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Herausforderungen der Digitalisierung in der Klebetechnik

Untersuchung zu den aktuellen Herausforderungen in sechs ausgewählten Digitalisierungsfeldern
  • Michael Lütjen

    Dr.-Ing. Michael Lütjen leitet die Abteilung Data Analytics und Prozessoptimierung am BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH an der Universität Bremen.

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    , Markus Kreutz

    Markus Kreutz, M. Sc., arbeitet als Wisenschaftlicher Mitarbeiter am BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH an der Universität Bremen.

    , Michael Freitag

    Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag ist Direktor des BIBA und leitet das Fachgebiet Planung und Steuerung produktionstechnischer und logistischer Systeme (PSPS) im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen.

    , Tobias Evers

    Tobias Evers, M. Sc., ist Doktorand in der Arbeitsgruppe Kleben von Strukturen am Fraunhofer IFAM.

    , Till Vallée

    Dr ès Sc. Till Vallée ist Leiter der Arbeitsgruppe Kleben von Strukturen am Fraunhofer IFAM.

    and Frank Mohr

    Dipl.-Ing. Frank Mohr ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM.

Published/Copyright: March 27, 2025

Abstract

Deutsche Fahrzeughersteller, Klebstoffhersteller und Maschinenbauer sind weltweit führend bei der Entwicklung von Klebstoffsystemen und tragen erheblich zur deutschen Wertschöpfung bei. Die Digitalisierung in der Klebetechnik birgt großes wirtschaftliches Potenzial, wird jedoch aufgrund der Komplexität der Prozesse bislang unzureichend genutzt. Im Beitrag wird der Stand der Technik zur Digitalisierung im Sinne von Industrie 4.0 dargestellt und aktuelle Herausforderungen herausgearbeitet.

Abstract

German vehicle and adhesive manufacturers, and mechanical engineering companies, are leaders in developing adhesive systems and contribute significantly to the German economy. Digitalization in adhesive bonding technology has high potential but is not widely used due to the complexity of the processes. The article investigates the state of the art in digitalization in the adhesive industry and identifies challenges.

Einleitung

Die deutsche Automobilindustrie gilt zusammen mit Klebstoffherstellern und Maschinenbauern als Vorreiter innovativer Klebstoffsysteme, die indirekt über 400 Milliarden Euro zur Wertschöpfung in Deutschland beitragen [1]. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Digitalisierung in der Klebetechnik zunehmend an Bedeutung. Sie verbessert die Qualitätssicherung, Produktionsflexibilität und Prozessresilienz, insbesondere durch präzise Überwachung und Steuerung, die eine frühzeitige Fehlererkennung ermöglichen. Angesichts technischer Innovationen, wechselnder Verbraucherwünsche und des globalen Wettbewerbs erlaubt die Digitalisierung im Idealfall eine agile Anpassung der Produktionsprozesse, sodass Unternehmen flexibel auf Marktanforderungen reagieren können, ohne Qualitätsverluste zu erleiden.

Trotz der klaren Vorteile der Digitalisierung hinkt die Klebetechnik bei der Einführung von Industrie-4.0-Konzepten noch hinterher. Dies liegt vor allem an der Komplexität der Klebeprozesse, die oft über mehrere Arbeitsstationen und einen langen Zeitraum hinweg gesteuert werden müssen [2]. Jede Prozessstufe erfordert eine präzise Steuerung kritischer Parameter wie Klebstoffeigenschaften, Umgebungsbedingungen und Maschinenkonfigurationen. Dies setzt eine hohe Expertise und umfassende Datenintegration voraus. Hinzu kommen hohe Investitionskosten sowie der Schulungsbedarf der Mitarbeiter. Dennoch ist die Digitalisierung unausweichlich, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern und die Potenziale dieser Technologien vollständig zu nutzen.

Kleben und Klebeprozesse

Das Kleben hat in der Industrie an Bedeutung gewonnen, insbesondere in Bereichen wie Automobilbau [3], Luftfahrt [4], Elektronik [5], Maschinenbau [6] und Bauwesen [7]. Kleben bietet gegenüber Schweißen oder Schrauben den Vorteil, verschiedenste Materialien wie Metalle, Kunststoffe und Verbundwerkstoffe zu verbinden und eine gleichmäßige Spannungsverteilung zu ermöglichen [8, 9]. Im Vergleich zu mechanischen Verbindungen werden Belastungen besser auf größere Flächen verteilt, und im Gegensatz zum Schweißen wird die strukturelle Integrität der Werkstoffe nicht beeinträchtigt [10]. Die Eigenschaften des Klebstoffs, wie z. B. seine Zusammensetzung (reaktiv, lösungsmittelhaltig, UV-härtend), hängen von den zu verbindenden Substraten und den zu übertragenden Lasten ab [11]. Anders als das Setzen eines Nietes oder einer Schraube ist das Kleben jedoch, ähnlich dem Schweißen, komplex und erfordert präzise abgestimmte Phasen [12]. Mit Schwerpunkt der Oberflächenvorbereitungs-, Klebstoffauftrags-, Füge- und Aushärtungsphase (in Bild 1 angedeutet) existieren zahlreiche Parameter, die miteinander ganzheitlich zu orchestrieren sind.

Bild 1 Auswahl wichtiger Prozessschritte und -parameter bei einem Klebeprozess
Bild 1

Auswahl wichtiger Prozessschritte und -parameter bei einem Klebeprozess

Zunächst erfolgt die Oberflächenvorbereitung; Verunreinigungen werden entfernt und die Oberfläche gezielt für den Klebeprozess vorbehandelt, um optimale Bedingungen für die Adhäsion zu gewährleisten. Hierfür kommen chemische (Ätzen), mechanische (Schleifen) oder physikalische (Plasma) Methoden zum Einsatz, welche spezifisch auf die Kombination von Klebstoff und Fügeteilen abgestimmt sind [13]. Danach wird der Klebstoff in der Auftragsphase sorgfältig aufgetragen. Hierbei muss sichergestellt werden, dass der Klebstoff an den vorgesehenen Positionen in der vorgegebenen Menge fehlerfrei appliziert wird, beispielsweise eine lange Klebstoffraupe mit vorgegebenem Querschnitt ohne Unterbrechungen oder Lufteinschlüsse. In der Fügephase werden die Bauteile zusammengeführt, um den Klebstoff gleichmäßig auf beide Fügepartner so zu verteilen, wie es im Entwurf vorausberechnet wurde. Dies erfolgt entweder durch Vorgabe von Spaltgrößen oder unter kontrolliertem Druck; bei diesem Prozess sollten keine Luftblasen entstehen. Hierbei muss eine möglichst genaue Positionierung und Fixierung (auch während der nachfolgenden Aushärtung) gewährleistet werden. Danach härtet der Klebstoff in der Aushärtungsphase. Je nach Art des Klebstoffs erfolgt die Aushärtung durch chemische Reaktionen, Verdunstung oder UV-Strahlung. In den allermeisten Fällen ist der Aushärtefortschritt sehr stark von den Umgebungsbedingungen, insbesondere der Temperatur, abhängig. Ist die Temperatur zu niedrig, verläuft die Aushärtung (viel) langsamer bzw. kommt gar nicht zustande.

Stand der Digitalisierung in der Klebetechnik

Die Digitalisierung in der Klebetechnik hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, wobei der Reifegrad je nach Branche variiert. Im Fokus stehen die Steigerung der Prozesseffizienz, die Qualitätssicherung, die Rückverfolgbarkeit und die Integration in automatisierte Systeme. Besonders der Einsatz von Künstlicher Intelligenz spielt eine zentrale Rolle, um die wachsenden Datenmengen, zum Beispiel von hochpräzisen Sensoren, effizient zu verarbeiten. Im Rahmen der Recherche wurden sechs Digitalisierungsfelder (Bild 2) identifiziert, die nachfolgend beschrieben werden.

Bild 2 Digitalisierungsfelder der Klebetechnik
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Digitalisierungsfelder der Klebetechnik

Der Einsatz robotergesteuerter Applikationssysteme revolutioniert die Klebstoffanwendung in der industriellen Fertigung. Diese Technologie ermöglicht präzise, gleichmäßige Applikationen und verbessert die Wiederholgenauigkeit maßgeblich. Durch die Automatisierung werden die Produktionsgeschwindigkeit erhöht, Durchlaufzeiten minimiert und die Produktivität gesteigert. Eine zentrale Innovation ist die Implementierung bildbasierter Sensorsysteme, die kinematische Abweichungen und Werkstückverformungen in Echtzeit erfassen. Laserlinientriangulationssensoren ermöglichen es, die Trajektorie der Roboterarme kontinuierlich anzupassen, wodurch strikte Prozesstoleranzen eingehalten werden können. Abstandssensoren handhaben unbekannte Oberflächengeometrien mithilfe eines modellfreien Regelungsverfahrens, das sowohl den Abstand zwischen Applikator und Oberfläche steuert als auch die Werkzeugorientierung anpasst. Zudem wird am Einsatz von Large Language Modellen zur sprachbasierten Programmierung von robotergesteuerten Applikationssystemen geforscht. Die kombinierte Nutzung dieser Technologien führt zu einem signifikanten Fortschritt in der Effizienz und Präzision von Klebeprozessen. Robotergestützte Applikationssysteme optimieren die Klebstoffverarbeitung und gestalten sie zukunftssicher, was einen entscheidenden Schritt in Richtung automatisierter, flexibler und qualitativ hochwertiger Fertigung darstellt.

Die digitale Prozessüberwachung und Qualitätskontrolle sind entscheidend für Effizienz und Produktqualität in der Klebetechnik. Moderne Sensoren und Monitoring-Systeme überwachen in Echtzeit Parameter wie Klebstoffmenge, Temperatur und Aushärtebedingungen. Diese kontinuierliche Überwachung ermöglicht eine frühzeitige Fehlererkennung, bevor Fehler das Endprodukt negativ beeinflussen. Inline-Sensorik erfasst wichtige Parameter direkt während des Klebeprozesses und erkennt Verunreinigungen, um die Verwendung qualitativ hochwertiger Materialien sicherzustellen. Fortschrittliche Systeme zur Kontaminations-überwachung halten Klebeflächen in optimalem Zustand und verbessern die Adhäsion. Optische Sensoren, wie Laser- und Kamerasysteme, messen Abweichungen der Kleberaupen und ermöglichen eine präzise Analyse der Applikation in Echtzeit mittels KI. Hierbei wird an echtzeitfähigen Bildverarbeitungsmethoden mittels Edge-Computing geforscht. Ein innovativer Aspekt sind zudem mechanochrome Klebstoffe, die Farbänderungen unter mechanischer Belastung zeigen. Sie ermöglichen die optische Selbstüberwachung des Adhäsionszustands und können zur präventiven Warnung vor möglichem Versagen des Klebeprozesses genutzt werden.

Die Störungserkennung und zustandsbasierte Instandhaltung sind in der modernen Klebetechnik von hoher Bedeutung. Die frühzeitige Erkennung potenzieller Störungen ist in automatisierten Klebeanlagen mit präzisen Dosiersystemen entscheidend, um Ausfälle zu vermeiden und die Produktivität zu steigern. Die Echtzeitüberwachung und -analyse relevanter Betriebsdaten stellt sicher, dass die Maschinen optimal arbeiten. Moderne Frühwarnsysteme nutzen KI, um Muster in den Daten zu erkennen und Anomalien wie Änderungen der Klebstoffviskosität frühzeitig zu identifizieren. So können präventive Maßnahmen ergriffen und die Produktivität erhöht werden. Die zustandsbasierte Instandhaltung markiert einen grundlegenden Wandel in der Wartungsstrategie, besonders in der Klebetechnik. Statt fester Intervalle basiert sie auf aktuellen Betriebs- und Verschleiß-daten. Überwachungssysteme verfolgen kontinuierlich kritische Komponenten wie Mischsysteme oder Dosierer. Integrierte Software erkennt Störungen und gibt Einblick in den Anlagenzustand. Teile, wie z. B. Düsen, werden nur bei tatsächlichem Verschleiß getauscht, was planbare Wartung, weniger Stillstandszeiten und eine höhere Produktqualität ermöglicht.

Digitale Zwillinge und Simulation ermöglichen durch die präzise Nachbildung der Klebeprozesse eine signifikante Steigerung der Effizienz, Qualität und Flexibilität. Der digitale Zwilling erfasst in Echtzeit Daten der realen Anlage, wie Betriebszustände, Materialflüsse und Umgebungsbedingungen, und nutzt diese für Analysen und Simulationen, womit sich die Klebeprozesse optimieren lassen. Zudem profitieren Schulungen vom digitalen Zwilling [14]. Die virtuelle Darstellung des Produktionsprozesses kann als Trainingsplattform dienen, um das Verständnis für komplexe Abläufe zu vertiefen und Einarbeitungszeiten zu verkürzen. Mittels KI können praxisnahe Störungsszenarien simuliert und interaktiv analysiert werden. Darüber hinaus wird Unternehmen durch die Kombination von digitalem Zwilling und Zustandsüberwachung ermöglicht, präventive Wartungsmaßnahmen zu planen und die Lebensdauer ihrer Anlagen zu verlängern. Durch Simulation lässt sich testen, wie Veränderungen in Applikationstechnik, Klebstoffzusammensetzung oder Umgebungsbedingungen, etwa Temperatur und Feuchtigkeit, die Viskosität des Klebers beeinflussen. Dies ermöglicht eine gezielte Prozessoptimierung und weniger Materialverschwendung.

Datenvisualisierung und Benutzerassistenz erleichtern Mitarbeitern den Umgang mit komplexen Daten und fördern fundierte Entscheidungen [15]. Zusammenhänge und Erkenntnisse aus großen Datenmengen verschiedener Quellen werden verständlich aufbereitet und angezeigt, sodass sowohl Techniker als auch Manager relevante Informationen erhalten, die sie in ihrem Arbeitsalltag unterstützen. Intuitive Benutzeroberflächen und Dashboard-Lösungen ermöglichen es, den Zustand der Anlagen auf einen Blick zu erfassen und wichtige Leistungskennzahlen zu überwachen. Alarme und Benachrichtigungen fördern schnelles Handeln in Notfällen. Zudem können intelligente Assistenzsysteme den Anwender durch gezielte Empfehlungen unterstützen, wodurch die Bedienerfahrung verbessert und das Know-how innerhalb des Unternehmens gefördert wird. Eine durchdachte Benutzerassistenz unterstützt auch bei der Schulung neuer Mitarbeiter, zum Beispiel in Kombination mit einem digitalen Zwilling.

Datenintegration und Vernetzung vereinheitlichen und integrieren in der modernen Klebetechnik Daten, z. B. von Maschinen, Sensoren, ERP-Systemen und Qualitätsmanagement-Tools, um den maximalen Nutzen aus diesen Informationen zu ziehen. Beispielsweise können Produktionsdaten, wie Maschinenlaufzeiten und Klebeparameter, mit Qualitätsdaten, wie Festigkeitstests und Ausschussraten, verknüpft werden. Solche Analysen helfen, Ursachen für Qualitätsprobleme zu identifizieren und zu beheben. Die Vernetzung schafft die Grundlage für den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Systemen, ob direkt oder indirekt, und ermöglicht so die Nutzung vieler der anderen vorgestellten Digitalisierungsfelder wie digitale Zwillinge oder Stö-rungserkennung. Sie ist somit von höchster Bedeutung, um die Vorteile von Industrie 4.0 – nicht nur im Kontext der Klebeindustrie – nutzen zu können.

Herausforderungen der Digitalisierung

Die Digitalisierung in der Klebetechnik bietet ein großes Potenzial zur Optimierung von Produktionsprozessen, zur Steigerung der Effizienz und zur Verbesserung der Produktqualität. Allerdings gibt es mehrere Herausforderungen bei der Umsetzung. Im Folgenden werden die Herausforderungen in den sechs Digitalisierungsfeldern (Bild 3) näher erläutert.

Bild 3 Herausforderungen in den Digitalisierungsfeldern
Bild 3

Herausforderungen in den Digitalisierungsfeldern

Die Einführung robotergesteuerter Applikationssysteme erfordert nicht nur erhebliche Investitionen in Ausrüstung und Software, sondern auch eine umfassende Schulung der Mitarbeiter, um die neuen Systeme effektiv zu bedienen und optimale Ergebnisse zu erzielen. Zudem müssen Schulen und Ausbildungsstätten angepasst werden, um zukünftige Fachkräfte auf die Anforderungen der automatisierten Klebetechniken vorzubereiten. Weiterhin müssen Roboter in der Lage sein, sich schnell und flexibel an veränderte Produktionsanforderungen anzupassen, um verschiedene Anwendungen und Produkte effizient zu verarbeiten.

Bei der Einführung von digitalisierter Prozessüberwachung und Qualitätskontrolle muss zunächst ermittelt werden, welche Sensordichte, Messfrequenz, Messgenauigkeit und andere Parameter für die nachfolgenden Schritte der Datenanalyse, wie beispielsweise durch den digitalen Zwilling oder bei der Störungserkennung, benötigt werden. Eine weitere Herausforderung ist die geeignete Filterung und Vorverarbeitung der großen Mengen an Daten, die optimalerweise mittels Edge-Computing sensornah stattfindet.

Für die Störungserkennung und zustandsbasierte Instandhaltung sind fehlende Daten und unzureichende Datenerfassung häufige Hürden. Diese werden in großen Mengen benötigt, um verlässliche Algorithmen für die Anomalie-Detektion und Störungsdiagnose zu entwickeln. Auch die Echtzeitfähigkeit dieser intelligenten Algorithmen ist eine Herausforderung. Hier muss ein akzeptabler Kompromiss zwischen Performance und Rechenzeit gefunden werden.

Die Herausforderungen bei der Entwicklung Digitaler Zwillinge und Simulationen sind die genaue Modellierung der realen Prozesse. Modelle müssen die Realität physikalisch ausreichend abbilden, ohne zu detailliert zu sein, um lange Berechnungszeiten zu vermeiden. Bei gezielten Simulationen zur Untersuchung spezifischer Aspekte sind längere Rechenzeiten akzeptabel, dürfen jedoch den Zeitrahmen für die Technologieeinführung nicht überschreiten. Zudem erfordert die zunehmende Komplexität von Prozessen, dass digitale Zwillinge auch in größeren Maßstäben wirksam bleiben, was die Skalierung von Modellen und Simulationen für große Systeme erschwert.

Die Datenvisualisierung und Benutzerassistenz müssen die oft vielschichtigen Zusammenhänge und Einsichten aus umfangreichen Datenmengen nachvollziehbar vermitteln. Die zentrale Herausforderung besteht darin, benutzerfreundliche Werkzeuge zu entwickeln, die es den Anwendern erlauben, auch hochkomplexe Datenstrukturen intuitiv zu erfassen und zu interpretieren. Eine geringe Akzeptanz solcher Tools birgt das Risiko, dass entscheidungsrelevante Analysen ungenutzt bleiben und somit der Mehrwert der implementierten Systeme erheblich gemindert wird.

Bei der Datenintegration und Vernetzung stellen unterschiedliche Datenformate, proprietäre Systeme und mangelnde Standardisierung Hindernisse dar, die es zu überwinden gilt. Eine strategische Planung und Umsetzung sind daher von entscheidender Bedeutung, um Informationen aus verschiedenen Quellen zu bündeln und in einem kohärenten System bereitzustellen. Investitionen in Middleware sowie in standardisierte Schnittstellen können dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen und eine nahtlose Datenintegration zu gewährleisten. Zudem wird der Aspekt der Cybersicherheit immer wichtiger, um Daten und Erkenntnisse vor unbefugtem Zugriff zu schützen.

Diese Herausforderungen bedeuten auch einen Paradigmenwechsel, wie er durch die Digitalisierung in vielen Branchen, einschließlich der Klebetechnik, eingeleitet wird. Dies beinhaltet eine offenere und anpassungsfähigere Unternehmenskultur, um den Widerstand gegen Veränderungen zu überwinden. Dies erfordert neben Investitionen und der Einführung von neuen Technologien eine ganzheitliche Strategie, um den Wandel erfolgreich zu gestalten und die Potenziale der Digitalisierung auch unternehmenskulturell optimal zu nutzen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die deutsche Klebeindustrie ist international hervorragend positioniert, muss aber das Potenzial der Digitalisierung und Industrie 4.0 nutzen, um diese Stellung beizubehalten. Der komplexe Prozess des industriellen Klebens erschwert dieses Vorhaben, bringt aber im Umkehrschluss durch die Digitalisierung auch hohes Optimierungspotenzial. Im Beitrag wurden sechs wesentliche Digitalisierungsfelder der Klebeindustrie herausgearbeitet, welche für die Technologieeinführung adressiert werden müssen, wie z. B. die Qualitätskontrolle, Störungserkennung und die Datenintegration des mehrstufigen Prozesses. Jedes dieser Digitalisierungsfelder birgt Herausforderungen, von Schnittstellenproblematiken bis hin zu fehlender Datenerfassung. Nichtsdestotrotz muss die Digitalisierung in der deutschen Klebetechnik eingeführt werden, um international weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Rahmen des Forschungsprojekts DigiKleb werden für die angesprochenen Herausforderungen entsprechende Lösungsansätze in den jeweiligen Digitalisierungsfeldern entwickelt und im nationalen Demonstrationszentrum Klebetechnik am IFAM in Bremen umgesetzt. Dies betrifft die reale Implementierung von digitalen Zwillingen, KI-gestützter Störungserkennung sowie die Nutzung moderner Kommunikationsprotokolle, um die Möglichkeiten der Digitalisierung erlebbar zu machen.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Advisory-Board-Mitgliedern des ZWF-Sonderheftes wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer-Review).



Tel.: +49 (0) 421 218-50123

Funding statement: Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projekts „DigiKleb – Digitalisierung von Klebprozessen in der Fahrzeugindustrie“, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter dem Kennzeichen 13IK030H gefördert wird.

About the authors

Dr.-Ing. Michael Lütjen

Dr.-Ing. Michael Lütjen leitet die Abteilung Data Analytics und Prozessoptimierung am BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH an der Universität Bremen.

Markus Kreutz

Markus Kreutz, M. Sc., arbeitet als Wisenschaftlicher Mitarbeiter am BIBA – Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH an der Universität Bremen.

Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag

Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag ist Direktor des BIBA und leitet das Fachgebiet Planung und Steuerung produktionstechnischer und logistischer Systeme (PSPS) im Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen.

Tobias Evers

Tobias Evers, M. Sc., ist Doktorand in der Arbeitsgruppe Kleben von Strukturen am Fraunhofer IFAM.

Dr. ès Sc. Till Vallée

Dr ès Sc. Till Vallée ist Leiter der Arbeitsgruppe Kleben von Strukturen am Fraunhofer IFAM.

Frank Mohr

Dipl.-Ing. Frank Mohr ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IFAM.

Literatur

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Published Online: 2025-03-27
Published in Print: 2025-03-20

© 2025 Michael Lütjen, Markus Kreutz, Michael Freitag, Tobias Evers, Till Vallée und Frank Mohr, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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Downloaded on 6.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zwf-2024-0134/html?srsltid=AfmBOootoSa9M33KdoYFjXiDjMv4x673IHdEYGQD0Jyhq1cyTk0LvJwc
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