Seth G. Jones/Riley McCabe/Alexander Palmer: Ukrainian Innovation in a War of Attrition. Washington, D.C.: Center for Strategic and International Studies (CSIS), Februar 2023
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Jones Seth G. McCabe Riley Palmer Alexander Ukrainian Innovation in a War of Attrition Washington, D.C. Center for Strategic and International Studies (CSIS) Februar 2023
Die 15-seitige Kurzanalyse des CSIS fragt nach den Ursachen des weitgehenden Scheiterns von Russlands Überfall auf die Ukraine. Die Autoren geben zu diesem Zweck eine Einschätzung des Kriegsverlaufs. Sie fragen dann nach den Faktoren, die es der Ukraine ermöglicht haben, sich gegen Russland erfolgreich zu wehren, und nehmen dabei vor allem die Innovationsleistung der ukrainischen Streitkräfte in den Blick. Des Weiteren geben sie einen Ausblick, in dessen Mittelpunkt die Frage steht, welche Rolle die Innovationskraft der Ukrainer künftig unter Bedingungen eines Abnutzungskriegs spielen kann.
Im ersten Abschnitt zum Kriegsverlauf konstatieren die Autoren, dass Russland trotz großer Überlegenheit seine „Blitzkrieg“-Strategie nicht erfolgreich umsetzen konnte. Allerdings ist der Begriff „Blitzkrieg“ falsch gewählt, denn die russischen Vorbereitungen hatten wenig gemein mit dem deutschen Blitzkrieg gegen Polen im Jahr 1939 oder Frankreich im Jahr 1940. Vorbild für den Angriff Russlands war wohl eher die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 in der Erwartung, auf keinen oder nur geringen Widerstand zu stoßen. Eben weil es kein durchdachter „Blitzkrieg“ war, ist Russlands Angriff gescheitert. Während sich die Tschechen und Slowaken gegen die erdrückende Mehrheit von etwa 500.000 Soldaten keine Chance für Widerstand ausrechnen konnten, war die Lage der Ukrainer eine andere, denn ihre Unterlegenheit erschien keinesfalls so aussichtslos. Der Angriff sei gescheitert, so die Verfasser, wenngleich Russland weiterhin Teile der Ukraine besetzt halte. Doch belaufe sich dieser Anteil gegenüber zeitweilig 30 Prozent des Territoriums auf derzeit nur noch 17 Prozent, weil die Ukrainer Ende 2022 große Teile Land zurückerobern konnten.
Die Verfasser versuchen die Verluste Russlands einzuschätzen, was anhand der unvollständigen Datenlage nicht einfach sei. Sie gehen davon aus, dass bei den regulären russischen Truppen und verbündeten Milizen zwischen 60.000 und 70.000 Mann gefallen sind. Die Gesamtzahl der Gefallenen, Verwundeten, Vermissten und Desertierten auf Seiten Russlands und der Milizen schätzen die Verfasser auf 200.000 bis 250.000. In keinem Krieg nach dem Zweiten Weltkrieg habe Russland solch enorme Verluste erlitten. Die Verluste der Ukrainer hingegen seien deutlich geringer ausgefallen.
Für die Erfolge der Ukraine im Kampf gegen die russische Invasion seien mehrere Faktoren verantwortlich. Neben der Unterstützung durch die USA und andere westliche Nationen habe vor allem effektive Innovation den Ausschlag gegeben, und zwar hauptsächlich der innovative Gebrauch von unbemannten Flugsystemen unterschiedlicher Bauart. Diese hätten die Fähigkeit der Aufklärung des Gefechtsfelds, Zielerfassung, Zielbekämpfung und auch für den Informationskrieg erheblich verbessern können.
Der Krieg werde mehr und mehr zu einem Abnutzungskrieg, der Ähnlichkeiten mit dem Ersten Weltkrieg aufweise. In einem Abnutzungskrieg versucht jede Seite die Mittel der anderen Seite möglichst zu erschöpfen, ohne im gleichen Maß an Kräften zu verlieren. Während Russland glaubt, am Ende gäbe seine Überlegenheit an Menschen und Material den Ausschlag, sehen die Verfasser Chancen, dass auch die Ukraine in einem Abnutzungskrieg siegt. Dazu bedürfe es auf Seiten des ukrainischen Militärs Verbesserungen institutioneller Art, um die Innovationsfähigkeit stärker ausbauen und verbessern zu können. Außerdem sei die fortgesetzte Unterstützung der Ukraine durch den Westen wichtig.
https://www.csis.org/analysis/ukrainian-innovation-war-attrition
© 2023 bei den Autorinnen und Autoren, publiziert von De Gruyter.
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