung und stellt ein wertvolles bauliches Zeugnis für den sozialen Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg mit Kleinwohnungen dar. Es waren insbesondere die Architekten des Bauhauses, die den Typus des Laubenganghauses in den späten 1920er und den 1930er Jahren als städtische Wohnform entwickelt hatten. Ziel dabei war es, durch die außenliegende Erschließung wertvolles Baumaterial einzusparen und durch die gemeinschaftliche Nutzung der Laubengänge den nachbarschaftlichen Austausch und Zusammenhalt zu stärken. Das Beispiel aus Neumünster fügt sich in diese Traditionslinie ein.
Der weitgehend authentisch überlieferte und charakteristische Vertreter der in Schleswig-Holstein vergleichsweise selten errichteten Laubenganghäuser wurde jüngst in die Denkmalliste des Landes aufgenommen. Weitere – allerdings nur einflügelige – Laubenganghäuser innerhalb der Kock-Siedlung wurden bereits abgebrochen (Steinkamp 2–6) oder durch die vollständige Einhausung und Verglasung der einst offenen Gänge stark überformt (Steinkamp 8–10). Die in den frühen 1950er Jahren errichteten Laubenganghäuser im Steinkamp waren die ersten ihrer Art in Neumünster und nach derzeitigem Kenntnisstand auch die frühesten Beispiele dieses Bautyps in Schleswig-Holstein, die außerhalb von Kiel errichtet wurden.
DIANA HÄRTRICH
Thüringen
Landgasthaus der Renaissance entdeckt
In Ollendorf, 15 Kilometer nordöstlich von Erfurt gelegen, steht an der alten via regia, der bedeutenden, Thüringen querenden mittelalterlichen Handelsverbindung zwischen Ost und West, ein Wohnhaus, das schon Ende des 19. Jahrhunderts seiner Größe und seines Alters wegen als einer der wenigen ländlichen Bauten Erwähnung im Denkmalinventar gefunden hatte. Nach Freilegungsarbeiten konnten nunmehr im Rahmen einer bauhistorischen Untersuchung wichtige Aufschlüsse zur Entstehungsgeschichte gewonnen werden, die nicht nur das hohe Alter bestätigen, sondern auch auf eine besondere Funktion dieses Gebäudes schließen lassen.
Das zweigeschossige Gebäude entstand in zwei Abschnitten. 1597 (d) wurde einem älteren Haus, nachfolgend Hinterbau genannt, straßenseitig ein nur circa 5,5 Meter tiefer Baukörper mit massivem Erdgeschoss und Fachwerk-Obergeschoss vorgeblendet. Dieser Vorderbau erweist sich in mehreren Punkten als ungewöhnlich. Zum einen handelt es sich um eine Repräsentationsarchitektur von städtischem Zuschnitt: Eine reich durchfensterte Fassade mit Tordurchfahrt in der Mitte und einem Schmuckfachwerk mit sogenannter Thüringer Leiter im Obergeschoss kennzeichnet das Äußere. Das Erfurter Wappen am Torbogen bezeugt einen Zusammenhang mit der Stadt Erfurt, zu deren Herrschaftsgebiet Ollendorf damals gehörte. Die hohe handwerkliche Qualität der Zimmermanns- und Steinmetzarbeiten lassen zudem vermuten, dass städtische Handwerker an der Erstellung des Bauwerks beteiligt waren.
Zum anderen hat dieser Vorderbau im Erdgeschoss keine eigene Rückwand, das heißt, es ist eine Schauarchitektur, die vor ein bereits bestehendes Gebäude gesetzt wurde. Daher hat man die Deckenbalken nicht wie üblich über die kurze Distanz quer, sondern in beiden Geschossen längs gespannt und die Querunterzüge im Erdgeschoss auf Stützen aufgelegt. Die Fachwerkwand im Obergeschoss wiederum, die Vorder- und Hinterbau trennt, kann dem Abbund zufolge nur aufgestellt worden sein, als Baufreiheit bestand, das Obergeschoss des Hinterbaus also fehlte. Da zudem die Trennwand weder Spuren von Bewitterung noch Hinweise auf ein angeschlepptes Dach zeigt, ist davon auszugehen, dass der Hinterbau gleichzeitig repariert wurde. Dieser Befund ist deswegen erstaunlich, weil sich die Frage stellt, warum 1597 nicht das gesamte Obergeschoss neu errichtet wurde.

Ollendorf, Angergasse 106, Ansicht der Hauptfassade mit frei liegendem Renaissancefachwerk sowie Gliederungselementen, 2021
Im Erdgeschoss des Vorderbaues befanden sich seitlich der Tordurchfahrt zwei lange und stark durchfensterte Räume, die wohl als Gasträume genutzt wurden. Im Obergeschoss gab es einen Saal in der Mitte, zwei Stuben seitlich davon und eine Kammer mit einer Tür zum Hinterbau (Abortgang?). Die erkennbare Appartement-Struktur orientiert sich am herrschaftlichen Wohnbau der Zeit. Zahlreiche Befunde zur Gestaltung der Oberflächen, wie gefelderte Bretterdecken, Farbfassungen an Wänden und Decken oder die ursprüngliche Lage und Größe der Fenster, geben eine Vorstellung vom Aussehen der Räume.
120 Jahre später, 1717 (d), wurde der alte Hinterbau einschließlich des Dachwerks über dem Vorderbau bis auf geringe Reste des Sockelmauerwerks abgebrochen und neu errichtet. Im Gegensatz zum repräsentativen Vorderbau der Renaissancezeit ist dieser barocke Neubau in Ausführung und Ausstattung ein reiner Nutzbau ohne Bauzier.
Die ungewöhnliche Baugeschichte des Hauses lässt nach Zweck und Hintergründen seiner Entstehung fragen. Die repräsentative Straßenfassade des Renaissancebaus, die Vergleichbares im städtischen und herrschaftlichen, nicht aber im ländlichen Hausbau findet, wie auch die dem gehobenen Wohnen verpflichtete Grundrissstruktur lassen erkennen, dass das Gebäude schon zu dieser Zeit als Gasthaus genutzt worden sein dürfte. Weshalb aber 1597 nur eine Art straßenseitige Schaufassade vorgestellt wurde, dahinter aber ein älteres Haus, in das erheblich eingegriffen wurde, erhalten blieb, ist nach wie vor ein Rätsel. Bisherige Nachforschungen in den Archiven haben diese Frage bislang nicht beantwortet. Hinweise auf vergleichbare Fälle sind daher erwünscht.

Ollendorf, Angergasse 106, Baualterspläne der Geschosse des Vorderhauses, 2021
TORSTEN LIEBERENZ UND RAINER MÜLLER
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Abbildungsnachweis
1: Lucas Bilitsch, Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg — 2: Anke Borgmeyer, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege — 3: Toni Ott — 4: Joris Hube, Landesdenkmalamt Berlin — 5: Achim Schröer, Landesdenkmalamt Berlin — 6, 7: Haiko Türk, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege — 8: Astrid Hansen, Hamburg — 9: Bildarchiv Foto Marburg /Horst Fenchel, Thomas Scheidt, Christian Stein — 10: Achim Bötefür, Schwerin — 11: Stadtbauarchitekten Neubrandenburg, L. Braun, A. Rommel — 12: Stadtarchiv Celle, F2 0036 — 13: baumass GbR – architekturvermessung & baudokumentation — 14: Ulrich Jacobs, LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland — 15, 16: Familie Rautenberg, Münster — 17, 18: Dieter Krienke, Direktion Landesdenkmalpflege – GDKE Rheinland-Pfalz — 19: Kristine Marschall, Landesdenkmalamt Saarland — 20: aus: Heinz Michalk: Der Fußgängerboulevard »Straße der Befreiung« in Dresden. In: Architektur der DDR 30 (1981), H. 4, S. 209–211, hier Abb. 3, S. 210 — 21: Diana Härtrich, Landesamt für Denkmalpflege Schleswig-Holstein — 22, 23: Torsten Lieberenz, Weimar
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
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