Home Iran und Israel: Ist ein Krieg unvermeidlich?
Article Publicly Available

Iran und Israel: Ist ein Krieg unvermeidlich?

  • Efraim Inbar EMAIL logo
Published/Copyright: November 27, 2020

Zusammenfassung

Dieser Aufsatz befasst sich mit dem wachsenden Einfluss Irans in der Politik des Nahen Ostens, dem iranischen Atomprogramm und den strategischen Konsequenzen der iranischen Ambitionen, die allesamt die Wahrscheinlichkeit eines direkten bewaffneten Konflikts zwischen Israel und Iran erhöhen. Er gelangt zu dem Schluss, dass Iran seine nuklearen und hegemonialen Ambitionen unvermindert fortsetzt. Etwaige Bemühungen, einen „Regimewechsel“ herbeizuführen, blieben erfolglos, und Iran macht unbeirrt weiter. Daher besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen direkten bewaffneten Konflikt zwischen Israel und Iran.

Abstract

This article reviews the ascendance of Iran in Middle East politics, the Iranian nuclear program, and the strategic implications of Iranian aspirations, which all increase the likelihood of direct armed conflict between Israel and Iran. It concludes that Iran’s nuclear and hegemonic ambitions remain uncurbed. Whatever efforts at “regime change” were made were unsuccessful, and Iran remains undeterred. Therefore, the likelihood of direct armed conflict between Israel and Iran is great.

1 Einleitung

Das Streben Irans nach Vorherrschaft im Nahen Osten und nach der Atombombe schüren in der Region und insbesondere in Israel außerordentlich hohe Bedrohungswahrnehmungen.[1] Insbesondere spricht die Islamische Republik Iran aus theologischen Gründen einem jüdischen Staat das Existenzrecht ab. Ihre Führung glaubt, dass Israel entweder unter militärischem Druck allmählich dahinschwinden werde oder vernichtet würde, sobald es schwach und verwundbar sei.[2] Die tiefsitzende Feindseligkeit Irans verstärkt in Israel die Wahrnehmung einer existenziellen Bedrohung durch Iran. Da die nuklearen und hegemonialen Bestrebungen Irans nach wie vor nicht eingedämmt werden, sind die Gefahren einer direkten bewaffneten Konfrontation zwischen Iran und Israel heute größer denn je.

2 Der Aufstieg Irans im Nahen Osten

Iran ist von jeher ein bedeutender Akteur im Nahen Osten gewesen. Es ist ein großes Land mit über 80 Millionen Einwohnern, das reich an Energierohstoffen ist und von jeher eine regionale Macht war. Mit einer imperialen Vergangenheit und einem neu entdeckten revolutionären Eifer (seit der Iranischen Revolution von 1979) lässt Iran heute in der Region seine Muskeln spielen und verfolgt das Ziel, eine Vormachtstellung im Nahen Osten und darüber hinaus zu erlangen. Systemische und regionale Entwicklungen erleichtern die Verwirklichung dieser Ambitionen.

Das iranische Revolutionsprojekt hat von der Nahostpolitik der Regierungen Bush, Obama und Trump profitiert. Die militärische Intervention der USA im Jahr 2003 brachte das Regime von Saddam Hussein im Irak, dem stärksten Rivalen Irans, zu Fall. Außerdem gelang es den USA nicht, eine stabile Nachfolgeregierung im Irak zu etablieren, die in der Lage gewesen wäre, das Land geeint und stark zu halten. Dies untergrub das Machtgleichgewicht am Persischen Golf. Die Entscheidung von Präsident Trump im Frühjahr 2019, amerikanische Truppen aus Nordostsyrien abzuziehen, signalisierte, dass die USA die Absicht hätten, den Nahen Osten zu verlassen. Das hat die Chancen Irans verbessert, einen „schiitischen Korridor“ von Iran über Irak und Syrien bis ans Mittelmeer zu schaffen. Hinzu kommt, dass ein Großteil der sunnitisch-arabischen Welt seit dem Beginn des „Arabischen Frühlings“ (eindeutig eine Fehlbezeichnung) mitten in einer tiefen sozialen und politischen Krise steckt, die in diesen Staaten zu Konflikten und einem politischen Vakuum geführt hat. In mehreren arabischen Staaten haben seither Regierungen ihr Gewaltmonopol verloren, mit der Folge, dass dort Bürgerkriege toben. Syrien, Libyen und Jemen sind die bekanntesten Beispiele. Auch in Somalia, im Libanon, dem Herrschaftsgebiet der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und, in jüngerer Zeit, im Irak wird die Zentralgewalt von Milizen herausgefordert. Die clevere revolutionäre Elite in Iran hat sich die Schwäche der arabischen Staaten zunutze gemacht, indem sie vom Iran unterstützte Milizen im Libanon, in Syrien, im Irak, im Gaza-Streifen und im Jemen finanziert und trainiert.

Abb 1: Die Hauptverantwortlichen für die iranische Politik im Nahen Osten: Revolutionsführer Khamenei, Hisbollah Chef Nasrallah und der Anfang 2020 getötete General Soleimani
Abb 1:

Die Hauptverantwortlichen für die iranische Politik im Nahen Osten: Revolutionsführer Khamenei, Hisbollah Chef Nasrallah und der Anfang 2020 getötete General Soleimani

Die sunnitisch-arabischen Staaten sind schwach und entsetzt über die Fortschritte des iranischen Atomprogramms und die Erfolge seiner Stellvertreter. Saudi-Arabien ist es nicht gelungen, den iranischen Einfluss in Irak, Syrien und Jemen einzudämmen. Ägypten überlebte zwar die durch den „Arabischen Frühling“ angefachten inneren Unruhen, hat aber nach wie vor mit einem islamistischen Aufstand auf dem Sinai zu kämpfen. Ägypten konzentriert sich darauf, den Lebensmittelbedarf seiner riesigen Bevölkerung zu decken, denn dies ist von entscheidender Bedeutung für die Wahrung stabiler Verhältnisse im Innern. Entsprechend hat das Land kaum Energien übrig, um die iranische Herausforderung zu parieren. Die Türkei, ein starker, nicht arabischer sunnitischer Staat, hat es vorgezogen, sich auf die Eindämmung des saudischen Einflusses und auf die Kurdenfrage zu konzentrieren. Ankara hat in diesem Zusammenhang eher gemeinsame Interessen mit dem Iran verfolgt. Sein Potenzial, ein Gegengewicht zum Iran zu bilden, blieb damit ungenutzt. Unter Erdogan hat sich die Türkei auch die Schwäche der arabischen Staaten zunutze gemacht, um in ehemaligen osmanischen Territorien wie Irak, Libyen und Syrien Einflusssphären zu schaffen, während sie sich nach und nach vom Westen abgesetzt hat. Irans Aufstieg ebnete andererseits den Weg zu einer Entente zwischen sunnitischen Golfstaaten und Israel. Mangels eines glaubhaften amerikanischen Sicherheitsschirms sehen sowohl die sunnitischen Staaten als auch Iran in Israel das größte Hindernis für die Vormachtstellung Irans. Daher ist Israel für Iran sowohl aus religiösen als auch aus strategischen Gründen zu einem „roten Tuch“ geworden.

Zunächst führte Iran über Stellvertreter einen Krieg gegen Israel, um die israelische Zivilbevölkerung zu zermürben. Seit den 1980er-Jahren haben die Iranischen Revolutionsgarden die schiitisch-libanesische Miliz Hisbollah trainiert und bewaffnet und das Land in einen Satrapenstaat Irans verwandelt. Die Hisbollah hat über 130.000 Raketen unterschiedlicher Reichweiten erworben, die den größten Teil Israels treffen können. Iran bemüht sich darum, deren Zielgenauigkeit weiter zu verbessern. Erklärtes Ziel der Hisbollah ist es, „Jerusalem von der Herrschaft der Zionisten zu befreien.“ In ähnlicher Weise erhielt die Hamas, nachdem sie 2007 im Gazastreifen an die Regierung kam, massive Militärhilfe vom Iran. Die Absicht war, die Fähigkeiten von Hamas zu stärken, um Israel zu schwächen. Als die sunnitische Hamas die iranische Position in Syrien nicht unterstützte, ließ Teheran dem palästinensischen Islamischen Dschihad – einer Iran hörigen Organisation – in Gaza Finanz- und Militärhilfe zukommen. Dadurch, dass Iran in Gaza Fuß fasste, konnte es eine zusätzliche Front gegen Israel eröffnen. Iran griff auch auf Seiten Bashar al-Assads in den syrischen Bürgerkrieg ein, in der Hoffnung, Syrien wie schon den Libanon in einen Satellitenstaat zu verwandeln. Iran will den Landkorridor vom Iran über den Irak zum Mittelmeer (Libanon und Syrien) vervollständigen. Teheran hat daher von Assad die Überlassung eines Hafens in der Nähe von Latakia verlangt.

Iran hat schätzungsweise 15 bis 30 Milliarden Dollar in Syrien investiert und dort Boden-Boden-Raketen, Flugabwehrbatterien, Drohnen, Aufklärungseinrichtungen und Basen für Zehntausende schiitische Milizionäre installiert. Iran will eine dritte Front im Nordosten auf den Golanhöhen entlang der Grenze zu Israel eröffnen. Schiitische Milizen im Irak und in Syrien, die von der Iranischen Revolutionsgarde kontrolliert werden, bedrohen zudem das haschemitische Königreich. Tatsächlich unterstützt König Abdullah uneingeschränkt die antiiranische Außenpolitik Saudi-Arabiens.[3] Der Fall Jordaniens würde Irans Bemühungen, Israel mit iranischen Stellvertretern einzukreisen, komplettieren und auch Saudi-Arabien gefährden, den Erzrivalen Irans am Golf. Es ist ein wichtiges Ziel des Iran bei seinem Streben nach Vorherrschaft im Nahen Osten, die militärische Macht Israels durch Einkreisung mit Stellvertretern zu neutralisieren, die zahllose Raketen auf strategische Einrichtungen und Bevölkerungszentren Israels gerichtet haben.[4]

Iran verdankt seinen Aufstieg im Nahen Osten nicht nur der Fähigkeit der Führung in Teheran, aus politischen Veränderungen in der Region Kapital zu schlagen, sondern auch der Gleichgültigkeit, mit der die internationale Politik auf seine Vorstöße reagiert. Außerdem zeigt Iran ein großes Geschick darin, Stellvertreter-Streitkräfte aufzubauen und für seine Ziele einzusetzen.[5] Es ist nicht weiter verwunderlich, dass viele in der Region Iran mit einem Kraken vergleichen.

Unter Trump verfolgen die Vereinigten Staaten eine antiiranische Politik, insbesondere in der Nuklearfrage. Dessen ungeachtet ist die Regierung Trump offenbar nicht gewillt, den iranischen Machenschaften in der Region entgegenzutreten. Vielmehr hat sie die iranischen Provokationen im Golf „geschluckt.“ Die Ausschaltung von Qassem Soleimani war eine eindrucksvolle Demonstration begrenzter militärischer Gewaltanwendung, aber die zurückhaltende Reaktion auf die Gegenangriffe, bei denen der Iran Raketen auf amerikanische Basen in Irak abfeuerte, erweckte den Eindruck, die USA wollten iranischen Vorstößen keinen Einhalt gebieten.

Da die USA nicht wirklich entschlossen sind, dem Vordringen Irans entgegenzutreten, hat nur Israel die Macht, dies zu unterbinden. Tatsächlich hat Israel beschlossen, einen begrenzten Krieg niedriger Intensität – „militärische Operationen unterhalb der Kriegsschwelle“ – zu führen, um iranische Versuche zu vereiteln, Syrien und Irak in Raketenabschussrampen zu verwandeln. Trotzdem hat Iran mehrfach Raketen und bewaffnete Drohnen gegen Israel eingesetzt. Laut Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist es Iran auch gelungen, die Huthis im Jemen mit Langstreckenraketen, die auf Ziele in Israel gerichtet sind, zu bewaffnen.[6] Die Ergebnisse militärischer Aktionen Israels sind bislang durchwachsen gewesen. Auch wenn iranische Stellvertreter bei der Umsetzung von Stationierungsplänen in Syrien und Irak auf Schwierigkeiten stoßen, scheint Teheran entschlossen zu sein, seine Strategie selbst unter großen Kosten fortzusetzen. Auch die schwerwiegenden Auswirkungen von Covid-19 im Iran haben dessen imperiales und revolutionäres Projekt nicht gebremst.

3 Irans Atomprogramm

Einige Ajatollahs sehen in einem atomar bewaffneten Iran ein Werkzeug von Allahs Hand, um der ganzen Welt den Islam schiitischer Version aufzuerlegen, und sie betrachten sich selbst als von Allah auserwählt, um dessen Auftrag auszuführen. Der Islam verfolgt dabei ein imperialistisches Moment, ermuntert er doch die Muslime, den wahren Glauben – und sei es mit dem Schwert – in alle Winkel der Erde zu tragen.[7] Abgesehen von der theologischen Motivation sprechen auch strategische Gründe für ein nukleares Arsenal. Es ist nützlich zur Machtentfaltung und um Nachbarn einzuschüchtern. Außerdem bricht es das nukleare Monopol Israels in der Region und erhöht die Erfolgsaussichten der hegemonialen Agenda Irans.

Auch wenn Atombomben als nützliches Instrument zur Verwirklichung weitreichender imperialer und revolutionärer Ziele angesehen werden, dienen sie in erster Linie doch defensiven Zwecken. Tatsächlich befürchtet die revolutionäre Elite des Iran, der Westen strebe einen Regimewechsel oder gar eine militärische Invasion an. Schließlich marschierten die USA in den Nachbarländern Irans ein – in Afghanistan 2001 und in Irak 2003.

Kernwaffen könnten den Westen von einer Aggression abhalten und daher das Überleben des Regimes sicherstellen. Die Destabilisierung des Regimes eines Atomstaats, die zu chronischer Instabilität im Innern, Bürgerkrieg oder Zerfall führen kann, ist riskanter als der Versuch, ein nicht nukleares Regime zu untergraben. Nordkorea hat sämtliche nukleare Schwellen überschritten und sein Regime ist noch immer an der Macht. In ähnlicher Weise sparte die Demokratisierungskampagne der Regierung von George W. Bush das nukleare Pakistan aus, da sie erkannte, dass echte Demokratie in einem solchen Land den Atomknopf in Reichweite von Ultraradikalen bringen könnte. Libyen wurde erst angegriffen, nachdem es seine nukleare Option aufgegeben hatte.

Die Interessen der herrschenden Elite an der Fortführung des iranischen Atomprogramms sind untrennbar mit ihrem eigenen politischen, ja sogar physischen Überleben verbunden. Aus diesem Grund wollen die Mullahs die Welt vor eine vollendete nukleare Tatsache stellen. Das Erreichen dieses Ziels wird dadurch erleichtert, dass der Westen keine militärische Gewalt anwenden will und stattdessen vor allem auf Wirtschaftssanktionen setzt. Die Auffassung, strenge Wirtschaftssanktionen könnten Teheran dazu bewegen, seine nuklearen Ambitionen zu überdenken oder auch einen Regimewechsel herbeiführen, ist weitverbreitet. Allerdings hatte die Verhängung von Sanktionen gegen Fidel Castro und Saddam Hussein auch nach Jahren nichts gebracht. Diktatorische Regime lassen sich durch wirtschaftliche Daumenschrauben kaum umstimmen.

Die Fortschritte, die der Iran bei seinem Atomprogramm machte, wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach öffentlich bekannt – insbesondere nach 2003, als der Westen seine zunehmende Besorgnis über das Potenzial Irans, waffentaugliches Spaltmaterial zu produzieren, zum Ausdruck brachte.[8] Obgleich Iran offiziell dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist, verletzte er wiederholt die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zur Meldung des Bestandes an nuklearem Material und zur Berichterstattung über die anschließende Aufbereitung, Lagerung und Nutzung dieses Materials.[9] Im März 2015 berichtete IAEO-Generaldirektor Yukiya Amano, Iran stelle nicht in ausreichendem Umfang Zugang zu Informationen bereit, die benötigt würden, um ein Dutzend Fragen bezüglich der möglichen militärischen Dimensionen seines Atomprogramms zu beantworten.[10] Das vom israelischen Mossad sichergestellte und teilweise veröffentlichte Nukleararchiv bestätigt, dass Iran ein langfristig angelegtes Geheimprojekt zur Entwicklung von Kernwaffen betreibt, dessen ganzes Ausmaß lange Zeit unentdeckt blieb.[11] Es gibt auch Anhaltspunkte für Forschungsaktivitäten und Experimente zur Waffenkonstruktion und für unterirdische Tests.

Das Verhalten Irans rief den UN-Sicherheitsrat auf den Plan, der mehrere Resolutionen verabschiedete, die die Anreicherung unterbinden sollten, wobei zu diesem Zweck Wirtschaftssanktionen verhängt wurden. Präsident Obama zog die Schraube der Wirtschaftssanktionen weiter an, um Iran zur Einhaltung des Inspektionsregimes der IAEO zu zwingen und daran zu hindern, den benötigten Zeitraum für die Herstellung einer Atombombe zu verkürzen. Glaubhafte israelische Drohungen mit militärischer Gewalt rüttelten die internationale Gemeinschaft auf und veranlassten sie dazu, Iran größere Hindernisse in den Weg zu legen. Schließlich beschloss Iran, an den Verhandlungstisch zu kommen, wo er dann ein Abkommen mit der „P5+1“-Staatengruppe erreichte. Der Gemeinsame Umfassende Aktionsplan (JCPOA), allgemein auch „Atomabkommen mit Iran“ genannt, wurde im Juli 2015 in Wien unterzeichnet. Trotz gravierender Schwächen des JCPOA hatte die internationale Gemeinschaft – nicht jedoch die israelische Regierung – den Eindruck, der JCPOA könne die sicherheitspolitischen Konsequenzen des iranischen Atomprogramms hinauszögern.[12] Dennoch löste Präsident Donald Trump sein Wahlversprechen ein und kündigte am 8. Mai 2018 an, dass sich die USA aus dem JCPOA zurückzögen, in der Hoffnung auf einen neuen, einen „besseren“ Atomdeal.

Seitdem sich die USA aus dem Atomabkommen zurückgezogen und harte Wirtschaftssanktionen verhängt haben, hat Iran seine Verpflichtungen aus dem Abkommen immer weniger eingehalten. Im November 2019 nahm Iran die Urananreicherung in der Atomanlage Fordo wieder auf und installierte neue, hochmoderne Zentrifugen, um seine Anreicherungskapazität zu erhöhen. Ende 2019 erklärte Iran, er werde sich nicht mehr an Beschränkungen der Urananreicherung halten. Im Januar 2020 lösten Frankreich, Großbritannien und Deutschland als Reaktion auf die umfangreichen iranischen Verstöße den Streitbeilegungsmechanismus im JCPOA aus.[13] Auf ihre Initiative und im Anschluss an die Berichte im März 2020 und Juni 2020 über die unzureichende Kooperation Irans mit der Atomenergie-Organisation verabschiedete der Gouverneursrat der IAEO am 19. Juni 2020 eine Resolution, die Iran aufforderte, seine Verpflichtungen aus dem Sicherungsabkommen und dem Zusatzprotokoll zum Sicherungsabkommen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags einzuhalten und den Ersuchen der IAEO unverzüglich nachzukommen.[14]

Der IAEO-Bericht bestätigt Behauptungen Israels bezüglich anhaltender geheimer nuklearer Aktivitäten Irans. Tatsächlich hat der israelische Nachrichtendienst bereits im Januar 2020 eine Einschätzung veröffentlicht, wonach Iran innerhalb eines Jahres über genügend Material für eine Atombombe verfügen werde und innerhalb von zwei Jahren in der Lage sein werde, atomar bewaffnete Raketen zu bauen.[15] Angesichts seines nuklearen Versteckspiels könnte Iran allerdings auch schon in kürzerer Zeit in den Besitz einer Atombombe gelangen.

4 Die strategischen Konsequenzen der Ambitionen Irans

Die Politik des revolutionären Iran zeichnet sich durch mehrere Merkmale aus: weitreichende außenpolitische Ziele, eine Neigung zu hochriskanten Strategien, intensives Engagement und Entschlossenheit, diese Strategien erfolgreich umzusetzen sowie ein unkonventioneller diplomatischer Stil.[16] Sobald Iran Atomwaffen besitzt, werden diese Merkmale seiner Außenpolitik vermutlich noch deutlicher hervortreten. Das iranische Nuklearprogramm stellt in Verbindung mit Trägersystemen hoher Reichweite eine Bedrohung für die regionale Stabilität im Nahen Osten dar. Iran produziert verschiedene Typen von Langstreckenraketen, darunter die Shehab-3 (mit einer Reichweite von 1.300 Kilometern) und die Sejjil (mit einer Reichweite von 2.000 Kilometern). Es entwickelt auch einen Marschflugkörper mit einer Reichweite von über 2.000 Kilometern. Staaten wie Israel, Türkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten sowie wichtige US-Basen liegen in deren Reichweite. Weitere Verbesserungen an iranischen Raketen könnten die meisten europäischen Hauptstädte und langfristig auch den nordamerikanischen Kontinent in Reichweite eines potenziellen Angriffs bringen. Iran hat ein ehrgeiziges Satellitenprogramm, das auf der Nutzung mehrstufiger Festtreibstoff-Trägerraketen basiert, die Merkmale von Interkontinentalraketen aufweisen und 300 Kilogramm schwere Satelliten in den erdnahen Weltraum befördern sollen. Sobald dieses Ziel erreicht wird, werden in Zukunft noch mehr Staaten der Gefahr eines Atomangriffs ausgesetzt sein.

Ein nuklear bewaffneter Iran würde auch die iranische Vormachtstellung im strategischen Energiesektor stärken, allein aufgrund seiner Lage am ölreichen Persischen Golf und an der Kaspischen Senke. Die beiden benachbarten Regionen bilden die „Energieellipse,“ die etwa 70 Prozent der nachgewiesenen Erdöl- und rund 40 Prozent der Erdgasvorkommen der Welt beherbergt.[17] Es würde die Stellung Irans weiter stärken, wenn das Land die Regierungen, die Teile dieses riesigen Energiereservoirs kontrollieren, noch wirksamer einschüchtern könnte. Selbst ein Staat wie Saudi-Arabien könnte unter gewissen Umständen beschließen, außenpolitisch die Annäherung an den Iran zu suchen.[18]

Ein nuklear bewaffneter Iran wird auch dazu führen, dass der Westen die zentralasiatischen Staaten verliert. Diese ehemaligen sowjetischen Republiken betreiben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine prowestliche Außenpolitik. Sobald Iran Kernwaffen besitzt, werden sie sich entweder Iran zuwenden oder sich um eine nukleare Sicherheitsgarantie Russlands oder Chinas bemühen; Länder, die der Region viel näher sind als die USA.

Teheran unterstützt außerdem radikale schiitische Elemente im Irak, um den Abzug amerikanischer Truppen zu erzwingen. Darüber hinaus macht es sich schiitische Gemeinschaften in den Golfstaaten zunutze, um dort Unruhen zu schüren. Iran ist auch ein enger Verbündeter Syriens, eines radikalen Staates mit antiamerikanischer Einstellung. Schließlich unterstützt Teheran massiv Terrororganisationen wie Hisbollah, Hamas und Islamischen Dschihad. Laut US-Außenministerium ist Iran der aktivste staatliche Sponsor des Terrorismus. Iranische Erfolge würden islamische Radikale überall ermuntern.

Ein nuklear bewaffneter Iran könnte versuchen, die Türkei zu destabilisieren – ein Land von strategischem Gewicht. Die säkulare Türkei ist für den revolutionären Iran ein rotes Tuch. Teheran versuchte bereits in den 1990er-Jahren, sich in türkische Angelegenheiten einzumischen und die extremen islamistischen Kräfte zu stärken. Heute könnte der revolutionäre Iran die anhaltende Identitätskrise der Türkei ausnutzen, um die Macht radikaler Islamisten zu stärken. Es wäre ein strategischer Schlag, wenn der Westen die Türkei verlöre.

Da Pakistan mit einem Atomstaat an seiner Westgrenze konfrontiert ist, wird es wahrscheinlich seine Nukleardoktrin anpassen, was sich auf die nukleare Gleichung auf dem Subkontinent auswirken wird. Die nukleare Kettenwirkung könnte auch China erreichen. Eine Atommacht Iran könnte das internationale Regime der Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) noch weiter unterminieren und Bemühungen der USA behindern, die Weitergabe von Atomwaffen einzudämmen. Ein nuklear bewaffneter Iran würde eine Kettenreaktion in Gang setzen und in seiner unmittelbaren Nachbarschaft der nuklearen Proliferation Vorschub leisten. Staaten im Nahen Osten, die im Iran eine erhebliche Bedrohung ihrer Sicherheit sehen, werden eine Atommacht Iran nicht tatenlos hinnehmen. Die erweiterte Abschreckung der USA wirkt insbesondere dieser Tage im Nahen Osten nicht glaubhaft. Daher würden diese Staaten nicht der Versuchung widerstehen, dem iranischen Einfluss durch eigene, ähnliche Nuklearstrategien entgegenzutreten.[19] Mit einem multipolaren nuklearen Nahen Osten wäre eine Katastrophe vorprogrammiert. Diese strategische Prognose ist das Ergebnis hauptsächlich zweier Faktoren: a) der Unzulänglichkeit von Abwehrsystemen gegen Kernwaffen und b) der Schwierigkeiten, eine stabile nukleare Abschreckung in der Region aufzubauen. Der Glaube, nukleare Proliferation habe stabilisierende Wirkung, ist Wunschdenken seitens verantwortungsloser Schreibtischstrategen.

Leider hatten Diplomatie und Wirtschaftssanktionen bislang nur eine begrenzte Wirkung auf das iranische Nuklearprogramm. Sämtliche Bemühungen, die auf einen „Regimewechsel“ abzielten, sind gescheitert und Iran bleibt unbeirrt, sodass die militärische Option auf dem Tisch liegt. Während es die Verantwortung der USA als globaler Macht wäre, sich um das Problem zu kümmern, scheint Washington vor einer militärischen Konfrontation zurückzuschrecken. Auf sich allein gestellt, wird Jerusalem ernsthaft erwägen müssen, präventive Maßnahmen zu ergreifen.

5 Ist eine größere Konfrontation unvermeidlich?

Es gab bereits militärische Konfrontationen zwischen den Stellvertretern Irans – Hisbollah, dem palästinensischen Islamischen Dschihad und Hamas – und Israel. In Jerusalem ist man entschlossen, nicht zuzulassen, dass in Syrien die gleiche Situation wie im Libanon entsteht, wo Raketen den jüdischen Staat bedrohen. Daher hat Israel bereits 2013 damit begonnen, Ziele, die mit Iran in Verbindung stehen, in Syrien anzugreifen, damit sich Iran und seine Stellvertretermilizen nicht dauerhaft in Syrien festsetzen. Diese Angriffe dienen auch dazu, Raketen aus iranischer Produktion, die für die Hisbollah im Libanon bestimmt sind, sowie Bauteile, die deren Zielgenauigkeit verbessern sollen, zu zerstören.

Abb 2: General Gadi Eisenkot
Abb 2:

General Gadi Eisenkot

Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte halten sich meistens bedeckt, was ihre Operationen anbelangt. Bis Januar 2019 wurden nach Aussage des damaligen Generalstabschefs Gadi Eisenkot Tausende von Zielen angegriffen.[20] Israel gelang es, die vom Iran unterstützten Milizen teilweise direkt von seiner Grenze zurückzudrängen, auch wenn Iran weiterhin Truppen und Waffen nach Syrien und an die irakisch-syrischen Grenzübergänge verlegt. Iran schlägt auch gelegentlich zurück, wenngleich eher zurückhaltend, einfach um zu zeigen, dass er da ist. Trotz unablässiger israelischer Angriffe zeigt sich Iran entschlossen, mit seinen Plänen fortzufahren, obgleich er infolge von US-Sanktionen, sinkender Erdöleinnahmen, Straßenprotesten, einer schwer angeschlagenen Wirtschaft und in jüngster Zeit der Covid-19-Krise mit Problemen im Innern zu kämpfen hat.

Tatsächlich ist der Iran fest entschlossen, seinen schiitischen Korridor zu verwirklichen, Saudi-Arabien zu schwächen und langfristig die USA aus dem Nahen Osten zu vertreiben. Während Iran zunächst hoffte, die Regierung von Präsident Trump einfach auszusitzen, als die Wirtschaftssanktionen dem Land begannen wehzutun, besann sich Teheran später anders und begann, auf eine Strategie der Nadelstiche zu setzen. Angriffe auf Tanker im Persischen Golf und im Golf von Oman fanden statt, ohne dass sich Iran dazu bekannte. In ähnlicher Weise griff Iran das Ölfeld Khurais und die Erdölraffinerien in Abqaiq mit Drohnen und Marschflugkörpern an, sodass sie vorübergehend ihren Betrieb einstellen mussten (die Erdölproduktion Saudi-Arabiens brach in der Folge um über 50 Prozent ein). Im Juni 2019 schossen die Iranischen Revolutionsgarden über der Straße von Hormuz eine Überwachungsdrohne der Vereinigten Staaten ab, und im Januar 2020 beschoss Teheran zwei US-Stützpunkte im Irak mit Raketen. Seine Milizen attackieren weiterhin die im Irak stationierten amerikanischen Truppen. Obwohl Washington seinen Kurs gegenüber Iran verschärft hat, gibt sich Trump nach wie vor zurückhaltend. Die USA setzen noch immer auf maximalen ökonomischen Druck, um einen „besseren Deal“ zu bekommen, aber bislang gibt sich Iran unbeirrt und setzt sein Spiel mit dem Feuer fort. Die USA sind auch durch ihre Anstrengungen, der Covid-19-Krise Herr zu werden, abgelenkt. Diese Entwicklungen verursachen wachsende Besorgnis in Jerusalem. In dem Maße, wie Iran im Nahen Osten an Einfluss gewinnt und das Kernwaffenmonopol Israels in der Region in Frage stellt, nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen größeren Konflikt zwischen Teheran und Jerusalem zu.

Die Bedrohungswahrnehmung in Israel ist sehr hoch. Israel nimmt die iranischen Drohungen, den jüdischen Staat auszulöschen, sehr ernst. Ein Volk, das in seiner langen Geschichte immer wieder Verfolgungen und Pogrome sowie einen Holocaust durchgemacht hat, kann und wird Drohungen, es auszulöschen, nicht ignorieren. Die nuklearen Bestrebungen Irans werden in Israel als eine existenzielle Bedrohung erlebt, sodass ein militärisches Vorgehen gegen Iran von der Bevölkerung als legitim erachtet wird.

Ministerpräsident Netanjahu hat immer wieder und mit Nachdruck betont, dass Israel Iran nicht erlauben werde zu einer Atommacht zu werden. Einen Anhaltspunkt für die Stimmung in Israel liefert die Rede des Generalstabschefs der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte, Generalleutnant Aviv Kochavi, am 25. Dezember 2019, in der er keinen Zweifel an der israelischen Entschlossenheit ließ. Er stellte Iran und dessen Stellvertreter als die größten Bedrohungen für Israel heraus und verdeutlichte, dass ein Zusammenstoß zwischen Israel und Iran beinahe unvermeidlich sei. Er fügte hinzu, das Militär habe sich auf ein solches Szenario vorbereitet. Kochavi wies auch auf die Untätigkeit der Golfstaaten und der Vereinigten Staaten angesichts iranischer Angriffe auf Ölanlagen und Schiffe hin. „Er wäre besser, wenn wir nicht alleine [sic!] wären,“ bemerkte er.[21] Kochavi richtete auch ein neues Direktorat ein, das von einem Generalmajor geleitet werden und Konzepte zum Umgang mit der iranischen Bedrohung erarbeiten soll. Es wurde vor Kurzem in „Direktorat für Strategie und den Dritten Bedrohungskreis“ umbenannt.

Die Experten der IDF rechnen damit, dass die Bedrohung durch den Iran in den kommenden Jahren zur obersten Priorität wird.[22] Israels neuer Verteidigungsminister, Benny Gantz, ist ebenfalls der Meinung, dass ein nuklearer Iran eine Gefahr für die Welt und die Region sei, die es abzuwenden gelte. Auch Außenminister Gabi Ashkenazi bestätigte, dass Israel eine langfristige Strategie verfolge, um zu verhindern, dass Iran in den Besitz von Kernwaffen gelange.[23] Beide sind ehemalige Generalstabschefs. Während der letzten zehn Jahre traf Israel Vorbereitungen für Angriffe auf die nukleare Infrastruktur Irans.[24] Ungeachtet der vielen Hindernisse für eine erfolgreiche Mission scheinen die IDF in der Lage zu sein, diese durchzuführen. Obgleich der Gemeinsame Umfassende Aktionsplan die internationale Legitimation einer israelischen Militäraktion untergrub, ist der JCPOA heute faktisch ein totes Dokument.

Israel hat bislang eine konsistente nukleare Antiproliferationsstrategie im Nahen Osten verfolgt. Gegen aufkommende nukleare Bedrohungen wurden Behinderungs- und Verzögerungsstrategeme eingesetzt. Die Explosion im Juni 2020 in Natanz scheint ein jüngstes Beispiel für eine solche Obstruktion zu sein. Wenn derartige Instrumente wirkungslos bleiben, werden nukleare Anlagen in Nachbarländern durch chirurgische Luftangriffe zerstört. Im Jahr 1981 wurde der irakische Reaktor Osirak wegen seiner möglichen Nutzung für die Produktion von Plutonium zerstört. Ein ähnliches Schicksal ereilte den syrischen Kernreaktor im Jahr 2007. Präventivschläge gegen eine aufkommende Bedrohung sind Teil des Menüs an strategischen Handlungsoptionen Israels.

Der Grund für die Zerstörung potenziell militärisch nutzbarer nuklearer Fähigkeiten ist einfach. Israel glaubt nicht, dass es einen feindlichen, nuklear bewaffneten Staat im Nahen Osten langfristig verlässlich abschrecken kann. Als ein Staat mit einem kleinen Territorium und einer geringen Entfernung von seinen regionalen Rivalen fühlt sich Israel höchst verwundbar durch einen nuklearen Angriff. Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen, unautorisierten Abschüssen, Fehlkalkulationen oder eines Regimezusammenbruchs ist in nahöstlichen Staaten viel höher als in anderen Regionen der Welt. Besonders gefährlich ist der Zeitraum vor der Etablierung glaubhafter Zweitschlagfähigkeiten und Sicherungsmechanismen, ähnlich denjenigen, die im Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion implementiert worden waren. Besonders wichtig ist dabei die Tatsache, dass der Aufbau einer Zweitschlagfähigkeit ein fortlaufender Prozess voller Ungewissheiten ist.[25] Außerdem hängt die Effektivität der Abschreckung von der Kostensensitivität ab. Religiöser Fanatismus, der im Nahen Osten weitverbreitet ist, vermindert die Kostensensitivität. Tatsächlich hat die iranische Führung immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass sie gewillt sei, für die Vernichtung des jüdischen Staates Millionen von Menschenleben zu opfern.[26] Sie rühmen sich ihrer Kultur des Dschihad und des Märtyrertums.

Aufgrund beständiger Fortschritte Irans bei seinen nuklearen und Raketenprojekten wächst der Druck, die zunehmenden nuklearen Fähigkeiten Irans zu zerstören. Israel könnte angreifen, um die Rückkehr Irans an den Verhandlungstisch zu verhindern. Unter erhöhtem Druck könnte Iran zu einer Strategie „heimlicher Weiterentwicklung bei vorgeblicher Gesprächsbereitschaft“ zurückkehren, um Zeit zu gewinnen. Eine solche Strategie würde sich die zögerliche Haltung der Europäer und Amerikaner gegenüber einer Eskalation zunutze machen. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass Verhandlungen zu nichts führen, benötigt man andere Handlungsoptionen, die für viele Regierungen nicht gerade verlockend sind. Ergebnislose Verhandlungen erhalten im Grunde den Status quo, einen spannungsreichen Dauerkonflikt, bei dem Iran sein Nuklearprogramm ungehindert fortsetzen kann. Verhandlungspoker, auf den sich Iraner so hervorragend verstehen, und Konzessionen auf Zeit zögern diplomatischen und wirtschaftlichen Druck hinaus und verhindern vor allem militärische Angriffe.

Israel wird vielleicht eher früher als später angreifen, um weiteren Verbesserungen der iranischen Maßnahmen zum Schutz seiner nuklearen Anlagen zuvorzukommen. So hat Russland Iran zum Beispiel im Jahr 2016 (nach der Unterzeichnung des JCPOA) ein S-300-Luftverteidigungssystem geliefert, während das fortgeschrittenere S-400-System weiterhin auf der iranischen Einkaufsliste steht.

Nach der Ausschaltung Soleimanis sahen die IDF eine Chance, Angriffe auf Iran und seine Verbündeten zu intensivieren, um die iranische Präsenz in Syrien noch weiter zu begrenzen.[27] Eine solche Eskalation in Syrien könnte dazu genutzt werden, das iranische Nuklearprojekt anzugreifen. Präventivschläge in Irak und Syrien beendeten die Nuklearprojekte in diesen Staaten. Außerdem zeigen diese Präzedenzfälle, dass weitreichende regionale Auswirkungen nicht unvermeidlich sind.

Israel wird seine militärischen Reaktionen vielleicht auch eskalieren, um einen Bandwaggoning-Effekt – ein außenpolitisches „Mitläufertum“ – in den Golfstaaten und in Saudi-Arabien zu verhindern. In dem Maße, wie Iran in der Region an Macht gewinnt und die Verlässlichkeit des US-Sicherheitsschirms abnimmt, könnte es für sie verlockend werden, ihre Außenpolitik an Teheran auszurichten. Eine solche Annäherung sunnitischer Staaten an Iran könnte sich auf Jordanien und Ägypten (die beide Friedensverträge mit Israel haben) auswirken und Israel in der Region noch stärker isolieren. Eine israelische Demonstration der Stärke wird daher dafür sorgen, dass die sunnitischen Staaten weiterhin mit Israel kooperieren.

Wenn eine aufstrebende Macht an dem bestehenden Machtgleichgewicht rüttelt, dann kommt es, wie uns die Geschichte lehrt, in den meisten Fällen zu einem Krieg. Dieses Phänomen wird auch „Hegemonialkrieg“ genannt.[28] Ursache von Hegemonialkriegen sind unterschiedliche Machtzuwächse zwischen dominanten und aufstrebenden Staaten. Ein Hegemonialkrieg tritt nicht während einer Phase relativer Stabilität auf; vielmehr ist der ungleiche Machtgewinn und -verlust ein notwendiger Faktor, der schließlich zur Bipolarisierung des internationalen Systems führt, aus der zwangsläufig eine Krise in Form eines Hegemonialkrieges resultiert. Eine solche Rivalität zwischen den antiken griechischen Stadtstaaten mündete in die Peloponnesischen Kriege. Das Streben Preußens, die deutschen Fürstentümer unter seiner Führung zu einen, verursachte mehrere europäische Kriege.

Auch wenn der Nahe Osten kein bipolares Subsystem ist, sehen wir einen mächtiger werdenden Iran, der nicht länger durch im Niedergang befindliche arabische Staaten ausbalanciert wird. Wir sehen auch, dass sich ihr Sicherheitsgarant, die USA, offenbar aus der Region zurückzieht. Auch wenn der Weg nicht vorgezeichnet ist, erscheint es durchaus möglich, dass Israel einen Krieg beginnt, um einen Nahen Osten zu verhindern, der von einem nuklearen, islamistischen Iran beherrscht wird. Tatsächlich unternimmt es bereits militärische Aktionen, um nicht von einem iranisch inspirierten Feuerring eingekesselt zu werden.

6 Fazit

Ein nukleares Arsenal ist die beste Versicherung Irans für das Überleben des Regimes und für die Verwirklichung seiner regionalen Hegemonialbestrebungen. Daher ist es undenkbar, dass die Mullahs das Streben nach der Bombe aufgeben werden. Gegenwärtig kann Iran seine imperialen und nuklearen Ambitionen ungehindert weiterverfolgen. Ein „Regimewechsel“ wurde nie ernsthaft betrieben, und es ist ungewiss, ob entsprechende Bemühungen Aussicht auf Erfolg hätten. Diplomatie und/oder Wirtschaftssanktionen werden Iran nicht davon abhalten, sich nuklear zu bewaffnen. Die internationale Gemeinschaft einschließlich der USA haben kein Interesse an einer militärischen Konfrontation mit Iran.

Dagegen sind die iranisch-israelischen Beziehungen im Grunde ein Nullsummenspiel, bei dem Israel kaum eine andere Wahl hat, als seinen Überlebensinstinkten zu folgen. Aus diesem Grund ist es sehr wahrscheinlich, dass die Anwendung militärischer Gewalt zur Eindämmung des wachsenden iranischen Einflusses in der nahöstlichen Politik, zur Verhinderung seiner Nuklearisierung und Israels Einkreisung durch iranische Stellvertreter eskalieren wird. Dies wird dem iranisch-israelischen Krieg, der bereits im Gange ist, eine weitere Dimension hinzufügen. Nur ein militärisches Vorgehen kann verhindern, dass der Nahe Osten zu einer noch gewalttätigeren und gefährlicheren Region wird.

Literatur

Alison, Graham T. (2017): Destined for War: Can America and China Escape Thucydides’s Trap? Boston: Houghton Mifflin HarcourtSearch in Google Scholar

Amidror, Yaakov (2018): The Logic of Israel’s Actions to Contain Iran in Syria and Lebanon. Jerusalem: Jerusalem Institute for Strategy and Security; https://jiss.org.il/en/amidror-the-logic-of-israels-actions-to-contain-iran-in-syria-and-lebanon/Search in Google Scholar

Arnold, Aaron/Bunn, Matthew/Chase, Caitlin/Miller, Steven E./Mowatt-Larssen, Rolf/Tobey, William H. (2019): The Belfer Report. The Iran Nuclear Archive: Impressions and Implications. Cambridge, Mass.: Belfer Center for Science and International Affairs; https://www.belfercenter.org/sites/default/files/files/publication/The%20Iran%20Nuclear%20Archive_0.pdfSearch in Google Scholar

Dror, Yehezkel (1973): Crazy States. Lexington: Heath LexingtonSearch in Google Scholar

Fitzpatrick, Mark/Elleman, Michael/Izewicz, Paulina (2019): Uncertain Future: The JCPOA and Iran’s Nuclear and Missile Programmes. London: IISS/Routledge10.4324/9780367823740Search in Google Scholar

Gilpin, Robert (1988): The Origin and Prevention of Major Wars, The Journal of Interdisciplinary History, 18 (4), 591–61310.2307/204816Search in Google Scholar

Inbar, Efraim (1999): Rabin and Israel’s National Security. Washington DC: The Johns Hopkins University PressSearch in Google Scholar

International Institute for Strategic Studies (2019): Iran’s Networks of Influence in the Middle East. London: IISS; https://www.iiss.org/publications/strategic-dossiers/iran-dossier/iran-19-03-ch-1-tehrans-strategic-intentSearch in Google Scholar

Karsh, Efraim (2013): Islamic Imperialism: A History. New Haven: Yale University PressSearch in Google Scholar

Kemp, Geoffrey/Harkavy, Robert E. (1997): Strategic Geography and the Changing Middle East. Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International PeaceSearch in Google Scholar

Kfir, Ilan (2019): “Storm” Toward Iran (auf hebräisch). Rishon LeZion: MiskalSearch in Google Scholar

Lake, Anthony (1994): Confronting Backlash States, Foreign Affairs, 73 (2), 45–5510.2307/20045918Search in Google Scholar

Merom, Gil (2017): Israeli Perceptions of the Nuclear Threat, Political Science Quarterly, 132 (1), 87–11810.1002/polq.12574Search in Google Scholar

Ofek, Raphael (2020): Iran’s Uranium Enrichment Program: Approaching Breakout. Ramat Gan: BESA Center (Perspectives Paper, No. 1614)Search in Google Scholar

Segall, Michael (2015): The Nuclear Deal: No Pause in Iran’s Vow to Destroy Israel. Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs; https://jcpa.org/article/nuclear-deal-irans-vow-destroy-israel/Search in Google Scholar

Wohlstetter, Albert (1959); The Delicate Balance of Terror, Foreign Affairs, 37 (2), 212–23410.2307/20029345Search in Google Scholar

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Articles in the same Issue

  1. Titelseiten
  2. Editorial
  3. Editorial
  4. Aufsätze
  5. Die (unvollkommene) Rückkehr der Abschreckung
  6. Auf der Suche nach politischer Rationalität nuklearer Abschreckung
  7. Neue Herausforderungen erfordern neue Ideen: Elemente einer Theorie des Sieges in modernen strategischen Konflikten
  8. Zur Bedeutung von Kernwaffen unter Bedingungen strategischer Rivalität – analytische Denkanstöße
  9. Iran und Israel: Ist ein Krieg unvermeidlich?
  10. Kurzanalysen und Berichte
  11. Erdogan schafft im Windschatten von Corona in Libyen Fakten!
  12. Geopolitische Folgen und Herausforderungen der Coronakrise für die Ukraine
  13. Forum – welche Politik ist angesagt gegenüber China und Russland?
  14. Anregungen zu einer neuen transatlantischen China-Politik
  15. Russlandpolitik in der Kontroverse
  16. Russlandpolitik in der Kontroverse
  17. Ergebnisse strategischer Studien
  18. Russland
  19. Sergey Sukhankin: Instruments of Russian Foreign Policy: Special Troops, Militias, Volunteers, and Private Military Enterprises. Washington, D.C.: The Jamestown Foundation, 2019
  20. Richard Sokolsky/Eugene Rumer: U.S.-Russian Relations in 2030. Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2020
  21. Mathieu Boulègue/Orysia Lutsevych: Resilient Ukraine. Safeguarding Society from Russian Aggression. London: Chatham House, Juni 2020
  22. Naher Osten
  23. Peter Salisbury: Risk Perception and Appetite in UAE Foreign and National Security Policy. London: Chatham House, Juli 2020
  24. Ilan Goldenberg/Elisa Catalano Ewers/Kaleigh Thomas: Reengaging Iran. A New Strategy for the United States. Washington D.C.: CNAS, August 2020
  25. International Crisis Group: Taking Stock of the Taliban’s Perspectives on Peace. Brüssel, August 2020
  26. Europäische Sicherheit
  27. Peter Rudolf: Deutschland, die NATO und die nukleare Abschreckung. Berlin: SWP, Mai 2020
  28. Jana Puglierin/Ulrike Esther Franke: The big engine that might: How France and Germany can build a geopolitical Europe. Berlin/London: European Council on Foreign Relations, Juli 2020
  29. Digitale Sicherheit
  30. Kenneth Geers: Alliance Power for Cyber Security. Washington, D.C.: The Atlantic Council, August 2020
  31. Daniel Kliman/Andrea Kendall-Taylor/Kristine Lee/Joshua Fitt/Carisa Nietsche: Dangerous Synergies. Countering Chinese and Russian Digital Influence Operations. Washington, D.C.: Centers for a New American Security, Juni 2020
  32. JD Work/Richard Harknett: Troubled vision: Understanding recent Israeli-Iranian offensive cyber exchanges. Washington D.C.: The Atlantic Council, Juli 2020
  33. Ökonomische Aspekte des internationalen Wandels
  34. Bayern LB Research/Prognos: Das Ende der Globalisierung – braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell? Wie Unternehmen jetzt die Weichen richtig stellen. München: Prognos, Juni 2020
  35. Buchbesprechungen
  36. David Shambaugh (Hg.): China and the World. New York: Oxford University Press 2020, 394 Seiten
  37. Tingyang Zhao: Alles unter einem Himmel. Vergangenheit und Zukunft der Weltordnung. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2020, 266 Seiten
  38. Campbell Craig/Frederik Logevall: America’s Cold War. The Politics of Insecurity. Second Edition. Cambridge, MA und London: Harvard University Press 2020, 443 Seiten
  39. Christopher Hill: The Future of British Foreign Policy. Security and Diplomacy in a World after Brexit, London: Polity Press 2019, 238 Seiten
  40. Jason Lyall: Divided Armies. Inequality & Battlefield Performance in Modern War. Princeton und Oxford: Princeton University Press 2020, 528 Seiten
  41. Ben Saul/Dapo Akande: The Oxford Guide to International Humanitarian Law. Oxford: Oxford University Press 2020, 480 Seiten
  42. James D. Bindenagel: Germany from Peace to Power. Can Germany lead in Europe without dominating? Bonn: Bonn University Press 2020, 223 Seiten
  43. Bildnachweise
  44. Iran and Israel: The Inevitable War?
Downloaded on 10.11.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-4006/html
Scroll to top button