Startseite Konstantin Hondros, Liminale Kreativität: Praktiken kleinster Transformationen in der Produktion von Soundalikes. Marburg: Büchner-Verlag 2023, 402 S., br., 37,00 €
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Konstantin Hondros, Liminale Kreativität: Praktiken kleinster Transformationen in der Produktion von Soundalikes. Marburg: Büchner-Verlag 2023, 402 S., br., 37,00 €

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Veröffentlicht/Copyright: 26. April 2025
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Konstantin Hondros, Liminale Kreativität: Praktiken kleinster Transformationen in der Produktion von Soundalikes. Marburg: Büchner-Verlag 2023, 402 S., br., 37,00 €


Konstantin Hondros hat mit seinem interessanten Buch zu Soundalikes die soziologische Forschung zu Kreativität und zur Kreativwirtschaft um einen wichtigen Aspekt bereichert – um die Frage der Bearbeitung von Ähnlichkeit. Liegt der Fokus der Beschäftigung mit Kreativität in der Soziologie vielfach auf der Betonung des Besonderen inklusive der Hervorbringungsaktivitäten, Valorisierungsprozesse und Strukturdynamiken, so möchte der Beitrag diese Perspektive dezidiert nicht einnehmen, sondern Ähnlichkeiten statt Einzigartigkeiten untersuchen, der „Soziologie der Singularitäten“ eine „Soziologie der Similaritäten“ (S. 353) entgegenstellen. Dass diese Perspektive bislang zu wenig berücksichtigt wurde, sei überraschend, so Hondros, da Ähnlichkeitsprozesse in der Produktion von Kreativität doch eine große Rolle einnähmen.

Wie sich die Produktion von Ähnlichkeit vollzieht, zeigt der Autor an der empirischen Analyse von „Soundalikes“. Das ist Musik, die so (ähnlich) klingt wie ein Original: „Soundalikes sollen klingen wie Musik, die es bereits gibt“ (S. 18). In der auftragsorientierten Musikindustrie finden sich immer wieder Nachfragen nach entsprechenden Formen – um etablierte Stimmungen zu evozieren, Geschmackskonventionen zu bedienen oder auch um Geld zu sparen. Dabei aber besteht einerseits ein Teil der kreativen Leistung darin, nicht exakt das Gleiche zu produzieren (etwa ein Plagiat oder ein Cover), sondern leicht davon abzuweichen. Andererseits handelt es sich bei Soundalikes nicht um gänzlich neue Werke, also genuin singuläre Ausdrucksformen, sondern Orientierungen an einem Vorbild. Zwischen Plagiat und Werk wird Ähnlichkeit in der Art einer „Kreativität als Versionen“ (S. 25) gedacht, als „liminale Kreativität“ (S. 25). In diesem Dazwischen von Werk (Originalität) und Plagiat (Identität) ist die Spannung einer Kreativität der Ähnlichkeit angesiedelt – als Praxis des Annäherns und Entfernens (hin zum bzw. weg vom Referenzwerk).

Ästhetische Orientierung an Ähnlichkeit ist historisch nicht neu, wie in Kapitel 2 gezeigt wird. Konzepte wie Nachahmung oder auch Imitation finden sich in der Kunstpraxis durch die Jahrhunderte – etwa täuschend echte Nachbildungen natürlicher Objekte: „Die Phase von Antike bis Renaissance durchzieht eine Kreativität der Versionen auf vielfältige Weise, wodurch es zu einem Fördern von Ähnlichkeit kommt. Kreativität ist mit den Versionen des Vorbekannten verknüpft“ (S. 45, Hervorhebung getilgt, HK). Auch in der Neuzeit und der Gegenwart finden sich künstlerische Formen des Kopierens, Paraphrasierens, Remixens, die allesamt weniger auf Singularität, denn eher auf Ähnlichkeit abzielen. Diese Formen des Ähnlichen allerdings stellen zugleich eine Herausforderung dar, so Hondros, da doch die „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz, 2018) nicht das Ähnliche, sondern das Besondere belohne. Diese historisch etablierte Spannung bildet den Rahmen für die empirische Forschung. Mittels dreier Fallstudien will Hondros klären, wie die „Produktion von Ähnlichkeit [...] organisiert [ist]“, „[w]onach Produktionen von Ähnlichkeit“ bewertet werden und „[w]elche Praktiken [...] bei der Produktion musikalischer Ähnlichkeit eine Rolle [spielen] und wie Akteurinnen mit diesen Praktiken Unsicherheit [begegnen]“ (S. 107).

Die empirischen Kapitel bilden das Herzstück der praxeologischen Arbeit. Der erste Fall untersucht Praktiken der Auftragskomposition in Musikstudios. Um diesen nachzuspüren, hat Hondros zahlreiche Interviews mit Komponist:innen, Gutachter:innen, Manager:innen, Kreativdirektor:innen geführt und einige teilnehmende Beobachtungen vollzogen. Wie in allen Kapiteln bewegen sich die analysierten Praktiken in der Spannung von „annähern“ und „entfernen“. Der empirische Fall ist rasch erzählt: Häufig suchen Kund:innen Musikstücke, die so klingen sollen wie eine vorher angegebene Referenz. In den Musikstudios werden daraufhin verschiedene Praktiken vollzogen, um die gewünschten Soundalikes zu erschaffen: „Pitchen, nachbauen, vorbeikomponieren, Kreativität distribuieren, Transformationen kombinieren, an Grenzziehungen arbeiten, schön hören, verwechseln und Leichen im Keller“ (S. 141) sind die neun Praktiken, die für den ersten Fall diskutiert werden. Hier wird es detailreich, interessant und angenehm komplex. So arbeitet Hondros die verschiedenen strukturierten Wege heraus, wie beim Pitchen etwa der Bezug zu einer Referenz hergestellt wird. Dies geschieht über die Vorgabe eines Vorbild-Musikstücks, die Erstellung von Moodboards oder die Nutzung von Sync-Briefs, kurzen Pitch-Anleitungen, in denen songbezogene Eigenschaften und Beispiele vorgegeben werden. Die Komponist:innen bauen dann einzelne Elemente der Referenzsongs nach oder komponieren gezielt daran vorbei. Dabei erschaffen sie verschiedene Soundalikes – atmosphärische Soundalikes bilden eher den Vibe des Musikstückes nach; generische Soundalikes sind formal ähnliche Sounds; ikonische Soundalikes hingegen sind derart ähnlich zur Referenz, dass das häufig urheberrechtlich ein Problem darstellt. Interessant sind in den umfangreichen Interviewdaten die zahlreichen Einblicke in die produktionsbezogenen Details. So berichtet ein Kreativdirektor, dass es zu vermeiden sei, zu viele ähnliche Songvorschläge zu produzieren, da die Kund:innen die feinen Unterschiede nicht hören können. Offenbar sind Ähnlichkeitsproduktionen auch auf „wahrnehmbare Transformation“ (S. 192) angelegt. Ein anderes interessantes Detail bildet die Praxis des „Schön hörens“ (S. 212). Das verweist auf eine grundsätzliche Wahrnehmungsasymmetrie. Den Musiker:innen ist es nämlich keineswegs immer klar, was das Gegenüber „wirklich möchte“ (S. 212). Diese prinzipielle Verstehensinkongruenz gilt für jegliche Kommunikation, mag bei Geschmacksfragen aber noch einmal besonders deutlich werden (vgl. Franzen, 2024). Für die Produktion von Ähnlichkeit wird diese Differenz auch durch ein Erwerben von Hörerfahrungen minimiert. Es wird versucht, den Auftraggeber:innen die ähnliche (aber eben nicht identische) Qualität akustisch zu verdeutlichen. Diese verschiedenen Praktiken überschreibt Hondros mit „Fremdsimilarisierungen“ (S. 139).

Kapitel 5 widmet sich dem zweiten Fall – der Plattform „Audio Jungle“. Hierbei handelt es sich um eine „Selbstsimilarisierung“ (S. 229), also um die Produktion von Ähnlichkeit aus sich selbst heraus und nicht aufgrund eines vorliegenden Auftrags, aber durchaus mit dem Ziel, die produzierten Sounds zu verkaufen. Auch hier bewegen sich die Praktiken, die Hondros über Interviews und vor allem durch eine Sichtung der Forenbeiträge der Plattform rekonstruierte, im Spannungsfeld von Annähern und Entfernen. Die identifizierten Praktiken sind überschrieben mit „gamifizieren, sichtbar werden, Ähnlichkeit verkaufen, tweaking, Selbst-Mimikry, Witze machen, Detektivarbeit, Grenzziehung regulieren, Ähnlichkeit kuratieren“ (S. 235). Der Fokus liegt hierbei auf Bewertungsprozessen durch die Gemeinschaft der Musiker:innen. In den Forenbeiträgen wird deutlich, dass kleinste Änderungen, etwa von Noten, zwar kritisch gesehen werden, aber gerade für Stock-Musik auf Plattformen große Nähe zu anderen Stücken akzeptiert wird. Hingegen wird das nur leicht angepasste Selbst-Plagiat nicht akzeptiert. Anhand der umfangreichen (aber zuweilen etwas schwammigen) Rekonstruktion der Bewertungsarbeit stellt Hondros heraus, wie die Plattformgemeinschaft von Musikprofessionellen Unsicherheit reduziert, indem diskursiv entschieden wird, was lege artis ist und was nicht.

Der dritte Fall (Kapitel 6) behandelt Rechtstreitigkeiten um Ähnlichkeit vor Gericht. Beteiligt sind bei diesen Plagiatsverhandlungen neben den Klagenden, Angeklagten, Jurist:innen auch Gutachter:innen, die neben das „Konstrukt einer Durschnittshörerin“ (S. 282) musikwissenschaftliche Expertise setzen. Um die rechtlichen Einschätzungen zu rekonstruieren, analysiert Hondros die veröffentlichten Urteile und Begründungen und die Positionierungen der klagenden wie beklagten Instanz. In diesem Kapitel wird schlüssig dargestellt, wie vor Gericht verschiedene Bewertungsdimensionen eine Rolle spielen und in einen Wettstreit miteinander geraten – ästhetische, rechtliche, wissenschaftliche und wirtschaftliche Dimensionen werden gegeneinander gestellt und gewichtet: Es „fällt auf, dass die Klägerinnen ästhetisch bewerten, um die Musikstücke einander anzunähern und auf Ähnlichkeiten zu verweisen, wohingegen die Beklagten rechtliche Bewertungen nutzen, um voneinander zu entfernen“ (S. 337). Eine derartige multidimensionale Bewertungsmatrix geht auch mit unterschiedlichen Begründungen einher – so zeigen die Klagenden anhand des Höreindrucks Nähe, die Beklagten anhand von Noten die Distanz.

Die Arbeit schließt mit einer, im Vergleich zur Analyse sehr knappen, Integration der einzelnen Ergebnisse. Hervorgehoben wird dabei, wie wichtig Ähnlichkeit für die ästhetische Praxis ist, wie anregend ein Denken in Versionen sein kann und dass Kreativität nicht nur auf der Ebene von Singulärität, sondern auch Simularität zu verhandeln ist. Es sind noch ein paar organisationssoziologische Bezüge vermerkt, die die Arbeit ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Entstehungskontext zuordnen (FU Berlin, DFG-Forschungsgruppe „Organized Creativity“).

Meiner Meinung macht Hondros mehrere wichtige Punkte: Erstens holt er die Kreativität raus aus dem Rampenlicht und rein in die Maschinenräume alltäglicher Produktion. Die Musikindustrie besteht ja keineswegs nur aus Star-Musiker:innen, sondern ein Großteil orientiert sich nicht (nur) an den großen Würfen. Darauf hingewiesen und das anhand einer feinkörnigen Analyse konkreter Praktiken gezeigt zu haben, ist ein großer Verdienst der Arbeit. Zweitens ist die Aufmerksamkeit für eine „Produktion in Versionen“ hervorzuheben, handelt es sich doch hierbei um einen zentralen Aspekt gegenwärtiger Kulturproduktion. Empirische Studien zu anderen Bereichen der Kreativwirtschaft (z. B. Trischler, 2021; Janda, 2018) haben in den letzten Jahren auf die Arbeit in Varianten und Versionen hingewiesen. Diese Versionologie endlich mal systematisch ausgedeutet zu haben und als Ähnlichkeit, im Sinne einer Differenz von Annähern und Entfernen, zu fassen, ist ein vielversprechender Vorschlag. Drittens ist der Versuch, die Gedanken auch gesellschaftstheoretisch anschlussfähig zu machen, durchaus inspirierend. Der Platz, den die Arbeit dafür einräumt, ist allerdings zu klein, um die Tragfähigkeit einzuschätzen.

Das Buch ist als Qualifikationsarbeit, mit all ihren formalen Zugeständnissen, entstanden, was den Lesefluss zuweilen erschwert. Auch ist es überraschend, dass die (deutsche) soziologische Diskussion zur Arbeitspraxis in der Kreativwirtschaft nur punktuell vorkommt. Naheliegende Ideen von Farias und Wilkie (2016) zur Studio-Kultur, von Hutter und Farias (2017) zur Unbestimmtheit oder auch die schon angeführten empirischen Studien kommen nicht vor. Dennoch, Soundalikes als Phänomen, Ähnlichkeit als Begriff einer soziologischen Ästhetik und das empirische Engagement sind sehr positiv hervorzuheben und machen diesen detaillierten Einblick in die Arbeits- und Organisationspraxis der Musikindustrie zu einem immer wieder spannenden Leseerlebnis.

Literatur

Farias, I., & Wilkie, A. (Hrsg.). (2016). Studio Studies. Operations, topologies and displacements. Routledge.Suche in Google Scholar

Franzen, J. (2024). Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten. Fischer.Suche in Google Scholar

Hutter, M., & Farias, I. (2017). Sourcing newness: ways of inducing indeterminacy. Journal of Cultural Economy, 10(5), 434–449.10.1080/17530350.2017.1326969Suche in Google Scholar

Janda, V. (2018). Die Praxis des Designs. Zur Soziologie arrangierter Ungewissheiten. transcript. 10.1515/9783839444139Suche in Google Scholar

Reckwitz, A. (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne. Suhrkamp.10.1007/978-3-658-21050-2_2Suche in Google Scholar

Trischler, R. (2021). Digitale Materialität. Eine Ethnografie arbeitsteiliger Visual-Effects-Produktion. transcript.10.1515/9783839457962Suche in Google Scholar

Online erschienen: 2025-04-26
Erschienen im Druck: 2025-05-23

© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Artikel in diesem Heft

  1. Frontmatter
  2. Frontmatter
  3. Editorial
  4. Symposium
  5. Theorie oder Therapie? Wie die prekäre Beziehung von Rechtssoziologie und Rechtstheorie zu verbessern ist
  6. Recht als Gegenstand, Disziplin oder Praxis?
  7. Zukunftsfähigkeit der Rechtssoziologie
  8. Essay
  9. Alles schlecht von Marrakesch bis Bagdad? Über den Sinn von Jugendstudien über eine ganze „Region“
  10. Themenessay
  11. Künstliche Intelligenz und gesellschaftliche Machtverhältnisse
  12. Sammelbesprechung
  13. Aktuelle Fragestellungen der Mediensoziologie
  14. Doppelbesprechung
  15. Tafelläden gegen Ernährungsunsicherheit?
  16. Einzelbesprechung Alter(n) und Gesellschaft
  17. Vera Miesen, Engagement und Habitus im Alter: Milieuspezifische Engagementtätigkeit im sozialen Nahraum. Bielefeld: transcript 2022, 270 S., kt., 44,00 €
  18. Einzelbesprechung Daten, Algorithmen und Digitaler Kapitalismus
  19. Markus Unternährer, Momente der Datafizierung: Zur Produktionsweise von Personendaten in der Datenökonomie. Bielefeld: transcript 2024, 258 S., kt., 39,00 €
  20. Einzelbesprechung Kreativitätsforschung
  21. Konstantin Hondros, Liminale Kreativität: Praktiken kleinster Transformationen in der Produktion von Soundalikes. Marburg: Büchner-Verlag 2023, 402 S., br., 37,00 €
  22. Einzelbesprechung Mediensoziologie
  23. Christian Schulz, Infrastrukturen der Anerkennung: Eine Theorie sozialer Medienplattformen. Frankfurt am Main: Campus 2023, 453 S., br., 45,00 €
  24. Einzelbesprechung Normative Soziologie
  25. Max Haller, Die revolutionäre Kraft der Ideen: Gesellschaftliche Grundwerte zwischen Interessen und Macht, Recht und Moral. Wiesbaden: Springer VS 2022, 961 S., eBook, 64,99 €
  26. Einzelbesprechung Politikwissenschaft
  27. Tobias Breuckmann, Die Regierung von Migration in Lagern: Geographien der Macht am Beispiel Lesvos. Münster: Westfälisches Dampfboot 2024, 418 S., kt., 40,00 €
  28. Einzelbesprechung Wertlose Wahrheit
  29. Felix Keller, Anonymität und Gesellschaft Bd. I: Die Beschreibung der Anarchie. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2021, 600 S., br., 59,90 € Felix Keller, Anonymität und Gesellschaft Bd. II: Wissenschaft, Utopie, Mythos. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2022, 600 S., br., 59,90 €
  30. Rezensentinnen und Rezensenten des 2. Heftes 2025
  31. Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
Heruntergeladen am 15.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/srsr-2025-2008/html
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