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Von Piloten zu skalierbaren Lösungen

Zusammenspiel von technologischer Basis und prozessualer Governance als Erfolgsfaktor für skalierbare KI-Projekte
  • Sebastian Klöser

    Sebastian Klöser ist Partner bei Ernst & Young (EY Consulting) und leitet das innovative KI-Operationalisierungsteam im Bereich Technology Consulting. Er überführt kleine Experimente in großskalige, produktive Anwendungen, die echten wirtschaftlichen Mehrwert schaffen. Mit einem Mix aus technischer Expertise und organisatorischer Beratung ebnet er den Weg, um künstliche Intelligenz für Unternehmen profitabel zu machen.

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    , Niklas Kalenbach

    Niklas Kalenbach ist Manager im Bereich Business Consulting bei Ernst & Young. Er betreut umfassende Geschäftstransformationen in den Bereichen R&D, Einkauf und Operations, mit einer ganzheitlichen Betrachtung der Wertschöpfungskette.

    , Adrian Reisch

    Dr. Adrian Reisch ist Partner bei Ernst & Young (EY Consulting) und leitet das Beratungsgeschäft im Bereich Product Lifecycle Management (PLM), Digitaler Zwilling und Industrial Metaverse. Er berät Großkunden vor allem in den Bereichen Strategieentwicklung, Prozessdesign und -optimierung, digitale End-to-End-Lösungen sowie Unternehmenskultur.

    and Kay Siefert

    Kay Siefert leitet derzeit die IT-Daten- und KI-Initiativen für International Commercial bei Merck Healthcare. Er ist Experte für IT-Strategien und Geschäftstransformationen und hat Erfahrung als Product- und Portfolio-Owner bei Merck im Geschäftsbereich Life Science.

Published/Copyright: March 27, 2025

Abstract

Die KI-Transformation erfordert schnelles, strategisches Handeln, das über einzelne Use Cases hinausgeht. Ohne eine ganzheitliche Ausrichtung laufen Unternehmen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Ein Wandel von der Use-Case-Perspektive hin zu einer werte- und transformationsorientierten Strategie ist entscheidend. Hat der Chief Artificial Intelligence Officer (CAIO) eine zentrale Rolle inne, hilft dies, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Zusammenarbeit im gesamten KI-Lebenszyklus zu fördern und das volle Potenzial auszuschöpfen.

Abstract

AI transformation requires decisive, strategic steps that extend beyond individual use cases. Without an integrated approach, companies risk falling behind. Moving from a use case orientation to a values-based transformation strategy is crucial. A central CAIO role can provide the foundational framework needed to drive collaboration across the AI lifecycle and harness its full potential.

Engineering-getriebene Unternehmen stehen heute vor intensiven Wettbewerbsbedingungen. Der wachsende Druck globaler Konkurrenten, insbesondere aus Asien, in Kombination mit zunehmenden geopolitischen Spannungen zwingt zum Umdenken. Wer nicht die Effizienz und Produktivität steigert und Innovationswie auch Produktionszyklen verkürzt, riskiert die eigene Existenz und die Zukunft der Produktion in Europa. Schnelligkeit und Entschlossenheit sind die einzigen Wege, um in diesem Umfeld zu bestehen und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.

Die EY-Umfragen unter CEOs zeigen, dass Unternehmenslenker derzeit die KI-Transformation priorisieren, um die Produktivität zu steigern [1]. Kosteneffizienz bleibt dabei im Fokus der CEOs und Investoren, selbst wenn sich die wirtschaftlichen Bedingungen in den nächsten Monaten verbessern sollten. Das KI-getriebene Wettrennen wird ein bedeutender Wachstumstreiber sein. Das globale Bruttoinlandsprodukt könnte laut EY-Studien durch transformative KI-Technologien in den nächsten zehn Jahren um bis zu 3,4 Billionen US-Dollar wachsen.

Fast die Hälfte der befragten CEOs investiert bereits in (generative) KI. Allerdings befindet sich der Großteil der Unternehmen in einem frühen Stadium. Häufig werden Pilotprojekte durchgeführt oder Fähigkeiten in isolierten Bereichen des Unternehmens entwickelt. Die Praxis zeigt, dass viel Zeit in die Entwicklung von Use Cases und Ideen mit vielen verschiedenen Beteiligten investiert wird.

Im sogenannten KI-Lebenszyklus (Bild 1) bezeichnen wir die frühe Phase des Experimentierens als ersten Schritt. Der Übergang von dieser Phase zur Skalierung, also zur Entwicklung bzw. Operationalisierung, stellt für viele Unternehmen eine Herausforderung dar. Die letzte Phase des Lebenszyklus, der Betrieb, wird häufig gar nicht erreicht. Viele Unternehmen bleiben daher in der Experimentierphase und kommen nicht zur tatsächlichen Nutzengenerierung. Um das volle Potenzial von KI auszuschöpfen, ist ein Wandel von einer Use-Case-Agenda hin zu einer Wert- und Transformationsagenda erforderlich. Folgende Stolpersteine erschweren unter anderem den Übergang in die Phase der Entwicklung bzw. Operationalisierung:

Bild 1 Typischer KI-Lebenszyklus
Bild 1

Typischer KI-Lebenszyklus

  1. mangelnde Richtungsweisung, fehlende übergreifende Strategie inklusive KPIs, falscher Fokus der Aktivitäten,

  2. fehlendes Verantwortungsmodell und Weiterreichung der Verantwortung für die Skalierung („outsourced accountability“),

  3. fehlende oder nur langsame Einbindung von Piloten in die operative Praxis (unzureichende KI-Plattformen/KI-Infrastruktur, erschwerte Übertragung von Piloten auf erweiterte Datensätze, Berücksichtigung der Compliance und Regulatorik in der Skalierung) sowie

  4. Unterschätzung der Bedeutung des Change-Managements sowie häufig fehlende Fähigkeiten an der richtigen Stelle im Lebenszyklus von KI-Projekten.

Nur ca. 15 Prozent der KI-Projekte bringen den erwarteten Nutzen. Es scheitert nicht an den eigentlichen Ideen für Use Cases, sondern an einer holistischen Herangehensweise und einer skalierbaren Umsetzung.

Ein erfolgreiches KI-Programm benötigt mehrere Bausteine. Die Realität zeigt, dass weder eine KI-Plattform noch die technische Skalierung allein eine nachhaltige und erfolgreiche Implementierung garantieren. Vielmehr bedarf es eines umfassenden, integrativen Ansatzes, der sich auf mehrere gleichwertige inhaltliche Bausteine stützt. Diese Bausteine sind unabhängig von der Branche, der Unternehmensgröße oder der Stelle in der Wertschöpfungskette essenziell für den Erfolg. Die Definition der Bausteine ist je nach Betrachtung unterschiedlich. Rein inhaltlich sollten sich die folgenden Punkte jedoch in jedem KI-Projekt finden:

  1. KI-Roadmap (Identifikation, Validierung und Priorisierung der Use Cases),

  2. technische Befähigung durch Integration von Applikationen, KI-Plattformen und Daten inkl. Cybersecurity,

  3. Entwicklung der Use Cases auf der Infrastruktur („doing“),

  4. Change-Management und technische Adoption sowie

  5. übergreifende Steuerungseinheit (Governance, Prozesse, Compliance, Ethik).

Organisationen können durch ein abgestimmtes Zusammenspiel der Bausteine befähigt werden, die Umsetzungsdauer von Use Cases bis zum Roll-out signifikant zu verkürzen. Ziel sollte es sein, die Dauer von mehreren Monaten auf wenige Tage zu reduzieren. Dadurch wird das Risiko minimiert, dass Use Cases beim Roll-out nicht mehr dem aktuellen Innovationsanspruch entsprechen, den gewünschten Nutzen verfehlen und dennoch hohe Kosten verursachen.

Schlüssel für den Erfolg ist ein abgestimmtes Zusammenspiel dieser Bausteine, damit aus Piloten skalierbare Lösungen mit nachweisbarem Nutzen entstehen.

Sogenannte KI-Labs, Centers of Competence (CoC) oder Fachbereiche entwickeln häufig Use Cases in Pilotprojekten. Dass die zentrale IT diese Projekte problemlos skalieren kann, ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich – dies erfordert jedoch eine solide technologische Basis und eine klare Governance-Struktur. Entscheidend ist dabei, dass eindeutig festgelegt ist, welche Organisationseinheit (also welche Rolle oder welches Team) welche Bausteine übernimmt und wo Übergabepunkte im KI-Lebenszyklus liegen. Bild 2 zeigt die notwendige Brücke zwischen KI-Labs und der Befähigung der gesamten Organisation.

Bild 2 Notwendige Brücke zwischen KI-Labs und der Organisation
Bild 2

Notwendige Brücke zwischen KI-Labs und der Organisation

Dabei sollten verschiedene Herausforderungen berücksichtigt werden. So können zum Beispiel Piloten nicht immer ohne Probleme auf andere Datenpunkte überführt werden. Applikationen, Machine-Learning-Modelle und Daten haben oft getrennte Verantwortungsbereiche, was die Skalierung aus einer Hand erschwert. Zudem kann eine Compliance-Frage, etwa zur Nutzung eines bestimmten Python-Package in einem Piloten, Auswirkungen auf das gesamte Modell bei der Skalierung haben und zu erheblichen Verzögerungen führen.

Zentrale und dezentrale Aufgaben müssen unterschieden und die Verantwortlichkeiten klar definiert werden, um den Übergang in eine Werte- und Transformationsagenda zu ermöglichen.

Zentrale Rollen und Teams für die Schaffung von Standards und zur Optimierung

Es ist eine zentralisierte Organisationseinheit im Unternehmen erforderlich, um das Rahmenwerk für den KI-Lebenszyklus festzulegen. Diese Einheit definiert unternehmensweit den Prozess zur Entwicklung von KI-Anwendungen. Dazu zählt auch die Festlegung der Reihenfolge der Tätigkeiten und der zu besetzenden Rollen im Lebenszyklus, die dann auf die Organisation abgebildet werden müssen. Die Technologie bestimmt dabei die notwendige Abfolge der Schritte. Wie bei der Umstellung auf Elektromobilität in der Automobilindustrie kann der aktuelle Zustand konventioneller Softwareprojekte nicht als Grundlage für Anforderungen an neue Technologien wie KI verwendet werden.

Die zentrale Organisationseinheit legt verbindliche Standards im Einklang mit der KI-Strategie des Unternehmens fest. Alle von den Fachbereichen wiederverwendeten Elemente müssen in einem Rahmenwerk definiert werden. Dazu zählen unter anderem länderspezifische Compliance-Vorschriften, Namenskonventionen, Change-Management-Prozesse, Schulungsunterlagen, Best Practices, KPIs sowie Methoden zur Erfolgsmessung. Diese Standards sollten über eine zentrale Plattform zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus stellt die zentrale Organisation die Technologie- und Dateninfrastruktur bereit.

Die beschriebenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten sind multidisziplinär. Daher darf die Einheit nicht als weiteres Silo oder als Schatten-IT agieren. Unternehmen sollten dafür in ihrer Struktur eigene Rollen schaffen, zum Beispiel die des CAIO (Chief Artificial Intelligence Officer). Bild 3 soll diese Rolle verdeutlichen. Für diese Einheit sollte Folgendes gegeben sein:

Bild 3 Rolle des Chief Artificial Intelligence Officers
Bild 3

Rolle des Chief Artificial Intelligence Officers

  1. allokierte Ressourcen aus den Bereichen Compliance, IT, Change-Management usw.,

  2. Durchgriff in die Organisation, um Vorgaben durchsetzen zu können,

  3. kurze Berichtswege und schnelle, kurze Entscheidungswege sowie

  4. Budgetverantwortung.

Dezentrale Rollen und Teams zur Förderung der Kreativität und Skalierung

Für die Innovationskraft und Kreativität sind dezentrale Rollen in den Fach- und Funktionsbereichen notwendig. Sie kennen die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Geschäftsbereiche und können praxisnahe Use Cases entwickeln, die den spezifischen Anforderungen gerecht werden. Die Fachbereiche sollten vom Experimentieren bis zur Operationalisierung frei agieren können.

Die organisatorische Verortung der Teams liegt direkt in den einzelnen Fachbereichen mit Nähe zu den Zielgruppen und Endabnehmern. Dies sind häufig bereits existierende Teams, die sich auf die Entwicklung von Prozessen, Methoden und Tools (PMT) fokussieren.

Verantwortlichkeiten pro Baustein und Übergabepunkte entlang des KI-Lebenszyklus

Ein effektives Zusammenspiel zwischen zentralen und dezentralen Rollen erfordert eindeutige Verantwortlichkeiten und Übergabepunkte entlang des KI-Lebenszyklus.

KI-Roadmap

Die Fachbereiche bewerten die fachliche Machbarkeit ihrer Use-Case-Ideen, während die zentrale Einheit die technische Machbarkeitsüberprüfung und insbesondere die Kostenabschätzung für die Skalierung unterstützt. Die zentrale Einheit ermöglicht darauf aufbauend die Konsolidierung einer abgestimmten KI-Roadmap. Eine gemeinsame Ausrichtung kann durch ein gemeinsames Portfoliomanagementportal erreicht werden (zum Beispiel für gemeinsame KPIs oder zur Wiederverwendung von aufbereiteten Daten). Um Effizienz zu gewährleisten, sollte kein zusätzliches Steuerungsgremium eingerichtet werden. Da KI kein Selbstzweck ist, sollte die Verantwortung also direkt bei den Fachbereichen liegen.

Technische Befähigung

Die Verantwortung für die technische Befähigung liegt im gesamten KI-Lebenszyklus bei der zentralen Organisationseinheit. Diese stellt die KI-Plattform bereit und bietet dazugehörige Dokumentationen sowie Schulungen an. In der Phase des Experimentierens wird zunächst eine Entwicklungsumgebung bereitgestellt. In der Entwicklung bzw. Operationalisierung und im Betrieb wird die Machine-Learning-Infrastruktur einschließlich des Compliance-Modells zur Verfügung gestellt und bei Bedarf angepasst. Über den gesamten Lebenszyklus hinweg sorgt die zentrale Organisationseinheit für die Verfügbarkeit der Infrastruktur.

Bei der Wahl der KI-Plattform kann zwischen einer zentralen technischen Plattform und einem Schwarm von Plattformen („AI Mesh“) unterschieden werden. Eine zentrale technische Plattform erhöht die Komplexität in Bezug auf spezifische Sicherheitsanforderungen je Applikation beim Entfernen nicht mehr benötigter Anwendungen. Um Skalierungsfähigkeit zu erreichen, ist daher ein Schwarm von cloudfähigen KI-Plattformen zu empfehlen. Dies erlaubt es, jeden Use Case auf einer eigenen Infrastruktur zu betreiben. In diesem Zusammenhang ermöglicht der IaC-Ansatz (Infrastructure as Code) durch automatische und wiederholbare Verwaltung eine schnelle, robuste und konsistente Bereitstellung von Infrastruktur. Neue Compliance-Vorgaben können so beispielsweise flexibel integriert werden.

Entwicklung der Use Cases

Die Fachbereiche entwickeln Use Cases dezentral. In der Phase des Experimentierens nutzen sie die Entwicklungsumgebung für Piloten. Beim Übergang in die Phase der Entwicklung bzw. Operationalisierung arbeiten sie mit der zentralen Einheit zusammen. Diese entwickelt und testet grundlegende Daten- (Aufbereitung der Daten) und Modellpipelines (Bereitstellung eines Machine-Learning-Modells), die die Fachbereiche spezifisch anpassen. Zudem übernehmen die dezentralen Fachbereiche die Applikationsintegration, um die korrekte Verarbeitung und Ausgabe der KI-Anwendungen zu ermöglichen. Durch diese Verteilung bleibt die zentrale Einheit auf strategische und technische Kernaufgaben fokussiert, während die Fachbereiche schnell und flexibel auf Änderungen reagieren können. In der Betriebsphase übernimmt die zentrale Organisationseinheit die Wartung und Optimierung.

Change-Management und technische Adoption

Das Change-Management sollte von der zentralisierten Organisation gesteuert werden und umfasst die Bereitstellung von Trainingsportalen, Best Practices und grundlegenden Schulungen. Die Einführung und Verankerung von KI-Anwendungen bei den Zielgruppen sollte jedoch direkt in den Fachbereichen erfolgen, beispielsweise durch den Einsatz von Change Agents.

Übergreifende Steuerungseinheit

Die Steuerung wird entlang des KI-Lebenszyklus durch die zentrale Organisationeinheit übernommen. Die dezentralen Teams übernehmen die Verantwortung für die Einhaltung der Standards und Richtlinien, während die Überwachung durch die zentrale Organisationseinheit erfolgen sollte.

Zusammenfassung

Für viele Unternehmen scheint der Übergang von Pilotprojekten zur Skalierung als unüberwindbare Hürde. Der kritische Punkt liegt oft im Übergang von der Experimentierphase zur Phase der Entwicklung bzw. Operationalisierung. Das muss jedoch kein Hindernis sein, da die Grundlagen der KI-Technologie sehr gut erforscht sind und die Voraussetzungen für die Phase der Entwicklung bzw. Operationalisierung und die Betriebsphase gegeben sind. Viel wichtiger ist es, den gesamten KI-Lebenszyklus in den Fokus zu rücken und ein abgestimmtes Zusammenspiel aller Beteiligten sicherzustellen. Dafür bedarf es einer klaren Governance und einer unterstützenden technologischen Basis. Keine einzelne Organisationseinheit kann diese Aufgaben allein bewältigen. Ein CAIO in zentraler Rolle kann aber helfen, die nötigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche KI-Transformation zu schaffen. Die Grundlagen, damit Unternehmen gezielt in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren und sich von einer reinen Use-Case-Agenda zu einer wert- und transformationsorientierten Agenda entwickeln können, existieren also bereits.


Hinweis

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen von den Advisory-Board-Mitgliedern des ZWF-Sonderheftes wissenschaftlich begutachteten Fachaufsatz (Peer-Review).



Tel.: +49 (0) 30 254710

About the authors

Sebastian Klöser

Sebastian Klöser ist Partner bei Ernst & Young (EY Consulting) und leitet das innovative KI-Operationalisierungsteam im Bereich Technology Consulting. Er überführt kleine Experimente in großskalige, produktive Anwendungen, die echten wirtschaftlichen Mehrwert schaffen. Mit einem Mix aus technischer Expertise und organisatorischer Beratung ebnet er den Weg, um künstliche Intelligenz für Unternehmen profitabel zu machen.

Niklas Kalenbach

Niklas Kalenbach ist Manager im Bereich Business Consulting bei Ernst & Young. Er betreut umfassende Geschäftstransformationen in den Bereichen R&D, Einkauf und Operations, mit einer ganzheitlichen Betrachtung der Wertschöpfungskette.

Dr. Adrian Reisch

Dr. Adrian Reisch ist Partner bei Ernst & Young (EY Consulting) und leitet das Beratungsgeschäft im Bereich Product Lifecycle Management (PLM), Digitaler Zwilling und Industrial Metaverse. Er berät Großkunden vor allem in den Bereichen Strategieentwicklung, Prozessdesign und -optimierung, digitale End-to-End-Lösungen sowie Unternehmenskultur.

Kay Siefert

Kay Siefert leitet derzeit die IT-Daten- und KI-Initiativen für International Commercial bei Merck Healthcare. Er ist Experte für IT-Strategien und Geschäftstransformationen und hat Erfahrung als Product- und Portfolio-Owner bei Merck im Geschäftsbereich Life Science.

Literatur

1 Ernst & Young (EY): EY CEO Outlook Pulse Studie 2023: Investitionen und Herausforderungen im Bereich Künstliche Intelligenz. (https://www.ey.com/de_at/newsroom/2023/11/at-ey-ceo-outlook-pulse-studie-2023 [Abgerufen am 18.2.2025])Search in Google Scholar

Interview zum Thema

Dr. Adrian Reisch (Ernst & Young) im Gespräch mit Kay Siefert (Merck)

Dr. Adrian Reisch: Lieber Kay, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Ich freue mich sehr und bin gespannt, was du aus der Praxis berichtest, wie Merck KI einsetzt, um damit effizienter zu werden, Produkte schneller auf den Markt zu bringen und Innovationen kundenorientiert voranzutreiben. Du bist Head of Data and AI for International Commercial für den Geschäftsbereich Healthcare (DDIT). Was machst du in deiner Rolle und was sind deine Aufgaben?

Kay Siefert: Mit über zehn Jahren Erfahrung in Life Sciences, HealthCare und IT leite ich digitale Transformationen und entwickle kundenorientierte Data-, Analytics- und KI-Lösungen. In meiner aktuellen Rolle definiere und implementiere ich die Daten- und KI-Strategie, um die Datenkompetenz in der Organisation zu stärken. Gemeinsam mit einem starken Team arbeite ich eng mit Stakeholdern zusammen, um innovative, datengestützte Lösungen zu liefern.

Digitale Technologien und Daten haben positive Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette von Pharmaunternehmen, insbesondere bei Merck Healthcare. Seit mehreren Jahren nutzt Merck KI und hat bedeutende Fortschritte in der Technologie erzielt. Ziel ist es, die Bereiche im Gesundheitswesen zu identifizieren, in denen KI als Co-Pilot mit unseren Schlüsseltalenten zusammenarbeiten kann, um innovative, lebensverändernde Medikamente schneller zu den Patienten zu bringen.

In der Forschung und Entwicklung beschleunigt KI die Arzneimittelentdeckung und -entwicklung, indem sie Prozesse optimiert und neue Erkenntnisse liefert. Auch in der Produktion wird die Effizienz durch den Einsatz KI-gestützter Tools gesteigert, was zu schnelleren Markteinführungen führt. Darüber hinaus hat Merck Healthcare ein KI-unterstütztes Copywriting-Tool entwickelt, das maßgeschneiderte Inhalte für Gesundheitsfachkräfte erstellt und dabei verschiedene Zielgruppen und Kommunikationskanäle berücksichtigt. Die Nutzung von KI zur Erstellung von Protokollen, Fallberichterzählungen und medizinischen Überwachungen wird weiter vorangetrieben.

 Kay Siefert (Merck)

Kay Siefert (Merck)

Durch die Analyse großer Datenmengen identifizieren wir Markttrends und überwachen Wettbewerber, um fundierte strategische Entscheidungen zu treffen. KI hilft uns auch, langfristige Trends zu erkennen und verschiedene Zukunftsszenarien zu simulieren, was unsere strategische Planung unterstützt. Zudem verbessert die Implementierung von KI-gestützten Chatbots den Kundenservice und personalisiert die Kundenansprache, um besser auf individuelle Bedürfnisse eingehen zu können. Insgesamt zeigt sich, dass KI ein enormes Potenzial entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Merck hat und dazu beiträgt, Innovationen kundenorientiert voranzutreiben.

Dr. Adrian Reisch: In vielen Unternehmen sehen wir, dass man sich auf die Entwicklung spezifischer Anwendungsfälle in den jeweiligen Funktionsbereichen konzentriert. Ein umfassender und zukunftsorientierter Ansatz fehlt oft. Wie sieht eure übergreifende KI-Strategie aus? Welchen Nutzen strebt ihr damit an? Und wie könnt ihr über ein gemeinsames Zielbild sicherstellen, dass alle Funktionsbereiche und KI-Projekte auf einen gemeinsamen Nordstern hinarbeiten?

Kay Siefert: Ein gemeinsamer Nordstern ist essenziell für nachhaltigen Erfolg. Daher haben wir auf Gruppenebene frühzeitig eine Data & AI Strategy Evolution aufgesetzt, die Geschäftsbereichen wie Healthcare als Grundlage dient, ihnen aber in der spezifischen Umsetzung Autonomie einräumt. Ein enger und transparenter Austausch ist hier eine Kernvoraussetzung. Die Strategie basiert auf drei Säulen: Menschen, Arbeitsweisen und Technologie.

  1. Menschen

    Wir entwickeln und schulen unsere Mitarbeitenden, um ihre Fähigkeiten im Umgang mit KI und Datenanalyse zu stärken, und fördern agile, kollaborative Arbeitsmethoden. Durch die Einführung einer Merck Data & Digital Academy konnten wir das Thema Data Culture ins Zentrum rücken und innerhalb eines Jahres über 2000 Kolleginnen und Kollegen persönlich schulen.

  2. Arbeitsweisen

    Hier haben wir aktiv ein föderatives Hub-Hub-Spoke Model etabliert, das auf Gruppenebene die nötigen Grundlagen und die Infrastruktur schafft, eng mit den Sektoren abgestimmt vorgeht und diesen Autonomie in der Nutzung, Ergänzung und Skalierung einräumt. Ziel ist es, transformative Technologien wie große Sprachmodelle durch UPTIMIZE schnell und breit gruppenweit zugänglich zu machen. Gleichzeitig sollen sie aber den Sektoren als Plattform für darauf aufbauende Assistenten oder Produkte dienen.

  3. Technologie

    UPTIMIZE ist das Herzstück unseres Data & Analytics Ecosystem bei Merck und geht über die bloße Implementierung von IT-Tools hinaus. UPTIMIZE erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, verbessert den Wissensaustausch und beschleunigt die Projektumsetzung. Unser Ansatz ist zukunftsorientiert; wir passen uns kontinuierlich an, um mit den Entwicklungen im Bereich KI Schritt zu halten. Dies maximiert den Nutzen von KI, indem wir Ressourcen optimal einsetzen

 Dr. Adrian Reisch (Ernst & Young)

Dr. Adrian Reisch (Ernst & Young)

Dr. Adrian Reisch: Gerade KI benötigt, deutlich stärker als traditionelle Software, ein umfassend abgestimmtes Zusammenspiel von technologischer Basis und prozessualer Governance, damit aus Piloten skalierbare Lösungen werden. Wie geht ihr in der DDIT-Organisation im Healthcare-Bereich da heran und stellt insbesondere die Skalierung sicher, damit es nicht bei KI-Piloten bleibt?

Kay Siefert: Unsere „Data & AI“-Strategie und die daraus abgeleitete Gruppenarchitektur sind eng mit den in den Geschäftsbereichen etablierten „Sector Data Offices“ abgestimmt, die diese Infrastruktur aktiv nutzen und spezifisch ergänzen können. Unsere Mission ist es, allen Mitarbeitenden den Zugang zu Daten zu ermöglichen, um herausragende Leistungen und Innovationen voranzutreiben.

Durch UPTIMIZE verwandeln wir Daten in umsetzbare Erkenntnisse, indem wir Technologien und Prozesse zur Erfassung, Analyse und Visualisierung gruppenweit bereitstellen. Wir entwickeln und schulen unsere Mitarbeitenden, um ihre Fähigkeiten im Umgang mit KI und Datenanalyse zu stärken, und fördern agile, kollaborative Arbeitsmethoden. Dies erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, verbessert den Wissensaustausch und beschleunigt die Projektumsetzung.

Ein wichtiger Bestandteil unseres Ansatzes ist das „Fast Track Upskilling for Data & Digital“-Programm, das verschiedene Module für unterschiedliche Erfahrungsstufen umfasst. Wichtige Komponenten sind EVA Learn, Inspiration Engines, ein Use-Case-Portal und das Data Treasury. Zudem nutzen wir UPTI-MIZE Foundry für die Verwaltung unserer Unternehmensdaten und UPTIMIZE Snowflake als Cloud-Datenlager, um leistungsstarke Analysen zu unterstützen. Unser zukunftsorientierter Ansatz ermöglicht es uns, transformative Technologien wie große Sprachmodelle schnell und breit zugänglich zu machen. Ein Beispiel hierfür ist „myGPT Suite“, ein maßgeschneiderter KI-Chatbot, der auf Gruppenebene implementiert wurde und den Sektoren als Plattform für darauf aufbauende Assistenten oder Produkte dient. Wir passen uns kontinuierlich an, um mit den Entwicklungen im Bereich KI Schritt zu halten, und maximieren den Nutzen von KI, indem wir Ressourcen optimal einsetzen. So stellen wir sicher, dass unsere digitalen Transformationen erfolgreich sind – technologisch, prozessual und menschlich.

Dr. Adrian Reisch: Was sind deine Erfahrungen bezüglich People Change, insbesondere wenn es darum geht, KI-Piloten produktiv zu skalieren? Wie setzt Merck ein effektives Veränderungsmanagement um, das Schulungen und eine klare Kommunikationsstrategie umfasst?

Kay Siefert: Um erfolgreiche Transformationen mit dem Menschen im Fokus zu gestalten, ist eine umfassende Strategie für das Veränderungsmanagement notwendig, insbesondere bei der Skalierung von KI-Piloten. Wichtige Schritte sind die Identifikation und die Einbeziehung aller relevanten Stakeholder, um deren Bedürfnisse und Bedenken zu verstehen. Eine umfassende Schulung der Mitarbeitenden ist erforderlich, um die Akzeptanz und Kompetenz im Umgang mit KI-Technologien zu fördern. Zudem sollte eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur gefördert werden, in der Veränderungen als Chancen wahrgenommen werden. Eine transparente Kommunikation über Ziele und Prozesse ist entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und Widerstände zu minimieren. Regelmäßige Rückmeldungen von Mitarbeitenden helfen, die Implementierung zu optimieren. Die Ergebnisse von KI-Piloten sollten regelmäßig analysiert werden, um Erkenntnisse für die Optimierung und Skalierung zu nutzen. Ausreichende Ressourcen wie Zeit, Budget und Technologien sind für die Implementierung notwendig. Schließlich sollten Mitarbeitende als Change Agents ausgebildet werden, um den Wandel zu unterstützen. Durch die Umsetzung dieser Prinzipien kann Merck ein effektives Veränderungsmanagement etablieren, das den Erfolg von KI-Piloten sichert.

Dr. Adrian Reisch: Vielen Dank, lieber Kay, für die spannenden Einblicke, wie ihr bei Merck die digitale Transformation der Wertschöpfungskette vorantreibt und mit skalierbaren KI-Initiativen nachhaltige Wertsteigerung erreicht.

Published Online: 2025-03-27
Published in Print: 2025-03-20

© 2025 Sebastian Klöser und Niklas Kalenbach, publiziert von De Gruyter

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

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