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Der Use-Case-First-Ansatz zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Produktion

Ein Konsortialprojekt des ProKI-Zentrums Aachen
  • Christian Brecher

    Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher schloss sein Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen 1995 ab und promovierte im Jahr 2002 am Werkzeugmaschinenlabor. Er arbeitete bei EADS und DS Technologie, bevor er Professor am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen an der RWTH und Vorstandsmitglied des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik Technology 2004, seit 2018 als geschäftsführender Institutsleiter. Seit 2022 ist er Koordinator des ProKI-Netzes.

    , Lukas Gründel

    Dr. Ing. Lukas Gründel schloss sein Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen 2018 ab und promovierte 2024 am Werkzeugmaschinenlabor. Während seiner Zeit am Lehrstuhl forschte er schwerpunktmäßig im Bereich von roboterbasierten Fräsprozessen. Seit 2023 arbeitete er im Projekt ProKI.

    , Josefine Monnet

    Josefine Monnet, M. Sc., schloss ihr Studium im Fach Automatisierungstechnik im Jahr 2022 ab und ist seitdem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen. Schwerpunktmäßig forscht sie an Themen der flexiblen Automatisierung von roboterbasierten Schleifprozessen. Seit 2022 begleitet sie das Forschungsprojekt ProKI.

    , Julian Keens

    Julian Keens, M. Sc., hat das Studium des Maschinenbaus und der Produktionstechnik 2019 an der RWTH Aachen abgeschlossen und war zunächst in einer führenden Beratung für Digitalisierung tätig und ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Sustainable Quality am Lehrstuhl für Intelligence in Quality Sensing am WZL der RWTH Aachen University. Seit 2022 arbeitet er im Projekt ProKI.

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    , Alexander Frigge

    Alexander Frigge, M. Sc., geb. 1995, studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Dortmund und arbeitet seit 2023 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Manufacturing Technology Institute MTI der RWTH Aachen in der Abteilung für Digitale Transformation.

    and Jonathan Smerz

    Jonathan Smerz, M. Sc., schloss sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens (Fachrichtung Maschinenbau) an der RWTH Aachen im Jahr 2022 ab und ist seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen. Im Rahmen seiner Tätigkeiten liegt der Fokus auf Innovationsprozessen und Umsetzung dieser im Maschinen und Anlagenbau. Seit 2023 begleitet er das Forschungsprojekt ProKI.

Published/Copyright: March 27, 2025

Abstract

Die größte Herausforderung des Einsatzes von KI in der Produktion ist die Anpassung bestehender Lösungen an spezifische Unternehmensanforderungen und die Bewertung ihres wirtschaftlichen Nutzens. Das ProKI-Zentrum Aachen entwickelte den „Use-Case-First-Ansatz“ und erprobte diesen innerhalb eines Konsortialprojektes mit elf Unternehmen. Dabei werden in einem dreistufigen Verfahren Use Cases identifiziert, auf technisches und wirtschaftliches Potenzial geprüft und individuelle Roadmaps erstellt.

Abstract

The biggest challenge of using AI in production is adapting existing solutions to specific company requirements and evaluating their economic benefits. The ProKI Centre Aachen developed the ‘Use Case First Approach’ and tested it within a consortium project with eleven companies. In a three-stage process, use cases are identified, analyzed for technical and economic potential, and individual roadmaps are created.

Motivation

Laut einer Studie des VDW äußern 60 Prozent der teilnehmenden Unternehmen eine hohe Erwartungshaltung an KI-Lösungen [1], was das große Potenzial für die Produktion unterstreicht. Jedoch setzen 2023 laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom nur ca. 15 Prozent der Unternehmen in Deutschland Künstliche Intelligenz (KI) bereits ein [2]. Im verarbeitenden Gewerbe sind es laut ifo-Institut im gleichen Jahr 17,3 Prozent der Unternehmen [3]. Die Fördermaßnahme „Demonstrations- und Transfernetzwerk KI in der Produktion (ProKI-Netz)“, gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), hat das Ziel, den Transfer von KI-Lösungen aus der Forschung in die Industrie zu verstärken. Der Einsatz von KI in der Produktion in deutschen Unternehmen scheitert laut dem VDW oft an Problemen bei der Bewertung des wirtschaftlichen Nutzens (64 %) und Bedenken bei der Anwendbarkeit im eigenen Kontext (64 %) [1]. Der Aachener ProKI-Standort hat mit insgesamt elf Unternehmen im Rahmen der Fördermaßnahme ein Konsortialprojekt durchgeführt, in dem die genannten Hemmnisse durch einen Use-Case-First-Ansatz adressiert wurden.

Vorgehensweise und Struktur des Projekts

Der angewandte Use-Case-First-Ansatz für den Einsatz von KI in der Produktion ist in drei Stufen aufgebaut (Bild 1) und orientiert an dem CRISP-DM-Modell, welches seit seiner Entwicklung im Jahr 2000 nach wie vor als Standard für die Umsetzung von Data-Mining-Projekten gilt [4]. Um geeignete Anwendungsfälle in den Unternehmen zu identifizieren, wurden zunächst in Workshops zwischen den Fachexpert:innen aus den Unternehmen und den KI-Expert:innen des WZL und des MTI der RWTH Aachen die aktuellen Herausforderungen der Unternehmen diskutiert. Dabei wurden viele Parallelen zwischen den Unternehmen identifiziert, die sich beispielsweise mit einem wachsenden Wettbewerbsdruck oder einem zunehmenden Fachkräftemangel konfrontiert sehen. In den Diskussionen wurden spezifische Herausforderungen innerhalb der einzelnen Unternehmen herausgearbeitet, auf deren Basis im späteren Verlauf konkrete Anwendungsfälle identifiziert werden konnten, die für die Nutzung von KI-Algorithmen geeignet sind. Im nächsten Schritt erfolgt eine Bewertung der Potenziale und Herausforderungen. Die Ausgestaltung der Roadmap wird an den sechs Phasen des CRISP-DM angelehnt und gibt den Unternehmen somit einen Ausblick auf die Umsetzung ihrer konkreten KI-Projekte.

Bild 1 Vorgehen der Use-Case-First-Methodik zur Bewertung und Planung von KI-Projekten
Bild 1

Vorgehen der Use-Case-First-Methodik zur Bewertung und Planung von KI-Projekten

Identifizierung der Use Cases

In Workshops werden die Produktion und angrenzende Geschäftsbereiche auf Optimierungspotenziale untersucht. Dafür werden neben der technischen Machbarkeit auch betriebswirtschaftliche und organisatorische Aspekte berücksichtigt. Die Definition der relevanten Kennzahlen stellt dabei die Ausrichtung der KI-Lösungen innerhalb der übergeordneten Geschäftsziele sicher. Zudem findet eine Fokussierung auf die relevantesten Produkte des Unternehmens statt. Weiter wird der bisherige Kenntnisstand der Unternehmen erfragt und. die digitale Infrastruktur hinsichtlich Datenverfügbarkeit und -zugänglichkeit diskutiert. Auf Basis dessen werden die möglichen Use Cases definiert und in Form von Steckbriefen charakterisiert.

Exemplarische Vorstellung an einem Use Case

Die gewonnenen Erkenntnisse werden in diesem Beitrag an einem Use Case exemplarisch vorgestellt. Dieser behandelt die roboterbasierte Beladung von Schleifmaschinen, denen die Bauteile ungeordnet bereitgestellt werden können. Daher wird eine KI-basierte Lokalisierung dieser inklusive einer 6D-Posenbestimmung basierend auf 2D-Kameradaten benötigt. Dieses Feature möchte das Unternehmen gerne übergreifend in seine individuellen Sondermaschinen integrieren und sich so eine verbesserte Marktposition sichern.

Potenziale und Herausforderungen

Die nähere Untersuchung der Use Cases findet im Rahmen von Unternehmensbesuchen statt, wobei ein besonderer Fokus auf die Rahmenbedingungen der jeweiligen Use Cases in der Produktion gelegt wird. Auf dieser Basis können dann die Potenziale und Herausforderungen auf technischer, wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene bewertet werden.

Use Case Roadmaps

Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse erstellt das ProKI-Zentrum für die Unternehmen individuelle Roadmaps für die Umsetzung der jeweiligen KI-Projekte. So werden mit dem Abschluss des Projekts den Unternehmen weitere Informationen für die Umsetzung der KI-Use-Cases mitgegeben.

Potenziale der identifizierten Use Cases

In Anlehnung an den Leitfaden des Fraunhofer IAO [5] werden fünf zentrale Dimensionen (Bild 2) definiert, die eine möglichst ganzheitliche Abschätzung der potenziellen Auswirkungen ermöglichen:

Bild 2 Bewertungsmatrizen für die Beurteilung der Potenziale und Herausforderungen der Use Cases
Bild 2

Bewertungsmatrizen für die Beurteilung der Potenziale und Herausforderungen der Use Cases

  1. Einsparungen

    Diese Dimension bewertet das Potenzial für Kosteneinsparungen durch die Lösung des Problems, einschließlich direkter (z. B. Rohstoff- und Energiekosten) sowie indirekter Einsparungen, besserer Ressourcennutzung und Ausschuss. Die Bewertung gibt Aufschluss darüber, ob die Kosten für die Einführung und den Betrieb der KI durch die zu erwartenden Einsparungen gerechtfertigt sind. Im betrachteten Use Case werden die Einsparungspotenziale als sehr hoch eingestuft, indem vor allem Konstruktionsaufwände reduziert und Sensorik eingespart werden kann.

  2. Produktivität

    Analysiert wird, wie stark die KI zur Effizienzsteigerung beiträgt. Dies umfasst sowohl die Steigerung des Outputs als auch die Reduktion des Aufwands (Arbeitszeit, Maschinenlaufzeit). Langfristige Produktivitätssteigerungen können etwa verkürzte Durchlaufzeiten oder weniger Ausfallzeiten sein. Hier wird eine mittlere Produktivitätssteigerung erwartet, die ebenfalls mit den reduzierten Konstruktionsaufwänden und der nicht mehr erforderlichen Auslegung der Sensorik begründet wird.

    Diese Dimension untersucht die Verbesserung der Produkt- oder Prozessqualität durch KI, z. B. durch Reduktion von Fehlern und bessere Einhaltung von Standards. Dazu zählen auch die prädiktive Überwachung und Vorhersage von Abweichungen im Produktionsprozess. Durch die Integration des intelligenten Features zur Bauteillokalisierung erhalten die Maschinen einen Marktvorteil, sodass die Produktqualität stark gesteigert wird.

  3. Kundenmehrwert

    Betrachtet wird der Nutzen für Kunden, wie z. B. höhere Produktzuverlässigkeit, schnellere Markteinführung oder bessere Anpassung an Kundenanforderungen. Ein höherer Kundenmehrwert steigert die Kundenzufriedenheit und die Marktposition des Unternehmens. Dem Kunden steht ein flexibles und intelligentes System zur Verfügung, sodass ein signifikanter Kundenmehrwert erkennbar ist.

  4. Flexibilität

    Bewertet wird die Anpassbarkeit an Änderungen, etwa bei Produktvariationen, Produktionsmenge oder Lieferzeiten. Ein flexibler Produktionsprozess ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Marktveränderungen und sichert die Wettbewerbsfähigkeit. Das Unternehmen sieht ein starkes Potenzial hinsichtlich Flexibilitätssteigerungen durch die Verwendung einer Standard-Pipeline, die für die unterschiedlichen Maschinen adaptiert wird.

Herausforderungen der Use Cases

Analog zum Verfahren bei der Bewertung der Potenziale werden die Herausforderungen bei der Umsetzung einer KI-Lö-sung bewertet (Bild 2). Die Bewertung des vorgestellten Use Case ist in der Abbildung mit einem roten Kasten markiert. Folgende Dimensionen werden definiert und qualitativ in Bewertungsstufen unterteilt:

  1. Zeit

    Diese Dimension bewertet den zeitlichen Aufwand für die Entwicklung und Implementierung der KI-Lösung, einschließlich möglicher Verzögerungen durch Abhängigkeiten und Genehmigungen. Längere Projekte bringen oft höhere Planungsanforderungen und Unsicherheiten mit sich. Da das Unternehmen gute Kenntnisse in der Sensorintegration und Datenanbindung hat, sieht es einen mittleren zeitlichen Aufwand für die Implementierung eines Prototyps.

  2. Umsetzungskapazität

    Bewertet werden die internen Ressourcen, wie z. B. verfügbares Personal und Fachwissen, um das Projekt umzusetzen. Engpässe oder begrenzte Ressourcen stellen eine Herausforderung dar, ebenso wie die Flexibilität, Mitarbeitende für das Projekt bereitzustellen. Das Projekt kann unternehmensintern umgesetzt werden, jedoch wäre initial eine geringe externe Unterstützung notwendig.

  3. Zusätzliche Infrastruktur

    Betrachtet wird die vorhandene technische Infrastruktur, wie IT-Systeme und Datenplattformen, die für die KI-Lösung erforderlich ist. Bei Bedarf sind Investitionen und Anpassungen zur Unterstützung der Lösung notwendig. Hier führt der erforderliche Invest in zusätzliche Rechenkapazitäten zu einer geringen Anpassung der Infrastruktur.

  4. Qualifizierungsmaßnahmen

    Hier wird der Schulungsbedarf bewertet, damit das Personal die notwendigen KI-Kompetenzen erlangt. Qualifizierungen können den Aufwand und die Projektdauer erhöhen, sind jedoch für den Erfolg und die Akzeptanz der Lösung entscheidend. Hinsichtlich der unternehmensinternen Umsetzung sieht das Unternehmen mittleren Qualifizierungsbedarf.

  5. Kosten

    Bewertet werden die erwarteten Kosten für Hardware, Software, externe Dienstleistungen und Schulungen. Die Höhe der Kosten zeigt den Ressourcenbedarf und kann besonders herausfordernd sein, wenn das Budget begrenzt ist. Die Implementierungskosten müssen jeweils individuell im Vergleich zum Status quo evaluiert werden, daher wird hier erstmal die Bewertung „mittel“ vorgenommen.

Datenbedarf der Use Cases

Da eine geeignete Datengrundlage als Grundvoraussetzung für den Einsatz von KI gilt, sind die Datenbedarfe und die bestehenden Dateninfrastrukturen ausschlaggebend für die Umsetzbarkeit eines Use Cases. Neben der allgemeinen Verfügbarkeit wird eine grobe Einschätzung hinsichtlich der Datenqualität vorgenommen. Diese wird gemeinsam mit den Herausforderungen und Potenzialen genutzt, um einen Eindruck über die technische Machbarkeit der Use Cases zu entwickeln.

Zur Aggregation der relevanten Informationen wurde ein Template entworfen. Dabei werden die potenziell erforderlichen Daten in sechs Kategorien geclustert. Die technischen Daten werden dabei in den Kategorien Maschinen-, Produktions- und Fehlerdaten detailliert, wohingegen die organisatorischen Daten über die Kategorien Auftrags-, ERP- und Messdaten abgebildet werden. ERP-Daten umfassen dann zum Beispiel Bestelldaten, Preise, Auftragsdaten, Werkzeugmanagement, Materialdaten und Wartungsplanungen. Das Template dient als Diskussionsgrundlage und wird dann im Rahmen der Diskussion der einzelnen Use Cases spezifiziert. Es erfolgte eine Bewertung hinsichtlich der Frage, wie relevant die Daten für die Umsetzung der KI-Lösung sind und inwiefern sie in der erforderlichen Menge vorhanden sind.

Neben der Menge ist auch die Qualität der Daten zu untersuchen. In Bild 3 werden die Bewertungsdimensionen vorgestellt und der Beispiel-Use-Case rot markiert. In diesem Zusammenhang sind die Dimensionen Verfügbarkeit, Korrektheit, Vollständigkeit, Aktualität und Einheitlichkeit für die bestehenden Daten diskutiert worden, um die Aufwände, die zu späteren Zeitpunkten in der Datenvorbereitung auftreten können, abschätzen zu können. Aufgrund des hohen Aufwandes, Daten für jedes neue Bauteil aufzunehmen und händisch zu labeln, wird hier der Ansatz der synthetischen Datenerzeugung mittels der Technologien des Industrial Metaverse gewählt [6]. Aufgrund dessen können beliebig viele Daten in der erforderlichen Qualität erzeugt werden.

Bild 3 Bewertungsmatrizen für die Beurteilung der Datenqualität der Use Cases
Bild 3

Bewertungsmatrizen für die Beurteilung der Datenqualität der Use Cases

Roadmap-Entwicklung

Die Roadmap stellt die Überlegungen, die im Rahmen der Planung der Projektphasen nach CRISP-DM anzustellen sind, für die einzelnen Use Cases der Unternehmen zusammen. Die Darstellung des Modells als Zyklus (Bild 4) verdeutlicht, dass solche Projekte kontinuierlich weiterentwickelt werden können bzw. müssen. Dieses Modell ist in sechs Phasen gegliedert, welche nicht strikt sequenziell ablaufen, sondern einen iterativen Charakter aufweisen [7].

Bild 4 Ableitung der Roadmap aus den Phasen des CRISP-DM-Modells
Bild 4

Ableitung der Roadmap aus den Phasen des CRISP-DM-Modells

Business Understanding (Aufgabendefinition)

Hierbei steht die konkrete Zieldefinition im Vordergrund. Dazu sollen die konkreten Ein- und Ausgangsgrößen des Projekts festgelegt werden. Das ProKI-Zentrum Aachen empfiehlt, zunächst die Umsetzung eines Minimalprojekts zu fokussieren, um die Komplexität der Projekte zu reduzieren. Darüber hinaus ist zu definieren, wie der Algorithmus in den Prozess integriert wird. Im betrachteten Use Case wird daher die Lokalisierung der Bauteile fokussiert, die anschließende Bahnplanung des Roboters wird nicht betrachtet.

Data Understanding (Datenverständnis)

Im Zusammenhang mit der Zieldefinition im Business Understanding wurden hier erforderliche und vorhandene Datenquellen abgeglichen. Aufbauend auf den Ergebnissen der Workshops findet hier eine kritische Reflexion der unvollständigen oder fehlenden Daten statt. Die Daten im vorliegenden Use Case müssen hinsichtlich der individuellen Prozessinformationen (Hintergrund, Beleuchtung, Störobjekte) erstellt und so gelabelt werden, dass eine Erkennung, Klassifizierung und Keypoint-Erkennung (für die anschließende Greifplanung) ermöglicht wird.

Data Preparation (Datenvorbereitung)

War bereits ein (unvollständiger) Datensatz vorhanden, so werden hier die erforderlichen Schritte der Datenvorverarbeitung vorab definiert. Dies betrifft zum einen die Bereinigung der Daten im Fall von möglichen Fehleinträgen, welche typischerweise durch das manuelle Eintragen von Werten in Tabellen entstehen. Zum anderen kann es die Aggregation von Daten aus verschiedenen Quellen (ERP, MES oder Maschinendaten) umfassen. Aufbauend auf den im Datenverständnis definierten Konzept entsteht eine Simulationsumgebung, in der die Daten erstellt werden.

Modeling (Modellierung)

Je nach Reifegrad des beschriebenen Projekts wird hier eine Empfehlung für ein bestimmtes KI-Verfahren (überwachtes, unüberwachtes oder bestärkendes Lernen) oder direkt für einen bestimmten Algorithmus, wie z. B. YOLO für 2D-Bilder oder PointNet für die Verarbeitung von 3D-Punktwolken empfohlen. Im betrachteten Use Case wurde der Algorithmus YOLO als am besten geeignet ausgewählt.

Evaluation (Projektbewertung)

Sie umfasst Empfehlungen hinsichtlich der Bewertung der Ergebnisse der KI-Algorithmen. Der Fokus wird hierbei auf potenzielle Herausforderungen (wie z. B. unvollständige Datensätze durch fehlende Schlecht-Beispiele) gelegt, sodass die Funktionsweise der Algorithmen gerade hinsichtlich dieser Herausforderungen getestet werden. Im betrachten Use Case ist die Evaluation des Unterschiedes zwischen Simulation und Realität (Sim2Real-Gap) entscheidend für die Bewertung der Zuverlässigkeit des Systems.

Deployment (Bereitstellen der Ergebnisse)

Dies umfasste die Integration und Implementierung des Modells in der Produktion. Je nach Use Case kann hier eine beispielhafte IT-Infrastruktur, die Implementierung einer intuitiven Benutzerschnittstelle oder die Integration in ein bereits verwendetes Programm, beispielsweise ein ERP-System oder ein Konstruktionsprogramm mitgedacht werden. Für die Erstellung der synthetischen Daten und das Training wird ein zentraler Server mit starker Grafikkartenleistung vorgesehen, sodass die trainierten Modelle im Anschluss auf Edge-Devices in den Schleifzellen bereitgestellt werden können.

Ergebnisse

Insgesamt zeigten sich Überschneidungen hinsichtlich der Anwendungen, in welchen die Unternehmen Optimierungspotenziale durch den Einsatz von KI-Algorithmen sahen. Besonders stachen dabei die Bereiche der Arbeitsvorbereitung, beispielsweise zur KI-basierten Arbeitsplanerstellung oder der Bereich der Qualitätssicherung, zum Beispiel die Gut-Schlecht-Teil-Klassifikation genannt, hervor. Die Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der Umsetzung von KI-Algorithmen ergeben, wurden überwiegend als mittel bis hoch eingestuft. Hinsichtlich der Potenziale, die Unternehmen bei der Umsetzung für die Umsetzung von KI-Projekten sehen, wurden ca. die Hälfte der Projekte als mittel bis hoch eingestuft. Der vorgestellte Use Case ist in Bild 5 rot markiert.

Bild 5 Überblick über Use Cases des Konsortiums, bewertet im Hinblick auf Herausforderungen und Potenziale und eingeordnet nach Themengebieten
Bild 5

Überblick über Use Cases des Konsortiums, bewertet im Hinblick auf Herausforderungen und Potenziale und eingeordnet nach Themengebieten

Zusammenfassung und Ausblick

Der präsentierte Ansatz soll als Blaupause für die Entwicklung weiterer KI-Lösungen in der Produktion dienen. Idee und Vorgehen wurden in dem Projekt ProKI am Standort Aachen mit elf Unternehmen umgesetzt und erprobt. In der Arbeit wurde gezeigt, dass durch die Adressierung realer Herausforderungen in der Produktion, die Motivation für den Einsatz von KI steigt. In den nächsten Monaten werden die Unternehmen die Use-Cases eigenständig weiterverfolgen. Der ProKI-Standort Aachen bietet auch nach dem Projektende Ende 2024 weiter Informationen und Unterstützung für die Umsetzung von KI in der Produktion an.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Advisory-Board-Mitgliedern des ZWF-Sonderheftes wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer-Review).



Tel.: +49 (0) 173 1917288

Funding statement: Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts „ProKI Demonstrations- und Transfernetzwerk KI in der Produktion“ finanziert und am Standort Aachen am WZL der RWTH Aachen und am MTI der RWTH Aachen durchgeführt.

About the authors

Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher

Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher schloss sein Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen 1995 ab und promovierte im Jahr 2002 am Werkzeugmaschinenlabor. Er arbeitete bei EADS und DS Technologie, bevor er Professor am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen an der RWTH und Vorstandsmitglied des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik Technology 2004, seit 2018 als geschäftsführender Institutsleiter. Seit 2022 ist er Koordinator des ProKI-Netzes.

Dr. Lukas Gründel

Dr. Ing. Lukas Gründel schloss sein Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen 2018 ab und promovierte 2024 am Werkzeugmaschinenlabor. Während seiner Zeit am Lehrstuhl forschte er schwerpunktmäßig im Bereich von roboterbasierten Fräsprozessen. Seit 2023 arbeitete er im Projekt ProKI.

Josefine Monnet

Josefine Monnet, M. Sc., schloss ihr Studium im Fach Automatisierungstechnik im Jahr 2022 ab und ist seitdem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen. Schwerpunktmäßig forscht sie an Themen der flexiblen Automatisierung von roboterbasierten Schleifprozessen. Seit 2022 begleitet sie das Forschungsprojekt ProKI.

Julian Keens

Julian Keens, M. Sc., hat das Studium des Maschinenbaus und der Produktionstechnik 2019 an der RWTH Aachen abgeschlossen und war zunächst in einer führenden Beratung für Digitalisierung tätig und ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Sustainable Quality am Lehrstuhl für Intelligence in Quality Sensing am WZL der RWTH Aachen University. Seit 2022 arbeitet er im Projekt ProKI.

Alexander Frigge

Alexander Frigge, M. Sc., geb. 1995, studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Dortmund und arbeitet seit 2023 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Manufacturing Technology Institute MTI der RWTH Aachen in der Abteilung für Digitale Transformation.

Jonathan Smerz

Jonathan Smerz, M. Sc., schloss sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens (Fachrichtung Maschinenbau) an der RWTH Aachen im Jahr 2022 ab und ist seitdem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen. Im Rahmen seiner Tätigkeiten liegt der Fokus auf Innovationsprozessen und Umsetzung dieser im Maschinen und Anlagenbau. Seit 2023 begleitet er das Forschungsprojekt ProKI.

Literatur

1 Niederée, C.; Eichelberger, H.; Schmees, H.-D. et al.: KI in der Produktion – Quo vadis? Industrieumfrage zu Erwartungen, Erfahrungen und Herausforderungen zum KI-Einsatz in der Produktion. Whitepaper, Hannover 2021. (https://vdw.de/intelligenteproduktion [Abgerufen am 21.1.2025])Search in Google Scholar

2 Hecker, J.; Streim, A.: Deutsche Wirtschaft drückt bei Künstlicher Intelligenz aufs Tempo. Bitkom e.V., Berlin 2023. (https://bit.ly/3Q1Lurx [Abgerufen am 21.1.2025])Search in Google Scholar

3 Schaller, D.; Wohlrabe, K.; Wolf, A.: Künstliche Intelligenz: Chance oder Gefahr? Wie verändert der Einsatz von KI unsere Gesellschaft? ifo Schnelldienst 76 (2023) 8, S. 3–28Search in Google Scholar

4 Schröer, C.; Kruse, F.; Gómez, J.: A Systematic Literature Review on Applying CRISP-DM Process Model. Procedia Computer Science 181 (2021), S. 526–534 DOI:10.1016/j.procs.2021.01.19910.1016/j.procs.2021.01.199Search in Google Scholar

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6 Petrovic, O.; Dassen, Y.; Brecher, C.: Potenziale und Anwendung des Industrial Metaverse. Industrie 4.0 Management 39 (2023) 5, S. 27–32 DOI:10.30844/IM_23-5_27-3210.30844/IM_23-5_27-32Search in Google Scholar

7 Wirth, R.; Hipp, J.: CRISP-DM: Towards a Standard Process Model for Data Mining. In: Proceedings of the 4th International Conference on the Practical Applications of Knowledge Discovery and Data Mining, 2000. (https://api.semanticscholar.org/CorpusID:1211505 [Abgerufen am 21.1.2025])Search in Google Scholar

Published Online: 2025-03-27
Published in Print: 2025-03-20

© 2025 Christian Brecher, Lukas Gründel, Josefine Monnet, Julian Keens, Alexander Frigge und Jonathan Smerz, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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Downloaded on 6.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/zwf-2024-0129/html
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