70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland
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Udo Mainzer
Reviewed Publications:
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.): 70 Jahre Kunst am Bau in Deutschland Bearb. von Chibidziura Ute, Constanze von Marlin et al. Berlin / München (Deutscher Kunstverlag) 2020 316 Seiten, zahlreiche, zumeist farbige Abbildungen Laminierter Pappeinband, € 45,00, ISBN 978-3-422-98617-6
Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.): Kunst am Bau in der DDR. Gesellschaftlicher Auftrag, politische Funktion, stadtgestalterische Aufgabe Bearb. von Chibidziura Ute, Constanze von Marlin Berlin/München (Deutscher Kunstverlag) 2020 132 Seiten, zahlreiche, zumeist farbige Abbildungen Laminierter Pappeinband, € 32,00, ISBN 978-3-422-98606-0
Am 25. Januar 1950 hatte der Deutsche Bundestag beschlossen, »Um die bildende Kunst zu fördern, wird die Bundesregierung ersucht, bei allen Bauaufträgen des Bundes […] grundsätzlich einen Beitrag von mindestens 1 Prozent der Bauauftragssumme für Werke bildender Künstler vorzusehen.« Und am 22. August 1952 erließ die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik mit der »Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten« Aufträge in Höhe von 1 bis 2 Prozent der Planbaukosten an bildende und angewandte Künstlerinnen und Künstler zu vergeben, mit der Maßgabe, die Kunstwerke müssten sich dem Sozialistischen Realismus verpflichtet fühlen. Mit ihren Entscheidungen knüpften beide deutsche Staaten an Regelungen an, die bereits seit 1928 in der Weimarer Republik und seit 1934 im Dritten Reich vorgegeben waren.
Jener Beschluss im Deutschen Bundestag war dem Bundesinnenministerium 2020 Anlass, diese 70 Jahre Kunst am Bau mit der ersteren Publikation ansehnlich zu dokumentieren, um sich der großen Leistungen dieser Aktion zu vergewissern. Weil viele der Kunstwerke wegen ihrer Lage auf Bundesliegenschaften für den Großteil der Bevölkerung unzugänglich und so kaum bekannt sind, hat das Ministerium gemeinsam mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung die Publikation um eine 59 Objekte präsentierende Wanderausstellung an mehreren Orten in Deutschland sowie einen begleitenden Film ergänzt. In seinem Grußwort hält Horst Seehofer nicht nur fest, dass die Kunst am Bau ein »integraler Teil der Baukultur des deutschen Staates« ist, sondern auch, dass die Erhaltung der rund 10.000 Kunstwerke dem Bund ein großes Anliegen sei. Das ist eine Selbstverpflichtung, deren Einhaltung nicht zuletzt vonseiten der Denkmalpflege mit Aufmerksamkeit beobachtet werden wird.
Vor dem eigentlichen Kernstück des Bandes verorten drei aufschlussreiche Beiträge das Thema in übergeordnete Zusammenhänge. Zunächst bietet Horst Bredekamp mit Kunst am Bau: Die Form der Selbstaufhebung einen gleichermaßen dichten Rückblick auf den Stellenwert der Kunst für die Gesellschaft von der Frühzeit bis in die jüngere Vergangenheit und die sich daraus entwickelnde Rolle der Kunst am Bau mit dem Fazit, »den Anspruch von Kunst am Bau als globale Verantwortung zu begreifen.«
Ihm folgt Sigrid Hofer, die sich mit Kulturtransfer zwischen Ost und West in Zeiten des Kalten Krieges dem Anspruch des Bandes, Kunst am Bau im gesamten, schließlich vereinten Deutschland darzustellen, widmet. Prägnant zeichnet sie den Kultur- und Kunsttransfer zwischen der Bundesrepublik und der DDR nach und macht damit anschaulich, auf welche Weise die Künstler*innen in den beiden deutschen Staaten in ihren Werken jeweils die unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrem politischen Umfeld widerspiegeln.
Martin Seidel schließlich baut mit seinen kenntnisreichen Ausführungen zu Kunst am Bau in Deutschland eine schöne Überleitung zu den nachfolgenden zahlreichen Objektpräsentationen, indem er sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR den jeweiligen Parametern für die Entstehung der Kunstwerke, ihrem inhaltlichen Spektrum sowie ihrem bipolaren Verhältnis zur Architektur oder ihrem Umfeld nachspürt, um abschließend einen Blick auf das »neue Engagement« nach der Wiedervereinigung zu werfen.
Den wie ein Katalog konzipierten Hauptteil der Publikation gliedern neun Kapitel analog zur Ausstellung, denen jeweils resümierende Statements vorangestellt sind und die in ihren einzelnen Aufsätzen folgerichtig zumeist Beispiele aus beiden Teilen Deutschlands behandeln. Es beginnt Constanze von Marlin, die in Neue Kunst für neue Staaten. Kunst am Bau vom Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerbau 1961 nach Schilderung der historischen Hintergründe in chronologischer Abfolge Bauwerke und die ihnen integrierten Kunstwerke vorstellt, mit denen sich die beiden deutschen Staaten entsprechend ihrer unterschiedlichen politischen Verfasstheit präsentieren. Wurden die Kunstschaffenden in der DDR in den Dienst des gesellschaftlichen Transformationsprozesses gestellt, so konnte ihre Kollegenschaft in der Bundesrepublik die verfassungsrechtliche Freiheit der Kunst für sich in Anspruch nehmen. Dabei mag erstaunen, dass bis zum Bau der Mauer Künstler*innen auch im jeweils anderen Staat Aufträge durchführen durften. Die zur Veranschaulichung gewählten Beispiele umfassen Kulturbauten wie das Deutsche Nationaltheater in Weimar ebenso wie Verkehrsbauten wie den Münchener Hauptbahnhof, insbesondere aber Staatsbauten wie das Haus der Ministerien in (Ost-)Berlin oder den Deutschen Bundestag in Bonn.
Im nächsten Kapitel Bauen für den Staat. Zwischen Repräsentation und Freiheit von 1961 bis 1989 zeichnet Constanze von Marlin zusammen mit Anna-Sophie Laug die weitere Entwicklung der Kunst am Bau in beiden deutschen Staaten nach, die im Westen von der freien Marktwirtschaft und im Osten von der Planwirtschaft bestimmt wird. Während in der Bundesrepublik zunehmend auch international renommierte Künstler*innen mit ihren Werken von einer Integration in die westliche Welt künden und zugleich verstärkt um eine den Umraum einbeziehende Gestaltung bemüht sind, erlebte die DDR eine geradezu missionarische »Durchkunstung« sämtlicher Lebensbereiche im Sinne der Staatsideologie, namentlich durch die Einbeziehung landesweiter Wohnbauprogramme. Gleichwohl ist hierbei eine größere Entfaltungsmöglichkeit der Kunstschaffenden zu beobachten mit ihren zaghaften Anknüpfungen an die Moderne. Als Kronzeugen für das unterschiedliche Geschehen werden als Antipoden einerseits in Berlin das Staatratsgebäude, der Palast der Republik und die Parteihochschule der SED »Karl Marx« sowie andererseits in Bonn das Abgeordneten-Hochhaus, das Bundeskanzleramt und der Plenarbereich des Deutschen Bundestages aufgerufen.
Mit der Vereinigung Deutschlands verbunden war ein offensichtlicher Paradigmenwechsel, den abermals Martin Seidel in seinem Kapitel Ausbau einer Hauptstadt. Berlin nach der Wiedervereinigung beleuchtet. Wegweisend dabei war, dass der Einigungsvertrag der Kunst und Kultur die Aufgabe zuwies, im »Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Wege zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag« zu leisten. Damit geriet die Kunst am Bau zu einem wichtigen Faktor bei der Suche nach einer neuen nationalen Identität. Ein herausgehobener Rang kommt dabei insbesondere den Kunstobjekten im Deutschen Bundestag/Reichstagsgebäude, im Bundesrat, im Bundespräsidialamt und im Bundeskanzleramt, aber auch in verschiedenen Ministerien zu. Erfreulich ist dabei festzustellen, dass bei einer deutlichen Überzahl männlicher Künstler nunmehr vermehrt Künstlerinnen Werke schaffen.
Auf welche Weise Gebäude, die durch ihre frühere Zweckbestimmung der NS-Zeit oder auch in der DDR vorbelastet waren, durch die Kunst am Bau von der heutigen demokratischen Haltung nachnutzender Institutionen künden, belegen wiederum Constanze von Marlin und Anna-Sophie Laug in ihrem Kapitel Kunst am Bau bezieht Stellung. Historische und inhaltliche Kommentare. Sie verifizieren solche Neupositionierungen etwa am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg oder am Stasimuseum in Berlin.
Dass nicht nur Bauten oberster Staatsorgane, sondern auch Gebäude nachgeordneter Behörden und Einrichtungen an der Kunst am Bau teilhaben, führt erneut Martin Seidel in dem Kapitel Vom Arbeitsamt zum Zoll. Staatliche Institutionen und ihre Kunst vor Augen. Er macht deutlich, wie sehr der Bund seine Kunst-am-Bau-Projekte alle gleichwertig behandelt. Von den vorgestellten Beispielen vom Reichsbahnausbesserungswerk in Cottbus bis hin zum Forschungsinstitut für Tiergesundheit in Greifswald soll der 18-teilige Glasmosaik-Zyklus Der Mensch bezwingt den Kosmos am Gebäude des ehemaligen VEB Maschinelles Rechnen des Bezirks Potsdam, 1969–1972 von Fritz Eisel (1929–2010), eigens erwähnt werden, weil das (Bau-)Kunstwerk gegenwärtig einer äußerst fragwürdigen architektonischen Nacherzählung der 1968 gesprengten einstigen Garnisonskirche zum Opfer fallen soll.
Ebenso waren Liegenschaften des Militärs in beiden deutschen Staaten mit Kunst am Bau ausgestattet, wie erneut Constanze von Marlin in ihrem Kapitel Kunst am Bau im Einsatz. Das Militär als Auftraggeber aufzeigt. War die Kunst am Bau in der Bundesrepublik anfänglich recht traditionell und in der DDR von das politische Bewusstsein fördernden Motiven geprägt, so haben sich die Kunstwerke nach der Wiedervereinigung in Anlagen der nunmehr zusammengeführten Bundeswehr in ihrer Gestaltung überwiegend ins Abstrakte entwickelt bei häufig in das Gelände ausgreifender Attitüde.
Das bisher Betrachtete hat offenkundig gemacht, wie sehr Kunst am Bau der Motivation und Repräsentation dient(e). Letzteres gilt umso mehr für die Kunstwerke, mit denen sich die beiden deutschen Staaten und nach 1989 das geeinte Deutschland im Ausland darstellt(en). Diesen Aspekt betrachtet abermals Martin Seidel in Dialog mit der Welt. Kunst am Bau bei Auslandsbauten. Auch hierbei ist ein Wandel von der Tradition zur Innovation festzustellen, der gleichwohl das Ungegenständliche, weil Unverfängliche bevorzugte, ganz im Sinne von Diplomatie.
Ohne ein geregeltes Verfahren konnte Kunst am Bau nicht realisiert werden. Beate Hückelheim-Kaune hat es sich in ihrem Kapitel Wege zur Kunst. Vom Wettbewerb bis zur Realisierung zur Aufgabe gemacht, detailreich den Prozess von der Auslobung bis zum Preisgericht und dessen Empfehlung sowie schließlich bis zur Umsetzung der projektierten Kunstwerke in und/ oder an der Architektur bzw. deren Umfeld zu beschreiben.
Mit besonderer Aufmerksamkeit dürfte vonseiten der Denkmalpflege das letzte Kapitel In die Jahre gekommen. Pflege, Erhalt und Verlust von Kunst am Bau gelesen werden, das wiederum Anna-Sophie Laug bestritten hat. Umwelteinflüsse sind noch die geringste Beeinträchtigung von Kunstwerken, deren Schäden meist restauratorisch begegnet werden kann, was angeführte Beispiele bezeugen wollen. Verheerender wirken sich dagegen Umnutzungen, bauliche Veränderungen und schlimmstenfalls Abbrüche aus, die oft mit der Übergabe der Gebäude vom Staat an Private verbunden sind. Zudem sind nicht alle Bauwerke, die Kunst am Bau beinhalten, zugleich Kulturdenkmale, deren Erhaltung entsprechenden gesetzlichen Regelungen unterliegt. Das Translozieren von am Ursprungsort gefährdeter Kunstwerke an andere Stellen oder die Überführung in Museen bleibt nicht zuletzt angesichts ihrer Dimensionen die Ausnahme.
Das Problem wird zusätzlich potenziert, da die Bundesländer und einzelne Städte in eigener Regie ebenfalls Kunst am Bau fördern und so in Deutschland ein unschätzbar großer Fundus an Kunstwerken in öffentlicher Hand existiert. Um einem möglichen Verlust solcher ja mit Steuermitteln finanzierter Objekte zu begegnen, bleibt es lohnenswert zu überlegen, ob und inwieweit durch ministerielle Erlasse mit zumindest vorläufigen Unterschutzstellungen aller Kunstwerke nach den jeweiligen Denkmalschutzgesetzen der bedrohte Bestand eine reelle Chance erhält, dass verantwortungsvoll über sein weiteres Schicksal befunden werden kann. Diese Publikation und die sie einleitende Selbstverpflichtung des Bundesinnenministers zur Erhaltung dieser Kunstwerke muss solchen Erwägungen unbedingt Auftrieb verleihen!
Auch wenn die einzelnen Kapitel im Wechselgesang vorgetragen werden, klingen sie wie aus einem Guss, in ihrer Darbietung begleitet von vorzüglichen, meist großformatigen, nicht selten ganzseitigen Abbildungen. So offenbart der stattliche Band, wie sehr Kunst, insbesondere im Verbund mit Architektur, eine verdichtete Reflektion menschlicher und gesellschaftlicher Befindlichkeiten ihrer jeweiligen Zeit ist. In ihm wird eindrucksvoll ein Querschnitt der deutschen Kunst der letzten sieben Jahrzehnte ausgebreitet. Deshalb kommt dieser Publikation dank des kenntnisreichen Engagements von Ute Chibidziura, die für Kunst am Bau verantwortliche Referentin im hier involvierten Ministerium, und des um sie versammelten Kompetenzteams das Verdienst zu, eine im wahrsten Sinne des Wortes überaus anschauliche Fortschreibung der Kunstgeschichte Deutschlands geleistet zu haben.
Vergleichbares trifft zu für die zweite Publikation, die das gleichnamige Symposium in sechs Aufsätzen und einer Niederschrift der abschließenden Podiumsdiskussion dokumentiert, das am 24. Januar 2020 in der Akademie der Künste, Berlin, als gemeinsame Veranstaltung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, dem Bundesamt für Bauwesen und der Akademie der Künste stattfand. Bei diesem Band überlässt der Innenminister seiner Staatssekretärin Anne Katrin Bohle das Grußwort, in dem sie vor allem die Verantwortung ihres Hauses für den Stellenwert von Kunst am Bau herausstellt, während Wulf Herzogenrath als Direktor der Abteilung Bildende Kunst der Akademie der Künste in seinem Grußwort von einem historischen Rückblick auf die Rolle seiner Akademie für Kunst am Bau seit dem 18. Jahrhundert ausgehend Fragen stellt, auf die er von den Beiträgen des Symposiums konkrete Antworten erwartet.
Eine solche bilanzierende Veranstaltung war längst überfällig. Denn für die Kunst am Bau in der DDR war – wie schon dargelegt – der Stil des Sozialistischen Realismus vorherrschend, der mit seiner oft heroisierenden und die Errungenschaften des Sozialismus propagierenden Thematik eine gewisse Nähe zu den Darstellungsweisen nationalsozialistischer Kunst nicht ganz verhehlen konnte und wohl vor allem deshalb spätestens in der Nachwendezeit eine schwindende Akzeptanz und eine anfangs bisweilen bilderstürmerische Reduktion ihres Bestands erleben sollte. Gerade deshalb gebührt diesen Kunstwerken eine uneingeschränkte Unvoreingenommenheit bei ihrem Anspruch auf umfängliche Erfassung und wissenschaftliche Erforschung und eine darauf gründende Erhaltung.
Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, wenn Thomas Flierl in seinem Aufsatz Das (staats-) sozialistische Gesellschaftsmodell. Stadtplanung, Architektur und Kunst am Bau in der DDR noch einmal auf Peter Guths 1995 erschienenes Buch »Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR« erinnert. Überhaupt bietet sein Beitrag mit der Innensicht auf die damaligen Verhältnisse, die ihm seine Vita ermöglichte, gewissermaßen eine Überschau, besser noch: den thematischen Überbau zu dem Band in Gänze, weil er recht authentisch die enge Verflechtung von Politik, Kunst am Bau, Architektur und Stadtgestaltung in der DDR anschaulich macht und zugleich den Wandel der dortigen, zunächst einer »antifaschistisch-demokratischen« Ordnung dienenden Kunstwerke hin zu deren stärkerer Orientierung an der Moderne verfolgt.
Als eine inhaltliche Vertiefung dessen erweist sich der nachfolgende Aufsatz von Roman Hillmann Zum Verhältnis von serieller Architektur und Kunst in der DDR, in dem er untersucht, mit welchen Mitteln die dortigen Architekt*innen und Künstler*innen die Idee vom Sozialistischen Realismus, der die Gleichstellung von Architektur und Kunst vorgab, umgesetzt haben. So mussten staatstragende ideologische Botschaften vornehmlich auch durch Bauwerke verkündet werden, wozu neben der Struktur der architektonischen Gesamterscheinung künstlerisch gestaltete Bauteile und -elemente dienten. Namentlich das oft großmaßstäbliche serielle Bauen mit seinen gleichförmigen, ideale Schönheit suggerierenden Proportionen schien in besonderer Weise jenen Vorstellungen entgegen zu kommen. Doch bedurfte es in der Regel der Ergänzung durch, vor allem anfänglich, gegenständliche bildliche oder figürliche Werke, um die Vorzüge des Sozialismus den Menschen im Alltag näher zu bringen, da ja sie – so die Staatstheorie – letztlich aus eigenem Antrieb den Staat leiten sollten. Als ein Prototyp, in dem sich viele dieser Idealvorstellungen vereinigen, wird Halle-Neustadt herausgestellt.
Ausgehend vom spontanen Bildersturm monumentaler Denkmale kommunistischer Größen nach der Wende untersucht Paul Kaiser in Zum Auftrag, System und Wandel architekturbezogener Kunst in der DDR die Prämissen, unter denen solche Kunstwerke entstanden. Höchst aufschlussreich ist zu erfahren, welche Rolle Honorare dabei spielten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Künstler*innen immer mehr den Gestaltungskräften der Moderne zuwenden wollten und wegen ihrer damit häufig verbundenen Unwilligkeit, Aufträge zu übernehmen, die zur Kompensation herangezogenen russischen Künstler weiterhin dem Sozialistischen Realismus huldigten, was vielsagende Vergleiche eröffnet. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer Verlagerung überwiegend großformatiger Wandbilder in Innenräumen. Erinnert sei hierbei an den untergegangenen Palast der Republik, wo die Elite der Kunstschaffenden der DDR eine Vielfalt an Werken realisieren konnte. Gleichzeitig erweiterte sich die Auftragsvergabe durch unterschiedliche Organisationen, was in dem planwirtschaftlichen Staat einen »Markt« für Künstler*innen hervorbrachte, die nun zu der bestbezahlten Klientel in der DDR zählte.
Wie und in welchem Umfang der Staat zuvörderst die Kunst für seine Selbstdarstellung und die Versinnbildlichung seiner Ideologie instrumentalisierte, verfolgen die Überlegungen zur politischen Repräsentation in der baugebundenen Kunst der DDR von Silke Wagler. Auch wenn ihre Aussagen etliches bereits zuvor Geschriebenes wiederholen, sind die Ausführungen am Beispiel des Staatsratsgebäudes in Berlin oder zum Kulturpalast erhellend und programmatisch für zahlreiche andere, vorrangig der Kultur gewidmete Bauten.
Mit Neugier begibt man sich an die Lektüre des vergleichsweise kurzen, einem Statement vergleichbaren Beitrag Beobachtungen zum Umgang mit baugebundener Kunst in der DDR von Ulrike Wendland, der früheren saarländischen, später langjährigen sachsen-anhaltinischen Landeskonservatorin. Sie referiert hauptsächlich die denkmalpflegerische Arbeitssystematik im Allgemeinen und das Postulat der ideologiefreien Bewertung von Denkmalen, hier primär von Kunst am Bau. Vermisst wird die Darlegung strategischer Schritte zur Erfassung und Erforschung derartiger Kunstwerke und zur Vermittlung ihrer Werte für die Gesellschaft sowie zum konkreten Umgang mit ihnen bis hin zumindest zu einer Skizzierung von nachhaltigen Erhaltungskonzepten. Dieses erscheint umso dringlicher, da die Denkmalpflege in diesem Kontext zunehmend gefordert ist.
Ute Chibidziura liefert mit dem abschließenden Aufsatz Kunst am Bau in Ostdeutschland vor und nach 1990 eine konzise Verdichtung der Entwicklung von Kunst am Bau in diesem Teil Deutschlands, vornehmlich unter dem Aspekt ihrer Rolle als Kunstwerk. Sie schafft auf diese Weise gleichzeitig ein eindrucksvolles Resümee, das beide hier im Fokus stehenden Bände in ihrem Inhalt und ihrem Anliegen schlüssig vereint.
Der Band endet mit der Wiedergabe der Podiumsdiskussion zu dem anspruchsvollen Motto Kunst am Bau in der DDR. Gesellschaftlicher Auftrag. Politische Funktion. Stadtgestalterische Aufgabe, an der unter Moderation von Arnold Bartetzky vier Personen aus den Bereichen Architektur, Kunstgeschichte, Journalismus und Kunstschaffen teilnahmen und sich einige aus dem Plenum zu Wort meldeten. Im Wesentlichen ging es dabei neben wiederholten Rückblicken auf bekannte Werke um die generationenbedingte Akzeptanz von Kunst am Bau innerhalb der heutigen Gesellschaft. Ein wirkliches Rekurrieren auf denkmalpflegerische Aspekte blieb aus, was nicht verwundert, weil auf dem Podium niemand die Position der Denkmalpflege per Profession oder Interesse vertrat und sich offensichtlich auch niemand aus dem Publikum zu diesem Belang geäußert hat. Eine vertane Chance?
© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany
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