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Bayern LB Research/Prognos: Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen. München: Prognos, Juni 2020

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Veröffentlicht/Copyright: 27. November 2020

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Bayern LB Research/Prognos: Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen München Prognos Juni 2020


Deutschland war bisher einer der größten Profiteure der wirtschaftlichen Globalisierung. Eine starke Exportorientierung und die hohe Qualität deutscher Produkte bildeten die Grundlage des Erfolgs und der Wettbewerbsfähigkeit. Als führende Handelsmacht ist der wirtschaftspolitische Kompass der Bundesregierung dementsprechend liberal ausgerichtet: internationale Arbeitsteilung, Offenheit und Verflechtung werden grundsätzlich positiv gesehen. Je stärker deutsche Waren im Ausland nachgefragt werden, desto besser geht es der heimischen Wirtschaft, insbesondere der Industrie. Berlin setzt sich daher seit langem für offene Märkte und verbindliche globale Handelsregeln ein. Doch die Weltwirtschaft wandelt sich, und zahlreiche Stressfaktoren setzen das stark exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands unter Druck. Die Liste der Herausforderungen, Konflikte und Unsicherheiten ist lang: Protektionismus, Digitalisierung, Brexit, neue Großmachtkonflikte, Klimawandel und jüngst die Corona-Pandemie. Muss sich die deutsche Wirtschaft angesichts dieser Fülle an Veränderungen und Herausforderungen neu ausrichten?

Dieser Fragt geht das neue Analysepapier Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen nach, das von der Bayern LB Research und Prognos verfasst wurde. Die Frage des Titels ist provokant, aber richtig, und sie impliziert Handlungsdruck und Wandel. Dass es Wandel geben wird, ist klar, aber wie weit er geht, welche Branchen besonders betroffen sein werden, und was die Aufgabe der Politik dabei ist, ist in vielerlei Hinsicht ungeklärt. Fest steht: wenn Deutschland seinen Wohlstand wahren und weiterhin an der Spitze bleiben will, ist eine Analyse der Stärken, Schwächen und Potenziale seines Wirtschafts- bzw. Geschäftsmodells sinnvoll. Das knapp 30 Seiten umfassende Papier bietet hierzu eine erste wertvolle Handreichung. Es besteht aus zwei Teilen: im ersten wird die aktuelle Lage der Globalisierung gezeigt, im zweiten Teil werden dann verschiedene Handlungsempfehlungen für deutsche Unternehmen und die Politik vorgestellt.

Die Leitfrage des ersten Teils ist, ob die Globalisierung zum Erliegen gekommen ist. Mehrere Indikatoren, wie etwa der weltweite Waren- und Dienstleistungshandel, der Handel mit geistigem Eigentum und die globalen Kapitalinvestitionen werden für den Zeitraum der beiden letzten Dekaden in den Blick genommen. Dabei zeige sich folgendes Bild: Der weltweite Warenhandel stagniere seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, lediglich Konsumgüter wären mehr exportiert worden. An Bedeutung gewonnen hätten globale Dienstleistungsexporte, die anhaltend wachsen würden. Eine Zunahme gäbe es auch im Bereich des Handels mit geistigem Eigentum und bei datenbasierten Dienstleistungen. Diese stünden jedoch in puncto Umsatz noch deutlich hinter dem klassischen Warenhandel. Auf den Kapitalmärkten seien verschiedene Entwicklungen sichtbar; zum einen ein Rückgang grenzüberschreitender Kapitalströme nach der Finanzkrise, zum anderen eine regionale Verschiebung von Finanzaktivitäten in den asiatischen Raum. In der Gesamtschau kommen die Autoren zu einem eindeutigen und betrüblichen Befund: „Die Ära der Globalisierung, wie wir sie kannten, ist vorbei“ (S. 16). Es gäbe zwar weiterhin zunehmende Verflechtungen und wachsende Marktsegmente, wie etwa der Internethandel, insgesamt habe die Globalisierungsdynamik jedoch an Kraft verloren und sei teilweise sogar rückläufig. Hinzu kämen die jüngsten Erfahrungen durch die Corona-Pandemie, die die Bedeutung krisenfester Lieferketten gezeigt hätten. Das seien alles keine guten Nachrichten für die global ausgerichteten deutschen Unternehmen.

Um sich auf diese Veränderungen einzustellen und von ihnen profitieren zu können, diskutieren die Autoren im zweiten Teil der Studie unter der Überschrift „Ein neues Geschäftsmodell für Deutschland“ drei Handlungsempfehlungen ausführlicher. Erstens sollten deutsche Unternehmen neue geografische Märkte erschließen, womit die geringer entwickelten und demografisch jungen Volkswirtschaften Afrikas und Asiens gemeint sind. Dieser Vorschlag ist zwar richtig, jedoch leichter gesagt als getan. Seit langem wird über die Wachstumspotenziale in den sogenannten Emerging Markets diskutiert, vor zehn Jahren war es die Gruppe der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), heute bzw. künftig sind es „die geografischen Märkte der zweiten Reihe“ (Indonesien, Philippinen, Vietnam, Nigeria und andere). Die Bedingungen sind in jedem Land andere und die Gewinnaussichten geringer als bisher. Letztendlich liegt die Entscheidung, in neue Märkte zu gehen und die Risiken zu tragen, bei den Unternehmen. Die Politik kann hierbei nur mit begrenzten Mitteln und Maßnahmen unterstützen und sich international für möglichst förderliche Rahmenbedingungen einsetzen.

Die zweite Empfehlung sieht die Entwicklung neuer Exportprodukte vor. Dieser Vorschlag ist streng genommen eine Binse und war schon immer zutreffend. Die Stärken deutscher Unternehmen, beispielsweise bei der Energie- und Umwelttechnik und die Schwächen bei digitalen Angeboten sind hinlänglich bekannt. Treibende Kraft für Veränderungen sind auch hier die Unternehmen selbst. Richtig ist, wie die Autoren hervorheben, dass der gesetzliche Rahmen möglichst klar und verlässlich sein müsse, damit die ambitionierten Großziele der Politik gerade im Umwelt- und Klimabereich in den nächsten Dekaden auch ökonomisch umsetzbar sind.

Der dritte und wohl interessanteste Vorschlag betrifft die stärkere Berücksichtigung der Binnennachfrage. Hier wird sich zeigen, ob die Politik künftig willens und in der Lage ist, auch mit öffentlichen Mitteln die Nachfrage auf dem deutschen und europäischen Markt stärker als bisher zu unterstützen. Baustellen und Investitionserfordernisse gibt es hierzulande und bei unseren Nachbarn genügend.

Insgesamt bietet die Studie in kompakter Form einen hilfreichen Überblick zum aktuellen Stand der Globalisierung und zu den nicht wenigen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft. Obwohl viele der aufgezeigten Entwicklungen und Befunde bekannt sind, überzeugt die Gesamtschau. Die drei diskutierten Handlungsempfehlungen an die Adresse der Unternehmen und die Politik (neue Märkte, neue Exportprodukte und stärkere Binnennachfrage) sind zwar nicht neu, aber nicht weniger wichtig. Wünschenswert wäre gewesen, an der einen oder anderen Stelle, stärker auf die damit verbundenen Probleme der Politik einzugehen, denn diese muss – abhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation im Bund – die angesprochenen Weichen in den nächsten Jahren stellen und sie politisch überzeugend begründen, um Deutschlands neues Geschäftsmodell auf den richtigen Weg zu bringen. Dem abschließenden Fazit, dass sich das Exportland Deutschland wandeln werde bzw. müsse, kann unumwunden zugestimmt werden.

https://geschaeftsmodell-deutschland.prognos.com/

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Artikel in diesem Heft

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Die (unvollkommene) Rückkehr der Abschreckung
  6. Auf der Suche nach politischer Rationalität nuklearer Abschreckung
  7. Neue Herausforderungen erfordern neue Ideen: Elemente einer Theorie des Sieges in modernen strategischen Konflikten
  8. Zur Bedeutung von Kernwaffen unter Bedingungen strategischer Rivalität – analytische Denkanstöße
  9. Iran und Israel: Ist ein Krieg unvermeidlich?
  10. Kurzanalysen und Berichte
  11. Erdogan schafft im Windschatten von Corona in Libyen Fakten!
  12. Geopolitische Folgen und Herausforderungen der Coronakrise für die Ukraine
  13. Forum – welche Politik ist angesagt gegenüber China und Russland?
  14. Anregungen zu einer neuen transatlantischen China-Politik
  15. Russlandpolitik in der Kontroverse
  16. Russlandpolitik in der Kontroverse
  17. Ergebnisse strategischer Studien
  18. Russland
  19. Sergey Sukhankin: Instruments of Russian Foreign Policy: Special Troops, Militias, Volunteers, and Private Military Enterprises. Washington, D.C.: The Jamestown Foundation, 2019
  20. Richard Sokolsky/Eugene Rumer: U.S.-Russian Relations in 2030. Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2020
  21. Mathieu Boulègue/Orysia Lutsevych: Resilient Ukraine. Safeguarding Society from Russian Aggression. London: Chatham House, Juni 2020
  22. Naher Osten
  23. Peter Salisbury: Risk Perception and Appetite in UAE Foreign and National Security Policy. London: Chatham House, Juli 2020
  24. Ilan Goldenberg/Elisa Catalano Ewers/Kaleigh Thomas: Reengaging Iran. A New Strategy for the United States. Washington D.C.: CNAS, August 2020
  25. International Crisis Group: Taking Stock of the Taliban’s Perspectives on Peace. Brüssel, August 2020
  26. Europäische Sicherheit
  27. Peter Rudolf: Deutschland, die NATO und die nukleare Abschreckung. Berlin: SWP, Mai 2020
  28. Jana Puglierin/Ulrike Esther Franke: The big engine that might: How France and Germany can build a geopolitical Europe. Berlin/London: European Council on Foreign Relations, Juli 2020
  29. Digitale Sicherheit
  30. Kenneth Geers: Alliance Power for Cyber Security. Washington, D.C.: The Atlantic Council, August 2020
  31. Daniel Kliman/Andrea Kendall-Taylor/Kristine Lee/Joshua Fitt/Carisa Nietsche: Dangerous Synergies. Countering Chinese and Russian Digital Influence Operations. Washington, D.C.: Centers for a New American Security, Juni 2020
  32. JD Work/Richard Harknett: Troubled vision: Understanding recent Israeli-Iranian offensive cyber exchanges. Washington D.C.: The Atlantic Council, Juli 2020
  33. Ökonomische Aspekte des internationalen Wandels
  34. Bayern LB Research/Prognos: Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen. München: Prognos, Juni 2020
  35. Buchbesprechungen
  36. David Shambaugh (Hg.): China and the World. New York: Oxford University Press 2020, 394 Seiten
  37. Tingyang Zhao: Alles unter einem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2020, 266 Seiten
  38. Campbell Craig/Frederik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition. Cambridge, MA und London: Harvard University Press 2020, 443 Seiten
  39. Christopher Hill: The Future of British Foreign Policy. Security and Diplomacy in a World after Brexit, London: Polity Press 2019, 238 Seiten
  40. Jason Lyall: Divided Armies. Inequality & Battlefield Performance in Modern War. Princeton und Oxford: Princeton University Press 2020, 528 Seiten
  41. Ben Saul/Dapo Akande: The Oxford Guide to International Humanitarian Law. Oxford: Oxford University Press 2020, 480 Seiten
  42. James D. Bindenagel: Germany from Peace to Power. Can Germany lead in Europe without dominating? Bonn: Bonn University Press 2020, 223 Seiten
  43. Bildnachweise
  44. Iran and Israel: The Inevitable War?
Heruntergeladen am 10.11.2025 von https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-4023/html?lang=de
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