Home Christopher Hill: The Future of British Foreign Policy. Security and Diplomacy in a World after Brexit, London: Polity Press 2019, 238 Seiten
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Christopher Hill: The Future of British Foreign Policy. Security and Diplomacy in a World after Brexit, London: Polity Press 2019, 238 Seiten

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Published/Copyright: November 27, 2020

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Als Christopher Hill 2019 in der Einleitung zu seinem Buch „The Future of British Foreign Policy“ einräumte, dass es als Akademiker immer ein Risiko sei, sich der Futurologie zu widmen, hätte er sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, wie sehr die Welt sich innerhalb der nächsten zwei Jahre verändern würde. Seine Studie zur britischen Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Brexit erschien vor der globalen Corona-Krise, vor Boris Johnsons Wahl zum Premierminister, und vor Großbritanniens Ausscheiden aus der EU im Januar 2020. Trotzdem ist die Analyse des Emeritus für internationale Beziehungen an der Universität zu Cambridge nur in kleinen Teilen redundant, und nach wie vor durchaus lesenswert. Am besten wäre es, wenn der Autor nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase, die Silvester 2020 ausläuft, eine überarbeitete Neuauflage des Buches vorlegen würde, um den Veränderungen der letzten zwei Jahre Rechnung zu tragen.

Denn Hill setzt sich mit den Grundsatzfragen auseinander, denen sich das Vereinigte Königreich nach dem Brexit stellen muss, und legt einen nützlichen und detaillierten Überblick über die Strukturen und Funktionsweisen britischer Diplomatie seit den 1950er Jahren vor. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zu einer Frage, die in der aufgebauschten Rhetorik rund um den Brexit gerne untergeht: was hat sich eigentlich durch das britische Ausscheiden aus der EU konkret verändert? Diese Analyse ist für deutsche Leser von Interesse, weil sie für Überlegungen, wie und wo man in Zukunft am besten mit dem Vereinigten Königreich zusammenarbeiten kann, grundlegend ist. Denn was Hill in Anlehnung an den französischen Politikwissenschaftler François Heisbourg für das Vereinigte Königreich feststellt, gilt auch für Europa: „Die Geographie ist unser Schicksal“ (S. 73). Großbritannien und der Kontinent, so Hill, seien auch nach dem Brexit, gerade in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, aufeinander angewiesen.

Hill argumentiert, dass der Brexit in vierfacher Hinsicht eine Herausforderung für die britische Außenpolitik darstellt. Zunächst einmal stelle sich die definitorische Frage, was Außenpolitik überhaupt ist. Die Beziehungen zu den EU-Mitgliedstaaten, darunter viele wichtige Verbündete des Vereinigten Königreichs, aber auch zu den Institutionen der EU, müssten neu eingeordnet werden. Auch wenn die britische Regierung gerne die durch den Brexit angeblich wiedergewonnene Freiheit thematisiere, sei dies in Hinblick auf die Außen- und Sicherheitspolitik wenig zutreffend. Denn schließlich war und ist die GASP der EU strikt intergouvernemental organisiert, so dass niemand das Vereinigte Königreich zu unliebsamen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen zwingen konnte. Andererseits verliere das Vereinigte Königreich die Synergien und den regelmäßigen Austausch mit seinen europäischen Verbündeten, die zu den pragmatischen Vorteilen der Mitgliedschaft gehörten. Europa sei nach dem Brexit nicht länger eine Quelle, sondern ausschließlich Objekt britischer Außenpolitik.

Aus dieser ersten durch den Brexit aufgeworfenen Grundsatzfrage ergäbe sich die zweite, die der Zuständigkeiten und der bürokratischen Organisation von Außen- und Sicherheitspolitik. Hier seien, Hill zufolge, die größten Umwälzungen zu erwarten. Die Beziehungen zur EU seien schließlich nicht nur für Diplomaten interessant, sondern von großer Relevanz für die Handels-, Entwicklungs-, Energie- und Landwirtschaftspolitik. Wie recht Hill mit seiner Vorhersage hatte, dass bürokratische Umstrukturierungen unvermeidbar seien, zeigt sich daran, dass Premierminister Johnson im Sommer 2020 eine weitreichende Neuorganisation des Foreign and Commonwealth Office und dessen Zusammenführung mit dem Entwicklungshilfeministerium bekannt gemacht hat. Andererseits bedeutet diese Entscheidung auch, dass Hills Buch gerade in Fragen der Entwicklungspolitik von den Ereignissen überholt worden ist.

Die dritte Herausforderung an die britische Außenpolitik nach dem Brexit seien laut Hill die Veränderungen, die sich dadurch für die Bürger ergeben haben. Der Verlust der Rechte, die ein europäischer Pass mit sich bringt, stellt den Blick der Briten auf die Welt, ihre Freiheit zu reisen, Sprachen zu lernen und im Ausland zu studieren und zu arbeiten, auf eine neue Grundlage. Eng verknüpft mit diesen Veränderungen sei die vierte neue Aufgabe der britischen Außenpolitik nach dem Brexit, nämlich die Identität des Vereinigten Königreichs und seine Rolle in den internationalen Beziehungen neu zu definieren und auszutarieren. Der überraschende Ausgang des Brexit-Referendums von 2016 habe Dean Achesons berühmter Aussage aus dem Jahr 1962 neues Leben eingehaucht, wonach Großbritannien ein Imperium verloren und noch keine neue Rolle gefunden hätte. Der Unterschied ist nur, dass es heute, im Unterschied zu damals, keine Organisation oder Gruppe gibt, der sich das Vereinigte Königreich auf der Suche nach seinem Platz in der Welt anschließen kann. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass eine solche Festlegung in der heutigen Zeit überflüssig sei. Trotzdem obliege es der britischen Außenpolitik, so Hill, das weit propagierte und dennoch sehr vage Konzept eines Global Britain mit Substanz zu füllen. Inzwischen hat die Johnson-Regierung eine Grundsatzstudie hierzu angekündigt. Dieser Integrated Review on Foreign Policy, Defence, Security and International Development wird zu Jahresende 2020 erwartet, wobei es schon mehrfach zu Verzögerungen gekommen ist.

Hills Buch ist thematisch strukturiert. Nach einem einleitenden Kapitel fasst der Autor zunächst die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU von den Anfängen der europäischen Integration bis zum Referendum von 2016 zusammen, bevor er sich mit spezifisch außenpolitischen Fragestellungen auseinandersetzt. Hill zeichnet die historische Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und ihrer Vorläufer nach, und erklärt, dass in diesem Politikbereich europäische Zusammenarbeit aus britischer Sicht nicht nur hinnehmbar, sondern sogar sehr wünschenswert war. Dabei kam der intergouvernementale Charakter der Kollaboration dem Vereinigten Königreich sehr entgegen, und war grundlegend für den britischen innereuropäischen Führungsanspruch in außenpolitischen Fragen. Anhand von vier Beispielen, und zwar der Währungsunion, der EU-Erweiterung, der Verteidigung und der Freizügigkeit, arbeitet Hill die historische Tendenz des Vereinigten Königreichs heraus, an europäischen Projekten am liebsten „à la carte“ teilzunehmen (S. 74).

Das interessanteste und für heutige Leser relevanteste Kapitel seines Buches untersucht, ob und inwiefern Großbritannien eher eine regionale oder eine globale Macht darstellt und inwiefern die Jahrzehnte der EU-Mitgliedschaft die britische Rolle in der Welt beeinflusst haben. Dabei erweist sich die Gegenüberstellung eines europäischen und eines globalen Großbritanniens, wie sie gerade von der Johnson-Regierung gerne betrieben wird, als Scheingegensatz. Die Außenpolitik des Vereinigten Königreichs auch zwischen 1973 und 2016 nie rein regional ausgerichtet, wie der Falkland- oder der Irakkrieg einleuchtend belegen.

Abschließend widmet Hill den beiden wichtigsten bilateralen Beziehungen des Vereinigten Königreichs, zu Frankreich und zu den USA, ein eigenes Kapitel. Seine Erwartung ist, dass diese beiden Länder nach dem Brexit aus britischer Sicht an Bedeutung gewinnen, betont aber, dass sich die Briten zukünftig noch mehr um eine enge Partnerschaft werden bemühen müssen, als das sowieso schon der Fall war. Er weist darauf hin, dass neben Frankreich auch Deutschland ein EU-Mitgliedstaat ist, mit dem das Vereinigte Königreich möglichst enge Beziehungen pflegen sollte, um im innereuropäischen Austausch zu außenpolitischen Fragen nicht abgehängt zu werden.

Eine Frage, auf die Hill nicht eingeht, die aber gerade seit der Wahl Boris Johnsons eine hohe Relevanz besitzt, ist die nach der Diskrepanz zwischen politischem Willen und geopolitischen Realitäten. Denn die britische Außenpolitik wird sich nach dem Brexit nicht zwangsläufig danach ausrichten, was erfahrenen Diplomaten und Politikwissenschaftlers als sinnvoll erscheint. Dies zeigt zum Beispiel die Weigerung der britischen Regierung, Außenpolitik, Sicherheit und Verteidigung in die Verhandlungen mit der EU über die zukünftigen Beziehungen mit einzubeziehen. Theoretisch sind dies Politikbereiche, wo auch nach dem Brexit durchaus Potential für eine konstruktive Zusammenarbeit bestünde. Die Zeit wird erweisen, ob die britische Regierung bei ihrer momentanen Tendenz bleibt, ein „globales“ Großbritannien mit einer vollständigen Abwendung von der EU gleichzusetzen. Hills Buch zeigt, dass es im Interesse beider Seiten wäre, sich diesem Trend zu widersetzen und sich um neue Formen der Zusammenarbeit zu bemühen.

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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  43. Bildnachweise
  44. Iran and Israel: The Inevitable War?
Downloaded on 18.9.2025 from https://www.degruyterbrill.com/document/doi/10.1515/sirius-2020-4027/html
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