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Richard Sokolsky/Eugene Rumer: U.S.-Russian Relations in 2030. Washington, D.C.: Carnegie Endowment for International Peace, Juni 2020

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Published/Copyright: November 27, 2020

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Sokolsky Richard Rumer Eugene U.S.-Russian Relations in 2030 Washington, D.C. Carnegie Endowment for International Peace Juni 2020


Die Beziehungen zwischen den USA und Russland zählen zu den wichtigsten in der internationalen Politik. Man muss jedoch kein Russland-Kenner sein, um festzustellen, dass sich diese gegenwärtig auf einem neuen Tiefpunkt befinden. Zwischen Washington und Moskau scheint sämtliches Vertrauen verloren gegangen zu sein. Die Konflikte zwischen beiden Ländern sind zahlreich und nicht erst mit dem Hinwenden Moskaus an die Seite Pekings zählt Russland wieder zu den geopolitischen Hauptrivalen Amerikas und seiner Verbündeten. Auch ein Russland und Putin wohlgeneigter US-Präsident Trump vermochte es bisher nicht, die diplomatische Eiszeit im amerikanisch-russischen Verhältnis zu beenden. Zu groß sind die Widerstände und Vorbehalte im US-Kongress und unter amerikanischen Fachleuten. Analysen, die Wege aufzeigen, aus dieser Situation herauszukommen und das Verhältnis wieder zu entspannen, sind daher umso notwendiger. Nicht selten sind sie jedoch von naiven und wenig realistischen Grundannahmen über die sicherheitspolitischen Ziele Moskaus oder einer unkritischen „Russland-Anbiederei“ gekennzeichnet. Auch die Umkehr der „Täter-Opfer-Rolle“ ist unter rechten und linken „Russland-Verteidigern“ weit verbreitet. Pragmatische, möglichst unvoreingenommene und illusionslose Überlegungen zur künftigen Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den USA und Russland sind hingegen rar. Hier setzt die Analyse „U.S.-Russian Relations in 2030“ von Richard Sokolsky und Eugene Rumer an, die beim Think Tank Carnegie Endowment for International Peace erschien.

Die Verfasser dienten im US-Außenministerium und forschten an verschiedenen Universitäten und Think Tanks. Rumer war zudem im US-National Intelligence Council tätig, der unter anderem globale Trends untersucht und geopolitische Zukunftsszenarien entwirft. Man kann also davon ausgehen, dass beide Russland nicht durch die idealistische „rosarote Brille“ betrachten, sondern einen erfahrenen und differenzierten Blick auf das Land und seine Führung haben.

Ihre Analyse beginnt daher erwartungsgemäß ernüchternd: „There are no signs that the relationship will improve in the near future” (S. 1). Basierend auf dieser Annahme unternehmen die Autoren dennoch den Versuch, Politikfelder zu identifizieren, in denen Washington und Moskau gemeinsame Interessen haben und künftig – wenn auch begrenzt – zusammenarbeiten könnten bzw. in denen sie bereits zusammengearbeitet haben. Dies sei jedoch kein Selbstläufer und hänge von zahlreichen Faktoren und günstigen Begleitumständen ab. Deutlich wird dies, wenn sie im ersten Teil des Papiers die Umrisse der Welt im Jahr 2030 skizzieren und sich dabei auf die Erkenntnisse des National Intelligence-Berichts Global Trends 2030 stützen. Die darin beschriebene „Bipolar+ World“, in der die USA und China die dominierenden Weltmächte sein werden und mehrere Akteure (EU, Indien, Japan) um regionalen Einfluss konkurrieren, sei für Moskaus geopolitischen Weltgeltungsanspruch im Grunde enttäuschend, denn die einstige Supermacht bliebe darin – abgesehen von der Atomwaffenfähigkeit und ihrem Militär – eine zweitklassige Macht mit regionalen Ordnungs- und Sicherheitsansprüchen, die zunehmend von China bedroht werden. Inwiefern in dieser möglichen Welt die Kosten für Russlands regionale und internationale Machtprojektionen auf ein nicht mehr hinnehmbares Maß ansteigen und dadurch ein Umdenken im Kreml einleiten oder im Gegenteil zu einer noch aggressiveren – weil verzweifelten – Außenpolitik führen, werde maßgeblich auch von den Entwicklungen in Russland selbst abhängen. Wer nach Putin kommt, ist ungewiss, daher warnen die Autoren zurecht davor, dass es jemand sein könne, der zwar ähnlich aggressiv, aber weit weniger fähig und erfahren und dadurch gefährlicher sei. Ungeachtet dessen gehen die Verfasser davon aus, dass zumindest für die nächste Dekade keine großen Veränderungen in der russischen Außen- und Innenpolitik zu erwarten wären. Die beste Option für die USA sei daher, nicht auf große politische Würfe oder diplomatische Durchbrüche zu hoffen, sondern behutsam auf kleine pragmatische Schritte hinzuarbeiten. Beide Länder hätten schließlich ein existenzielles Interesse daran, einen (nuklearen) Krieg zu verhindern und zumindest die Proliferation von Massenvernichtungswaffen einzudämmen. Auch im Cyberspace und bei der geopolitischen Einhegung Chinas könnten beide Länder stärker kooperieren, auch wenn dies derzeit unwahrscheinlich sei. Wenn es gelänge, Gesprächsformate zu etablieren, in denen in bestimmten Feldern Erwartungen kommuniziert, gemeinsame Interessen abgesteckt und allmählich neues Vertrauen aufgebaut werden könnte, wäre schon viel erreicht. Alles andere würde zu noch mehr Verbitterung, Unverständnis und Sprachlosigkeit führen. Das kompakte Analysepapier (19 Seiten) zeigt, wo Kooperationsfelder zwischen den USA und Russland liegen. Das sind nicht viele, aber für die Sicherheit der beiden Länder, ihrer Verbündeten und die Welt entscheidende.

https://carnegieendowment.org/2020/06/15/u.s.-russian-relations-in-2030-pub-82056

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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