Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfung
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Michael Kloos
Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiewende, die den Bau immer höherer Windkraftanlagen nach sich zieht, aber auch des Veränderungsdrucks insbesondere in urbanen Agglomerationen durch Neubauten und Verkehrsinfrastrukturprojekte, stellen sich derzeit im Schutz der visuellen Integrität komplexer (Flächen-) Denkmale vielschichtige Anforderungen. Diese Fragen betreffen UNESCO-Welterbestätten und den Städtebaulichen Denkmalschutz gleichermaßen. Der vorliegende Beitrag vertritt die Auffassung, dass die bereits bestehenden Handlungsansätze und Instrumente aus den Bereichen UNESCO-Welterbe und Städtebaulicher Denkmalschutz vor diesem Hintergrund stärker zusammengeführt werden sollten als bisher geschehen.
UNESCO-Welterbe und Städtebaulicher Denkmalschutz – zwei getrennte Handlungsbereiche?
In der Bundesrepublik Deutschland erhielt der Schutz kulturellen Erbes mit der Durchführung des Europäischen Jahres der Denkmalpflege 1975 einen gewaltigen Schub. Nur ein Jahr später, 1976, fällte man die Entscheidung, der UNESCO-Welterbekonvention als Vertragsstaat beizutreten. Beide Schritte sind sicherlich dem gleichen Zeitgeist geschuldet, sodass der Denkmalschutz anfänglich eng mit der Sicherung des UNESCO-Welterbes verwoben war.
Seit 1978 wurden 51 deutsche Stätten in die UNESCO-Welterbeliste eingetragen. Damit gehört Deutschland gemessen an seiner Bevölkerungszahl zu den Vertragsstaaten mit den meisten Welterbestätten überhaupt. Im Vergleich zu den weiteren Kulturdenkmalen in Deutschland machen die deutschen UNESCO-Welterbestätten jedoch nur eine verschwindend geringe Anzahl aus. Dies mag vielleicht ein Grund dafür sein, dass – dies ist zumindest die subjektive Meinung des Autors – gegenwärtig zwischen den Bereichen des UNESCO-Welterbes und des Städtebaulichen Denkmalschutzes nur relativ wenige Überschneidungen bestehen.
Wie steht es jedoch um die inhaltlichen Überlappungen zwischen beiden Bereichen? Im Rahmen der Evolution der Welterbekonvention fand in den letzten drei Jahrzehnten eine systematische Erweiterung des Kulturerbebegriffes statt, der Schutz von Welterbestätten geht deshalb mittlerweile weit über den Schutz monumentaler Einzeldenkmale hinaus. Wesentlich waren in diesem Zusammenhang vor allem die Berücksichtigung komplexer und großflächiger Kulturlandschaften als eine eigene Schutzkategorie seit dem Jahr 1993 sowie die anschließende intensive Auseinandersetzung mit historischen Stadtlandschaften. Nachdem es, unter anderem in Wien und Köln, wiederholt zu Diskussionen um die Auswirkungen von Hochhausbauten und weiterer zeitgenössischer Ergänzungen gekommen war, verabschiedete die UNESCO 2011 die »Empfehlung zur historischen Stadtlandschaft« (Recommendation on the Historic Urban Landscape).[1] Hier wird unter anderem gefordert, dass Strategien zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung komplexer historischer Stadtlandschaften weit über die Sicherung der physischen Bausubstanz dieser Flächendenkmale hinaus anzuwenden sind.
In Europa wurden mittlerweile viele Kulturlandschaften und historische Stadtlandschaften in die Welterbeliste eingetragen. Kennzeichnend für die Umsetzung der Welterbekonvention ist deshalb, dass hier der Erhalt von Kulturlandschaften mittlerweile politisch und inhaltlich große Bedeutung hat und auch städtebauliche Fragestellungen stark an Bedeutung gewannen. Folglich bestehen auch enge Überschneidungen mit dem Städtebaulichen Denkmalschutz, der sich prinzipiell ja den gleichen Fragestellungen widmet.
Veränderungsdruck auf die visuelle Integrität von UNESCO-Welterbestätten
Die Entscheidung zur stärkeren Einbeziehung großflächiger Schutzgüter wie den Stadt- und Kulturlandschaften in das UNESCO-Welterbe zog jedoch schnell die Erkenntnis nach sich, dass solche komplexen und großflächigen Schutzgüter leicht unter Veränderungsdruck geraten können. Sowohl im Ausland als auch in Deutschland existieren hierzu viele Beispiele. Der Kölner Dom wurde 2004 als erste deutsche Welterbestätte überhaupt in die »Liste des Welterbes in Gefahr« aufgenommen, denn die UNESCO befürchtete, dass die Errichtung von Hochhäusern auf der gegenüberliegenden Rheinseite die Erscheinung der Kathedrale im historischen Stadtbild Kölns irreversibel verändern würde. Ein Beispiel aus Österreich ist die Welterbestätte Historische Innenstadt Wien, die aufgrund des derzeit geplanten Projekts Heumarkt Neu ebenfalls seit 2017 auf die Liste gefährdeter Welterbestätten aufgenommen wurde (Abb. 1). Viele weitere Welterbestätten, beispielsweise die Kulturlandschaft Oberes Mittelrheintal, hatten sich mit der geplanten Errichtung von Windkraftanlagen auseinanderzusetzen. Sicherlich am bekanntesten ist jedoch der Konflikt um die Errichtung der sogenannten Waldschlösschenbrücke in der damaligen Welterbestätte Dresdner Elbtal, die im Jahr 2009, also nur fünf Jahre nach ihrer Aufnahme in die Welterbeliste, zur Aberkennung des Welterbetitels führte.[2]

Welterbestätte Historisches Zentrum von Wien, Blick vom Oberen Belvedere und Visualisierung des geplanten Projekts Heumarkt Neu, 2019
Obwohl die oben angeführten Diskussionen unterschiedlichen Faktoren geschuldet sind – Gebäudeneubauten, neue energetische oder verkehrliche Infrastruktur – haben sie gemein, dass sie sich alle um die Frage drehten, wie die visuelle Integrität der betroffenen Welterbestätten (besser) geschützt werden kann. Dass diese Frage nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit im Welterbeschutz eine zentrale Rolle spielt, wird durch viele weitere einschlägige Entscheidungen und Empfehlungen unterstrichen. Ein Beispiel stellt die Verabschiedung der Charta von X’ian[3] im Jahr 2005 dar, in der ICOMOS auf die besondere Bedeutung des Schutzes der visuellen Integrität von Welterbestätten bzw. von deren Umgebung (im UNESCO-Wording als Setting bezeichnet) hinweist. Das Welterbezentrum unterstreicht jedoch auch, dass Versäumnisse im Management häufig eine Schlüsselrolle dabei spielen, dass Fragen um die visuelle Integrität entstehen.[4] Seit 2005 wurden daher Managementpläne für Welterbestätten verpflichtend eingeführt.[5] Ebenfalls sind seit 2007 der außergewöhnliche universelle Wert (Outstanding universal Value /OUV) und die Attribute, die diesen zum Ausdruck bringen, in sogenannten Erklärungen zum außergewöhnlichen universellen Wert transparent zusammenzufassen.[6]
Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfung als Instrument zum Schutz der (visuellen) Integrität
Ein wesentliches Instrument zum Schutz der Umgebung von Welterbestätten stellen bis heute die sogenannten Pufferzonen dar, die (von begründeten Ausnahmen abgesehen) für jede Welterbestätte zu definieren sind. Gerade hinsichtlich der Diskussionen um die visuelle Integrität zeigte sich jedoch, dass Pufferzonen nur bedingt tauglich sind, um die Intaktheit von komplexen und großflächigen Stadt- und Kulturlandschaften im Welterbe zu schützen. Hierbei sind vor allem zwei Gründe entscheidend. Zum einen sind die Pufferzonen häufig zu kleinräumlich bemessen, um großräumliche Sichtbeziehungen sichern zu können. Relevante Sichtpunkte, die für die Wahrnehmung von (Flächen-)Denkmalen wichtig sind, liegen oftmals außerhalb der Pufferzonen. Zum anderen ist es eine weitere Schwäche von Pufferzonen, dass diese ‒ ebenso wie die angesprochenen Sichtbeziehungen selbst ‒ bis heute nur in Ausnahmefällen in den bundesdeutschen Denkmalschutzgesetzen erwähnt werden.
Da auch in anderen Vertragsstaaten ähnliche Defizite bestehen, wurden im Welterbeschutz in den letzten Jahren sogenannte Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfungen (KVP, Heritage Impact Assessment /HIA) als neues Instrument entwickelt. Sie sollen dazu dienen, die Verträglichkeit neuer Planungen in und um Welterbestätten explizit im Hinblick auf deren OUV zu evaluieren. KVP sind kein statisches und zweidimensionales Instrument wie die oben genannten Pufferzonen, die sich prinzipiell am Konzept klassischer Schutzzonen orientieren. Vielmehr sind sie als prozessorientierte Studien zu verstehen (Abb. 2), die dazu beitragen sollen, die Problemlage eines spezifischen Sachverhaltes zu erkennen (Screening), eine Voreinschätzung zu dieser Sachlage zu erstellen (Scoping), diese Sachlage zu bewerten (Assessment) und gegebenenfalls Maßnahmen zur Minderung negativer Einflüsse zu erstellen (Mitigation). Im Anschluss an diesen Prozess gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse in den eigentlichen Planungsprozess zu überführen (Feedback) und den Erfolg vorgeschlagener Maßnahmen zu kontrollieren (Monitoring). In all diesen Schritten sind betroffene Akteur*innen zu beteiligen.
Sowohl diese methodischen Schritte als auch einschlägige Bewertungsgrundlagen sind im »ICOMOS-Leitfaden für Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfungen für Weltkulturerbegüter« (2011) dargelegt.[7] Heute ist die KVP auch explizit in den »Richtlinien zur Umsetzung der Welterbekonvention« (Operational Guidelines)[8] verankert. Damit können KVP im Bereich des Welterbes mittlerweile als etabliert angesehen werden.
Ein wesentliches Instrument zur Beurteilung von Fragen zur visuellen Integrität in Welterbestätten innerhalb von KVP sind zumeist computergestützte Visualisierungen. Zu deren Erzeugung stehen heute umfangreiche technische Hilfsmittel bereit, sodass auf deren Basis komplexe Sachverhalte transparent und verständlich erläutert und bewertet werden können. In der Welterbe-Kulturlandschaft Wachau galt es beispielsweise vor einigen Jahren, die Auswirkungen eines geplanten Museumsneubaus für die Landesgalerie Niederösterreich im Hinblick auf dessen Welterbeverträglichkeit zu vergleichen. Ausgehend vom OUV der Welterbestätte wurden zunächst wesentliche Attribute des Welterbes sowie in diesem Zusammenhang kulturhistorisch relevante Sichtpunkte ermittelt. Auf dieser Basis wurden die Auswirkungen verschiedener Gebäudevarianten auf den OUV verglichen (Abb. 3, 4) und abschließend Empfehlungen zum weiteren planerischen Vorgehen erarbeitet.
Trotz dieser bereits etablierten Grundlagen bestehen im Bereich der KVP noch offene Fragen.[9] Die Qualität solch komplexer Studien ist in hohem Maße von den wissenschaftlichen Qualifikationen ihrer Verfasser*innen abhängig. Ebenso ist auffällig, dass KVP häufig erst sehr spät, wenn nicht gar zu spät, durchgeführtwerden, also zu Zeitpunkten, an denen Planungsprozesse bereits weit vorangeschritten oder selbst abgeschlossen sind. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass neben der im vorigen Abschnitt erwähnten ungenügenden Verankerung des UNESCO-Welterbes auf bundesdeutscher Gesetzesebene auch KVP bislang in Deutschland nicht zwingend vorgeschrieben sind. Häufig entstehen daher Unklarheiten, wer für die Vergabe solcher Studien zuständig ist und wer sie zu finanzieren hat. Diese beiden Probleme traten beispielsweise auch in der oben genannten KVP zur Landesgalerie Niederösterreich auf.

Methodische Schritte von Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfungen

Im Rahmen der KVP Landesgalerie Niederösterreich erstellte Visualisierungen, 2016

Im Rahmen der KVP Landesgalerie Niederösterreich erstellte Visualisierungen, 2016
Anders sieht die rechtliche Situation dahin gehend im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) aus, deren Durchführung in Deutschland seit 1990 durch das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVPG) geregelt ist. UVP dienen im Rahmen von Zulassungs- und Genehmigungsverfahren für bestimmte Vorhaben oder Pläne und Programme, die im Rahmen von Strategischen Umweltprüfungen (SUP) zu evaluieren sind.[10] Diese Instrumente der Umweltvorsorge ähneln im Aufbau sehr stark den oben beschriebenen KVP. Seit 1997 werden in der Umweltprüfung auch Kulturgüter berücksichtigt und die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland (VDL) sowie die UVP-Gesellschaft haben zur Prüfung denkmalpflegerischer und kulturhistorischer Belange entsprechende Handreichungen erarbeitet.[11] Damit können auch die UVP und die SUP als bewährte Prüfungsinstrumente gelten, die im Schutz von (Flächen-)Denkmalen einsetzbar sind. Ein wesentlicher Unterschied zwischen SUP, UVP und KVP ist aber, dass bei Ersteren das kulturelle Erbe nur als einer neben anderen Aspekten zu berücksichtigen ist. Dies kann dazu führen, dass das kulturelle Erbe als weniger bedeutend als andere Belange eingeschätzt wird. Im Bereich des UNESCO-Welterbes machte man zudem die Erfahrung, dass viele Umweltverträglichkeitsprüfungen gar nicht oder nur ungenügend auf den OUV von Welterbestätten eingingen, sodass diese Studien aus UNESCO-Sicht nur eingeschränkt dazu genutzt werden konnten, um die Welterbeverträglichkeit geplanter Projekte zu beurteilen. Hierdurch erklärt sich der Entschluss, über die bereits seit Jahrzehnten bewährten SUP und UVP mit der KVP ein eigenes Verträglichkeitsprüfungs- und Bewertungsinstrument zu entwickeln.
Auch darüber hinaus wurde in der Städtebaulichen Denkmalpflege in den letzten Jahrzehnten ein umfangreicher Wissensschatz aufgebaut. Stichworte zu Instrumenten und Methoden, die sich mittlerweile im Schutz komplexer Flächendenkmale fraglos bewährt haben, sind beispielsweise die Stadt- und Ortsbildanalysen oder Denkmaltopographien, in denen Denkmalwerte definiert und dokumentiert werden. Hinzu kommen Denkmalpflegepläne und Parkpflegewerke, die den oben angesprochenen Managementplänen im Bereich des Welterbes sehr stark ähneln. »Denkmalpflegerische Wertepläne«, die seit einigen Jahren vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg systematisch aufgestellt werden, sollen ebenfalls dazu dienen, den Schutz von städtebaulichen Gesamtanlagen zu unterstützen.[12]
In dem von der VDL herausgegebenen Handbuch Städtebaulicher Denkmalschutz werden diese Instrumente ausführlich dokumentiert.[13] Auffällig an dieser Veröffentlichung ist aber auch, dass hier das UNESCO-Welterbe allerhöchstens am Rande erwähnt wird. Weder die im internationalen Kontext speziellen Begrifflichkeiten innerhalb der Welterbekonvention noch die oben angesprochenen Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfungen, die auch in deutschen Welterbestätten bereits vielfach angewandt wurden, finden hier eine systematische Erläuterung.
Beispiel Greifswald – eine KVP im Rahmen der Städtebaulichen Denkmalpflege
Unter diesen Umständen überrascht es wenig, dass KVP bis heute in Deutschland außerhalb des Welterbe-Kontexts noch niemals angewandt wurden. Einzige Ausnahme bildet nach aktuellem Wissensstand des Autors eine auf Anregung des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern in Auftrag gegebene KVP in Greifswald, in der evaluiert werden sollte, welche Auswirkungen der geplante Bau eines Wohn- und Geschäftshauses auf die unmittelbar benachbarte historische Innenstadt hat.[14] Diese ist, neben weiteren dort liegenden Einzeldenkmalen, insbesondere wegen ihrer markanten und oftmals in künstlerischen Abbildungen gezeigten historischen Silhouette (Abb. 4) ein wesentlicher Bestandteil der Denkmalbereichsverordnung »Altstadt Greifswald«.
Im Bauantragsverfahren für Neubauten in der Umgebung greift in Mecklenburg-Vorpommern § 7 Abs. 1 b DSchG M-V, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Demnach bedarf »einer […] Genehmigung der unteren Denkmalschutzbehörden […], wer […] in der Umgebung von Denkmalen Maßnahmen durchführen will, wenn hierdurch das Erscheinungsbild oder die Substanz des Denkmals erheblich beeinträchtigt wird.«

Stadtsilhouette von Greifswald, Ausschnitt aus Caspar David Friedrichs Gemälde Wiesen bei Greifswald, 1821 / 22, Öl auf Leinwand, 34,5 × 48,3 cm, Hamburger Kunsthalle
Zu klären war folglich die Sachfrage, ob durch das geplante Bauvorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung der unterschiedlichen Schutzgüter entsteht. Da die Vertreter*innen des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern einen solchen Sachbestand als möglicherweise gegeben ansahen, sollten im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens die Beeinträchtigung und deren Erheblichkeit analysiert werden. Vor diesem Hintergrund bat das Landesamt den Bauträger, eine KVP in Auftrag zu geben. Als Grundlage der Untersuchung war auch eine Aussage darüber zu treffen, inwieweit der Ort des geplanten Bauvorhabens unter den Umgebungsschutz der unterschiedlichen Kulturdenkmale fällt. Kern dieser Untersuchung war deshalb eine Sichtfeldanalyse.
Ausgangspunkt, um die möglichen Auswirkungen auf diese historischen Sichtbeziehungen in den Stadtansichten zu überprüfen, sollte auf Wunsch des Landesamts das Arbeitsblatt Nr. 51 der VDL sein, das detaillierte Hinweise enthält, wie Auswirkungen auf Raumwirkung und Wirkungsraum von Denkmalen und Denkmalensembles zu ermitteln sind.[15] Gleichzeitig diente der bislang nur für Welterbestätten eingesetzte ICOMOS-Leitfaden für Kulturerbe-Verträglichkeitsprüfungen als methodische Grundlage für die Bewertung des potenziellen Beeinträchtigungsgrades.[16] In der KVP waren folglich methodisch ebenso die landesrechtlichen Ausgangspunkte wie auch einschlägige Handreichungen der VDL sowie die international gültigen Richtlinien zum Schutz von Welterbestätten zu berücksichtigen.
Da zuvor nicht zu allen betroffenen Schutzgütern entsprechende Denkmalwerte umfassend festgehalten worden waren, galt es im Rahmen der Untersuchung, mittelseiner kulturhistorischen Analyse entsprechende Kriterien zu erarbeiten und mit allen Akteur*innen abzustimmen. Auf dieser Basis wurden konkrete Aussagen zur Raumwirkung und zu den Denkmalschutzbereichen der Schutzgüter getroffen. Sie wurden ebenfalls grafisch veranschaulicht, um relevante Sichtpunkte bzw. Sichtbeziehungen zu bestimmen (Abb. 6). Auf der Grundlage maßstabsgenauer Visualisierungen konnte somit das Neubauvorhaben hinsichtlich der visuellen Integrität der betroffenen Schutzgüter hin untersucht werden, um eine belastbare gutachterliche Stellungnahme zur Denkmalverträglichkeit des geplanten Bauvorhabens abzugeben. Abschließend wurden auf dieser Grundlage Empfehlungen erarbeitet, wie und inwieweit potenzielle Beeinträchtigungen der unterschiedlichen Schutzgüter vermieden oder minimiert werden können.

Kartierung der Raumbezüge des Denkmalbereichs Altstadt Greifswald und der sich daraus für diesen ergebenden Wirkungsraum, 2021
Da die Studie noch nicht vollkommen abgeschlossen ist, können der weitere Inhalt der Untersuchung und deren Ergebnisse hier nicht dargelegt werden. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedoch, dass die konsequente Anwendung des DSchG M-V es erlaubt, eine KVP einzufordern, wenn erhebliche Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Ferner, dass eine integrierte Anwendung der im Kontext des Welterbes bereits bewährten KVP und einschlägiger VDL-Handreichungen methodisch problemlos umsetzbar ist. Zudem ermöglicht es ein solches Vorgehen, in komplexen räumlichen Zusammenhängen konkrete Aussagen zum Umgebungsschutz von (Flächen-)Denkmalen sowie zur Graduierung von deren etwaiger Beeinträchtigung zu treffen.
An dieser Stelle ist jedoch ebenfalls anzumerken, dass der Aufwand und die Komplexität solcher Untersuchungen erheblich minimiert werden können, wenn bereits im Vorfeld eine belastbare Analyse spezifischer Denkmalwerte und relevanter Sichtpunkte und Sichtbeziehungen vorliegen. Dies hätte beispielsweise durch die oben angesprochenen Denkmalpflegepläne oder denkmalpflegerischen Wertepläne geleistet werden können.
Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass im Städtebaulichen Denkmalschutz und im Kontext des UNESCO-Welterbes bereits viele Erfolg versprechende Ansätze bestehen, um die visuelle Integrität komplexer Flächendenkmale zu sichern. In diesem Zusammenhang sollten insbesondere folgende Aspekte beachtet werden:
– Homogenisierung der Instrumente: Bestehende Instrumente aus der Städtebaulichen Denkmalpflege, insbesondere Denkmalpflegepläne, Denkmalpflegerische Wertepläne oder Parkpflegewerke, bieten eine gute Grundlage für KVP. Sie sollten jedoch systematisch hinsichtlich der exakten Kartierung von Sichtpunkten und Sichtbeziehungen überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden, um sie als Grundlage für KVP bzw. als effizientes Mittel zum Schutz der visuellen Integrität von Flächendenkmalen verwenden zu können.
– Homogenisierung der Verträglichkeitsprüfungen: In einer kombinierten Anwendung der unterschiedlichen Formate von Verträglichkeitsprüfungen (SUP, UVP, KVP) liegen noch viele ungenutzte Potenziale, um die visuelle Integrität von Flächendenkmalen zu schützen. Gerade hier bieten sich vielfältige Möglichkeiten, um Ansätze des Städtebaulichen Denkmalschutzes und des UNESCO-Welterbes zu kombinieren. Zudem könnten KVP auf diesem Weg »indirekt« in die bundesdeutsche Gesetzeslage eingebettet werden.
– Homogenisierung der Arbeitshilfen: Bestehende Leitfäden und Arbeitshilfen für den Städtebaulichen Denkmalschutz sollten wesentlich enger mit den einschlägigen Handlungsansätzen, Instrumenten und Begrifflichkeiten aus dem Kontext des UNESCO-Welterbes abgestimmt werden, um Missverständnisse zu vermeiden und integrierte Ansätze zu unterstützen. Als in beiden Bereichen sehr gut verwendbares Vorbild kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel die jüngst erschiene »Leitlinie für gute fachliche Praxis für die Visualisierung von Windenergieanlagen«[17] gelten.
– Homogenisierung der Ausbildungswege: Zuguterletzt soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass eine integrierte Vorgehensweise im Städtebaulichen Denkmalschutz und im Bereich des UNESCO-Welterbes voraussetzt, dass bestehende Berufsausbildungswege hierzu das entsprechende Wissen generieren. Gerade der Schutz der visuellen Integrität von Flächendenkmalen setzt ein breites interdisziplinäres Wissen voraus. An der Hochschule RheinMain in Wiesbaden wurde vor diesem Hintergrund der Studiengang Baukulturerbe (B. Sc./M. Sc.) eingerichtet, um Studierende interdisziplinär auch auf solche Fragestellungen vorzubereiten.
Insgesamt zeigt der vorangegangene Überblick, dass in der integrierten Anwendung von Instrumenten des Städtebaulichen Denkmalschutzes und des UNESCO-Welterbes viele Potenziale liegen, um die visuelle Integrität von Flächendenkmalen zu sichern. Eine solche Strategie setzt jedoch voraus, dass beide Bereiche sich nicht als getrennte Disziplinen, sondern eher als Team betrachten. Neben den oben angeführten Aspekten ist hierzu aus Sicht des Autors eine wesentlich engere kommunikative und inhaltliche Abstimmung als bisher eine unabdingbare Voraussetzung.
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Abbildungsnachweis
1: Philipp Tebart /michael kloos planning and heritage consultancy — 2, 6: michael kloos planning and heritage consultancy — 3, 4: marte. marte architekten — 5: © bpk | Hamburger Kunsthalle | Elke Walford
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
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