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Stadt unter Druck!

  • Marianne Lutter
Published/Copyright: January 28, 2022
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Leyser-Droste Magdalena et al. (Hrsg.): Stadt unter Druck! Klimawandel und kulturelles Erbe (Beiträge zur Städtebaulichen Denkmalpflege, Bd. 10) Dortmund (Kettler) 2021 143 Seiten, Illustrationen Broschur, € 22,00 ISBN 978-3-86206-888-3


Seit jeher ist das Klima auf der Erde Veränderungen unterworfen, an die sich Flora und Fauna anpassen mussten. Die raumrelevanten Auswirkungen des derzeitigen Klimawandels werden vor allem durch steigende Durchschnittstemperaturen, veränderte Wind- und Niederschlagsverhältnisse und durch das Auftreten von Extremwetterereignissen wie beispielsweise Überschwemmungen und Starkregen hervorgerufen. Obgleich die Themen Klimawandel und Klimaschutz in Wissenschaft und Politik seit Jahrzehnten intensiv diskutiert werden, lässt sich feststellen, dass im Rahmen von Raumplanung und städtebaulicher Entwicklung weitsichtige Planungsprozesse zur Anpassung von Städten und Dörfern an die sich ändernden Klimabedingungen nur selten zur Anwendung kommen. Die Folgen des Klimawandels sind heute in vielen Städten, vor allem in den Metropolen, deutlich spürbar. Sie zeigen sich etwa im Auftreten von Wärmeinseln, die im Vergleich zum Umland eine deutlich höhere Durchschnittstemperatur aufweisen. Zurückzuführen sind derartige Effekte auf die weiterhin ungebremste Tendenz zur Versiegelung und Nachverdichtung von Flächen, auf die Auswahl von Baumaterialien und auf die mangelnde Existenz von Grün- und Freiflächen.[1] Auch die Überflutungsgefahr geht unter anderem auf Nachverdichtungen in Hochwasserschutzzonen, auf die Begradigung, Verengung und sonstige Veränderungen von Fluss- und Bachläufen zurück.

Eine Anpassung an die veränderten Bedingungen erfordert, dass zwischen den verschiedenen Wissenschaften und verwaltungstechnischen Institutionen Kompetenzen und Ebenen der Verständigung geschaffen werden, die es ermöglichen, ressourcenschonende und langfristige Lösungen für Stadtentwicklungsprozesse zu entwickeln und die geschaffene Umwelt für die Zukunft besser zu rüsten. Dass unser Kulturerbe im Rahmen dieser Veränderungsprozesse nicht nur in seinem Bestand hochgradig gefährdet ist, sondern vielmehr einen Beitrag zur positiven Entwicklung von Nachhaltigkeit und Klimaresilienz leisten kann, vermittelt beispielsweise die Deutsche Stiftung Denkmalpflege mit öffentlichkeitswirksamen Initiativen wie »Monuments for future. Denkmalschutz ist ein Synonym für Nachhaltigkeit«. An diesen Appell knüpft nun auch der Tagungsband »Stadt unter Druck. Klimawandel und kulturelles Erbe«, herausgegeben von der Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege, an.

Die Fachgruppe konstituierte sich 2010 auf Initiative der Architektin und Stadtplanerin Christa Reicher und hat sich dem interdisziplinären Austausch zu Fragestellungen rund um Architektur, Stadt und Stadtentwicklung aus der Perspektive von Architekt*innen, Stadtplaner*innen, Denkmalpfleger*innen und anderen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Kunstgeschichte oder den Naturwissenschaften verschrieben. Dieser Austausch findet zu wechselnden Themenschwerpunkten im Rahmen von Veranstaltungen und auf der bereits fest etablierten Jahrestagung Städtebauliche Denkmalpflege statt.

Die im Jahr 2021 erschienene Publikation »Stadt unter Druck. Klimaschutz und kulturelles Erbe« geht auf die im Oktober 2019 in der Kokerei Hansa in Dortmund stattgefundene Jahrestagung gleichnamigen Titels zurück und ist der nunmehr zehnte Band aus der Reihe »Beiträge zur Städtebaulichen Denkmalpflege«, die in jährlichem Turnus von der Fachgruppe herausgegeben wird. Der Tagung voraus ging das Europäische Kulturerbejahr 2018 (EYCH, European Year of Cultural Heritage), in dessen Verlauf die Forderungen aus der Deklaration von Amsterdam (1975) – die Notwendigkeit der Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Belange in Planungs- und Bauprozessen – durch die Deklaration von Davos (2018) politisch aktualisiert wurden. In der Davoser Deklaration wurde einmal mehr der Wert des kulturellen Erbes als Element einer hohen Baukultur betont. Auf dieses Erbe als öffentliches Gut sollte demnach in Anbetracht der gegenwärtigen Herausforderungen des Klimawandels »in gemeinsamer Verantwortung von Regierungen, Organisationen und des Privatsektors« besonders Rücksicht genommen werden.[2]

Vor diesem Hintergrund leistet die Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege mit dem 2021 vorgelegten Tagungsband einen wichtigen Beitrag zur weitergehenden Auseinandersetzung mit den Fragestellungen rund um die Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe. Das Autor*innenteam, bestehend aus 24 Fachleuten der unterschiedlichsten Disziplinen, darunter auch Landschaftsarchitekt*innen, eine Rechtsanwältin und ein Meteorologe, beleuchtet das übergeordnete Thema aus den verschiedensten Blickwinkeln.

Die Beiträge sind korrespondierend zur Gliederung der Tagung thematisch in drei Blöcke aufgeteilt: Zukunftsfähigkeit von historischen Stadtstrukturen, Balance der Ansprüche in historischen Freiräumen und Rahmenbedingungen für eine klimagerechte Stadtentwicklung, die jeweils durch einführende Texte eingeleitet werden und den Hauptteil der Publikation bilden. Indes eröffnen die Einführung von Christa Reicher, das Vorwort von Raumplaner und Denkmalpfleger Thomas Schürmann und zwei dem Hauptteil des Bandes vorangestellte Aufsätze des Meteorologen und Stadtklimatologen Ulrich Reuter sowie der Stadtökologin Dagmar Haase das breite Spektrum an Themen, das die Leserschaft erwartet. Der selbst gesetzte Anspruch der Publikation ist es, Antworten auf die folgenden komplexen Fragen zu finden: »Wie lassen sich Widersprüche zwischen dem Erhalt erhaltenswerter Bestandsstrukturen und ökologischer Anforderungen lösen?« oder »Wo liegen Konflikte, aber auch Synergien zwischen Klimaanpassung und Sicherung des kulturellen Erbes in der Stadt?« bis hin zu der wichtigen Frage: »Lässt sich eine Balance zwischen dem Erhalt von wertvoller und denkmalgeschützter Bausubstanz, dem Anliegen nach Verdichtung und dem Wunsch nach mehr Freiraum und Durchlüftung herstellen?« Schließlich soll der für die praktische Umsetzung dieser Anliegen grundlegenden Fragestellung: »Welche Instrumente können dabei helfen?« nachgegangen werden (S. 8).

Die Autor*innen des Bandes nähern sich diesen Aspekten entsprechend ihren Fachdisziplinen. Besonders bereichernd ist dabei die Vorstellung von Best-Practice-Beispielen aus ihren jeweiligen Arbeitsbereichen. Die beschriebenen Projekte bieten den Rezipienten Handlungsanweisungen oder Inspirationen, die im beruflichen Alltag individuell an die eigenen Problemstellungen angepasst werden können. Damit ist der Adressatenkreis der Publikation aus Sicht der Rezensentin auch ein relativ großer und richtet sich gleichermaßen an Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen und Laien – vor allem jedoch an sämtliche Akteure, die an Stadtplanungsprozessen beteiligt sind.

Wie die Inwertsetzung von städtebaulichen Quartieren mit hohem Identifikationsfaktor unter Einbeziehung historischer Bausubstanz in Kombination mit Neubauvorhaben erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigt etwa das Beispiel der Umgestaltung des Korbacher Rathausquartiers. Hier führte ein ganzheitlicher Ansatz mit klar formulierten Planungszielen, die frühzeitige Einbindung von Politik und Fachämtern, insbesondere der Denkmalpflege, sowie eine Bürgerpartizipation zu einer deutlichen Verbesserung der städtebaulichen Situation. Vor allem durch den Erhalt von historischen Bestandsgebäuden und die Anwendung des Urban Mining, die bei der Erweiterung des Rathauses eine Rolle spielten, wurden in diesem Fall Denkmalpflege und Klimaschutz im Sinne der ressourcenschonenden Verwendung von Baumaterialien vorbildhaft miteinander verknüpft (Stefan Bublak, S. 40– 47)

Städte, die einem stetigen Wachstum unterliegen, sehen sich vor die Herausforderung gestellt, einerseits die knapp zur Verfügung stehenden Flächen effizient zu bebauen und andererseits ein günstiges Stadtklima zur Wahrung der Gesundheit von Mensch und Tier zu schaffen. Vor dem Hintergrund einer notwendigen Attraktivitätssteigerung des Stadtraums und des 2019 ausgerufenen Klimanotstands sowie der selbst gesetzten Klimaziele wurde in der Metropole Düsseldorf ein Wettbewerb für das Projekt Blaugrüner Ring ausgelobt. Dieses zielt, ausgehend vom historischen Grünring der ehemaligen Wallanlagen rund um die Düsseldorfer Altstadt auf verschiedene Maßnahmen ab: die Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs, die Rückgewinnung von Bau-, Grün- und Freiflächen und die städtebauliche Verknüpfung von Kunst- und Kulturinstitutionen innerhalb des Stadtzentrums. Ein besonderer Aspekt dieses Projekts lag in der Wettbewerbsvorgabe, dass sich die Arbeitsgemeinschaften der Teams »zwingend aus Stadtplanern, Architekten und Landschaftsarchitekten zusammensetzen mussten«, was ein interdisziplinär erarbeitetes Wettbewerbsergebnis in hoher Qualität hervorbrachte. Der Beitrag stellt eine langfristige Inwertsetzung wertvoller innenstadtnaher Flächen in einer Großstadt vor (Ruth Orzessek-Kruppa, S. 84–93).

Bei Fragen um die energetische Ertüchtigung von historischen Gebäuden steht die Denkmalpflege nicht selten vor der Herausforderung, dass sie zum Schutz der Denkmalsubstanz schwierige Einzelfallentscheidungen treffen muss. Christoph Klanten stellt eine Studie zum historischen Stadtkern von Monschau vor. Er kommt zu dem Schluss, dass es ähnlich wie in der Eifelstadt in vielen Kommunen mit historisch geprägten Stadt- und Ortskernen – die partiell oder ganz dem Denkmalschutz unterliegen – formelle und informelle Planungsinstrumente gibt, die energetische Maßnahmen zwar nicht ausschließen, aber auch nicht aktiv befördern. Der Autor schlägt vor, dass die Kommunen durch die Vorgabe klarer Planungsziele sowie durch beispielhafte Instandsetzungen ihrer öffentlichen Gebäude eine Vorbildfunktion für Denkmaleigentümer oder Besitzer anderer historischer Gebäude übernehmen könnten. Überdies müssten genügend Mittel bereitstehen, um »die finanzielle Förderung aufwändiger (aber dafür stadtbild- und denkmalgerechter) Ertüchtigungsmaßnahmen« zu ermöglichen, die einen »Beitrag zum nachhaltigen Erhalt des Stadtbilds leisten« (S. 100–107).

Die beispielhaft genannten Artikel stehen für die reichhaltige Auswahl an interessanten und fachlich fundierten Texten im Tagungsband. Auf insgesamt 143 Seiten werden sowohl wissenschaftliche Betrachtungen als auch Praxisbeispiele erläutert und wertvolle Hinweise auf (Forschungs-)Projekte sowie Quellen und Literaturtitel präsentiert. Der Tagungsband weitet den Diskurs zum Klimawandel auf das kulturelle Erbe aus und vermag damit einen breiten Debattenraum zu öffnen. Dies gelingt vor allem durch interdisziplinäre Sichtweisen.

Aus der Geschichte lernen und die Geschichte konstruktiv in die Zukunft einbinden – so lautet der Appell der Autor*innenschaft. Die rechtlichen Vorgaben und Handlungsräume hierzu liegen uns auf politischer und verwaltungstechnischer Ebene vor – allein an den Ressourcen, sowohl personeller als auch finanzieller Art, mangelt es oft bei der Umsetzung in die Praxis.

Die Rezensentin wünscht sich, dass mit dem Erscheinen des Tagungsbands die Debatte um die Verbindung von Klimaschutz und Denkmalpflege ernsthaft fortgeführt wird und weitere Forschungen und Publikationen zum Thema folgen werden.[3] Rahmenbedingungen für mehr Beachtung des kulturellen Erbes im Stadtplanungsprozess können nur geschaffen werden, wenn die institutionalisierte Denkmalpflege mehr Akzeptanz, nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch in Wirtschaft, Politik und der kommunalen Verwaltung erfährt und frühzeitig an städtebaulichen Planungsprozessen beteiligt wird. Modellvorhaben wie der »klimagerechte Städtebau«[4] oder Projekte wie der »experimentelle Wohnungs- und Städtebau (Ex-WoSt)«[5] sowie Planungshilfen wie der »Stadtklimalotse«[6] können nützliche Instrumente für Kommunen sein, um wichtige Aspekte für eine Anpassung an den Klimawandel – auch unter Einbeziehung denkmalfachlicher Belange – bei städtebaulichen Planungsentscheidungen zu berücksichtigen.

Published Online: 2022-01-28

© 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston, Germany

Downloaded on 27.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/dkp-2021-2010/html
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