Home Campbell Craig/Frederik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition. Cambridge, MA und London: Harvard University Press 2020, 443 Seiten
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Campbell Craig/Frederik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition. Cambridge, MA und London: Harvard University Press 2020, 443 Seiten

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Published/Copyright: November 27, 2020

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Craig Campbell Logevall Frederik America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition Cambridge, MA und London Harvard University Press 2020 1 443


Das vorliegende Buch ist die zweite, um neue Forschungsliteratur aktualisierte Auflage einer erstmals 2009 erschienenen Geschichte der US-Außenpolitik im Kalten Krieg. Craig und Logevall möchten erklärtermaßen sowohl eine Gesamtdarstellung als auch eine Gesamtinterpretation bieten. Dementsprechend hat der Titel America’s Cold War zwei Bedeutungsebenen. Auf der ersten verweist er allgemein auf das Agieren unterschiedlicher US-Regierungen in diesem Weltkonflikt; auf der zweiten Ebene enthält der Titel in der Betonung Amerikas Kalter Krieg einen possessiven Genitiv, mit dem die Autoren den Vereinigten Staaten zwar nicht die alleinige Urheberschaft für den Konflikt zuweisen, wohl aber die Verantwortung dafür, dass er viereinhalb Jahrzehnte dauerte. Ihrer Ansicht nach wäre ein Ende des Kalten Kriegs schon in den 1950er Jahren möglich gewesen – hätten nicht Akteure aus eigennützigem Interesse an seiner Fortführung wieder und wieder die Bedrohungen für die USA überzeichnet. Als erklärende Variablen für diese Diagnose eines „Primats der Innenpolitik“ sehen Craig und Logevall parteipolitisches und wahltaktisches Kalkül sowie einen einflussreichen militärisch-industriellen Komplex. Während die narrativ angelegte Darstellung schlüssig und kurzweilig zu lesen ist, leidet die Interpretation an konzeptionellen Schwächen, wie darzulegen sein wird.

Zum Inhalt: Neun Kapitel informieren über wesentliche außenpolitische Entwicklungen, Entscheidungen und Wendepunkte der Präsidentschaften von Franklin D. Roosevelt bis George Bush sen., wobei die Vorgeschichte des Kalten Kriegs und sein Verlauf bis Ende der 1960er Jahre mehr als zwei Drittel des Textes einnehmen.

Ab 1947 setzte Präsident Truman einer Expansion der Sowjetunion in Europa die Strategie des containment entgegen, die maßgeblich auf Ideen des Diplomaten George F. Kennan zurückging. Sie konkretisierte sich im Marshall-Plan, in der Berliner Luftbrücke und der NATO-Gründung. Vom nuklearen Monopol der USA abgeschirmt, seien die Ziele der Eindämmungspolitik bis Mitte 1949 erreicht worden. Doch 1949/50 erweiterte Washington seinen Aktionsradius: Unter dem Eindruck des ersten sowjetischen Nukleartests und des kommunistischen Sieges im Chinesischen Bürgerkrieg forderte das regierungsinterne Strategiepapier NSC-68 ein offensiveres Vorgehen gegen den Kommunismus, gleich wo er auftreten sollte. Nach Nordkoreas Überfall auf Südkorea im Juni 1950 ordnete der zuvor skeptische Truman eine umfassende konventionelle, nukleare und thermonukleare Aufrüstung an.

Besonders interessant zu lesen ist die differenzierte Betrachtung der Eisenhower-Präsidentschaft (1953–1961). Eisenhowers Vorhaben, den Kalten Krieg effektiver und zugleich weniger kostspielig zu führen, übersetzte sich in eine zunehmende Rolle von Geheimoperationen und nuklearer Abschreckung. Positiv beurteilen die Autoren John F. Kennedys Handeln in der Kuba-Krise und die anschließenden entspannungspolitischen Schritte, kritisch die von ihm betriebene Aufstockung der US-Präsenz in Südvietnam. Hinter der Entscheidung seines Nachfolgers Lyndon B. Johnson, den Vietnamkrieg 1964/65 trotz vorhandener Zweifel zu „amerikanisieren“, sehen sie psychologische Motive: LBJ habe nicht nur um Amerikas, sondern besonders auch um seine eigene Glaubwürdigkeit gefürchtet. Die desaströsen Folgen sind bekannt.

Die Außenpolitik von Richard Nixon und Henry Kissinger trug einem relativen Machtverlust der USA Rechnung. Zu ihren Leistungen zählen die (späte) Beendigung der fatalen Intervention in Vietnam, die diplomatische Annäherung an China sowie die Rüstungskontrollabkommen mit der UdSSR – zwischen 1969 und 1973 erlebte die détente zwischen Washington und Moskau ihre Hochblüte. Doch die problematischen Methoden der Nixon-Administration rückten für viele Amerikaner auch die Entspannungspolitik ins Zwielicht. Auf das Interregnum von Gerald Ford folgte mit Jimmy Carter ein Washington outsider, der die Wiederherstellung präsidialer Integrität versprach. Die Außenpolitik Carters geriet schon bald in Zielkonflikte zwischen Sicherheits-, Entspannungs-, Menschenrechts- und Bündnispolitik. Seit längerem unter steigendem Druck, zerbrach die détente 1979 mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Die Supermächte kehrten zur Konfrontation zurück. Der Eindruck eines amerikanischen Niedergangs, versinnbildlicht durch Carters Ohnmacht in der iranischen Geiselkrise, ebnete 1980 dem konservativen Optimisten Ronald Reagan den Weg ins Weiße Haus.

Die Autoren sehen Reagans großes Verdienst darin, dass er nach seiner Wiederwahl 1984 den harten Kurs der ersten Amtszeit milderte, früher als sein Umfeld über die Logik des Kalten Kriegs hinausdachte und die Chancen zur Konfliktüberwindung wahrnahm, die sich mit Gorbatschow ab 1985 eröffneten. Das Ende des Kalten Kriegs erklären Craig und Logevall multikausal. Die primären Gründe für den Zerfall des Sowjetimperiums zwischen 1989 und 1991 lägen in Gorbatschows Reformen und ihrer unvorhergesehenen Eigendynamik, nicht in der Reagan-Offensive.

Das Schlusskapitel diagnostiziert ein Fortwirken von Mustern des Kalten Krieges bis heute – die so beneidenswert sicheren USA hätten eine addiction to insecurity entwickelt, bei der threat inflation für einige Akteure profitabel sei, zum Schaden des Gemeinwohls. Gewährsmann für diese These ist George Kennan (1904–2005), der schon genannte Vordenker der Eindämmungsstrategie und spätere Kritiker der US-Außenpolitik. Kennan tritt bereits in der szenischen Eröffnung des Buches mahnend auf und hat schließlich das letzte Wort: Die Amerikaner müssten mit dem containment bei sich selbst anfangen. Craig und Logevall bekennen sich somit zu einer ehrwürdigen republikanischen Denktradition, welche die Werte und Errungenschaften der USA stets durch imperial-expansive Versuchungen gefährdet sieht.

An der gelungenen Darstellung ein Dutzend kleinerer Sachfehler zu monieren, mag pedantisch wirken, doch von einer Zweitauflage bei Harvard University Press darf man Detailgenauigkeit erwarten. Die Autoren verlegen u. a. die Gründung der Bundesrepublik in den Herbst 1949 (97); Indonesiens Staatschef Sukarno, der nur diesen einen Namen trug, wird nach einer sich hartnäckig haltenden Legende wieder einmal der Vorname Achmed unterstellt (157, 177); die Bandung-Konferenz von 1955 war ein Gipfel der asiatisch-afrikanischen, nicht der blockfreien Nationen (157); China wurde schon vor Nixons Besuch Mitglied der UN, nicht erst Monate danach (266); Gorbatschows Vorgänger Tschernenko wurde 1911 geboren und konnte daher beim Amtsantritt 1984 kein octogenarian sein (321). Zu pauschal ist die Behauptung, Moskau habe sich kaum für Südostasien interessiert und die Region als strategisches backwater betrachtet (218). Das traf auf Stalin zu, nicht aber auf Chruschtschow, unter dessen Führung die sowjetische Aktivität in Südostasien ab Mitte der 1950er Jahre merklich zunahm, so durch Militärhilfe für Indonesien und Nordvietnam.

In konzeptioneller Hinsicht lassen sich u. a. folgende Einwände vorbringen:

  1. Es fehlt eine methodische Beweisführung – die Autoren liefern z. B. kaum konkrete Beispiele für den kausalen Einfluss von Interessensgruppen auf wichtige Vorgänge. Stattdessen beschreiben sie, durchaus nachvollziehbar, eine Grundstimmung, in der jeder Anschein von Schwäche gegenüber Moskau und dessen (vermeintliche) Vasallen schnell eine Karriere in Washington kosten konnte. Systematisch herausgearbeitet wird dies nicht. Man hätte bei wiedergewählten US-Präsidenten vergleichen können, ob und wie es sich auf die Außenpolitik ihrer zweiten Amtszeit auswirkte, dass sie keine Abwahl mehr zu fürchten hatten. Ebenso hätte man die Quellen daraufhin untersuchen können, ob Präsidenten um innenpolitischer Vorteile willen bestimmte außenpolitische Entscheidungen wider besseres Wissen gefällt haben. Am ehesten dürfte dies für Johnson gelten, über ihn liest man aber (237), dass weder der militärisch-industrielle Komplex noch Wahltaktik für seine Vietnampolitik den Ausschlag gaben, sondern eher idiosynkratische Faktoren (LBJ hatte zuvor die Wahlen von 1964 fulminant gegen Barry Goldwater gewonnen, nicht zuletzt da dieser außenpolitisch als zu aggressiv galt).

  2. Craig und Logevall überschätzen die Kausalkraft des inneramerikanischen Interessenkalküls wohl auch deshalb, weil sie die Tiefe und Komplexität des Kalten Krieges unterschätzen. Er erscheint bei ihnen als amerikanisch-sowjetischer Konflikt um das Machtverhältnis in Europa. Dies war er auch, aber er war noch sehr viel mehr: Ein Fundamentalkonflikt über das Wesen von Modernität, in dem die Träger von zwei unvereinbaren, universalistischen Ideensystemen davon überzeugt waren, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Im Verbund mit der bipolaren Machtverteilung und der Neuentstehung vieler Staaten in Asien und Afrika ähnelte der Kalte Krieg eher einem ideologisierten Weltbürgerkrieg als der Großmächtepolitik älteren Typs. Bedenkt man das tiefe gegenseitige Misstrauen, sowie dass das Sowjetmodell sehr unterschiedlichen Beobachtern durchaus noch bis in die 1970er Jahre als leistungsfähig schien, so wirkt die lange Dauer des Kalten Kriegs überdeterminiert. Die Autoren weichen diesem Problem aus, wenn sie ihrer kontrafaktischen These, Washington hätte ihn bereits in den 1950er Jahren beenden können, nicht einmal eine Andeutung folgen lassen, wie ein solches Szenario hätte aussehen sollen. Wie wären USA und UdSSR mit ihren einander ausschließenden Ordnungsvorstellungen umgegangen? Was wäre aus dem zentralen Problem der sowjetischen Unterjochung Ost- und Mitteleuropas geworden? Dass der Kalte Krieg erst endete, als er die materiellen Ressourcen und die ideologische Strahlkraft eines der beiden Hauptgegner aufgezehrt hatte, war in seinem Wesen angelegt.

  3. Auffällig ist die Inkonsistenz zwischen Narrativ und Interpretation: Die komplex-multikausalen Erklärungen in der erzählenden Darstellung überzeugen als solche, konterkarieren aber die argumentative Stoßrichtung. Während die Autoren die US-Außenpolitik in abstracto als Funktion der domestic politics erklären möchten, schildern sie in concreto mehrfach deren externe, situative oder personenbezogene Gründe, u. a. für Schlüsselentscheidungen von Truman, Eisenhower, Kennedy, Nixon und Reagan, oft gegen den innenpolitischen Druck von Hardlinern. Wie eine Antiklimax mutet die beiläufige Feststellung am Schluss an, dass außenpolitische Entscheidungen üblicherweise von innenpolitischen Variablen mitbestimmt wurden (360). Dies trifft gewiss zu – von dort aus ist es allerdings ein großer Sprung zu der Behauptung, inneramerikanische Faktoren erklärten eine unnötige Verlängerung des Kalten Kriegs.

In einer Rezension zur Erstauflage bemerkte Odd Arne Westad treffend, dem Text wäre mit einem anders formulierten Ziel besser gedient gewesen, während das eigentlich angekündigte Werk noch zu schreiben bleibe. Dennoch lohnt das vorliegende Buch zweifellos die Lektüre.

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Die (unvollkommene) Rückkehr der Abschreckung
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  7. Neue Herausforderungen erfordern neue Ideen: Elemente einer Theorie des Sieges in modernen strategischen Konflikten
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  20. Richard Sokolsky/Eugene Rumer: U.S.-Russian Relations in 2030. Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2020
  21. Mathieu Boulègue/Orysia Lutsevych: Resilient Ukraine. Safeguarding Society from Russian Aggression. London: Chatham House, Juni 2020
  22. Naher Osten
  23. Peter Salisbury: Risk Perception and Appetite in UAE Foreign and National Security Policy. London: Chatham House, Juli 2020
  24. Ilan Goldenberg/Elisa Catalano Ewers/Kaleigh Thomas: Reengaging Iran. A New Strategy for the United States. Washington D.C.: CNAS, August 2020
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  29. Digitale Sicherheit
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  31. Daniel Kliman/Andrea Kendall-Taylor/Kristine Lee/Joshua Fitt/Carisa Nietsche: Dangerous Synergies. Countering Chinese and Russian Digital Influence Operations. Washington, D.C.: Centers for a New American Security, Juni 2020
  32. JD Work/Richard Harknett: Troubled vision: Understanding recent Israeli-Iranian offensive cyber exchanges. Washington D.C.: The Atlantic Council, Juli 2020
  33. Ökonomische Aspekte des internationalen Wandels
  34. Bayern LB Research/Prognos: Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen. München: Prognos, Juni 2020
  35. Buchbesprechungen
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  38. Campbell Craig/Frederik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition. Cambridge, MA und London: Harvard University Press 2020, 443 Seiten
  39. Christopher Hill: The Future of British Foreign Policy. Security and Diplomacy in a World after Brexit, London: Polity Press 2019, 238 Seiten
  40. Jason Lyall: Divided Armies. Inequality & Battlefield Performance in Modern War. Princeton und Oxford: Princeton University Press 2020, 528 Seiten
  41. Ben Saul/Dapo Akande: The Oxford Guide to International Humanitarian Law. Oxford: Oxford University Press 2020, 480 Seiten
  42. James D. Bindenagel: Germany from Peace to Power. Can Germany lead in Europe without dominating? Bonn: Bonn University Press 2020, 223 Seiten
  43. Bildnachweise
  44. Iran and Israel: The Inevitable War?
Downloaded on 18.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-4026/html
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