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International Crisis Group: Taking Stock of the Taliban’s Perspectives on Peace. Brüssel, August 2020

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Published/Copyright: November 27, 2020

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International Crisis Group Taking Stock of the Taliban’s Perspectives on Peace Brüssel August 2020


Im Februar 2020 erzielte die Trump-Administration einen Durchbruch in ihrer Afghanistanpolitik, indem ein Friedensabkommen zwischen den USA und den islamistischen Taliban geschlossen werden konnte. Die von der International Crisis Group verfasste Studie behandelt die Fragen, wie mögliche Perspektiven der Taliban auf einen Frieden in Afghanistan aussehen könnten.

Mit der amerikanischen Invasion in Afghanistan 2001 wurden die Taliban entmachtet und anschließend nicht in lokale politische Strukturen einbezogen. Aus diesem Grund wandelte sich die Gruppierung in eine Guerillaorganisation, die seither Einheiten der internationalen Koalition und Regierungstruppen bekämpft. Das Abkommen sei nun insofern ein Durchbruch, als dass sich die Taliban flexibel gezeigt aber drei klare rote Linien gezogen hätten. Die Studie streicht dabei heraus, dass ein zentraler Punkt für die islamistische Organisation mit dem Thema Legitimität zu tun hätte, weil sie den Anspruch erheben würden, selbst die rechtmäßige Regierung zu sein. Diese Legitimität drückten sie durch ihre Selbstbezeichnung als Islamisches Emirat aus. Somit würden die Taliban der gewählten Regierung in Kabul auch jegliche Form von Souveränität aberkennen und sie als bloße Erfüllungsgehilfen amerikanischer Interessenten darstellen. In diesem Zusammenhang stehe auch der Vorwurf, dass die derzeitige afghanische Verfassung der islamischen Gesinnung des Landes nicht ausreichend Rechnung trüge und die Taliban daher ein islamisches System etablieren wollten, ohne innerhalb der Gruppe selbst ein genaues Konzept für ein solches System dargelegt zu haben.

Obwohl das Friedensabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban ein historischer Meilenstein für den Frieden in Afghanistan sei, kritisiert die Studie, dass man die Zentralregierung in Kabul nicht beteiligt hätte. Vielmehr seien ihr Bedingungen aufoktroyiert worden, wie der Gefangenenaustausch mit der islamistischen Gruppierung. Die Studie argumentiert weiter, dass die US-Regierung versucht habe, die Taliban mit dem „Islamischen Staat in der Provinz Khorasan“ gleichzusetzen und sich mit der Zusage zufriedengebe, wonach die Taliban nicht zulassen werden, dass von ihrem Gebiet aus Vorbereitungen für terroristische Anschläge in den USA stattfinden würden.

Die Studie argumentiert, dass die Taliban ein großes Interesse an einem Frieden hätten, obwohl sie ihre Mitglieder, die lose organisiert seien, erst davon überzeugen müssten. Dieses Interesse an einem möglichen Frieden mit Kabul habe bei den Taliban einen Wechsel in ihrer Rhetorik ausgelöst, der sich auch in internationalen Medien gezeigt hätte. So sei in der New York Times ein Op-Ed des Vize Emirs der Taliban erschienen, in dem die Bedingungen für einen Frieden dargelegt worden wären. Innerhalb der Taliban sei zudem ein Tonband zirkuliert worden, mit dem die Kämpfer von der Notwendigkeit eines Friedens mit den USA überzeugt werden sollen.

Als weiteres Zeichen für einen Tonwechsel in der sonst „rauen“ Rhetorik der Gruppierung sei der Verzicht auf die alljährliche Ankündigung der Frühlingsoffensive gewesen und die Bereitschaft der Taliban, westlichen Medienvertretern Interviews zu geben.

Trotz dieser Entwicklungen bleiben für die Studie zahlreiche Fragen, die mit dem Abkommen und einem Frieden in Afghanistan in Zusammenhang stehen, weiterhin unklar. Obwohl bereits unter Emir Akhtar Mansour ein Forum geschaffen wurde, in dem strategische Fragen innerhalb der Taliban erörtert werden, blieben Fragen zur Sicherheit und zum Staatsaufbau offen. Die Studie wirft dabei einerseits die Frage auf, ob die Taliban sich von der internationalen islamistischen Szene emanzipieren werden, während andererseits ungeklärt sei, unter welchen Umständen ein nachhaltiger Waffenstillstand geschlossen werden könne. Letzteres wirke sich besonders auf einen möglichen Frieden aus, da die Gruppierung durch einen Waffenstillstand ihre Verhandlungsposition verlieren könne und es ihrem Narrativ eines Sieges zuwiderlaufen würde. Neben diesen Fragekomplexen müsse auch geklärt werden, wie die Taliban mit den afghanischen Sicherheitskräften umgehen werden und vice versa. Während die Gruppe Anfang 2019 noch die Demobilisierung der afghanischen Sicherheitskräfte gefordert hatte, spreche sie jetzt von einer grundlegenden Reform. In diesem Zusammenhang, so die Studie, stünden auch die Fragen, wie die Taliban in den Staat integriert werden könnten und welche Rechte sie Minderheiten und Frauen eingestehen würden.

Obwohl mit dem Abkommen ein erster Schritt Richtung Frieden in Afghanistan gemacht wurde, bleibt abzuwarten, wie sich die innerafghanischen Gespräche entwickeln und ob man sich auf ein Abkommen einigen können wird. Bis dahin wird der Konflikt, zwar abgeschwächt, aber weiter andauern.

https://www.crisisgroup.org/asia/south-asia/afghanistan/311-taking-stock-talibans-perspectives-peace

Published Online: 2020-11-27
Published in Print: 2020-11-25

© 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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