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Optimierung von Entwicklungsprozessen durch KI-gestütztes Generatives Engineering und Design

Ein methodisches Vorgehensmodell
  • Detlef Gerhard

    Prof. Dr.-Ing. Detlef Gerhard ist seit 2019 Professor für Digital Engineering an der Ruhr-Universität Bochum und war zuvor seit 2006 Professor für Maschinenbauinformatik an der TU Wien. Sein Lehrstuhl beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit den Themen Virtuelle Produktentwicklung, Model Based Systems Engineering, Mixed Reality und Product Lifecycle Management. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind KI-gestützte Methoden und Werkzeuge für Assistenzsysteme und Konstruktionsautomatisierung.

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    , Matthias Neges

    Dr.-Ing. Matthias Neges ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Digital Engineering, promovierte 2014 zum Thema Mixed Reality und beschäftigt sich mit verschiedenen Themen der virtuellen Produktentwicklung. Sein Schwerpunkt liegt aktuell auf dem Einsatz von KI-Werkzeugen im Produktentwicklungsprozesse, dem Generative Design, der Design Automation sowie der Anwendung von Simulation-Surrogate Models.

    , Timo Köring

    Timo Köring, M. Sc., ist seit 2021 Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Digital Engineering, und promoviert zum Thema Generative Engineering und Design. Er beschäftigt sich mit den Themenfeldern der virtuellen Produktentwicklung und dem Product Lifecycle Management. Sein Schwerpunkt liegt vor allem in der Kombination der Themenfelder Generative Engineering und Designs sowie Design Automation.

    and Mohammad Uzair

    Mohammad Uzair hat Computational Engineering an der Ruhr-Universität Bochum studiert und arbeitet als Solution Engineer/Academy für Synera GmbH in Bremen. Im Rahmen seiner Masterarbeit hat er das Thema „Automated Design Generation of Fluid Manifolds“ behandelt.

Published/Copyright: March 27, 2025

Abstract

KI unterstützt datenbasierte Entscheidungsfindung, die automatisierte Analyse von Entwurfsparametern und die Optimierung von Varianten. Neue Tools im Bereich „Generative Engineering and Design“ (GE & D) bieten vielfältige methodische und anwendungsspezifische Möglichkeiten. Dieser Beitrag stellt ein Vorgehensmodell vor, das den Einsatz von GE & D von der Festlegung der Rahmenbedingungen bis zur Lösungsgenerierung und -exploration umfasst und den Mehrwert der Methoden anhand eines Beispiels diskutiert.

Abstract

AI supports data-based decision-making, the automated analysis of design parameters, and the optimization of variants. New tools in the field of “Generative Engineering and Design” (GE & D) offer a wide range of methodological and application-specific possibilities. This article presents a process model that covers the use of GE & D from the definition of boundary conditions to solution generation and exploration and discusses the added value of the methods based on an application example.

Einleitung

Die aktuellen und massiven technologischen Fortschritte im Umfeld des maschinellen Lernens (ML) und der generativen KI, insbesondere bei großen Sprachmodellen (LLM), bei natürlicher Sprachverarbeitung (NLP) und bei evolutionären Algorithmen, eröffnen vielfältige neue Möglichkeiten zur Assistenz bzw. zur Unterstützung ingenieurtechnischer Aufgaben der Produktentwicklung. Dies manifestiert sich auch in einer Vielzahl unterschiedlicher Ansätze und einer neuen Generation von Software-Werkzeugen unter dem Überbegriff „Generative Engineering and Design“ (GE & D). Neben den enormen Fortschritten bei Verfahren und Algorithmen des maschinellen Lernens sind die nahezu unbegrenzten Rechen- und Speicherkapazitäten des Cloud Computings die wesentlichen Treiber, die diesen technologischen Sprung bei GE & D-Software seit den frühen 2010er-Jahren ermöglicht haben. GE & D-Werkzeuge unterscheiden sich in ihrer Funktionalität und Systematik, in ihren Anwendungsbereichen und damit in den Möglichkeiten, die sie zur Etablierung neuer Prozesse und Methoden im Engineering bieten. Die Berücksichtigung und Integration von treibenden Anwendungen wie beispielsweise Topologieoptimierung, Trade-off-Analyse, Design Space Exploration und Design Automation geschieht auf unterschiedliche Weise.

Eine generelle Verlagerung der Funktionalität dahingehend, dass zunehmend der Syntheseprozess in der Produktentwicklung unterstützt wird, ist jedoch deutlich erkennbar. Synthese als oft kreativer Prozess, der iterativ verläuft, in dem verschiedene Lösungsideen ausprobiert, abgewogen und angepasst werden, um die beste Lösung für gegebene Anforderungen zu finden, wird mit etablierten CAx-Werkzeugen nur in geringer Weise unterstützt. GE & D-Werkzeuge der neuen Generation unterstützen jedoch auch die Entwicklung von Konzepten und potenziellen Lösungen ebenso wie die Strukturierung und Kombination von Lösungsbausteinen, also Kernaufgaben der Synthese in Engineering-Prozessen.

KI als Technologie liefert jedoch nicht nur in erster Linie eine Basis für Effizienzsteigerungen im Digital Engineering, sondern hat einen deutlichen Einfluss auf die grundsätzliche Art und Weise, wie Produkte und einzelne Bauteile als Lösungselemente konzeptioniert, entworfen und validiert werden. GE & D-Werkzeuge ermöglichen und fördern den Übergang von eher starren, sequenziellen Entwicklungsprozessen mit detaillierten, vordefinierten Spezifikationen und größeren Iterationsschritten hin zu einem agilen und zielorientierten Entwicklungsmodell und sind damit auch ein Treiber für innovative Lösungen. Leistungsziele, die als kritische Erfolgsfaktoren für ein Produkt identifiziert wurden, werden zum Ausgangspunkt des Produktentwicklungsprozesses gemacht. (engl. Performance Driven Design oder Design by Objective). Die Generierung und Ausgestaltung von Lösungsbausteinen im Entwicklungsprozess erfolgt flexibel nach diesen Zielen, aber auch evidenzbasiert durch gezielte Verwendung geeigneter Daten, z. B. aus dem Feld, und entsprechenden Auswertealgorithmen (engl. Data Driven oder Algorithm Based Design).

Während Entwicklung und Konstruktion bislang stark durch explizite Modellierung und manuelle Iterationen geprägt sind, wird mit GE & D-Werkzeugen der Fokus auf die Definition von Randbedingungen und das Bewerten von automatisiert generierten Lösungsalternativen verschoben. Durch den Einsatz von Optimierungstechniken werden die optimalen Werte für treibende Entwurfs- und Auslegungsparameter bestimmt, die zu einer Lösung führen, welche die Leistungsziele bestmöglich erfüllt und dabei alle relevanten Randbedingungen und Vorgaben berücksichtigt.

Trotz ihres Potenzials ist die Integration von KI-gestützten Digital-Engineering-Methoden und -Werkzeugen in aktuelle Produktentwicklungsprozesse jedoch noch nicht weit verbreitet und steht erst am Anfang der industriellen Anwendung [1]. Daher besteht die Aufgabe insbesondere auch darin, Produktentwicklungsprozesse und Digital Engineering neu zu gestalten, die Möglichkeiten neuer Technologien im Prozess systematisch zu analysieren, die Entwicklungsmethoden zu adaptieren und entsprechende IT-Werkzeuge zu integrieren. Ein klares Struktur- und Vorgehensmodell ist notwendig, um einen methodischen Leitfaden im Hinblick auf Potenziale und Grenzen für ingenieurtechnische Aufgabenstellungen zu liefern.

Einordnung und Kategorisierung von GE & D-Werkzeugen

Es gibt zahlreiche Ideen, die verschiedenen Tätigkeiten im Produktentwicklungsprozess, insbesondere in den frühen Phasen, mithilfe von KI-Ansätzen zu unterstützen [2]. Bild 1 zeigt beispielhaft Anwendungsmöglichkeiten von KI-Methoden und -Verfahren in der Produktentwicklung, eingeordnet in das V-Modell nach VDI 2206. Entweder ersetzen diese die herkömmlichen Ansätze oder sie sind im Sinne einer Assistenz ergänzend und liefern weitaus bessere Ergebnisse im Sinne der Qualität oder Quantität, beispielsweise durch signifikante Reduktion des Aufwands für bestimmte Arbeitsschritte.

Bild 1 Beispielhafte Einordnung von KI-Verfahren und - Methoden im Produktentwicklungsprozess (i. A. an das V-Modell nach VDI 2206 [2])
Bild 1

Beispielhafte Einordnung von KI-Verfahren und - Methoden im Produktentwicklungsprozess (i. A. an das V-Modell nach VDI 2206 [2])

GE & D-Werkzeuge unterstützen Produktentwicklungstätigkeiten vor allem von der Endphase der Ideenfindung und Konzeptentwicklung über die Kernphase der Entwicklung und Implementierung von Lösungskomponenten bis hin zu Simulations- und Validierungsaufgaben im Rahmen der Systemintegration. Dies umfasst besonders aber auch die kurzschrittigen Iterationen im Sinne direkt in den Entwicklungsprozess integrierter Absicherungen und Validierungen im Rahmen agiler Prozesse.

Softwareanbieter interpretieren und implementieren GE & D im Rahmen ihrer Lösungen unterschiedlich, was sich in der Vielfalt der Anwendungen im Maschinenbau, aber auch in Elektrotechnik, Architektur und Bauingenieurwesen widerspiegelt. Gemeinsam ist allen Ansätzen jedoch, dass sie Daten und Algorithmen nutzen, um verschiedene Designs oder alternative Lösungen basierend auf benutzerdefinierten Randbedingungen zu generieren und damit einen zunächst breiten Lösungsraum aufbauen bzw. explorativ erkunden. Der Fokus liegt auf der generativen Erstellung geometrischer Formen für Bauteile und andere Anwendungen. Das Ziel ist es, durch robuste und präzise Modelle, die zahlreiche Randbedingungen und Konstruktionsanforderungen wie Lasten, Materialbeschränkungen, Herstellungsprozesse, aber auch ökonomische und ökologische Überlegungen berücksichtigen, innovative und realisierbare Entwürfe zu generieren [3].

Während die etablierten CAD-Softwarehersteller auf ihre bewährten Softwareumgebungen setzen und diese um GE & D-Funktionalitäten erweitern, gewinnen seit einigen Jahren auch neue Anbieter Anteile am Markt. Ein Ansatz ist die Nutzung von block- und funktionsorientierten Umgebungen, vergleichbar mit Low-Code-Programmierumgebungen. Mit diesen Lösungen können im Sinne von Design Automation verschiedene Autorentools im Prozess automatisiert angesprochen sowie Daten ausgetauscht und weiterverarbeitet werden. Durch die einfache Variation der Eingangsparameter oder auch automatisch initiierte Parameterwechsel können nicht nur geometrische Variationen des Designs erzeugt werden, sondern auch im Anschluss durchgeführte Simulationen direkt in Berechnungsergebnisse überführt werden. Dies birgt enormes Potenzial zur synthetischen Datengenerierung für KI-Trainingsdatensätze. Mit diesen lassen sich beispielsweise Sim ulation-Surrogate Models aufbauen, die zur Vorhersage eines Verhaltens ein vorab trainiertes KI-Modell nutzen, ohne den Weg der durchgeführten Simulation gehen zu müssen. Infolgedessen lassen sich die Auswirkungen geometrischer Änderungen direkt auswerten, und eine finale Simulation dient lediglich als abschließende Validierung [4].

GE & D-Vorgehensmodell im Entwicklungsprozess

Der Entwicklungsprozess wird durch den Einsatz von GE & D grundlegend verändert. Diese Veränderungen und die Auswirkungen werden in im Bild 2 dargestellten Vorgehensmodell für die Anwendung von GE & D-Softwaretools berücksichtigt. Das Vorgehensmodell zeigt im Vergleich zur bisherigen Entwicklung eine Unterscheidung zwischen Interaktion mit dem Benutzer und softwareinternen Prozessschritten. Daher stellt das Vorgehensmodell ein methodisches Framework zur Arbeit und Integration des Prinzips von Generative Engineering und Design in der Produktentwicklung dar.

Bild 2 GE & D-Vorgehensmodell im Entwicklungsprozess
Bild 2

GE & D-Vorgehensmodell im Entwicklungsprozess

Aufgrund der bereits existierenden Breite an Softwarelösungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten muss zunächst das passende System für die jeweiligen Anwendungsbereiche bzw. Problemstellungen identifiziert werden. Diese können Konstruktion, Automatisierung oder Modellierung umfassen und reichen von Einzelteilen bis hin zu Baugruppen. Für den Einsatz von GE & D ist im Sinne einer vollumfänglichen Problembeschreibung eine präzise und umfassende Definition der Randbedingungen, Ziele und Entwurfsvariablen wie Geometrien, Materialien und Fertigungsprozesse notwendig.

Nachdem die Randbedingungen an die Software übermittelt wurden, startet der in der Software automatisierte Ablauf. Dieser umfasst die drei Hauptschritte Generierung, Evaluation und Parameteroptimierung zur Bestimmung des Lösungsraums.

  1. Generierung

    In diesem Schritt erzeugt ein Algorithmus, basierend auf den definierten Randbedingungen und Entwurfsvariablen, verschiedene Lösungsansätze. Die Anzahl und Art der generierten Lösungen hängen von den eingesetzten Softwarewerkzeugen und der Komplexität des Entwurfsraums ab. Hier können sowohl manuell festgelegte Parameter als auch DoE-Methoden (Design of Experiment) zur systematischen Erkundung des Problemraums verwendet werden.

  2. Evaluierung

    Die generierten Lösungen werden anschließend bewertet. Diese Bewertung erfolgt sowohl nach objektiven Kriterien, wie z. B. Volumen, Gewicht und Festigkeit, als auch nach subjektiven Kriterien, wie z. B. Ergonomie, Ästhetik und Herstellbarkeit. Die Kombination von mathematischen Funktionen, Simulationen und maschinellem Lernen unterstützt dabei, sowohl Einzel- als auch Mehrfachziele zu berücksichtigen und optimale Lösungsvorschläge zu identifizieren. Maschinelles Lernen erkennt dabei Muster und ermöglicht eine fundierte Entscheidungsfindung.

  3. Parameteroptimierung

    Die Entwurfsoptionen werden in diesem Schritt weiter optimiert, um den Lösungsraum zu verfeinern bzw. den vielversprechendsten Lösungsansatz zu ermitteln und zu verbessern.

Der Prozess ist iterativ, d. h. nach jeder Optimierung erfolgt eine erneute Generierung und Bewertung der Entwürfe, bis ein oder mehrere finale Ergebnisse den Anforderungen und Zielen entsprechen und somit den Lösungsraum vollständig erschließen. Diese Methode ermöglicht es, mehrere Leistungsziele, die sowohl durch objektive als auch durch subjektive Kriterien geprägt sind, simultan zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.

Nach dem iterativen Durchlauf dieser Schritte erfolgt eine tiefergehende Interpretation und Bewertung der besten Lösungsvorschläge, um die automatisch generierten Lösungsalternativen in den Kontext der realen Anforderungen und Prioritäten des Unternehmens zu stellen. Die Konstrukteure analysieren die Vorschläge nach zusätzlichen, oft komplexeren Kriterien, die über die rein technischen Eigenschaften hinausgehen. Neben den rein konstruktiven Parametern können auch andere Aspekte wie Maschinen- oder Materialverfügbarkeit sowie Kostenaspekte integriert werden.

Die Nachbearbeitung der ausgewählten Lösungen umfasst gezielte Anpassungen und Feinjustierungen, um die ausgewählten Lösungen für die spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen des Unternehmens weiter zu detaillieren. Dies sind insbesondere spezifische Anpassungen, die in den automatisierten Prozessen nicht vollständig berücksichtigt werden können, beispielsweise aufgrund besonderer Anforderungen eines Kunden oder der Produktionsumgebung.

GE & D-Werkzeuge unterstützen bei der Analyse und Optimierung im Sinne einer Assistenz, aber die finale Bewertung und Entscheidung liegen beim Konstrukteur, der die Lösungen in den Kontext der strategischen Unternehmensziele setzt. Die Fähigkeit, automatisiert generierte Ergebnisse zu interpretieren und zu bewerten, rückt damit mehr als bisher in den Vordergrund zukünftiger Ingenieurfähigkeiten, da objektive Leistungsparameter und komplexe Simulationsergebnisse evaluiert und gegeneinander abgewogen werden müssen.

Das GE & D-Vorgehensmodell in der Praxis

Als Anwendungsfall für das GE & D-Vorgehensmodells wird im Folgenden die Auslegung und fluiddynamische Optimierung eines Hydraulik-Verteilerblocks verwendet und diskutiert. Hydraulikböcke werden in vielfältigen Anwendungen für (mobile) Arbeitsmaschinen verwendet und dienen der Steuerung der Flüssigkeitsverteilung in Hydrauliksystemen. Die herkömmliche Fertigung von Hydraulikkomponenten ermöglicht primär geradlinige und rechtwinklige Kanäle zwischen den Anschlüssen in einem massiven, quaderförmigen Block. Traditionell war eine optimierte geometrische sowie strömungstechnische Auslegung aufgrund dieser fertigungstechnischen Beschränkungen nicht erreichbar, obwohl scharfe Kanten und gerade Bohrlöcher zu Druckverlusten und ungewollten Schmutzablagerungen bis hin zum Systemausfall führen können. Die additive Fertigung eröffnet neben einer deutlichen Massereduktion des Bauteils auch eine Optimierung der Kanalführung zwischen den Anschlüssen unter Einbeziehung von strömungsrelevanten Übergängen, Winkeln und Radien, Druckverlusten, aber auch einer Kollisionsvermeidung zwischen Kanälen [5].

Die Hauptaufgabe im Entwicklungsprozess stellt sich dementsprechend unter Berücksichtigung strömungs-, betriebs- und fertigungsrelevanter Merkmale als multikriterielles Optimierungsproblem dar, um die optimalen Kanalpfade und -querschnitte innerhalb des Hydraulikblocks zwischen den Anschlüssen zu finden und ein materialreduziertes Bauteil geometrisch zu bestimmen. Dieser Anwendungsfall wird nachfolgend mithilfe der Software Synera als Low-Code-Plattform zur Workflow-Automatisierung sowie integrierten Simulationswerkzeugen Raphos Physics, HxGN Emendate und Simscale exemplarisch umgesetzt.

Im ersten Schritt innerhalb der Software, der Problembeschreibung, werden die Randbedingungen an das System übertragen. Der konkrete Anwendungsfall ist eine Hydraulikkomponente, die vier Eingänge mit vier Ausgängen verknüpfen soll, ohne eine Kollision oder Verknüpfung zwischen den Kanälen zu erzeugen (Bild 3).

Bild 3 GE & D-Vorgehensmodell im Anwendungsfall Hydraulikblock
Bild 3

GE & D-Vorgehensmodell im Anwendungsfall Hydraulikblock

Im System können die Kanalparameter, beschrieben durch Eingangs- und Ausgangsposition, Durchmesser, Single- oder Multi-Kanalanwendungen sowie die konkreten Optimierungsziele als auch Fertigungsrestriktionen, angegeben werden. Weiterhin können Eingrenzungen im Bezug auf die initialen Generierungsverfahren, die Optimierung im Solver sowie die Randbedingungen für CFD-Simulationen eingepflegt werden. Für die konkrete Umsetzung als Single-Kanal-Anwendung wird ein strömungstechnisch besserer (smoother) Biegungsradius gegenüber einer kürzeren Pfadlänge als Ziel höher gewichtet. Als initiale Generierungsverfahren werden drei verschiedene Strategien zur Generierung der Kanäle, die direkte Verknüpfung, Pathfinder oder Baumverbindungen, für eine spätere Gegenüberstellung und Bewertung gewählt. Zur additiven Fertigung wird ein LBM-Verfahren mit Stahl in X-Richtung mit einem Überhangwinkel von 45 ° angegeben, wobei die Erzeugung als Voxel-basierter Ansatz und als Topologieoptimierung erfolgt. Vernachlässigt wurden hingegen explizit Befestigungspunkte zur Montage. Anschließend startet der softwareinterne, automatisierte Prozess von „Generierung, Bewertung und Parameteroptimierung“. Die Generierung besteht in diesem Fall aus zwei Teilen. Zunächst werden auf Basis der Generierungsmethoden einzelne initiale Punktpfade generiert. Diese Punktpfade dienen zur Generierung der Kanäle. Die Kanäle werden auf Basis der in den Randbedingungen gesetzten Ziele bewertet. Die Anpassung und Optimierung verschiedener Parameter wie der Punkte und Winkel einzelner Kanäle oder der geometrischen Gestaltung zur Fertigung, führen anschließend zum automatisierten iterativen Prozess mit dem Ziel der besten Lösungsfindung auf Basis der integrierten Strategien. Dieser softwareautomatisierte Prozess kann durch die Implementierung innerhalb einer funktionalen Programmierumgebung aktiv im Vorhinein gestaltet und angepasst werden. Neben den verschiedenen Optimierungsstrategien kann auch die Bewertung der Fertigung auf unterschiedliche Weise erfolgen. Die erzeugten Designs erfüllen in der Regel alle gestellten Anforderungen, können aber unterschiedliche Zielwerte in Bezug auf verschiedene Zielgrößen haben oder zum Beispiel unterschiedliche Überhangwinkel verwenden. Bei der Verwendung von unterschiedlichen Explorationsstrategien und Gewichtungen der Kriterien entsteht ein Lösungsraum als Ergebnis aus dem softwareautomatisierten Prozess.

Die Umsetzung innerhalb der funktionalen Programmierumgebung ermöglicht eine individuelle Gestaltung des Prozesses und seine Anpassung an verschiedene Anwendungsfälle. Durch den iterativen, softwareautomatisierten Prozess können automatisch unterschiedliche Lösungen für dieselbe Aufgabenstellung generiert werden. Durch manuelle Anpassungen der Eingangsparameter bzw. -kriterien oder sogar durch die automatisierte Parametervariation kann der Lösungsraum nunmehr beliebig erweitert werden. Während im traditionellen Entwicklungsprozess für die Modellierung, Validierung und Fertigungsvorbereitung ein hoher Zeitaufwand mit vielen Iterationen notwendig ist, werden so unterschiedliche Lösungen automatisch generiert, die die gestellten Anforderungen erfüllen. Die Anzahl an Lösungen mit ihren spezifischen Stärken und Schwächen verdeutlicht den Stellenwert der Interpretation und Bewertung durch den Entwickler im Rahmen des Vorgehensmodell. Alle erstellten Ergebnisse erfüllen die Anforderungen. Die für den konkreten Anwendungsfall sinnvollste Lösung kann nur unter Einbeziehung weiterer Kriterien, wie Stückzahl und Maschinenverfügbarkeit erfolgen. Diese unternehmensspezifischen Kriterien können zu einem gewissen Grad auch in dem Prozess automatisiert integriert werden, lassen jedoch Spielraum für menschliche Entscheidungen. Die Ergebnisse im Anwendungsbeispiel weisen eine hohe Ähnlichkeit zueinander auf. Während die Voxel-basierten Geometrien sehr leichtbauartig sind, sind die topologieoptimierten Bauteile durch ihre Grundplatte mit einer einfachen Nachmodellierung einer Bohrung zur Montage flexibel platzierbar (Bild 4).

Bild 4 Ergebnisse des durchgeführten Anwendungsbeispiels
Bild 4

Ergebnisse des durchgeführten Anwendungsbeispiels

Zusammenfassung und Ausblick

Die Integration von KI in Digital-Engineering-Werkzeuge bietet neue Möglichkeiten zur Transformation von Entwicklungsprozessen technischer Systeme durch datenbasierte Entscheidungsfindung und Automatisierung von CAx-Workflows. GE & D-Tools ermöglichen es, an Leistungsparametern und Zielvorgaben orientierte und optimierte, aber dennoch kreative Entwurfslösungen zu generieren und den Produktentwicklungsprozess agiler und zielorientierter zu gestalten. Dazu ist eine Anpassung der etablierten Vorgehensweisen im Produktentwicklungsprozess erforderlich, und die Tätigkeiten in der Entwicklung verändern sich. Ein Modell dafür wurde in dem Beitrag vorgestellt und anhand eines Fallbeispiels erläutert.

Durch die Nutzung von GE & D-Software verändern oder verlagern sich auch die Tätigkeiten und die benötigten Kompetenzprofile in der Produktentwicklung grundlegend. Anstelle der traditionellen Geometriemodellierung und -validierung rückt die Festlegung von Leistungszielen als kritische Erfolgsfaktoren für das Produkt in den Mittelpunkt. Diese Leistungsziele bilden den Ausgangspunkt der Entwicklung, und mithilfe von Optimierungstechniken werden Parameterwerte bestimmt, die Lösungen hervorbringen, die diese Ziele bestmöglich erfüllen und alle relevanten Randbedingungen berücksichtigen. Andererseits entfallen Routineaufgaben wie das Erstellen erster Entwürfe weitgehend, sodass Produktentwickler sich verstärkt auf die strategische Bewertung von Lösungsalternativen konzentrieren können. Zudem bleibt Raum für Flexibilität und Kreativität in der Nachbearbeitung, um die automatisierten Lösungen individuell anzupassen und so auf das Unternehmen.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Advisory-Board-Mitgliedern des ZWF-Sonderheftes wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer-Review).



Tel.: +49 (0) 234 32-27009

About the authors

Prof. Dr.-Ing. Detlef Gerhard

Prof. Dr.-Ing. Detlef Gerhard ist seit 2019 Professor für Digital Engineering an der Ruhr-Universität Bochum und war zuvor seit 2006 Professor für Maschinenbauinformatik an der TU Wien. Sein Lehrstuhl beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit den Themen Virtuelle Produktentwicklung, Model Based Systems Engineering, Mixed Reality und Product Lifecycle Management. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind KI-gestützte Methoden und Werkzeuge für Assistenzsysteme und Konstruktionsautomatisierung.

Dr.-Ing. Matthias Neges

Dr.-Ing. Matthias Neges ist seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Digital Engineering, promovierte 2014 zum Thema Mixed Reality und beschäftigt sich mit verschiedenen Themen der virtuellen Produktentwicklung. Sein Schwerpunkt liegt aktuell auf dem Einsatz von KI-Werkzeugen im Produktentwicklungsprozesse, dem Generative Design, der Design Automation sowie der Anwendung von Simulation-Surrogate Models.

Timo Köring

Timo Köring, M. Sc., ist seit 2021 Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Digital Engineering, und promoviert zum Thema Generative Engineering und Design. Er beschäftigt sich mit den Themenfeldern der virtuellen Produktentwicklung und dem Product Lifecycle Management. Sein Schwerpunkt liegt vor allem in der Kombination der Themenfelder Generative Engineering und Designs sowie Design Automation.

Mohammad Uzair

Mohammad Uzair hat Computational Engineering an der Ruhr-Universität Bochum studiert und arbeitet als Solution Engineer/Academy für Synera GmbH in Bremen. Im Rahmen seiner Masterarbeit hat er das Thema „Automated Design Generation of Fluid Manifolds“ behandelt.

Literatur

1 Gerschütz, B.; Sauer, C.; Kormann, A. et al.: Digital Engineering Methods in Practical Use during Mechatronic Design Processes. Designs 7 (2023) 4 DOI:10.3390/designs704009310.3390/designs7040093Search in Google Scholar

2 Gerhard, D.; Köring, T.; Neges, M.: Baustein KI – Generative Engineering & Design. (https://www.im-io.de/baustein-ki [Abgerufen am 12.2.2025])Search in Google Scholar

3 Gerhard, D.; Köring, T.; Neges, M.: Generative Engineering and Design – A Comparison of Different Approaches to Utilize Artificial Intelligence in CAD Software Tools. In: Noël, F.; Nyffenegger, F.; Rivest, L.; Bouras, A. (Hrsg.): Product Lifecycle Management. PLM in Transition Times. Springer, Cham 2023, S. 206–215 DOI:10.1007/978-3-031-25182-5_2110.1007/978-3-031-25182-5_21Search in Google Scholar

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Published Online: 2025-03-27
Published in Print: 2025-03-20

© 2025 Detlef Gerhard, Matthias Neges, Timo Köring und Mohammad Uzair, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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