Aktuelle Fragestellungen der Mediensoziologie
Rezensierte Publikationen:
Lotta Krüger, Vertrauen in Dokumentationen auf der Streaming-Plattform Netflix. Baden-Baden: tectum 2023, 126 S., kt., 29,00 €
Karsten Pieper, Publikumsbeobachtungen im digitalen Wandel. Massenmedien und Verdatung am Beispiel publizistischer Printmedien. Bielefeld: transcript 2023, 248 S., kt., 50,00 €
Malte G. Schmidt, Systemvertrauen und Journalismus im Neoliberalismus. Bielefeld: transcript 2021, 322 S., kt., 39,00 €
Lisa Schwaiger, Gegen die Öffentlichkeit. Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum. Bielefeld: transcript 2022, 330 S., kt., 47,00 €
Britta Hoffarth / Eva Reuter / Susanne Richter (Hrsg.), Geschlecht und Medien: Räume, Deutungen, Repräsentationen. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2020, 328 S., kt., 34,95 €
Gegenstand dieser Sammelbesprechung sind fünf Publikationen, die zwischen 2015 und 2023 erarbeitet und publiziert worden sind und damit innerhalb einer Zeitspanne, in welcher sich Netzwerkmedien immer mehr zu Plattformmedien entwickelt haben. Durch die digitalen Infrastrukturen sind Kulturräume entstanden, innerhalb derer es um alles gehen kann – von Bananenbrotrezepten bis hin zur Holocaust-Leugnung. Dieser ‚Sowohl-als-auch‘-Habitus des Digitalen ist integraler Bestandteil unseres Alltags geworden. Es sind also keine chronologisch-linear verlaufenden, technischen Entwicklungsprozesse, die diese letzten Jahre geprägt haben, wie es beispielsweise das Wording eines digitalen Wandels nahelegen könnte, sondern – ganz im Gegenteil – mit den Prozessen der Digitalisierung geht auch eine neue Sichtbarkeit gesellschaftlicher Transformationsprozesse als intrikat, gegenläufig und durchaus widerspenstig einher. Und eben dieser wenig durchsichtigen Gemengelage aus mindestens technischen, ästhetischen und sozialen Prozessen im Zuge der Herstellung einer geteilten Gegenwart widmen sich die fünf Publikationen dieser Sammelrezension. Allen fünf ist dabei gemein, dass sie das intrikate Wechselspiel aus Medien und Gesellschaft untersuchen, wenn auch in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlichem Fokus. Wenn diese Bücher hier also nun gemeinsam besprochen werden, dann weil sie zusammen aktuelle Perspektiven im Forschungsfeld ‚Mediensoziologie‘ markieren. Sie zeigen auf, was erforscht worden ist – aber machen natürlich auch sichtbar: was noch erforscht werden kann und sollte. Denn trotz aller digitaler Veränderungen gilt nach wie vor, will man mehr darüber erfahren, was Gesellschaft im Innersten zusammenhält, so empfiehlt es sich, sich ihren kommunikativen Praktiken und medialen Routinen zuzuwenden. Im Folgenden geht es also um so unterschiedliche Aspekte wie das Verhältnis von Medien und Geschlecht, die Rezeption von Dokumentationen auf Streaming-Plattform, Vertrauen in Journalismus im Neoliberalismus, die Relevanz der ‚neuen‘ Sichtbarkeit des Publikums für die Produktion von Online-Nachrichten, bis hin zu der Frage nach dem Wandel von Öffentlichkeit in Zeiten ‚alternativer Fakten‘.
Den Anfang macht Lotta Krügers Studie über „Vertrauen in Dokumentationen auf der Streaming-Plattform Netflix“, die 2023 in der Reihe ‚Young Academics: Medien- und Kommunikationswissenschaft‘ bei tectum erschienen ist. Diese Reihe bietet, so ist es auf der Verlagsseite zu lesen, Bachelor- und Masterstudierenden eine Plattform, um am wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund der frühen akademischen Phase der Autorin wird die Arbeit nun auch im Folgenden rezensiert. Lotta Krüger richtet ihren Forschungsfokus auf ein noch recht junges Genre: die als Dokumentationen etikettierten Eigenproduktionen der Streaming-Plattform Netflix. Dabei handelt es sich um filmische Produkte, die „gesellschaftlich relevante, aktuelle und durchaus komplexe Themen [behandeln; Einf. AP], die den Zeitgeist treffen und viele (insbesondere junge) Menschen in der westlichen Welt beschäftigen“ (S. 1). Unabhängig davon, so stellt Krüger weiter fest, ob sich die Dokumentationen mit Fleischkonsum, Massentierhaltung oder der Nutzung Sozialer Medien auseinandersetzen, scheinen sie dabei einem bestimmten Muster zu folgen: „In den Dokus werden wissenschaftliche Studien angeführt und Meinungen von Expert:innen wiedergegeben, allerdings nur bzw. hauptsächlich solche, die in das vermittelte Narrativ passen und dieses unterstützen. Dabei werden simplifizierende, plakative und pauschalisierende Aussagen getätigt, die der Komplexität der behandelten Themen nicht immer gerecht werden; Kausalketten werden stark vereinfacht oder verallgemeinert“ (S. 1). Krüger folgert entsprechend, dass es sich bei diesen Formaten um dramaturgisch zugespitzte, deutlich wertende Filme handele, die zwar durchaus auch die Stilmittel der Dokumentation verwenden, jedoch nicht dem journalistischen Anspruch von Sachlichkeit, Ausgewogenheit und Neutralität nachkämen. Dieser Differenz zwischen dem Gattungsversprechen der journalistischen Dokumentation und der sich hier etablierenden filmischen Form geht Krüger in ihrer Arbeit nach. Ihre These lautet: Wenn Rezipient:innen Netflix-Dokumentationen mit dem gleichen Vertrauen begegnen wie journalistischen Dokumentationen, dann schreiben sich analog dazu auch die Wissensangebote der Netflix-Dokus in den Wissensvorrat ihrer Zuschauer:innen ein – und zwar ungeachtet dessen, was eigentlich für ein Wissen vermittelt wird (S. 3). Es sind also zwei starke Annahmen, die das Forschungsvorhaben von Krüger flankieren: Zum einen eine klar definierbare journalistische Gattung „Dokumentation“, die sachlich, objektiv und ausgewogen informiert. Zum anderen legt sie den Prozessen medialer Kommunikation ein lineares Kommunikations-Modell zu Grunde, in welchem ‚die Medien‘ (Stimulus) ihre Rezipient:innen (Response) prägen. Bei beiden Thesen, der Reinform der Dokumentation und der Prägekraft der Medien, handelt es sich (nicht nur) in der Mediensoziologie um ebenso etablierte wie kritisierte Thesen. Zum einen sind filmische Formen, wie z. B. Dokumentationen, weder kulturelle Einzelgänger, noch folgen sie einem filmischen ‚Reinheitsgebot‘ [„the very idea of the purity of a medium“] (Fossati, 2009, S. 20), sondern sie sind Teil eines historisch gewachsenen kulturellen Kontinuums – stets tief verstrickt mit filmischen Verwandten, Vorläufern und Alternativen bis hin zu völligen Gegenentwürfen (vgl. Schuff & Seel, 2018). Und zum anderen verlaufen Prozesse der medialen Kommunikation vermutlich nur selten so linear wie es das Stimulus-Response-Modell nahelegen möchte. Hier gilt es den Rezipient:innen durchaus eine gewisse Eigenständig- bis auch Widerständigkeit zuzutrauen, wie es beispielsweise ja auch in den Rezeptionsstudien der Cultural Studies immer wieder gezeigt wurde. Dies soll jedoch nicht als Manko der Abschlussarbeit von Krüger herausgestellt werden. Im Gegenteil – es soll damit lediglich darauf verwiesen werden, dass der diesbezügliche Forschungsstand im Fach auch andere Ausgangspositionen zugelassen hätte und sich Krüger mit ihrer Themenwahl in einem sehr relevanten und immer noch nicht ausgereizten Forschungsfeld bewegt, nämlich der qualitativen Rezeptionsforschung filmischer Medien.
Dem Umfang einer Abschlussarbeit angemessen stellt Krüger zunächst den Forschungsstand zu Vertrauen und Journalismus dar (insb. Luhmann, Blöbaum und Kohring), leistet Begriffsarbeit (Dokumentation; Streamingplattform; Infotainment) und klärt das methodische Vorgehen. Das anschließende Ergebniskapitel stellt den umfassendsten Teil dieser Arbeit dar und legt von der Produktivität dieser sicherlich kleineren, aber doch gelungenen Studie Zeugnis ab. Interessanterweise bestätigt sich nämlich der Ursprungsverdacht Krügers nicht, dass die Netflix-Dokumentationen die Rezipient:innen ‚täuschen‘ könnten. Im Gegenteil – durch den Vergleich der Interviews wird vielmehr deutlich, dass die Rezipient:innen den hohen Unterhaltungswert der Dokumentationen durchaus wahrnehmen und die stark wertenden, dramaturgischen Eingriffe durch z. B. Schnitt und Musik kritisch reflektieren (vgl. „Großer Fokus auf Unterhaltung“, S. 94). Krüger kann anhand ihrer Interviews zeigen, dass wenn die Dokumentation als ‚zu‘ dramatisierend und emotionalisierend wahrgenommen wird, dass dann das Vertrauen in die Dokumentation und damit in die Seriosität und Glaubwürdigkeit der Dokumentation, abnimmt (S. 95). Zudem kann sie überzeugend zeigen, nur weil Zuschauer:innen sich Inhalten zuwenden, die ihren Neigungen und Haltungen entsprechen, heißt das nicht, dass sie auch die gezeigten Inhalte unreflektiert übernehmen. Vielmehr wird durch die Interviews deutlich: Unterhaltung und Kritik müssen sich nicht ausschließen. Darüber hinaus sind die Ergebnisse dieser Abschlussarbeit für die mediensoziologische Rezeptionsforschung interessant, da sie zudem auf das stets grundsätzliche Spannungsverhältnis im Alltag ökonomisierter Medienkulturen aufmerksam machen, welchen sich die Rezipient:innen, also wir, nicht entziehen können. Da wäre zum einen der kulturindustrielle Klammergriff, der sich auch 80ig Jahre nach dem Erscheinen der Dialektik der Aufklärung nicht zu lösen scheint und mit dem es schlicht umzugehen gilt, insbesondere auch bei der Frage, welchen Medieninhalten Vertrauen geschenkt werden soll und kann. Und zum anderen wäre da das Spannungsverhältnis von Dokumentation und Fiktion, welches es bei der Frage nach medialen Vertrauensobjekten zu berücksichtigen gilt und das sich durch sämtliche Formen medialer Kommunikation zieht. Ein Spannungsverhältnis, mit dem sich der Journalismus ebenso auseinandersetzen muss, wie Historiker:innen, Kommunikationswissenschaftler:innen und Produzent:innen von Netflix-Dokumentationen. Und auch wenn sich Krüger in ihrer Abschlussarbeit dafür entschieden hat, dieser Differenz keine explizite Berücksichtigung zu schenken, so werben ihre Ergebnisse für eine weitere Untersuchung eben dieses Zusammenhangs. Denn interessanterweise ist es ja gerade der explizite Inszenierungscharakter der Netflix-Dokumentationen, der die Interviewpartner:innen – und zwar alle – zur Reflexion des eigenen Rezeptionsverhalten angehalten hat. Dann also, wenn sich das Erzählen selbst als solches anzeigt, wurde seitens der Rezipient:innen explizit innegehalten und sich gefragt: Wie glaubwürdig finde ich das Format? Und vertraue ich ihm?
Während Lotta Krüger sich mit der Frage nach der Bildung von Vertrauen in Prozessen der medialen Kommunikation auf der Mikroebene auseinandergesetzt hat, geht Malte G. Schmidt der Konstruktion von Vertrauen auf struktureller Ebene nach. In seiner Doktorarbeit „Systemvertrauen und Journalismus im Neoliberalismus“, die 2019 an der Universität Münster angenommen wurde und 2021 bei transcript erschienen ist, untersucht er u. a., welche Bedeutung dem Journalismus „für die Konstitution systemischen Vertrauens in der Gegenwartsgesellschaft“ unter den Bedingungen des Neoliberalismus (S. 235) zukommt. So unterschiedlich beide Arbeiten auch angelegt sein mögen, beide zeugen von der aktuellen Relevanz und Vielseitigkeit einer mediensoziologischen Vertrauensforschung und beide setzen in ihren Projekten die Verbindung von Vertrauen und Journalismus für eine stabile demokratische Gesellschaft zentral. Dies erscheint in Anbetracht gegenwärtiger Entwicklungen und Phänomene wie Fake News, Desinformationskampagnen und sich stets perfektionierender Deep Learning-Software auch als ausgesprochen angezeigt. Phänomene wie die eben genannten irritieren das Verhältnis zwischen medialer Öffentlichkeit, Journalismus und Bürger:innen nachhaltig, rütteln damit am Vertrauen in den Journalismus und damit an nicht weniger als einer der zentralen Säulen liberaler demokratischer Gesellschaften. „Welches Gewicht“, so bemerkt Schmidt, „diese gesellschaftliche Integrationsleistung des Journalismus hat, wird vor allem bemerkbar, wenn sie gefährdet ist“ (S. 241). Und er merkt weiter zutreffend an, dass „diese strukturelle Prägekraft des Journalismus auf historisch lange Sicht längst keine ausgemachte Sache ist“ (S. 243). Vielmehr muss der Journalismus seine Vertrauenswürdigkeit immer wieder unter Beweis stellen. In den Gegenwartsgesellschaften des globalen Nordens muss er dies zudem, so Schmidt, unter den Bedingungen neoliberaler Märkte tun. Im Kontext des Neoliberalismus aber, so Schmidt, sei dieses Vertrauen fragil geworden, da die Medienunternehmen immer stärker von ökonomischen Zwängen geprägt seien, was zu einer Verengung der Themenvielfalt und einer tendenziell unkritischen Berichterstattung gegenüber den vorherrschenden Machtstrukturen führe. Selbstverständlich hat das Spannungsverhältnis zwischen kritischer Unabhängigkeit und ökonomischer Abhängigkeit schon immer den Journalismus geprägt. Schmidt jedoch geht davon aus, dass sich dieses Spannungsverhältnis im Neoliberalismus noch einmal deutlich intensiviert hat. Seine These lautet: „Je mehr sich die Medienlogik auf Publikumsseite in Richtung des kommerziellen Pols verschiebt, desto unwahrscheinlicher wird langfristig die Akteurfiktion eines gesellschaftlichen Journalismussystems“ (S. 243).
Schmidt verfolgt mit seiner Arbeit zwei Ziele, die unmittelbar zusammenhängen: Zum einen will er untersuchen, „wie die Integrationsleistung des Journalismus von den genannten Neoliberalisierungsprozessen tangiert wird“ (S. 241) und zum anderen will er „ein grundfundiertes Beschreibungsangebot für aktuelle Phänomene systemischen Vertrauens liefern“ (S. 277). Die Argumentation Schmidts beginnt mit einer gründlichen und kritischen Aufbereitung zentraler theoretischer Vertrauenskonzepte (insbesondere Luhmann, aber auch Giddens, Kohring, Jalava und Morgner), er ergänzt diese dann um eine stärker Akteur-zentrierte Perspektive (Schimank), um daran anknüpfend eine eigene Definition von Systemvertrauen zu entwickeln, für welche dann eben wiederum „der Journalismus als gesellschaftlicher Vertrauensintermediär in den Fokus [gerät]“ (S. 276). Die Analyse des Dreiecksbündnis aus Systemvertrauen und Journalismus im Neoliberalismus steht dann im Zentrum des zweiten Teils dieser Arbeit, in welchem der Autor durch eher kursorische Bezugnahmen auf Daten einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung die eigenen Thesen zu stützen sucht. Er bezieht sich auf die Trendstudie des Instituts für Kommunikationswissenschaft an der Universität Münster, die im Rahmen des dort angesiedelten DFG-Graduiertenkollegs „Vertrauen in Medien“ (2012–2021) durchgeführt wurde. Im Forschungskontext dieses Kollegs ist auch Malte G. Schmidts Arbeit entstanden. Schmidt leitet aus den neoliberalen Logiken weitreichende Konsequenzen sowohl für den Journalismus als auch für Sozialitätsprozesse ab. Als Folge eines an den Markt angepassten Journalismus prognostiziert er beispielsweise nicht nur eine Abnahme des Vertrauens in den Journalismus, sondern eben auch in die politischen Institutionen. Um aus dieser Abwärtsspirale auszusteigen, die letztlich in die „Endgesellschaftung“ führen würde, schlägt er vor gegenzusteuern, statt mit einer „neuen Sprachlosigkeit“ nur zuzusehen (S. 274). Implizit lässt sich aus seinem Text schließen, dass er dies u. a. in der Förderung von unabhängigem Journalismus sowie in der Förderung einer kritischen Öffentlichkeit sieht.
Schmidts Dissertation ist ein engagiert verfasstes Buch zu einem hochaktuellen Thema, das die theoretische Auseinandersetzung nicht scheut und das sich sehr viel vorgenommen hat. Und auch wenn dieses Buch sicherlich über weite Strecken viel leistet, so bleiben doch (zwangsläufig) Aspekte auf der Strecke. So ist beispielsweise fast durchgängig von ‚dem‘ Journalismus die Rede. Nun hat sich aber im Zuge der Plattformisierung gerade das Spektrum des Journalismus enorm verändert und erweitert, Journalist:innen werden sichtbarer, Textsorten und Publikationsorte werden vielfältiger, genauso wie auch die Interaktionsmöglichkeiten mit dem Publikum. Und auch der Autor sieht durchaus die offensichtliche Relevanz dieser Entwicklungen für sein Forschungsfeld (S. 177), stellt es jedoch als Manko in den von ihm angeführten Arbeiten heraus (z. B. auf S. 177 in Auseinandersetzung mit Schimank). Dass Schimank (2002) jedoch in erster Linie noch mit den Massenmedien argumentiert, ist kein Versäumnis, sondern schlicht dem Entstehungskontext seiner Publikation geschuldet. Aber dass Schmidt die Konsequenzen des digitalen Wandels in seinem thematischen Zuschnitt nicht prominenter berücksichtigt hat, lässt sich nicht mehr über den zeitlichen Index erklären. Weder theoretisch noch sprachlich sucht Schmidt den einfachen Weg, wenn er z. B. schreibt, dass auf Publikumsseite die Orientierung an der Medienlogik zwischen einem normativen und einem kommerziellen Pol oszilliere (S. 243), fragt man sich als Publikumsmitglied unweigerlich, wie sich das wohl im Alltag – vielleicht auch gerade in diesem Moment – realisiere. Doch das ändert nichts daran, dass hier in erster Linie eine Doktorarbeit vorgelegt wurde, die sich nicht davor gescheut hat, die großen Fragen der digitalen Gegenwart anzugehen und die solide Überlegungen zum Verhältnis von Demokratie, Journalismus und Neoliberalismus beiträgt.
Während die Digitalisierung von Öffentlichkeit bei Schmidt eher mitschwingt, steht sie bei Lisa Schwaiger im Fokus ihrer Doktorarbeit. Zu Beginn der Karriere digitaler Netzwerke ruhten große Hoffnungen auf ihrem Potenzial für Partizipation und radikaldemokratische Prozesse. Doch es zeigte sich rasch, dass mittels derselben Infrastrukturen auch das genaue Gegenteil erreicht werden kann. Sie schaffen sowohl Raum für Pepe the Frog als auch für Luisa Neubauer, sie ermöglichen #BlackLivesMatter und Cybermobbing sowie vieles andere mehr, was Gesellschaft nun mal ausmacht – die Gesellschaft, aus der sie hervorgegangen sind und deren integraler Bestandteil sie sind. Besonders deutlich tritt die politische Brisanz dieser Dialektik hervor, wenn man den Blick – wie Lisa Schwaiger es in ihrer Dissertation getan hat – auf den öffentlichen Raum bzw. auf den Strukturwandel von Öffentlichkeit unter digitalen Bedingungen richtet. „Gegen die Öffentlichkeit. Alternative Nachrichtenmedien im deutschsprachigen Raum“ lautet der Titel dieser materialreichen Doktorarbeit. Die Arbeit wurde bereits Februar 2022 bei transcript veröffentlicht und hat sich früh einer zentralen Ambivalenz digitaler Öffentlichkeit zugewendet, nämlich dem Spannungsverhältnis zwischen Gegenöffentlichkeit als kritisch-kontrollierender Gegenpol zu den etablierten Medien und den sogenannten ‚alternativen‘ Öffentlichkeiten, die sich ebenso bezeichnen, jedoch etwas völlig anderes hervorbringen. Schwaiger bestellt damit ein Forschungsfeld, das seit der Publikation ihrer Arbeit tatsächlich beständig an Relevanz noch dazugewonnen hat.
Ausgehend von der Beobachtung, dass unter ‚alternativen Nachrichtenmedien’ völlig unterschiedliche politische Akteur:innen und Interessen firmieren können und daher ein vorab gewählter „Fokus auf alternative Medien, die antidemokratisch agieren und desinformative Inhalte verbreiten [als zu] einschränkend“ anzunehmen ist (S. 105), hat sich Schwaiger für einen konsequent offenen Begriff entschieden. Sie fasst alternative Nachrichtenmedien als „deutschsprachige Websites, die aktuelle Nachrichten verbreiten und nicht zu den etablierten Informationsmedien zählen“ (S. 105). Zudem versteht sie diese „als eine mögliche Form von Gegenöffentlichkeit und als Gegenpol zur massenmedial hergestellten Öffentlichkeit durch professionelle Nachrichtenmedien“ (S. 12). Leitend für ihre Analyse ist eine mehrgliedrige Fragestellung, die danach fragt: (1.) wie sich „alternative Online-Nachrichtenmedien in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz definitorisch einordnen“ lassen, (2.) „welchen Stellenwert sie in der öffentlichen Kommunikation auf digitalen Plattformen einnehmen“ (S. 106) sowie (3.) „inwiefern sie untereinander im digitalen Raum vernetzt sind“ (S. 248). Um diesen unterschiedlich gelagerten Forschungsinteressen gerecht zu werden, hat sie ein Studiendesign aus quantitativen und qualitativen Methoden entwickelt. Ziel der Arbeit ist es, „ein umfangreiches Bild über erstens die Häufigkeit alternativer Nachrichtenangebote in den drei Untersuchungsländern, zweitens das Selbstverständnis dieser im Zuge einer typologischen Einordnung, drittens deren Netzwerkstrukturen und viertens deren Relationen in den jeweiligen Beziehungsnetzwerken“ zu geben (S. 124).
Die empirische Konsequenz dieser offenen Herangehensweise ist ein Sample, das tichyseinblick.de, deutsch.rt.com und kenfm.de ebenso umfasst wie übermedien.de oder die krautreporter.de (insgesamt umfasst das Sample 178 Websites, von welchen 55 näher untersucht wurden). Aus dieser systematisch und transparent erhobenen Bandbreite ‚alternativer Nachrichtenmedien‘ leitet Schwaiger vier Typen ab: Typ I ‚Aufdecker der Mainstreamlügen‘, Typ II ‚Verschwörung und Spiritualität‘, Typ III ‚Aufstand der Zivilgesellschaft‘ und Typ IV ‚Die seriöse Alternative‘. Die Krux des Begriffs ‚alternativer Nachrichtenmedien‘ wird insbesondere durch diese typologische Unterscheidung deutlich, die Schwaiger vornimmt. Denn so unterschiedlich diese vier Typen auch sein mögen, für alle diese ‚alternativen Nachrichtenmedien-Typen‘ gilt, dass sie sich als ‚Vierte Gewalt‘ positionieren, deren Aufgabe und Pflicht es sei, die hegemoniale politische und mediale Öffentlichkeit zu kritisieren und zu kontrollieren. „Dabei agieren sie – je nach Typ – entweder in einer ergänzenden Funktion gegenüber etablierten Medien und versuchen, eine Alternative zum kommerzialisierten Mediensystem einzunehmen. Oder aber sie definieren sich als klare Opposition zum Mainstream“ (S. 250). Indem Schwaiger auch die Vernetzung unter den ‚alternativen Nachrichtenmedien‘ untersucht, kann sie zudem mindestens zwei weitere wichtige Ergebnisse in die aktuelle Debatte bezüglich ‚alternativer Nachrichtenmedien‘ einbringen: (1.) dass es insbesondere Typ I und II, also die eher rechtspopulistischen und verschwörungstheoretischen Typen, sind, denen es gelingt, sich länderübergreifend zu vernetzen und zu affizieren sowie (2.) „dass per Definition nicht von abgeschlossenen ‚Echokammern‘ gesprochen werden kann; vielmehr scheinen (wie angenommen) Verbindungen zwischen Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit zu existieren“ (S. 254). Hier zeigen sich produktive Anschlussstellen an aktuelle Ergebnisse wie beispielsweise von Axel Burns, der bereits 2017 nach der empirischen Sättigung der Echochamber-These gefragt hat und durch dessen Analysen der australischen (damals noch) Twitter-Sphere deutlich wurde, dass die Vorstellung einer in Echochambers und Filterblasen sortierten digitalen Öffentlichkeit nicht der Realität entspricht. „Similarly, large‐scale studies of follower and interaction networks on Twitter (e.g. Bruns et al. 2014) show that national Twitterspheres are often thoroughly interconnected and facilitate the flow of information across boundaries of personal ideology and interest, except for a few especially hardcore partisan communities” (Burns 2017 o. S.)
Natürlich ist die Arbeit Schwaigers mit einem signifikanten Zeitindex versehen. Die verschiedenen Erhebungszeiträume liegen in den Jahren 2018 und 2019, also noch vor der Übernahme von Twitter durch Elon Musk, vor dem Sturm auf das Kapitol und auch noch vor der Corona Pandemie, die in der Arbeit zwar immer wieder berücksichtigt wird, doch sich in den Daten freilich noch nicht niederschlagen konnte. Dies schmälert jedoch nicht den Mehrwert dieser Arbeit, die sich frühzeitig einem ganz grundsätzlichen Strukturproblem digitaler Öffentlichkeit zugewandt hat und auf die grundsätzliche Ambivalenz digitaler Räume als Herausforderung für kommunikatives Handeln aufmerksam macht.
Karsten Pieper hat sich in seiner Doktorarbeit ebenfalls mit den digitalen Veränderungen in den Nachrichtenmedien auseinandergesetzt. Anders als Schwaiger oder auch Schmidt fokussiert er allerdings nicht die außenstrukturellen Konsequenzen im Feld öffentlicher Kommunikation, sondern er richtet seinen Fokus auf die binnenstrukturellen Konsequenzen digitaler Transformationen, nämlich die redaktionellen Prozesse von Nachrichtenmedienorganisationen. Durch die Ausspielung journalistischer Inhalte auf die Plattformmedien erweitert sich nicht nur das Interaktionsspektrum zwischen Zeitungsjournalist:innen und ihren Leser:innen, sondern die Publikumsreaktionen werden auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen sicht- und messbar. Diese Prozesse sind Journalist:innen freilich schon bekannt, sei es durch die Einschaltquote beim Fernsehen oder die Auflagenstärke bei Zeitungen. In den digitalen Räumen der Plattformmedien stellt sich diese Form des numerischen Feedbacks jedoch nochmals deutlich ausdifferenzierter dar. Pieper untersucht nun, ob und wie sich die Möglichkeiten der Publikumsbeobachtung und -verdatung im Internet auf die Abläufe der Zeitungsredaktionen auswirken (vgl. S. 15). Denn durch „das Beobachten, Vergleichen und Bewerten von Daten scheinen sich organisationsintern zugleich neue und datenspezifische Leistungsindikatoren zu entwickeln“ (S. 105). Pieper unterscheidet hierbei insbesondere zwei Forschungsfragen: (1.) ob sich durch die digitalen Möglichkeiten der Publikumsvermessung neue Nachrichtenwerte etablieren, die – je nach redaktioneller Linie – den klassischen Nachrichtenwerten den Rang ablaufen können sowie (2.) ob die Möglichkeiten der Publikumsvermessung das berühmte ‚Bauchgefühl der Medienmacher‘ (vgl. Schultz 2007) zu bändigen wissen (vgl. S. 16). Pieper hat sich für ein qualitatives Forschungsdesign entschieden. Hinsichtlich der methodischen Angaben bleibt er allerdings eher allgemein und beschränkt sich auf das Notwendigste. Transkribiert wurde in Anlehnung an das Basistranskript von GAT 2 (S. 117), die zitierten Interviewsequenzen scheinen jedoch vielmehr den Vorgaben des Minimaltranskripts von GAT 2 zu folgen. Piepers ethnographische Miniatur kommt dennoch zu interessanten Ergebnissen. So sind sich die Redakteur:innen beispielsweise wohl der numerischen Möglichkeiten bewusst, wissen jedoch auch, dass sie sich „nicht zu Tode messen“ dürfen (S. 151). Interessant ist auch, wie sehr sich der von Malte G. Schmidt theoretisch skizzierte Zirkel aus ökonomischen Überlegungen und redaktionellen Entscheidungen in den Daten Piepers realisiert, z. B. wenn die Redakteur:innen selbst die Relevanz der Clickgewohnheiten für die inhaltliche Ausrichtung der Webseite thematisieren und betonen: „Also das ist echt auch für das Geschäftsmodell wichtig“ (S. 151).
Karsten Piepers Doktorarbeit bewegt sich damit in einem weiten Sinne in der Tradition der Studies of Work (vgl. Bergmann, 2006; Knoblauch & Heath, 1999) und verfügt folglich über prominente Vorfahren, z. B. Georgina Borns intensive Ethnographie in der BBC („Uncertain Vision: Birt, Dyke and the Reinvention of the BBC“, 2005). Und auch wenn es sich bei Born weder um Printmedien noch um Plattformmedien handelte, so hat die Studie durchaus relevantes Wissen darüber hervorgebracht, welche Annahmen in Redaktionsräumen, wie, über das potenzielle Publikum getroffen werden. Und diese Ergebnisse erscheinen gerade im Vergleich zu den Ergebnissen von Pieper recht erhellend. So unterstreicht Born beispielsweise: „Television production and broadcasting are accompanied by rich discourses of professional values which circulate between producers, broadcasters and other professionals and critics, and which are marked both by consensus and by conflict and controversy” (2000, S. 422). An diesen Kontroversen dürfte sich auch bis heute nichts geändert haben, nur dass sich jetzt eben auch noch die numerischen Vermessungen des Publikums in diese Entscheidungsprozesse mit einbringen. Dies hat zur Folge, so Pieper, dass sich „[i]n der Umwelt der Redaktion (...) darüber hinaus eine Wirkmächtigkeit von ‚Dritten‘ (zwischen Massenmedien und Publikum stehende Distributionsplattformen und Datendienstleister) ab[zeichnet], die zu neuen redaktionellen Unsicherheiten und Abhängigkeiten führt“ (S. 102). Mit anderen Worten: Durch die Relevanz der Daten nimmt auch die Relevanz der Tech-Konzerne für die redaktionellen Abläufe zu. Ob aber daraus auch gefolgert werden kann, so wie es Pieper in seinem Fazit vorschlägt, dass die Medienorganisationen vor einem einschneidenden Wandel stünden (vgl. S. 223), kann nicht final mit dieser Studie beantwortet werden. Vielmehr scheinen die Journalist:innen sich der Begrenztheit der Aussagekraft der Daten bewusst zu sein (vgl. S. 179). Und liest man die Studie zudem unter dem Eindruck der Argumentation von Malte G. Schmidts theoretischer Diagnose zum Journalismus unter neoliberalen Bedingungen, so wird an dieser Stelle doppelt deutlich, wie notwendig ein unabhängiger Journalismus ist, der Themen auf die Agenda setzen kann, und zwar unabhängig von ihrer ‚Clickability‘.
Ein zentrales Anliegen mediensoziologischer Forschung ist, zu untersuchen, wie und auf welche Weise mediale Angebote die sozialen Konstruktionsprozesse der Wirklichkeit modifizieren. Dabei sind die verschiedenen Formen medialer Kommunikation nicht als Optionen in das soziale Gewebe gesellschaftlicher Wirklichkeit eingelassen, die man an- und wieder wegklicken kann, sondern sie bringen eigene Wissens- und Denkordnungen von Gesellschaft in die Konstruktionsprozesse ein und modifizieren die Bedingungen grundlegender sozialer Prozesse wie die des Wahrnehmens, Verstehens und Bewertens. Dieses Wechselspiel lässt sich auf unterschiedlichen Forschungsebenen operationalisieren: Auf der Ebene der Rezeption, wie es beispielsweise Lotta in ihrer Studie zum Vertrauen in Dokumentationen auf Netflix gemacht hat, auf der Ebene der Produktion wie beispielsweise Karsten Pieper bei den Nachrichten-Redaktionen oder auf der Ebene des Produkts selbst, wie es beispielsweise Lisa Schwaiger bei ihrer Analyse alternativer Nachrichtenmedien unternommen hat oder wie es größtenteils auch die Beiträger:innen des Herausgeberinnenbands „Geschlecht und Medien. Räume, Deutungen, Repräsentationen“ von Britta Hoffarth, Eva Reuter und Susanne Richter getan haben, der 2020 bei Campus erschienen ist. Die mediensoziologische Grundannahme zur intrikaten Verwobenheit von Medialität und Sozialität in den relationalen Konstruktionsprozessen der Wirklichkeit trifft sich mit dem techniksoziologisch und medienphilosophisch orientiertem Ansatz der Herausgeberinnen, die diesbezüglich in Anlehnung an Karan Barad von „Diffraktionen/Interferenzen“ (vgl. 2013, S. 20–21) sprechen. Sie pointieren die Untersuchung dieses Wechselspiels durch die Wahl einer dezidiert feministischen Perspektive und bekommen so „die zentrale Bedeutung von Geschlecht in diesem Konnex“ in den Blick sowie Prozesse der sozialen Ungleichheit und Macht (S. 7). Von dieser theoretischen Basis aus untersuchen die 14 Beiträge des Bands „verschiedene Praktiken des Mit-Medien-Seins, um den jeweiligen Materialisierungseffekten in Bezug auf Geschlechter- und globale Kolonialisierungsverhältnisse auf den Grund zu gehen“ (S. 11). Neben der Repräsentationskritik geht es in den Beiträgen immer auch um die Frage, „wie technische Apparaturen und digitale Algorithmen im Sinne von automatisierten Entscheidungsprozessen an der Gestaltung des Sozialen beteiligt sind“ (vgl. S. 9). Eine ganz basale Modifikation der Gestaltung des Sozialen unter digitalen Bedingungen liegt beispielsweise in der Konstitution der Räume. Die Herausgeberinnen betonen bereits in der Einleitung, dass die digitalen Transformationen keine Spezifik der Lebensbereiche des globalen Nordens seien, sondern „in neokolonialistischer Weise auch global bedeutsam[e] (...) Facetten darstellen“ (S. 9). Wie sich diese materialisieren und westliche Herrschaftsformen auch in digitalen Räumen reproduzieren, zeigt beispielsweise Pinar Tuzcu eindrücklich in ihrem Beitrag „Cyberkolonialismus und dekoloniale feministische Applikationen“ (S. 126–147). Neben anderen Beispielen zeichnet sie anhand des preisgekrönten Dokumentarfilms „The Cleaners“ von Hans Block und Moritz Riesewieck (BRD, 2018) die Reproduktion von sozialer Ungleichheit durch Digitalisierungsprozesse nach. Die Gleichzeitigkeit von Veränderung und harten Grenzen als Merkmal digitaler Transitionen wird hier eindrücklich deutlich und unterstreicht die grundsätzliche Dialektik des Digitalen.
Die Fragestellungen, medialen Untersuchungsgegenstände und theoretischen Perspektiven, die in diesem Band zusammengeführt wurden, sind ebenso vielseitig wie lesenswert. Die kommunikative Reflexion der männlich dominierten Let’s-Play-Szene auf YouTube durch weiblich gelesene Akteur:innen wird ebenso zum Thema (Sylvia Wehren, „Perspektiven auf Geschlecht in der deutschsprachigen Let’s-Play-Szene. Überlegungen am Medium YouTube“, S. 21–42), wie die „Zugehörigkeitskonstruktionen (extrem) rechter Akteur:innen“ (Katrin Degen, S. 104–124) auf den verschiedenen Online-Medien der (extrem) rechten Szene (vgl. S. 107). Analysiert wird auch die (Re-)Konstruktion von Geschlechterordnungen und ‚authentischer‘ Weiblichkeit in Beauty-Tutorials auf YouTube (Susanne Richter, „‘Sei was du willst, aber sei es richtig‘. Anforderungen zur Authentizität in Beauty Videos als Strategie flexibler Essentialisierung“ (S. 65–83)). Die Weite des medialen Spektrums, die dieser Band abdeckt, wird u. a. durch den Beitrag von Janosch Meyer deutlich, der die Wirksamkeit von Filmmusik bezüglich der Reproduktion von GenderStereotypie untersucht. Als Analysegegenstand dient ihm Fritz Langs „Die Nibelungen“ (1924), was ihm erlaubt auch eine medienhistorische Perspektive einzunehmen und ihre Produktivität für die Analyse der Transformationen des Verhältnisses von Geschlecht, Macht und Medien einmal mehr unter Beweis zu stellen (S. 280–299).
Und auch wenn im Rahmen dieser Sammelrezension leider nicht jeder Beitrag angesprochen, geschweige denn besprochen werden kann – wie z. B. Folke Brodersons Beitrag zur „Konstruktion ‚sexueller Kontrolle‘ in Reportagen pädophiler Non-Offender“; oder der von Christiana Bers zu den kinderlosen Wissenschaftlerinnen; oder der zu Cyberhate von Emma Alice Jane u. v. m. – und die Beiträge selbstverständlich Unterschiede in ihren theoretischen und methodischen Ausführungen aufweisen, so kann hier doch sehr zur Lektüre dieses kurzweiligen Bands über ein vielseitiges, aktuelles und hoch relevantes Forschungsfeld geraten werden.
Tenor medien- und kommunikationssoziologischen Schaffens ist die Frage danach, wie und auf welche Weise Medien und Kommunikation die Routinen und Relevanzen der pluralisierten Gegenwartsgesellschaften modifizieren. Und so trivial die Einsicht ist, dass sie es tun, so schwierig und herausfordernd ist es doch immer wieder, diesen Umstand bewusst zu machen und dabei insbesondere auch aufzuzeigen – wie sie es tun. Wie produktiv die Auseinandersetzung mit dieser Frage sein kann, auch auf ganz unterschiedlichen medialen Terrains, davon legen diese fünf Publikationen Zeugnis ab – und auch davon, wo weitere Forschung nötig ist: z. B. hinsichtlich der Konstruktion von Vertrauen in digitalen Räumen, der Entwicklung von nicht-diskriminierenden Codier-Praktiken, den Arbeitsbedingungen eines unabhängigen Journalismus sowie der Glaubwürdigkeit von filmischen Formaten.
Literatur
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Schuff, J., & Seel, M. (2018). Einleitung: Erzählung, Rechtfertigung, Terror und Krieg im Kino. In J. Schuff & M. Seel (Hrsg.), Erzählungen und Gegenerzählungen: Terror und Krieg im Kino des 21. Jahrhunderts (S. 17–47). Campus.Search in Google Scholar
Schultz, I. (2007). The journalistic gut feeling. Journalism Practice,1(2), 190–207.10.1080/17512780701275507Search in Google Scholar
© 2025 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
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Articles in the same Issue
- Frontmatter
- Frontmatter
- Editorial
- Symposium
- Theorie oder Therapie? Wie die prekäre Beziehung von Rechtssoziologie und Rechtstheorie zu verbessern ist
- Recht als Gegenstand, Disziplin oder Praxis?
- Zukunftsfähigkeit der Rechtssoziologie
- Essay
- Alles schlecht von Marrakesch bis Bagdad? Über den Sinn von Jugendstudien über eine ganze „Region“
- Themenessay
- Künstliche Intelligenz und gesellschaftliche Machtverhältnisse
- Sammelbesprechung
- Aktuelle Fragestellungen der Mediensoziologie
- Doppelbesprechung
- Tafelläden gegen Ernährungsunsicherheit?
- Einzelbesprechung Alter(n) und Gesellschaft
- Vera Miesen, Engagement und Habitus im Alter: Milieuspezifische Engagementtätigkeit im sozialen Nahraum. Bielefeld: transcript 2022, 270 S., kt., 44,00 €
- Einzelbesprechung Daten, Algorithmen und Digitaler Kapitalismus
- Markus Unternährer, Momente der Datafizierung: Zur Produktionsweise von Personendaten in der Datenökonomie. Bielefeld: transcript 2024, 258 S., kt., 39,00 €
- Einzelbesprechung Kreativitätsforschung
- Konstantin Hondros, Liminale Kreativität: Praktiken kleinster Transformationen in der Produktion von Soundalikes. Marburg: Büchner-Verlag 2023, 402 S., br., 37,00 €
- Einzelbesprechung Mediensoziologie
- Christian Schulz, Infrastrukturen der Anerkennung: Eine Theorie sozialer Medienplattformen. Frankfurt am Main: Campus 2023, 453 S., br., 45,00 €
- Einzelbesprechung Normative Soziologie
- Max Haller, Die revolutionäre Kraft der Ideen: Gesellschaftliche Grundwerte zwischen Interessen und Macht, Recht und Moral. Wiesbaden: Springer VS 2022, 961 S., eBook, 64,99 €
- Einzelbesprechung Politikwissenschaft
- Tobias Breuckmann, Die Regierung von Migration in Lagern: Geographien der Macht am Beispiel Lesvos. Münster: Westfälisches Dampfboot 2024, 418 S., kt., 40,00 €
- Einzelbesprechung Wertlose Wahrheit
- Felix Keller, Anonymität und Gesellschaft Bd. I: Die Beschreibung der Anarchie. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2021, 600 S., br., 59,90 € Felix Keller, Anonymität und Gesellschaft Bd. II: Wissenschaft, Utopie, Mythos. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2022, 600 S., br., 59,90 €
- Rezensentinnen und Rezensenten des 2. Heftes 2025
- Eingegangene Bücher (Ausführliche Besprechung vorbehalten)
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